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BRIEFE AN BEKANNTE "FRIEDENSBRANDSTIFTER" [] Ilja Ehrenburg [] [] Herrn Ilja Ehrenburg [] Mitglied des Weltfriedensrates [] Moskau [] Berlin, im August 1951 [] [] Herr Ehrenburg! [] Als es vor wenigen Jahren im bolschewistischen Machtbereich noch zum guten Ton gehörte, von Tito begeistert zu sein, schrieben Sie über die im Lande schon vorhandenen, sich gegen das Titoregime wendenden oppositionellen Kräfte: "Unbestreitbar gibt es darunter ehrliche Leute, doch die ehrlichen sind der Deckmantel für die unehrlichen." Treffender als mit diesem Satz ist es kaum möglich, die sogenannte Weltfriedensbewegung zu kennzeichnen. Doch wir wollen uns nicht mit den als Deckmantel dienenden ehrlichen Leuten beschäftigen, mit den - um ein Wort Arthur Koestlers zu gebrauchen - "Halbjungfrauen der Demokratien", sondern uns mit jenen "Friedensbrandstiftern" auseinandersetzen, die wissen, was sie tun. Es sind dies jene Leute, die ebenso wie Sie, Herr Ehrenburg, mithelfen, hinter Picassos Friedenstauben die stalinistische Expansionspolitik zu verbergen. [] In einem Ihrer ersten Romane schrieben Sie, es gäbe zwei Arten, einen Zaun zu überqueren: entweder darüber hinwegzuspringen oder darunter hindurchzukriechen. Der junge Ehrenburg brachte einige Male die Kraft auf, den Sprung durchzuführen, während der alte - wie er sich uns heute präsentiert - es vorzieht, durchzukriechen. [] Schon mit fünfzehn Jahren schlossen Sie sich 1906 auf dem Gymnasium einer revolutionären Gruppe an, um ein Jahr später wegen Ihrer politischen Tätigkeit von der Schule verwiesen und - wenn die Angaben Ihrer offiziellen Biographie zutreffen - mit 17 Jahren verhaftet zu werden. Nach zwölfmonatiger Haft - Ihr Vater, ein gutbürgerlicher ukrainischer Zuckermagnat, hatte inzwischen eine größere Kaution erlegt - wurden Sie jedoch wieder entlassen; allerdings unter der Verpflichtung, Rußland sofort zu verlassen. Sie fuhren nach Paris, wo Sie es überraschenderweise ängstlich vermieden, mit Ihren politischen Freunden in Kontakt zu treten, was wohl darauf zurückzuführen sein dürfte, daß Sie sich plötzlich sehr stark vom Katholizismus angezogen fühlten. Eine Sympathie, die so weit ging, daß Sie, der ehemalige junge Revolutionär, 1914 ein vom religiösen Eifer inspiriertes Büchlein "Verse für die Jungfrau" veröffentlichten. Bei Ausbruch des Ersten Weltkrieges avancierten Sie zum französischen Berichterstatter eines Petrograder Blattes, schrieben extrem-nationalistische Artikel und stellten damit Ihre Wandlungsfähigkeit unter Beweis. [] Nach der bolschewistischen Revolution gelang es Ihnen mit Lenins Hilfe, nach Rußland zurückzukehren. Dort wurden Sie ebenso wie viele Ihrer Zeitgenossen im In- und Ausland vom Schwung und Elan der russischen Bolschewisten mitgerissen. Aber viel schneller als bei den meisten anderen folgte bei Ihnen die Ernüchterung; denn schon 1921 verließen Sie abermals Ihre Heimat, um sich in Berlin niederzulassen. Hier brachten Sie zur größten Überraschung all jener, die Ihren Werdegang verfolgten, den Gedichtband "Gebete für Rußland" heraus, dessen Verse in antibolschewistischen Kreisen solchen Anklang fanden, daß einzelne Gedichte sogar in weißgardistischen Blättern nachgedruckt wurden. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, daß Sie es zu dieser Zeit den Bolschewisten am meisten verübelten, daß diese im Laufe des Bürgerkrieges auch einige Kirchen zerstört hatten. [] Die Begründung Ihrer skeptischen Haltung gegenüber der bolschewistischen Revolution fand in Ihrem großen satirischen Roman "Julio Jurenito" ihren Niederschlag. Als der Romanheld von der Tscheka verhaftet wird, lassen Sie ihn dem verhörenden Kommissar erklären: "Sie haben eine große Mission auf Erden. Sie müssen die Leuteüberzeugen, daß die Ketten, mit denen Sie sie fesseln, in Wirklichkeit die liebenden Arme der Mutter sind." Bei seiner Ankunft in Moskau bricht Jurenito in den Ruf "Nieder mit Freiheit und Schönheit!" aus. Er wird natürlich, nochmals verhaftet, und nachdem er durch eine glückliche Fügung der Erschießung entgangen ist, erklärt er: "Ihr Kommunisten zerstört die Freiheit, deshalb grüße ich euch. Ihr seid die größten Befreier der Menschen, weil das herrliche Joch, das ihr der Menschheit aufbürdet, nicht aus Gold ist, sondern aus massivem Eisen und angemessen organisiert. Der Tag mag kommen, an dem das Wort 'Freiheit' als ein ehrlicher revolutionärer Ruf widerhallen wird, vor dem die Kleider der Welt, die heute geschaffen werden, wie Federn im Winde zerstieben ... Heute jedoch ist der Gedanke der 'Freiheit' ein konterrevolutionärer Begriff ... Wenn ich euch, Kommunisten, grüße, dann deshalb, weil ihr im Laufe eines Jahres so rücksichtslos die Vorstellung 'Freiheit' aus dem Kopfe jedes Faulpelzes, Träumens oder Speichelleckers herausgeprügelt habt ..." [] So meisterhaft ironisierte der Ehrenburg vom Jahre 1924 die Problematik der kommunistischen Freiheitsbegriffe. Es war jedoch viel Wasser die Wolga abwärts geflossen, als der in Unehren ergraute Ehrenburg als Korrespondent der "Iswestija" nach Spanien fuhr, weniger um über den spanischen Bürgerkrieg zu berichten, sondern vielmehr um die Ermordung nichtstalinistischer Sozialisten zu rechtfertigen. In Dutzenden von Artikeln, die beinahe in alle Sprachen übersetzt wurden, versuchten Sie, den lächerlichen Beweis zu erbringen, daß es sich bei den Ermordeten um "faschistische Agenten" gehandelt habe. [] Während des Zweiten Weltkrieges gelang es Ihnen durch Ihre scharfen antideutschen Veröffentlichungen vor allem innerhalb der Roten Armee eine unerhörte Popularität zu erwerben. Nachdem Stalin mit seiner Rede "Die Hitlers kommen und gehen, aber das deutsche Volk bleibt ewig" eine neue Deutschlandpolitik eingeleitet hatte, benötigte der Kreml Prügelknaben, um diese für die bisherige nationalistische großrussische Phraseologie verantwortlich zu machen, So blieb es Ihnen nicht erspart, damals eine Rüge des Propagandachefs der KPdSU Alexandrow, in der "Prawda" einzustecken. [] Ihr Weg vom jungen suchenden kämpferischen Umstürzler über den kritisch voraussehenden Satiriker bis zum gehorsamen Diener Ihres Herrn, dessen geistige Peitsche, die Sie selbst züchtigt, Sie umschmeicheln, entbehrt nicht einer gewissen menschlichen Tragik. Wenn wir uns nicht irren, waren Sie es, der John Priestley schrieb: "Ich kann mich der Verantwortung meines Lebens nicht entziehen." Wir können Sie trotz Ihrer vielen Orden und Ihres eleganten Hauses in Moskau um diese Verantwortung nicht beneiden. [] Vielleicht wird Sie die unerbittliche Richterin Zeit einmal fragen: Hast Du Deinen Geist dazu benützt, um die Menschheit gegen das Unrecht aufzurütteln? Hast Du Deine feurige Zunge für die Verfolgten und Entrechteten sprechen lassen? Hast Du Deine schriftstellerische Begabung in den Dienst der ewig unverrückbaren Menschenrechte gestellt? [] Sie haben geschwiegen, als in der Sowjetunion der einst von Ihnen gefeierte Trotzki mit hundert anderen verbannt und verurteilt wurde! Sie fanden kein Wort des Protestes, als die Elite der bolschewistischen Revolution liquidiert wurde! Ihr Schweigen macht Sie zum Mitschuldigen des stalinistischen Systems! Sie sind auf seiten der Stärkeren gewesen, obwohl es so viele der Hilfe harrende Schwache gab! [] Als Sie Worte fanden, waren es Worte der Lüge und Verleumdung! Worte, die die von stalinistischen Schergen verübten Massenmorde rechtfertigen sollen! Beschimpfungen all jener, die nicht wie Sie durch Stalins Zaun krochen, sondern an den Sprung in die Freiheit glaubten! [] Mögen Sie mit der Verantwortung Ihres Lebens selbst fertigwerden. Vielleicht läßt Stalin, wenn er wieder einmal kosmopolitische Prügelknaben benötigt, an Stelle der über Ihrem Haupt schwebenden Friedenstaube einen seiner Aasgeier kreisen. [] "Der Augenzeuge"
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