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Kameraden von der Front! [] Ihr habt 51 Monate Leiden und Entbehrungen erduldet, wie noch nie ein Heer in der Weltgeschichte! Trommelfeuer, Gaswolken und Massenstürme, Hunger, Durst und Kälte, Fieber, Seuchen und den Tod Eurer Kameraden in jeder Gestalt - alles habt Ihr ertragen, weil es die Verteidigung der Heimatscholle galt. Deutschland schuldet Euch unauslöschlichen Dank! [] Das Gesicht, das Euch die Heimat bietet, ist freilich ganz anders, als Ihr wohl erwartet habt. Nicht etwa, daß die Heimat die Front im Stiche gelassen hätte, sondern die Unmöglichkeit, gegen einen Übermächtigen und sich täglich um tausende von Soldaten und um hunderte von Geschützen und Sturmwagen vermehrenden Gegner länger das Feld Zu behaupten, ließ die Oberste Heeresleitung Waffenstillstandsverhandlungen einleiten. Als diese Waffenstillstandsverhandlungen von Offizieren der Hochseeflotte gestört zu werden drohten, die auf eigene Faust die Schiffe zu einem Vorstoß gegen die Engländer auslaufen lassen wollten, nahmen die Matrosen in den norddeutschen Hafenstädten die Sache selbst in die Hand und gaben damit den Anstoß zu der mächtigen Bewegung, die sich in wenigen Tagen über das ganze Land verbreitete und die überall die arbeitenden Massen des Volkes, vertreten durch die Arbeiter-, und Soldatenräte, zur Macht brachte. Zum Teil räumten die alten Gewalten ihren Platz, zum andern Teil ordneten sie sich den neuen Gewalten unter, sodaß alle bisherigen Behörden, Instanzen und Organe zusammen mit den Arbeiter- und Soldatenräten arbeiten, um die Freiheit, Entwicklung, Ruhe, Ordnung und Volksernährung weiter zu sichern. [] Von den Zielen und Plänen der bisherigen Machthaber, die uns mit der Feindschaft und dem Haß einer ganzen Welt beluden, ist nichts geblieben. Ihr kommt hinein in die Geburtsstunde eines neuen Deutschland, in dem jeder gleiches Recht und gleiche Freiheit haben wird, denn Deutschland ist auf dem Wege zur sozialistischen Republik. Die Republik ist der vollkommenste Ausdruck der Volksherrschaft, unter der keine dünne Herrenkaste mehr im Wahn leben kann, daß sie zum Herrschen geboren ist, sondern unter der jeder Staatsbürger gleichen Teil an der Bestimmung der Staatspolitik hat. Die wahrhaft demokratische Republik zerstört bis auf den Grund die Vorurteile des Standes und der Geburt, sie sichert jedem Tüchtigen den Platz, der ihm Zukommt. [] Der Sozialismus ist die Wirtschaftsordnung, unter der nicht mehr wie bisher die Wenigen über alle Schätze der Zivilisation verfügen und die Vielen elend und dürftig als Zaungäste draußen stehen, sondern in der alle schaffenden Kräfte an den Gütern der Kultur teilhaben. Der Sozialismus will nicht "teilen", indem er dem Wohlhabenden seine Gelder nimmt, und er will nicht "enteignen", indem er den Bauern von Haus und Hof jagt, sondern er will vom Reichen die Steuern erheben, die er braucht und soweit als möglich die Produktionsmittel vergesellschaften, d. h. die großen Betriebe ebenso in Staatseigentumüberführen, wie heute Eisenbahnen und Post Staatseigentum sind, nur daß ihre Einkünfte nicht wie bisher den Interessen der herrschenden Schichten, sondern dem Wohle des ganzen Volkes zugute kommen. Die Revolution von 1918 will auf Trümmern, Schutt und Asche ein Deutschland aufbauen, wie es auch in böser Zeit der große Denker Fichte vorausgesagt hat: [] "Ein Reich des Rechts, gegründet auf Gleichheit alles dessen, was Menschenantlitz trägt." [] Kameraden von der Front! [] Am Bau dieses neuen Deutschlands mitzuwirken, ist Euer Recht und Eure Pflicht! Die Gelegenheit dazu bietet Euch die von Männern und Frauen unterschiedslos zu wählende Nationalversammlung, aus deren Beratungen die endgültige neue Staatsreform hervorgehen wird. Laßt Euch nicht von Anhängern des alten Regime vorreden, daß die Bewegung ohne Euch und über Euren Kopf hinweg gemacht sei. Sie ist überhaupt nicht gemacht, sondern der unwiderstehliche Losbruch des Volkswillens. Dazu haben die meisten von uns draußen gekämpft und geblutet und wissen Bescheid um die Nöte und Notwendigkeiten der Frontsoldaten. Laßt Euch dadurch nicht beirren, daß in den ersten Tagen der Revolution hier und da die willkürliche Verfügung einer Einzelstelle Euren Bedürfnissen nicht Rechnung zu tragen schien. Da ist oder wird Abhilfe geschaffen. Denn wir Zählen Euch zu den unseren, alle ein Volk, das vorwärts und aufwärts will! Die Revolution, stolz auf Euch, hißt die Fahnen zu Eurer Begrüßung in der Heimat! Diese Heimat findet Ihr nicht, wie vielleicht mancher von Euch auf Grund dunkler Gerüchte befürchtet, in Wirrwarr und Durcheinander, sondern in geregelter, wenn auch neuer Ordnung. Das Wirtschaftsleben ist nicht gestört. Der Verkehrsschwierigkeiten bei der Demobilmachung wird unsere Organisationskraft Herr werden. Anarchie gibt es bei uns nicht! [] Kameraden von der Front! Wir brauchen Euch nicht erst zu sagen, daß Freiheit nicht Lockerung der Ordnung und Zucht bedeutet. Ungeheuer schwer sind die Waffenstillstandsbedingungen, die die Imperialisten im feindlichen Lager auch dem demokratischen Deutschland nicht mildern wollen. Nur wenn jeder Einzelne eiserne Selbstdisziplin übt und sich freiwillig in die nötige Ordnung einpaßt, gelingt es, eine furchtbare Katastrophe zu vermeiden. Seid Euch bewußt, daß Ihr durch jede Eigenmächtigkeit die Sache der Freiheit und damit Eure Sache und die Eurer Kinder aufs schwerste gefährdet! [] Entschlossenheit! Besonnenheit! Selbstzucht! [] sind die Gebote der Stunde! Beißt in diesen letzten Wochen die Zähne zusammen und handelt so, daß einst von jedem von Euch die Geschichte sagen muß: [] In schwerster Zeit hat er sich als ein guter Soldat und als ein guter Bürger wohl verdient gemacht um das Vaterland! [] Es lebe die Revolution! [] Es lebe die deutsche Zukunft! [] Frankfurt a. M. [] Der Arbeiter- und Soldatenrat.
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