Die baldige Entscheidung in der schleswigschen Grenzfrage

Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals; [?] = vermutete Leseart Die baldige Entscheidung [] in der schleswigschen Grenzfrage. [] 6. März 1920 [] Die mittelschleswigsche Volksabstimmung steht unmittelbar vor der Tür! [] Ihr Ergebnis entscheidet über die zukünftige Staatszugehörigkei...

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Bibliographic Details
Main Authors: Der Vertrauensrat, Simousen, Peter, Flensburger Norddeutsche Zeitung
Institution:Archiv der sozialen Demokratie (AdsD)
Format: IMAGE
Language:German
Published: 06.03.1920 - 14.03.1920
Subjects:
Online Access:http://hdl.handle.net/11088/793D49DF-0AF3-47C8-96F9-C9CB4846E401
Description
Summary:Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals; [?] = vermutete Leseart Die baldige Entscheidung [] in der schleswigschen Grenzfrage. [] 6. März 1920 [] Die mittelschleswigsche Volksabstimmung steht unmittelbar vor der Tür! [] Ihr Ergebnis entscheidet über die zukünftige Staatszugehörigkeit der Mittelschleswiger. [] Auf ihrer Grundlage wird die neue Grenze zwischen Deutschland und Dänemark gezogen. [] Jeder Stimmberechtigte muß sich der Verantwortung bewußt sein, die er für das zukünftige Wohl seines Volkes trägt. [] Schauen wir in die Vergangenheit, sehen wir eine tausendjährig Verbindung mit dem Norden, die im Jahre 1864 durch Preußen gewalttätig gelöst wurde. Betrachten wir die Gegenwart, zeigt sie uns die tiefen Wunden, welche die Preußenpolitik in unser Volk geschlagen hat. Blicken wir in die Zukunft, steht uns die Möglichkeit offen, wieder Bürger unsere allen Landes zu werden und durch Teilnahme an seinem starken Wirtschaftsleben zu gefunden. [] Wir Mittelschleswiger haben ein Recht, so zu stimmen, wie unsere Väter es im Jahre 1867 taten, als ihnen durch den Prager Frieden das Selbstbestimmungsrecht zugestanden war, nämlich für Dänemark. [] Ihr Abstimmungsberechtigten aus dem Süden, die Ihr berufen seid, an dieser wichtigen Entscheidung über die Zukunft unseres Volkes teilzunehmen! [] Seid Ihr Kinder unseres Volkes dann helft mit das begangene Unrecht zu tilgen, indem Ihr unsere Stadt und unser Land ihrer alten Bestimmung wiedergebt. [] Seid Ihr zufällig hier oben geboren, dann müßt Ihr bedenken, daß Ihr moralisch kein Recht dazu habt, durch Eure Stimmabgabe für unser Verbleien bei Preußen dem Wohle unseres Volkes zu schaden. [] Die Mehrzahl der eingesessenen mittelschleswigschen Bevölkerung will dem Rufe ihrer Väter treu bleiben und hat das Wohl ihrer Kinder vor Augen. Unterstützt sie in diesem Willen und stimmt für Dänemark! [] Was bedeutet Option für Dänemark? [] Der Artikel 113 des Friedensvertrages gibt jeder über 18 Jahre alten Person, die in den infolge des Ergebnisses der Volksabstimmung an Dänemark zurückfallenden Gebietsteilen Schleswigs geboren ist, das Recht, innerhalb 2 Jahre für Dänemark zu optieren. Das heißt für die Abstimmungsberechtigten aus dem Süden, daß diese, falls ihr Geburtsort an Dänemark fäll, den unglücklichen, harten Lebensbedingungen in Deutschland entgehen können, indem sie ihren Wohnsitz nördlich der neuen Grenze verlegen, wo für sie auf jeden Fall weit günstigere Existenzbedingungen vorhanden sind. [] Man schmäht von anderer Seite einen solchen angeblich "wirtschaftlichen Appell" an die Abstimmungsberechtigten, die gegenwärtig in Deutschland wohnen; aber man möge doch der Wirklichkeit gerad ins Auge sehen! Ist es verwerflich, wenn Schleswiger, die wahrlich keine Schuld an der wirtschaftlichen Katastrophe Deutschlands tragen, wieder in ihre Heimat Schleswig ziehen, wo sie geboren sind, wo ihnen außerdem die Existenzmöglichkeit 10 Mal gesicherter ist als im deutschen Reiche? [] Deshalb können wir es nicht unterlassen, in Ihrem Interesse Sie auf diese wichtige Bestimmung des Friedensvertrages aufmerksam zu machen. [] Sind Ihnen die Lebensbedingungen in Deutschland unerträglich, dann können Sie mit Ihrer ganzen beweglichen Habe - und zwar zoll- und abgabenfrei - ihren Wohnsitz nach Dänemark verlegen und dort Staatsbürgerrecht erhalten, während Sie Ihr unbewegliches, Vermögen am alten Wohnsitz behalten dürfen. [] Die Option des Ehemanns erstreikt sich auf die Ehefrau und die Option der Eltern auf ihre Kinder unter 18 Jahren. [] Wohlgemerkt aber, dieses Recht steht Ihnen nur zu, wenn Ihr Geburtsort an Dänemark zurückfallt, welches zum Teil durch Ihre Stimmabgabe entscheiden wird. [] Eine Entgegnung. [] Das Schreiben, welches der Mittelschleswigsche Ausschuß im Januar an die Flensburger Stimmberechtigten in Deutschland richtete, hat Herrn Justizrat Dr. Löhmann veranlaßt, eine Auslassung an dieselben Adressaten in die Welt zu senden. Den äußeren Anlaß hierzu bot ihm der Umstand, daß sein hier in der Stadt allgemein bekannter Ausspruch vom Jahre 1918 darin angeführt war. [] Nun hat Herr Löhmann sicherlich recht darin, daß er damit einem Anschluß Flensburgs an Dänemark nicht das Wort reden wollte, sondern dem Verbleiben Nordschleswigs bei Deutschland, und der Verfasser des erstgenannten Schreibens steht nicht an, offen sein Bedauern darüber auszusprechen, daß er, wie es scheint, bei einigen mit den hiesigen Verhältnissen Unbekannten, vermutlich sehr wenigen, einen solchen Verdacht erregt hat. (Uebrigens mag hier gesagt werden, daß dasselbe nicht, wie Herr Dr. Löhmann anzunehmen scheint, von dem Rechtsanwalt Ravn verfaßt ist.) [] Das ändert ja aber nichts an der Richtigkeit seines Ausspruchs. Justizrat Löhmann gab in jener Rede eine sehr lebhafte und treffende Schilderung von dem künftigen Schicksal Flensburgs, wenn es von Nordschleswig getrennt würde. Der Anschluß Nordschleswigs an Dänemark ist inzwischen zur Tatsache geworden; es hat sich mit 75 Prozent der abgegebenen Stimmen für Dänemark entschieden. Und Flensburg steht jetzt vor der Frage, ob es Nordschleswig in eine blühende Zukunft folgen oder wie ein Baum mit abgehackten Wurzeln verdorren, wie ein Brunnen, dem man seine Quellen abgegraben hat, versiechen will. [] In einem Brief, den Dr. Löhmann erhalten hat, schreibt ein Stimmberechtigter: "Ich denke so: Komme, was da kommen mag, ich stimme für Deutschland." Nun, der Betreffende wohnt in der Ferne, denkt wahrscheinlich nicht daran, seinen Wohnsitz zu verlassen, und das Wohl und Wehe Flensburgs mag ihn vielleicht wenig interessieren. Denjenigen Flensburgern in der Fremde, die an die Stadt, wo sie geboren, noch mit Liebe denken, möchten wir doch zu bedenken geben, ob sie ein moralisches Recht haben, Flensburg ins Unglück zu stürzen, nur damit die im Jahre 1864 eroberte Stadt auch ferner bei Preußen verbleibt. [] Herr Dr. Löhmann redet in seinem Schreiben ein paarmal in wegwerfenden Ausdrücken von den wirtschaftlichen Verhältnissen Dänemarks. Es ist geeignet, das größte Erstaunen zu erregen, daß ein Mann wie Justizrat Löhmann es über sich gewinnen kann, so zu schreiben. Die Wahrheit, über die niemand, der die geringste Kenntnis der Dinge hat. im Zweifel sein kann, ist die, daß die Verhältnisse und Zukunftsaussichten in Dänemark und Deutschland sich wie Tag und Nacht verhalten; Kenner sind davon überzeugt, daß Flensburg als dänische Stadt einen großen Aufschwung nehmen wird. [] Andrerseits sagt Dr. Löhmann, die wirtschaftlichen Verhältnisse dürfen keine Rolle spielen; man darf sein Vaterland in Zeiten der Not nicht im Stich lassen. Das ist schön und edel gedacht, und jeder ehrenhafte Mann müßte Dr. Löhmann beipflichten, wenn die Grundlage, von der er ausgeht, richtig wäre, die nämlich, daß Schleswig von Rechtswegen zu Deutschland gehört. Das tut es eben nicht. Warum will Dr. Löhmann auf die "geschichtlichen Aphorismen" nicht eingehen? Weil er sie nicht widerlegen kann. Weil sie ihm den Grund unter den Füßen wegnehmen. Die geschichtliche Wahrheit über Flensburgs Vorzeit findet sich in dem Blatte "Flensburg und die schleswigsche Grenzfrage" vom 3. März und ein kurzer Abriß der Geschichte des Herzogtums Schleswig in einem früheren Blatte. Daraus geht hervor, daß das geschichtliche und nationale Recht einzig und allein auf seiten Dänemarks ist. [] Und hieraus geht ferner hervor, daß derjenige, der sich jetzt für die Wiedervereinigung mit Dänemark einsetzt, kein Verräter an seinem Vaterlande ist; denn die Bewohner Schleswigs sind dänischer Nationalität (was schon ihre Namen beweisen). Und die Eingewanderten deutscher Nationalität oder Kinder von Eingewanderten haben selbstverständlich kein moralisches Recht, über das Schicksal unseres Landes zu entscheiden. [] Angesichts dieser Tatsachen ist es um so verwunderlicher, daß Herr Justizrat Löhmann sich zu dem in seinem Schreiben stark hervorgehobenen maßlosen Angriff auf den Mittelschleswigschen Ausschuß hinreißen lassen konnte, indem er sagt, dieser sei kein mittelschleswigscher Ausschuß, sondern umfasse vielmehr "eine Gruppe dänischgesinnter Agitatoren", die es unter anderm sich angelegen sein lassen, möglichst viele Deutsche zum Verrat am deutschen Vaterlande zu bewegen? Von Verrat kann aus den angeführten Gründen, die auch Herr Löhmann nicht bestreiten kann, keine Rede sein, und das Wort von den "Agitatoren" dürfte besser auf die zum Teil aus dem Süden eingewanderten Mitglieder des Deutschen Ausschusses passen. [] Und wenn Herr Dr. Löhmann von "Wühlarbeit" redet und es wagt, das Kapitel von der Wahl der Mittel anzuschneiden, so mag bei dieser Gelegenheit festgestellt werden: Die Flensburger Dänen haben im nationalen Kampfe nie mit unwahren Behauptungen, mit Verdrehungen und Fälschungen operiert, haben nie ein unedles Mittel angewandt. Jede gegenteilige Behauptung ist unwahr. Möchten alle mit ebenso reinen Händen dastehen! [] Ein ernstes Wort für den letzten Entschluß. [] Folgende Zeilen eines deutschen Flensburgers möchten auch alle Abstimmungsberechtigten aus dem Süden interessieren und ihnen zu denken geben, welche Verantwortung sie auf sich nehmen, wenn sie, den Einredungen des "Deutschen Ausschusses" folgend, dafür stimmen, daß unsre Heimatstadt bei Preußen-Deutschland verbleiben soll. So denken vernünftig gesinnte Flensburger Bürger über die Zukunft unsrer Stadt, die uns am besten frommt. [] Die alldeutschen Kreise, welche im Frieden in Flensburg den Ton angaben oder wenigstens glaubten, dieses zu tun, haben in dem deutschen Ausschuß einen Mittelpunkt gefunden, um ihren sinkenden Einfluß wieder zu heben. Die Herrschaften erhielten durch den Zusammenbruch Deutschlands zunächst einen recht empfindlichen Stoß. Sie waren bescheiden geworden, als hier die Revolutionsregierung herrschte und sich sogar erlaubte, bei ganz hochmögenden Leuten bis in die Speisekammern hineinzugucken. Aber die von diesem nationalistischen Treiben so arg geschmähte revolutionäre Regierung schuf zunächst wenigstens etwas Ordnung, indem sie die an vielen Orten aufflackernden Putsche niederschlug. Von da ab fühlte man sich gleich wieder wohler, und als die Ausführung des Friedensvertrages auch in unsrer Grenzmark die politischen Leidenschaften aufpeitschte, da hatte man, was man seit der Revolution schmerzlich vermißt hatte, wiederum eine nationalistische Parole, ein Leitseil, an welchem man die Masse zu gängeln hoffte, sogar mit gütiger Unterstützung der früher so verlästerten Sozialdemokratie. Aber die Massen lassen sich nach den blutigen Erfahrungen dieses Weltkrieges so leicht doch nicht mehr von den oberen Zehntausend einfangen. [] Wenn man die Presse des Deutschen Ausschusses liest, so gibt es nur ein Land, welches unsre liebe Vaterstadt Flensburg neu emporblühen lassen wird, nämlich das große Vaterland im Süden. Zwar kann man nicht gänzlich verschweigen, daß dieses Land den größten aller Kriege verlor und einen Frieden eingehen mußte, der seiner Bevölkerung immerhin nicht unbeträchtliche Lasten auferlegt. Aber man vertraut darauf, daß die wenigsten Leute den um fangreichen Text des Friedensvertrages gelesen haben, und scheut sich deshalb nicht, täglich schreiben zu lassen, das alles sei nicht so schlimm, Deutschland werde in überraschend kurzer Zeit wieder hoch kommen, auch würden sich unsre Feinde mit der Zeit wohl besinnen und die Unmöglichkeit der Durchführung der Friedensbestimmungen einsehen. Und was diese Zeitungen ihren gutgläubigen Lesern täglich glauben vorsetzen zu dürfen, läßt der deutsche Ausschuß durch seine zahlreichen freiwilligen Helferinnen noch mündlich in die Häuser tragen. [] Diese Damen der sog. deutschnationalen Volkspartei, welche mit allen Sünden ihrer konservativen Erbschaft belastet ist, erzählen jedem, welcher sie anzuhören bereit ist, daß Flensburgs Zukunft nicht etwa auf dem Wasser, sondern auf dem Lande liege, welches Wilhelm H. bekanntlich so glänzenden Zeiten entgegengeführt hat. [] Ist es möglich, daß sonst so verständige Leute solchen Unsinn für ernst nehmen? [] Liest man die reichsdeutschen Zeitungen oder die Reden selbst nationalistischer Abgeordneter, dann lautet der Spruch allerdings anders. Da erfährt man, was die "Flensburger Nachrichten" täglich verschweigen, daß Deutschland vor dem Zusammenbruch steht, wenn nicht ein Wunder es rettet. Wo soll dies Wunder herkommen? Vielleicht konnte der Bolschewismus der Erlöser sein. Dem würde aber vielleicht selbst der deutsche Ausschuß ein hinüberwandern nach Dänemark vorziehen. Deutschland ist entkräftet durch den jahrelangen Krieg, hat Millionen tüchtiger Menschen verloren. Der Arbeiter ist entnervt und leistet nicht mehr dieselbe Arbeit wie im Frieden. Blühende Provinzen und Kolonien, reich an Rohstoffen und landwirtschaftlichen Produkten, sind teils heute schon verloren, teils auf lange Zeit, vielleicht auf Nimmerwiedersehen vom Feinde besetzt. Ihr Reichtum kommt der deutschen Volkswirtschaft nicht mehr zugute. Deutschland ist dauernd zur militärischen Ohnmacht verurteilt, nicht mehr freier Herr über seine Eisenbahnen und Wasserstraßen. Der Ausländer genießt in Deutschland wirtschaftlich alle Gerechtsame der Einheimischen, aber ohne daß die Gegenseitigkeit verbürgt wäre. Das bedeutet nicht mehr und nicht weniger, als daß der deutsche Kaufmann in Zukunft nicht mehr seinen wirtschaftlichen Siegeszug durch die ganze Welt wird machen können. Im Inlande überwachen feindliche Kommissionen und Besatzungen ständig die Ausführung dieses Friedens. Sie kosten dem deutschen Reiche jährlich mehr, als der ehemalige Friedensetat für Heer und Flotte, über dessen Höhe früher immer so gejammert wurde. Die heutigen Reichsschulden übersteigen 200 Milliarden. Kaum kann die Verzinsung dieser Riesenschuld in Verbindung mit den Aufwendungen für Hinterbliebene und Kriegsbeschädigte nebst den laufenden Ausgaben des Reiches durch die von der Nationalversammlung bewilligten exorbitanten Steuern gedeckt werden. [] Dabei ist noch kein Pfennig übrig für die an die siegreichen Mächte zu zahlenden Entschädigungen, deren Höhe uns erst im Mai 1921 bekanntgemacht werden soll. Wir geben unsern Gläubigern einen Schuldschein, in welchen diese nach freiem Ermessen die Schuldsumme eintragen dürfen. Hier wird uns sicher nichts geschenkt werden, Herr Paincré [?] ist der Vorsitzende der Wiedergutmachungskommission. Ist es ein Wunder, daß die von der deutschen Regierung zugezogenen wirtschaftlichen Sachverständigen gegen die Durchführbarkeit derartiger Friedensbedingungen protestierten und vor der Unterzeichnung ihre Aemter Niederlegten? Diese führenden Männer aus Deutschlands Industrie und Handel sind für die Zukunft des deutschen Wirtschaftslebens sicher bessere Beurteiler als die Herren vom deutschen Ausschuß. [] In Deutschland ist man sich schon lange klar darüber, daß das verkleinerte und geschwächte Reich seine heutige Bevölkerung nicht mehr ernähren kann; Millionen müssen auswandern, und man hat in Berlin bereits ein besonderes Auswanderungsamt geschaffen. Jetzt bietet sich unsrer Grenzbevölkerung die Möglichkeit zur Auswanderung, und zwar geschlossen, niemand braucht sich von Freund und Nachbar zu trennen, Haus und Hof, Familie und Heimat, alles geht mit. Ein vom Kriege gänzlich unberührtes Land tut sich uns auf. Alle Kriegslasten fallen wie von selbst von uns ab. Unsre Landsleute im Norden haben diesen Weg bereits beschritten. Jetzt predigt man uns täglich, daß wir ihnen nicht folgen dürfen, ohne unsern Wirtschaftlichen Ruin zu besiegeln. Nein, meine Herren vom deutschen Ausschuß! Umgekehrt wird ein Schuh daraus. Daß Deutschland heute einen großen Konkurs darstellt, bestreitet heute kein vernünftiger Mensch mehr; wer seine politische Nahrung nicht ausschließlich den Spalten der "Flensburger Nachrichten" entnimmt, kann das täglich in den führenden Blättern Deutschlands bestätigt finden. Zwar erleben wir in Dänemark sicherlich nicht die Zeiten äußerlichen Glanzes wie im kaiserlichen, imperialistischen Deutschland. Aber auf diesen, ach so teuer erkauften Glanz wollen wir gern verzichten. Wir werden froh sein, wenn wir nach so vielen Stürmen in einen ruhigen Hafen laufen und mit unsern Kindern die Früchte unserer Arbeit selbst genießen können. Unsre Bauern und Handwerker, Kaufleute und Arbeiter haben sich auf ihren Studienfahrten nach Dänemark selbst überzeugt, daß man dort recht gut Kronen verdienen und daraus alle Lebensbedürfnisse bestreiten kann. Unsre Arbeitskollegen, welche auf den dänischen Werften in Kopenhagen, Kallundborg, Nakskov und Odense arbeiten, sehnen sich nicht nach dem gepriesenen Deutschland zurück. Was soll insbesondere aus Flensburg werden, wenn es nicht mit der ersten Zone geht? Diese wird nach der Abstimmung vom 10. Februar so sicher dänisch, wie das Amen in die Kirche gehört. So kann es jeder klar und deutlich im Friedensvertrage nachlesen. Die Tiedje-Linie ist purer Schwindel! Damit wäre Flensburg das Nordufer seiner Förde und die tiefe Fahrrinne für Seeschiffe los. Was das für seine Schiffahrt und Fischerei sowie für das ganze Erwerbsleben der Stadt bedeuten würde, darüber kann man sich aus der bekannten Denkschrift des Flensburger Magistrats am besten unterrichten. Auch darf Flensburg sein Hinterland im Norden nicht verlieren, dieses Wirtschaftsgebiet ist viel wichtiger als der selbstverständlich auch in Betracht kommende Süden. Die Flensburger Kaufleute, welche für eine gegenteilige Erklärung dem deutschen Ausschusse kürzlich ihre Unterschriften versagten, wußten sicherlich über die Bedingungen ihres wirtschaftlichen Gedeihens am besten Bescheid. [] Der Haupttrumpf des Deutschen Ausschusses ist jedoch der Appell an die Ehre! Wollen wir mal untersuchen, wie es damit steht. Es ist richtig, daß der Mensch nicht vom Brot allein lebt; was hülfe es ihm, wenn er die ganze Welt gewönne und nähme doch Schaden an seiner Seele? Es gibt in der Tat unveräußerliche Güter, welche kein Mensch Ungestraft preisgibt. Das ist für uns die deutsche Sprache und die deutsche Kultur, mit Welcher wir groß geworden sind und die wir nicht ausziehen dürfen, wie man ein Hemd wechselt; aber gerade das will uns doch kein Mensch nehmen! Gewiß hat Dänemark als Polizeistaat in früheren Jahrzehnten hier gesündigt, aber das heutige, freie, demokratische Land gibt uns alle Bürgschaften, daß wir bleiben dürfen, was wir sind. Ein blühendes deutsches Reis, aufgepfropft auf einen neuen Stamm. Wie oft treibt die deutsche Kultur herrliche Blüten auch außerhalb des Reichsgebiets. Die Deutschamerikaner hatten ihre deutschen Zeitungen und Vereine, Kirchen und Schulen, bis die Vereinigten Staaten in den Krieg eintraten. In Brasilien finden sich blühende Siedlungen deutscher Kolonisten mit selbständiger kultureller Verfassung. Die deutschen Balten haben sich bis in die Regierung Alexanders II unter russischer Herrschaft wohlgefühlt. Hier wuchs auf baltischem Boden die deutsche Universität Dorpat, Sie schenkte Deutschland Gelehrte, wie Bergmann und Harnack, welche später zu den größten Lehrern der Berliner Hochschule gehörten. Böcklin und Hodler, Conrad Ferdinand Meyer und Gottfried Keller gediehen auf dem Boden der freien Schweiz. Tut es ihrer Bedeutung für das deutsche Geistesleben Abbruch, daß sie nicht auch deutsche Staatsbürger waren? Das ungarländische Deutschtum, einst unterdrückt von der verwandten Regierung, ist heute zu Rumänien gekommen. Es fühlt sich dort durchaus wohl. Sein führender Geist, Lutz Korodi, sitzt heute als hoher Beamter im Kultusministerium in Bukarest. Wie glücklich fühlten sich die deutschsprechenden Flensburger und die Friesen unter dänischer Herrschaft bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts, als der nationale Kampf hereingetragen wurde. Wiederum tun sich jetzt für uns die Pforten des stammverwandten Volkes im Norden auf. Wollen wir zögern, nach so vielen Schrecknissen hier Frieden und Ruhe zu suchen und wohlbeschirmt unsre Eigenart treu zu wahren? Was wir aufgeben und zu wechseln haben, ist nicht unser Volkstum, sondern lediglich der Staat. Wenn der deutsche Ausschuß fortwährend Volkstum und Staat gleichstellen will, so ist das eine verhängnisvolle Ueberspannung der Staatsidee. Der Staat ist lediglich die oft durch ihre Geschichte ehrwürdige Organisation eines Volkes, welche dieses zur Wohlfahrt, zum Glück emporführen soll. Der Staat ist nicht Selbstzweck, sondern nur Mittel zum Zweck. Der Staat ist des Volkes wegen da, nicht umgekehrt. Versagt der Staat, so muß das Volk aus Selbsterhaltungstrieb einer besseren Organisation zustreben. Wir haben im Felde für ihn gekämpft und geblutet, in der Heimat gearbeitet und gedarbt, trotzdem hat seine schlechte Politik uns ins tiefste Unglück gestürzt. Er bietet nach der Katastrophe dieses Friedens unserm Volksstamm keine Gewähr für neuen Aufstieg. Jetzt ist es genug und übergenug, jetzt muh die Stunde der Trennung schlagen, zu neuen Ufern lockt ein neuer Tag. [] Schleswigsches Volk der Nordmark, rette dich aus Verderben und Verdammnis, nordwärts weist dich der Sterns deines Glückes! [] Blind!?! [] "Am Lager eines todkranken Landes". [] Walther Rathenau über Deutschlands Zukunft. [] In der "Vossischen Zeitung" veröffentlicht der Direktor der "A. E. G." und bekannte Nationalökonom Walther Rathenau eine Abhandlung, in der er auf die wirkliche Lage in Deutschland hinweist und vor jeglichem Optimismus warnt. Dieser Artikel dürfte manchen zum Nachdenken über die Zustände in Deutschland, wie sie ohne jede Verhüllung tatsächlich bestehen, anregen, weshalb wir ihn hier wiedergeben: [] Die Gefahr ist so hoch gestiegen, daß für den Augenblick alles Reden von Zukunftsgestaltung unterbrochen werden muß. Wir stehen am Lager eines todkranken Landes, es handelt sich nicht um Zukunftspläne, sondern um die Katastrophe. [] Die Menschen können sich nichts andres vorstellen als das, was ist. Der Gesunde kann sich nicht krank denken, der Reiche nicht arm, die jubelnde Börse weiß nicht, was Zusammenbruch ist, obwohl sie ihn hundertmal erlebt hat. [] Im Kriege sah man marschierende Truppen, keuchende Industrie, stereotype Zeitungsartikel und konnte sich keine Niederlage vorstellen. [] Wir leben im gleichen Wahn wie im Kriege, im schlimmeren. Mit Ausnahme des schwer bedrückten Standes mittlerer Rentenbesitzer und Rentenempfänger bewegt sich die Lebenshaltung zwischen Behäbigkeit und Ueppigkeit. Jeder Einzelne verzehrt mehr als er schafft, das Land verzehrt mehr, als es schafft. [] Man redet von Gefahr, aber man glaubt sie nicht. Valuta, Valuta! Es hat etwas Welterfahrenes und Gruseliges, wenn das fremde, dollklingende Wort eifrig gemurmelt wird. Nun, die Valuta sinkt, und die heimliche Butter kostet noch immer etwas Unheimliches. Was weiter? Nun, die Valuta wird sinken oder sich halten oder steigen; vor hundert Jahren sprach man ebenso von den Metalliques. Es wird Geld verdient oder verloren, meist verdient; es wird wohl etwas Gefährliches daran sein, aber was kann so gefährlich sein, wenn so viel Geld verdient Wird? [] Hunger, Not, Krankheit, Verwahrlosung heißt die Gefahr, und sie steht vor der Tür. [] Dr. Maedge, damaliger Syndikus der Flensburger Handelskammer, schrieb am 28. Dezember 1918 in den "Flensburger Nachrichten": [] "Wer unpolitisch, von einem rein Volkswirtschaftlich sachlichen Standpunkt aus urteilt, muß zugestehen, nur um deutsch zu bleiben, dürfte Flensburg sich tatsächlich nicht ruinieren lassen. Damit täte es auch Deutschland keinen Gefallen, sondern fiele ihm mit Arbeitslosen und Verarmten zur Last". [] Kein holländischer, schwedischer, dänischer Pump wird uns retten und kein internationaler Kongreß der Geldleute. Es tagt in Berlin eine tönende Valutenkommission, die alle Hausmittel aufzählt, anwendbare und unabwendbare. Das zentrale Problem hat sie nicht erfaßt: Wir verbrauchen mindestens das Anderthalbfache von dem, was wir tatsächlich gebrauchen. [] Wie das möglich ist, habe ich letzthin erklärt. Was es bedeutet, wird noch immer nicht verstanden. [] Sachlich bedeutet es: daß wir Produktionsmittel und Einrichtungen herunterwirtschaften, in jedem Sinne Raubbau treiben, die letzten verkäuflichen Vorräte aufbrausen, Arbeitskraft vergeuden und brach liegen lassen, Materialien und Lebensmittel verarbeiten und verzehren, die uns nicht gehören, sondern die wir uns leihen müssen. In drei Jahren wird bei dieser Wirtschaft das Land in feiner Verwahrlosung nicht mehr zu erkennen sein. [] Buchmäßig bedeutet das, daß wir den Unterschied zwischen Produktion und Konsum mit Papier ausfüllen müssen. Gleichviel, ob wir brachliegenden Arbeitskräften das bezahlen, was sie nicht produzieren, und was an ihrer Ernährung fehlt - Arbeitslosenunterstützung - oder ob wir eine Miliz besolden oder das Millionenheer der Staatsbeamten ernähren oder unfruchtbare Staatsbetriebe halten oder Reedereien und Bergwerksbesitzer entschädigen oder Lebensmittel im Auslande kaufen - es wird Staatspapier gedruckt. [] Diese Papierflut strömt unaufhaltsam, solange Produktion und Konsum sich nicht ausgleichen. Verzehrt - nicht hervorgerufen - durch die Trägheit des Steuersystems, durch unabwendbare Kapitalflucht, durch staatswirtschaftliche Vergeudung, vermindert durch den Ausverkauf der Güter und Werte, durch die Markspekulation des Hotelportiers von Zürich, des Zeitungsverkäufers von Amsterdam und des Barbiers von Sevilla. [] Vermehrt, vermindert - und unaufhaltsam. Da hilft kein schriftliches Heilverfahren, kein Milliardendarlehn, keine Valutenkonferenz, keine Steuererhöhung; die Heilung ist nur am lebendigen Wirtschaftskörper möglich. [] Wir Schleswiger. [] Ein Schleswiger, der gegenwärtig südlich der Abstimmungsgrenze wohnt, aber im Abstimmungsgebiet geboren ist und deshalb am 14. März hier seine Stimme abgeben darf, hat uns eine längere Zuschrift über die große bevorstehende Entscheidung zugestellt. Nachdem es eingangs unsre jüngste Vergangenheit unter preußischer Herrschaft geschildert und nachgewiesen hat, daß unsre Volksabstammung nach dem Norden zeigt, fährt er fort: [] Was haben wir Schleswiger von Preußen-Deutschland für die Zukunft zu erwarten? [] Die Zeitungen aus allen Teilen Deutschlands schreiben es täglich, also brauchen wir es nur zu wiederholen: Elend, Hunger, Zusammenbruch, Rückgang, Verarmung, Auswanderung. Wenn der deutsche Ausschuß sich in Flensburg etabliert hat, um mit seinen Pachtblättern bzw. in seinem Dienst stehenden Zeitungen, "Flensburger Nachrichten", "Flensburger Volkszeitung" und dem neugegründeten "Flensburger Tageblatt", sowie durch seine abhängigen preußischen Beamten, Pastoren und Lehrer, nun versucht, die freie Wahl der Schleswiger zu beeinflussen" und uns durch Verlockungen zum Verbleiben bei Preußen zu bewegen, so glauben wir nicht daran und fragen uns nur: Warum sind die Preußen so besorgt um uns? Denn sollte es in Dänemark so schlecht sein, wie sie es schildern, so steht es ja jedem Schleswiger frei, innerhalb 2 Jahre für Deutschland zu optieren; wenn wir aber für Deutschland stimmen, wo wir so viel Elend und Unterjochung erfahren haben und es hier noch schlechter wird, so gibt es für uns kein Herauskommen aus dem Preußenloch und Elend. Kein ihr Pharisäer, wir wissen es zu gut, daß nur ein Anschluß an unser altes Stammland, mit dem wir vor 1864 hunderte von Jahren verbunden waren, unsre Schleswiger Heimat retten kann. [] Auch die Schleswiger, die zerstreut in Deutschland wohnen, müssen für den Anschluß des Heimatlandes an Dänemark stimmen; denn wenn einige auch die Nachrichten glauben sollten, womit sie jetzt vom deutschen Ausschuß, der, nachdem der Name [?] nicht überall zog, den mehr anziehenden Namen Schleswig-Holsteiner-Bund als Nebenausgabe annahm, überschüttet werden, so wissen wir ja doch aus den Zeitungen in den jeweiligen Aufenthaltsorten und aus den Wirtschaftsverhältnissen dort, wie es mit Deutschland bestellt ist. Wir werden nicht mithelfen, den Weg zu versperren, der als einziger Weg für uns Schleswiger offen steht. [] Kommt erst der vollständige Zusammenbruch des Polizei- und Militärstaates Preußen, der Millionen Deutsche zwingen wird, entweder Hungers zu sterben oder nach entlegenen Teilen der Welt abgeschoben zu werden (die meisten Kulturstaaten haben längst eine Einwanderung von Deutschen verboten), so können wir Schleswiger, sofern unser Geburtsort an Dänemark fällt, optieren und mit unsrer Heimat Dänen werden. Als solche haben wir Anspruch, von Dänemark aufgenommen zu werden, und haben außerdem als Dänen überall in der Welt Zutritt. Daher ist es Selbsterhaltungspflicht für uns Schleswiger, die nicht in der Heimat wohnen, zur Abstimmung zu kommen, um für [?] den Anschluß an Dänemark zu stimmen. Weshalb wünscht jeder Schleswiger, der im Auslande wohnt, sei es in Holland, England, Amerika oder sonstwo im Auslande, wenn irgend möglich, daß seine alte Heimat wieder dänisch wird? Gibt das nicht zu denken? [] Wie man die Bevölkerung in der zweiten Zone bluffen will. [] Plötzlich wurde seitens der alldeutschen Agitation in der zweiten Zone mit der Behauptung gearbeitet, daß Dänemark für Schleswig [] die Kriegslasten [] mitübernehmen müsse. Das englische "Reuter-Bureau" wurde als Quelle angegeben. [] Von uns wurde festgestellt, daß der Friedensvertrag das Gegenteil bestimmt, und daß ein solches Reuter-Telegramm gar nicht existiert - Reuter teilt dies selbst mit. Gleichwohl hat man die Dreistigkeit, tagtäglich die falsche Behauptung zu wiederholen. [] So wird gearbeitet. [] Da hierzulande wenig Begeisterung für Preußen herrscht, versucht man es mit dem [] schleswig-holsteinischen Gedanken. [] 1850, 1866 von Preußene in den Stand getreten, soll er jetzt aufleben, um etwas von der Beute von 1864 für Preußen zu retten. Ist erst abgestimmt, bann ist es mit dem Selbständigkeitstraum vorbei. [] Deshalb ist es reiner Bluff wenn am 1. März in Rendsburg eine schleswig-holsteinische Proklamation erlassen wurde. Die Worte enthalten keine festumrissenen Forderungen, nur Phrasen. Man will die zweite Zone im letzten Augenblick bluffen. [] Von dänischer Seite ist sofort damit geantwortet, aufs neue die Forderung betreffs der im Friedensvertrag ursprünglich vorgesehenen [] Räumung der dritten Zone [] energisch zu vertreten. [] Noch eine letzte Bluffnummer hat die alldeutsche Agitation in ihrem Programm, und diese Nummer macht ihr aus, [] ihr Stimmberechtigten aus dem Süden. [] Mit hurra und Musik und Anzügen empfangen, mit farbigen Schleifen behängen, sollt ihr Stadt und Land überschwemmen, sollt im letzten Augenblick an Versammlungen und geselligen Abenden teilnehmen und eurer Begeisterung für die Zustände in Preußen und Deutschland Ausdruck geben, um so die Bevölkerung hinter das Licht zu führen. Wenn sie nachher erwacht, sei ihr dann wieder fort. [] Wer von euch für das Land der eburt wirklich etwas übrig hat, wird sich wohl zweimal bedenken, ehe er solchen Bluff mitmacht, und wird sich nur vom Wohle des Landes leiten lassen. [] Zugelassen unter Nr. 3 [] Flensburg, den 5. März 1920. [] Der Zensurausschuß der Internationalen Kommission [] Eric Hallgren [?] [] Herausgeber: [?] Der Vertrauensrat, Toesbänstr. [?] 7; Verantwortlich: Peter Simonsen; Druck der Firma: Flensburger Norddeutsche Zeitung; alle in Flensburg.
Published:06.03.1920 - 14.03.1920