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Liberale Wähler von Spandau-Potsdam-Osthavelland [] Die "National-Zeitnug", das führende nationalliberale Blatt, schreibt am 29. Januar d. Js.: [] "Die andere Gefahr" [] "Stichwahlparolen macht man nicht in Hurra-Stimmung, sondern in nüchterner Erwägung aller denkbaren Möglichkeiten. Auf eine, leider sehr naheliegende Möglichkeit sei hier besonders aufmerksam gemacht. [] Die "Germania" von heute morgen enthält die namentliche Liste von 92 - in Worten zweiundneunzig - endgiltig gewählten Zentrumsabgeordneten. Die Konservativen werden, aller Voraussicht nach, verstärkt aus den Stichwahlen hervorgehen. Mit jedem Sitze, den das Zentrum in den Stichwahlen noch gewinnt, - die "Köln. Volkszeitung" rechnet nach vorsichtigster Schätzung auf 10 bis 11 - wächst also [] die Gefahr einer rein konservativ-klerikalen Menrneit. [] Eine solche Mehrheit ist in der Lage, den gesamten Liberalismus, auch für nationale Fragen, einfach auszuschalten; denn um den Preis - das ist keinen Augenblick zu bezweifeln - wird das Zentrum so national, wie es erforderlich ist, um die in diesen Fragen zuverlässigen Konservativen nicht zu ver-schnupfen. Es wird die Opposition gegen das Persönliche Regiment und die "uferlose Kolonial- und Flottenpolitik" in die Mottenkiste Packen, um sie für eine passende Gelegenheit zu konservieren, und versuchen, mit Hilfe der Konservativen im Reiche "preußische Politik" zu machen. [] Wir aber haben es für unsere Pflicht gehalten, offen zu sagen, was werden kann. [] Die Ausschaltung des gesamtem Liberalismus, als eines notwendigen Faktors der Gesetzgebung im Reiche, das war ja eigentlich der Zweck der Uebung vom 25. Januar nicht." [] Man will die Liberalen gewinnen mit der Parole einer konservativ-liberalen Politik. Schon öfter ist dieser Sirenengesang gesungen worden. Bisher vergeblich: weil der Liberalismus auf der Hut war. Bei Beratung der Septennatsvorlage rief 1880 Eugen Richter: [] "Nein, meine Herren, soweit unsere Kräfte reichen, wollen wir die Fahne des Liberalismus hochhalten, wollen nichts wissen von jener liberal-konservativen Majorität. Nein, wir wollen die Grundsätze des Liberalismus rein erhalten, damit sie wieder stärker werden, um in der Gegenwart nachhaltig zu verteidigen, was wir an liberalen Errungenschaften besitzen, und zurückzuerobern, was uns davon jetzt verloren gegangen ist!" [] Und der Veteran der Freisinnigen Volkspartei, der Abgeordnete Albert Träger, schreibt am 1. Februar: [] "Leicht entzündlicher Optimismus hatte vielfach den Beginn einer neuen liberalen Aera unter Vorantritt der Regierung erhofft, er sollte bald genug getäuscht werden. Der Kampf gegen die Reaktion auf jedem Gebiete war die gegebene und wirksamste Parole in diesem Wahlkampf. Ihr sind die liberalen Wähler gefolgt, für diesen Kampf haben sie die Gewählten verpflichtet, in den Breschen des Zentrums und der Sozialdemokratie wollten sie das Banner des Liberalismus aufrichten. Erhebliche Verluste hat nur die Sozialdemokratie erfahren, aber an die Stelle der Gefallenen sind vielfach Nichtliberale getreten - sogar mit Hilfe der Liberalen!" [] Träger nimmt den Ruf Eugen Richters auf: Gegen eine liberal-konservative Mehrheit, die nur dazu gut sein soll, als Aschenputtel der Regierung die Erbsen zweifelhafter Regierungsforderungen aus der Asche herauszuholen. Und er schließt: [] Unzweifelhaft hat der Liberalismus, der so oft und so hämisch totgesagte, einen neuen Aufschwung genommen. Das Volk hat ihm sein Vertrauen bewahrt, oder das schon wankende wieder zugewendet. Von dem Verhalten der Freisinnigen wird es wesentlich abhängen, ob dieser Aufschwung den Anfang bedeutet oder - das Ende! [] Albert Träger erweist sich hier, wie schon manches Mal als der getreue Eckart des Liberalismus. [] Die Vertrauensmänner des liberalen Wahlvereins zu Potsdam haben gegen eine starke Minderheit beschlossen, den liberalen Wählern zu empfehlen, für Pauli einzutreten. Sie bekennen, das sehr ungern zu tun, weil sie mit Pauli "nichts gemein haben, als - die Vaterlandsliebe". [] "Stichwahlparolen macht man nicht in Hurrastimmung", sagt die "National-Zeitung" mit Recht. Was heißt "Vaterlandsliebe?" Hat der Liberalismus nicht hundertmal militärische Forderungen abzulehnen für seine Pflicht gehalten? Wurde er nicht dieserhalb von Bismarck gar oft als vaterlandsfeindlich verschrieen? Und hat er sich nicht mit Recht dagegen gewehrt? [] Liberale Wähler! [] Mit Recht sagte Albert Träger am 1. Februar vor dem Wort "national", daß "seit geraumer Zeit höchst bedenkliche Dinge unter dieser verschlissenen Flagge eingeschmuggelt zu werden pflegen." [] Liberale Wähler! [] Die Lage ist für alle freiheitlich gesinnten Elemente heute ernster, als je. Wichtigste liberale Errungenschaften sind trotz aller Ableugnungen in Gefahr. Vor allem häufen sich die Stimmen der einflußreichen Politiker von Tag zu Tag, die unser Reichstagswahlrecht verschlechtern wollen. Gerade die konservative Partei ist in dieser Frage völlig unzuverlässig. Und gerade Herr Pauli hat am 11. Januar in Spandau den Angriff des Herrn Pastors Schall gegen die geheime Stimmabgabe, ohne jeden Widerspruch hingehen lassen; und dieser Angriff fand in der konservativen Versammlung großen, anhaltenden Beifall! [] Die Gefährdung des Koalitionsrechts ist allbekannt Pauli ist Kandidat auch des Bundes der Landwirte. Das Organ dieses Bundes, die "Deutsche Tageszeitung", reißt in ihrer Nummer vom 1. Februar den Freisinn aufs schmählichste herunter, verspottet und verhöhnt seine angesehensten Führer. Es redet von der "Skrupellosigkeit des Herrn Kopsch", von dem Schwan von Nordhausen, Albert Träger, und von Hermes, der "sicher im Schlangenfüttern stets größer gewesen sei, als in der Politik" usw. [] All das hat denn auch der Vorstand des "Wahlvereins der Liberalen" in seiner Sitzung vom 27. Januar erwgen; dort wurde einstimmig folgende Resolution für die Stichwahlen beschlossen: [] "Die Hauptwahlen haben eine sichere Mehrheit für die Bewilligung nationaler Forderungen ergeben, dagegen erscheint jetxt die Gefahr der Bedrohung bedeutsamer liberaler Errungenschaften (Reichstagswahlrecht, Koalitionsrecht, Gleichberechtigung aller Staatsbürger), für deren Aufrechterhaltung und Ausbau wir stets eingetreten sind, wesentlich nähergerückt. [] Wir fordern daher unsere Parteifreunde im Lande auf, nur solchen Kandidaten in der Stichwahl ihre Stimme zu geben, die durch Programm und Persönlichkeit eine sichere Gewähr dafür bieten, daß sie nicht der politischen und geistigen Reaktion Hilfsdienste leisten." [] Daß Pauli diese Gewähr nicht bietet, weiß jeder liberale Wähler selbst zur Genüge. [] Und damit ist ihm der Weg vorgezeichnet, den die Liberalen Frankens (Nürnberg) und Jenas bereits beschritten haben: [] Sie haben beschlossen, [] für den Sozialdemokraten [] einzutreten, wo er mit dem Konservativen in Stichwahl steht. [] Das gebietet auch euch in Potsdam-Spandau-Osthavelland die Klugheit und Vorsicht! [] "Zuvor getan und nachbedacht, [] Hat manchen in groß Leid gebracht." [] Kein Liberaler darf für Pauli stimmen!
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