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warum [] Professor Dr. Karl Schiller [] wurde am 24. April 1911 in Breslau geboren. Nach dem Studium der Volkswirtschaftslehre promovierte er 1935 zum Dr. rer. pol. und leitete anschließend eine Forschungsgruppe am Institut für Weltwirtschaft in Kiel. Von 1941 - 45 war Karl Schiller Soldat, zuletzt Oberleutnant in einer Infanteriedivision. Von Kiel, wo er eine Gastprofessur innehatte, wurde er 1947 an die Universität Hamburg berufen, deren Rektor er von 1956 - 58 war. Zuvor hatte er 1948 bis 1953 als Senator für Wirtschaft und Verkehr die Grundlagen für den wirtschaftlichen Wiederaufstieg Hamburgs geschaffen. 1961 - nach dem Bau der Mauer - holte ihn Willy Brandt als Senator für Wirtschaft nach Berlin. 1965 wurde er Mitglied des Bundestages und im Jahr darauf Mitglied des Parteipräsidiums der SPD. Seit dem 1. Dezember 1966 ist Professor Schiller Bundeswirtschaftsminister. [] ... bin ich Sozialdemokrat [] Seit 1946 bin ich Mitglied der SPD. Ich war damals 35 Jahre alt. Hinter mir lagen vier Jahre Kriegsdienst, ein abgeschlossenes Studium der Wirtschaftswissenschaften und der Anfang einer Universitätslaufbahn, die durch die Katastophe des Zweiten Weltkrieges unterbrochen worden war. Das Jahr 1945 bedeutet mir darum auch nicht so sehr das Ende einer Entwicklung als vielmehr den Anfang eines neuen Zeitabschnitts! [] Wir Jüngeren, die wir die zwölf Jahre der braunen Herrschaft über Deutschland bewußt miterlebt hatten, sahen im Jahre Null der Nachkriegsgeschichte vor allem die Chance des Neubeginns, die Chance auch, den künftigen Lauf der Dinge mitzugestalten. Ich wollte deshalb nicht nur meine berufliche Karriere als Universitätslehrer verfolgen. Das schien mir eine Konsequenz aus den Erfahrungen in der Vergangenheit zu sein. Die Katastrophe der jüngsten deutschen Geschichte war ja doch gerade darauf zurückzuführen, daß sich breite Schichten unseres Volkes von der Demokratie von Weimar und von der Politik überhaupt distanziert hatten. [] So ergab sich für mich folgerichtig der Weg zur SPD: Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands schien mir von allen politischen Gruppierungen die verläßlichste Basis für die demokratische Gestaltung unseres Landes zu sein. Nach ihrer Tradition und nach ihrer politischen Zielsetzung ist sie einem Staatswesen verpflichtet, das sich zu Freiheit und Gerechtigkeit - und zwar für alle Bürger - als seinen höchsten Werten bekennt. [] Die praktischen Aufgaben kamen schneller auf mich zu, als mir wegen meiner wissenschaftlichen Laufbahn lieb sein konnte. Im Sommer 1946 berief mich Bürgermeister Petersen zum Leiter einer Gutachterkommission, die ein Programm für den Wiederaufbau der Hamburger Wirtschaft zu erarbeiten hatte. Das war für mich die erste Bewährungsprobe, die zeigen sollte, daß sich das grüne Holz der Theorie sehr wohl in der rauhen Luft der Praxis zu behaupten vermochte: die "Denkschrift zur künftigen wirtschaftlichen Entwicklung Hamburgs" wurde Grundlage und Richtschnur für die Wirtschaftspolitik der Hansestadt, für die ich von 1948 - 1953 als Senator und Präses der Behörde für Wirtschaft und Verkehr verantwortlich war. Mit der Gründung der Bundesrepublik nahmen die Aufgaben sehr schnell zu. Im Bundesrat, dem ich als Vertreter Hamburgs angehörte, standen nicht mehr allein die Interessen unseres Stadtstaates auf dem Spiel, sondern der Wiederaufbau des ganzen Landes. [] Mit dieser Arbeit ging die große Diskussion in der SPD über ihr gesellschaftspolitisches Konzept einher. Kurt Schumacher hat in dieser Auseinandersetzung mit der ihm eigenen Leidenschaft wesentliche Akzente gesetzt. Die Kernfrage war: Wie sollten Wirtschaft, Staat und Gesellschaft geordnet werden, um ein Höchstmaß an Wohlstand, Freiheit und Gerechtigkeit für den einzelnen zu verwirklichen - oder: wie sollte der freiheitliche Sozialismus unter den Bedingungen der zweiten Hälfte unseres Jahrhunderts aussehen? Im Brennpunkt der Diskussion stand die Frage nach Funktion und Bedeutung des Wettbewerbs in der Wirtschaft. Und auch hier galt es, die Augen nicht vor der Wirklichkeit zu verschließen, sonden aus den Erfahrungen der Vergangenheit - und Gegenwart - zu lernen. Wird der Leistungswettbewerb eingeschränkt, geht entweder früher oder später die Freiheit über Bord - oder es treten nachhaltige Störungen des Wirtschaftsprozesses ein, die das gesamte gesellschaftliche Gefüge in Mitleidenschaft ziehen. Aber der Wettbewerb allein ist nicht in der Lage, Vollbeschäftigung, Stabilität des Preisniveaus und außenwirtschaftliches Gleichgewicht bei stetigem angemessenem Wachstum zu garantieren. [] Die moderne Wirtschaftspolitik der Bundesregierung benutzt deshalb heute das Mittel der Globalsteuerung der großen Aggregate des Wirtschaftskreislaufs, um wirtschaftliche Fehlentwicklungen zu verhindern und um einem Einzeldirigismus zu entgehen. In diesem Sinne habe ich auf den Parteitagen zu Beginn der fünfziger Jahre immer wieder einer pragmatischen Lösung des Problems das Wort geredet, die in der Formel ihren Ausdruck fand: Wettbewerb soweit wie möglich, Planung soweit wie nötig. Sie wurde Bestandteil des damaligen Aktionsprogramms der SPD, sie findet sich wörtlich wieder im Godesberger Programm von 1959. Zu diesem Grundsatz stehe ich auch heute. Er hat seither nichts von seiner Richtigkeit eingebüßt. [] Der Regierung der Großen Koalition habe ich mich zur Verfügung gestellt; ich hatte mich davon überzeugen lassen, daß es die Pflicht der Sozialdemokraten gegenüber unserem demokratischen Staatswesen war, die politisch verfahrene und krisenhafte Situation zu meistern. Darin liegt zudem die Chance, unsere Leistungsfähigkeit in der Regierungsverantwortung auch auf Bundesebene unter Beweis zu stellen In dieser Regierung habe ich das Wirtschaftsressort übernommen, weil von hier aus die entscheidenden Impulse gegeben werden müssen, sollen Wirtschaft und Finanzen bei uns wieder in Ordnung kommen. Das Instrumentarium der modernen Wirtschaftspolitik, das wir mit dem am 8. Juni 1967 verkündeten Stabilitäts- und Wachstumsgesetz geschaffen haben, hat uns in die Lage versetzt, auch in unserer expansiv-dynamischen Gesellschaft Wachstum und Stabilität gleichzeitig zu sichern. [] Für die Politik kommt es darauf an, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß die Konflikte, die sich immer aus der sozialen, wirtschaftlichen und politischen Dynamik ergeben, erkannt und möglichst rational gelöst werden können. Unaufhörliche Wachsamkeit und Kritik der Bürger sind ein Lebenselement der mündigen Gesellschaft; sie kann nur von freien und aufgeklärten Menschen getragen werden. Der Staat dieser Gesellschaft hat die Aufgabe, die verschiedenen, oft in Streit miteinander liegenden Gruppen durch seine planende, ausgleichende Politik und durch Angabe von Orientierungsdaten auf die gegenseitige Kommunikation und Information hinzuführen. [] So sind auch die Gespräche in der Konzertierten Aktion zu sehen. Die Regierung legt den Vertretern der Gewerkschaften und der Unternehmerverbände ihre Zielvorstellungen für die wirtschaftliche Entwicklung vor, sie diskutiert sie mit ihnen. Das führt zu einer gründlichen Information der großen Gruppen der Gesellschaft, die dadurch in ihrer Entscheidungsfähigkeit gestärkt, keinesfalls aber in der Autonomie ihrer Entscheidungen behindert werden. [] Wir haben die Pflicht und die Möglichkeit, die Produktionsreserven in unserer Volkswirtschaft zu nutzen und dem wirtschaftlichen und technologischen Fortschritt neuen Antrieb zu geben. Das ist im Blick auf die zukünftige Entwicklung unserer Gesellschaft und im Blick auf die Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft in der Welt eine wesentliche Aufgabe. [] An diesem Leitbild orientiert sich die Politik der SPD - nicht erst heute. [] Ihr Karl Schiller [] Herausgeber: Vorstand der SPD, Bonn [] [Bildunterschriften:] [] Auf dem Nürnberger Parteitag [] Bei Beratungen im Wirtschaftskabinett [] Als Präsident des Ministerrates der Europäischen Gemeinschaften
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