Die Volksernährung in Gefahr!

Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals; Die Volksernährung in Gefahr! [] Was ist zu tun? [] Hitler und seine Kumpane haben ihren aussichtslosen Vernichtungskrieg bis zur völligen Erschöpfung des deutschen Volkes geführt. Die Städte liegen in Trümmer, Millionen sind von ihren Heimst...

Full description

Bibliographic Details
Main Author: Aktionsausschuss der Kommunisten und Sozialisten
Institution:Archiv der sozialen Demokratie (AdsD)
Format: IMAGE
Language:German
Published: 1945
Subjects:
Online Access:http://hdl.handle.net/11088/FB867BE1-E47E-407D-9C89-BC3CD9179516
Description
Summary:Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals; Die Volksernährung in Gefahr! [] Was ist zu tun? [] Hitler und seine Kumpane haben ihren aussichtslosen Vernichtungskrieg bis zur völligen Erschöpfung des deutschen Volkes geführt. Die Städte liegen in Trümmer, Millionen sind von ihren Heimstätten vertrieben, das Verkehrsnetz ist weitgehend zerstört, die Verwaltung desorganisiert. Die Vorräte an Lebensmitteln sind fast erschöpft. Spekulanten und Wucherer treiben ihr Unwesen. [] Wir wissen noch nicht, ob im kommenden Winter genügend Nahrungsmittel zur Verfügung stehen werden, um die drohende Hungersnot zu verhindern. Das eine nur wissen wir, daß wir auf uns selbst, angewiesen sein werden. Wir werden nicht auf die Zufuhr aus entfernten Gebieten Deutschlands oder gar aus dem Ausland rechnen können. Allein was Fleiß und Sauberkeit der Verwaltung in unserem Bezirk sicherstellen kann, allein das wird der notleidenden Bevölkerung im kommenden Winter zur Verfügung stehen. [] Die Lage ist ernst! Obwohl es in einzelnen ländlichen Gebieten für die einheimische Bevölkerung genügend zu essen gibt, fehlt es der Stadtbevölkerung schon heute am Nötigsten; Kartoffeln sind nicht mehr ausreichend vorhanden, die Hausfrauen erhalten oft nicht mehr die ihnen zustehenden Lebensmittelmengen. Gemüse und Obst sind zu einer Seltenheit geworden. Die Rationen an Fleisch, Fett und Brot sind bei uns geringer als in den anderen Bezirken Deutschlands. Auch die Anlieferung von Milch ist zurückgegangen, dabei ist der Tiefstand der Belieferung noch keineswegs erreicht. Es gibt bis jetzt keine Tatsache, die auf eine Besserung der Ernährungslage in absehbarer Zeit schließen läßt. Das Gegenteil ist der Fall. [] Diese Situation ist eingetreten, obwohl in unserem Bezirk auf dem Land fast keine Kriegszerstörungen zu verzeichnen sind. Die Felder sind im allgemeinen bebaut, die Ernteaussichten im Durchschnitt gut. Der Boden unseres Landes gäbe genügend zum Leben für die drei Millionen Menschen unseres Wirtschaftsgebietes, wenn es eine saubere Erfassung und Verteilung der landwirtschaftlichen Produktion gäbe. Es ist Zeit zu fragen: Warum stockt die Ernährungszufuhr? Warum erhebt sich das Gespenst des Hungers immer drohender ? [] In den Dörfern haben die Nazibauernführer noch das große Wort. Man hält die landwirtschaftlichen Produkte, die in den Städten so dringend benötigt werden, zurück. Man legt versteckte Lager an, man betreibt einen schwunghaften Schleichhandel mit Fantasiepreisen [!]. Alle möglichen dunklen Elemente tauchen plötzlich als "Händler" auf. Es wird nicht mehr lange dauern, bis es mehr Lebensmittelhändler als Lebensmittelproduzenten gibt. [] In einzelnen Orten lagern bedeutende Mengen an Lebensmitteln und niemand kümmert sich um ihren ordnungsgemäßen Abtransport in die Verbraucherzentren, in der Stadt wuchert die Korruption und der Betrug. In den Markthallen gedeihen schwunghafte Schiebergeschäfte, während die Hausfrauen mit leeren Taschen heimgehen. Es gibt noch hunderte Nazigeschäfte, deren Inhaber ihren Kumpanen Lebensmittel auf illegalem Weg zuschanzen und die Arbeiterfrauen mit einem Achselzucken abweisen. In den Aemtern, die für die Ernährung des Landes zuständig sind, sitzen die Nazis noch in Scharen, von oben bis unten. In den Posten der Wirtschaftsverbände haben sie sich festgeklammert und sorgen sich nur um die Erhaltung ihrer Posten. Sie organisieren die Sabotage, sie wollen die Unordnung. [] Antifaschisten in Stadt und Land! Es ist an der Zeit, daß ihr diesen unsauberen Betrieb mit eisernem Besen ausfegt. Allein eure Wachsamkeit, an der es bisher gefehlt hat, allein eure Initiative und euer entschlossenes Zugreifen wird in der Lage sein, Ordnung zu schaffen. Alle ehrlichen Menschen in Stadt und Land, gleich welcher Anschauung, gleich welchen Berufs, müssen zusammenstehen um einheitliche und starke Maßnahmen herbeizuführen, Die Antifaschisten tragen jetzt eine große Verantwortung. An ihnen liegt es, die Mängel aufzudecken und praktische Vorschläge zu machen, die zu ihrer Ueberwindung führen. [] Was ist zu tun ? [] 1. Alle verfügbaren Kräfte zur Landarbeit [] Sorgt dafür, daß keiner sich seiner Verpflichtung gegenüber dem Volk entzieht. Keine weitere Flucht in undurchsichtige Scheinberufe. Schluß mit dem Begünstigungssystem bei den Arbeitsämtern! Schluß mit dem Davonlaufen in die Stadt! [] 2. Schafft unverzüglich Ernährungs-Ausschüsse in jedem Dorf [] Diese Ausschüsse müssen sich zusammensetzen aus bewährten Antifaschisten aller demokratischen Richtungen, aus Arbeitern, Bauern und unbestechlichen Beamten. Sie sollen sich aller Fragen gemeinschaftlich annehmen, die mit der Sicherstellung der Produktion, ihrer Sammlung und Weiterleitung zusammenhängen. Sie sollen die für die Ernährung wichtigen Amtsstellen von Nazieinfluß säubern, sie sollen versuchen im besten Einvernehmen mit den Bürgermeistern und Besatzungsbehörden zu arbeiten. Aber sie haben dabei die erste Pflicht: die Aktivität aller Gutgesinnten zu organisieren und ein makelloses Kontrollsystem aufzurichten. [] Die Hofbegehungskommissionen in jedem Dorf müssen überprüft werden. Wenn sie von Nazis besetzt, oder sonstwie unzulänglich sind, müssen sie durch zuverlässige Antifaschisten unverzüglich ersetzt werden. Bei Beginn der Ernteeinbringung müssen sie schon in Tätigkeit sein. [] Die Produktion eines jeden landwirtschaftlichen Betriebes muß erfaßt werden. Die alten Ansätze, die vom Begünstigungssystem der Nazis beeinflußt waren, können nicht mehr gültig sein. Der Eigenbedarf eines jeden landwirtschaftlichen Betriebes muß neu festgesetzt werden. Die Ausschüsse kontrollieren, ob die Ablieferung nach den festgesetzten Sätzen pünktlich durchgeführt wird. Sie sorgen dafür, daß die Sammelstellen für die einzelnen Produkte mit zuverlässigen Antifaschisten besetzt werden. [] Die Naziortsbauernführer müssen verschwinden. Ihre Funktionen übernehmen die Ernährungsausschüsse bezw. die von ihnen vorgeschlagenen Vertrauensleute, im Einvernehmen mit den Bürgermeistern. [] Kontrolliert den Abgang der Waren von den Großsammelstellen zu den Großverteilerzentren. Laßt nicht zu, daß Waren verderben. Bemüht euch unter allen Umständen um die erforderlichen Transportmittel. Für den Transport von Massengütern sollen die Nebenstrecken der Bahn schnellstens in Betrieb gesetzt werden. Bemüht euch bei den zuständigen Besatzungsbehörden um Bereitstellung von Waggons von Lastwagen und anderen Transportmitteln! Bemüht euch um die Requirierung von Autos die unnütz herumstehen oder von Nazis und anderen Schiebern zu unsauberen Privatzwecken verwendet werden. Bemüht euch um die Instandsetzung allen Materials das Räder hat. [] Macht Front gegen das Ueberhandnehmen der Zwischenhändler. Sorgt für die strenge Kontrolle der Zulassungen von Händlern und Autos für den Lebensmitteltransport und veranlaßt die Rückgängigmachung von Genehmigungen im Falle des Mißbrauches. Verhindert jede Lieferung die nicht durch die Kontrolle der örtlichen Behörden geht. [] Seid wachsam bei der Einbringung der Ernte. Sorgt dafür, daß keine, auch nicht die geringste Menge versteckt oder verschoben wird. Kontrolliert den Betrieb der Dreschmaschinen. Wo sich die Dreschmaschinen in Händen von Nazis befinden, fordert die Uebereignung in Gemeindebesitz zur allgemeinen Nutzung. [] Schafft und fördert Produktionsgenossenschaften zur gemeinsamen Nutzung von Zugvieh und Maschinen für die nachbarliche Erntehilfe, zur Regelung und Einhaltung der landwirtschaftlichen Preise, für die Regelung und die geordnete Abführung der Produkte an die Sammelstellen nach einheitlichen Grundsätzen. Schickt zuverlässige Antinazis als Delegierte zu den Bezirks- und Kreisbauernschaften, führt eine Verständigung der Ernährungsausschüsse aller Dörfer des Bezirkes zur Neubesetzung der landwirtschaftlichen Aemter im Bezirk und Kreis herbei. Die Nazis in den Bezirks- und Kreisbauernschaften und in den höheren Aemtern müssen durch zuverlässige Kräfte von unten her besetzt werden. Kontrolliert die Düngemittelzuteilung, sorgt für die gerechte Verteilung, ausgiebigste Nutzung. [] Nazis, die sabotieren, Produkte hinterziehen oder verschieben, müssen bestraft werden. Wirksame Strafen sind: der Entzug der Schlachtgenehmigung für die Selbstversorger, Verbot der Haltung von Federvieh und schließlich die Einleitung von Strafverfahren wegen Betrugs. [] Die Ernährungsausschüsse sollen Verbindung aufnehmen mit den Ausschüssen der Betriebsarbeiter in den Klein- und Großstädten. Sie fordern Delegierte von dort an, die die Bauernschaft über die Ernährungslage in der Stadt aufklären. Wo ein Abtransport gesammelter Güter auf Schwierigkeiten stößt, werden Betriebsausschüsse, wie dies bereits wiederholt geschehen ist, selbst die Initiative ergreifen, um Transportmittel herbeizuschaffen und die Zuführung an städtische Verbrauchergemeinschaften sicherzustellen. Organisiert Patenschaften einzelner Betriebe für bestimmte Dörfer. Verhindert daß die Schwierigkeiten der Ernährungslage von Nazielementen zum Anlaß genommen wird, um die Bauern gegen die Arbeiterschaft aufzuwiegeln. [] 5. Schafft Ordnung bei den Großverteilerfirmen [] Organisiert Ausschüsse der Arbeiter und Angestellten in diesen Firmen. Sorgt für die unverzügliche Entlassung der Nazis. Wo dieses nur unter Gefährdung der Bedürfnisse der Lebensmittelverteilung geschehen könnte, schlagt vor, daß Antinazis als Kontrollorgane in die betreffenden Organe delegiert und die Nazis unter Aufrechterhaltung der Entlassung zum vorläufigen Weiterarbeiten bis zur Einarbeitung der Ersatzleute dienstverpflichtet werden. [] Die gleiche Methode ist anzuwenden bei den so zahlreichen noch vorhandenen Nazi-"Spezialisten" in den Wirtschaftsverbänden. (Getreidewirtschaftsverband, Kartoffelwirtschaftsverband usw.) [] 4. Stellt die Kleinverteilung unter Kontrolle [] Bildet Kundenausschüsse der Hausfrauen für jedes Lebensmittelgeschäft. Verhindert damit die Hinterziehung von Waren und den heimlichen Verkauf zu übersetzten Preisen. Wo Mißbrauch aufgedeckt wird, muß der Kundenausschuß die Schließung der Geschäfte beantragen. Der Kundenausschuß soll auf das Engste mit den Ernährungs- und Wirtschaftsämtern zusammenarbeiten. [] In den städtischen Markthallen ist die größte Wachsamkeit anzuwenden. Ausschüsse der Arbeiter und Angestellten der Markthallen müssen auch hier Schleichhandel und Schiebung aufdecken und die Ausweisung von sabotierenden Nazihändlern veranlassen. [] Der Neuaufbau von Konsumgenossenschaften unter demokratischer Führung muß gefördert und beschleunigt werden. Auch hier können Hausfrauen als Vertrauensleute von Kundenausschüssen die Geschäftstätigkeitüberprüfen. [] 5. Betriebsarbeiter [] Kümmert euch um die Sicherstellung der Ernährung eurer Familien. Schickt Delegierte der Betriebsausschüsse auf das Land. Stellt fest wo Waren lagern, die auf dem ordentlichen Weg nicht wegkommen, bei denen die Gefahr des Verderbs besteht. Sorgt für deren Abtransport im Einvernehmen mit dem Ortsbürgermeister, für ihre Verteilung an die Betriebsbelegschaften. Achtet aber dabei darauf, daß keine vermeidbaren Eingriffe in den ordentlichen Verteilungsapparat geschehen. [] Bemüht euch um die Einrichtung von Werkskantinen. Schlagt vor, daß diese auch für die Frauen und Kinder von Werksangehörigen zugänglich gemacht werden. Bestellt die Betriebsausschüsse als Kontrollorgane. [] 6. Keine Differenzen mit den Besatzungsbehörden [] Wir sind uns bewußt, daß unsere Vorschläge oft über die bisher getroffenen Anordnungen der Besatzungsbehörden hinausgehen. Das soll jedoch nicht bedeuten, daß wir sie nicht im vollen Einvernehmen mit ihnen realisieren könnten. Wir brauchen die Hilfe der Besatzungsbehörde bei der Sicherstellung der Ernährung in vielen Dingen, besonders hinsichtlich der Transportfrage. Wir wissen aber auch, daß die Besatzungsbehörde an einer ausreichenden Ernährung der Bevölkerung und an der Säuberung der Amtsstellen von Nazis interessiert ist. Dieses ist die gemeinschaftliche Basis auf der sich die Zusammenarbeit vollziehen wird. Jeder Antifaschist aber muß stets daran denken, daß er nicht untätig auf Befehle warten soll, sondern daß es auf die Initiative und die Mitarbeit eines jeden Einzelnen, auf die Ausarbeitung von brauchbaren Vorschlägen und auf die Hinzuziehung breitester Teile der Bevölkerung zur aktiven Mithilfe ankommt. [] Darum gibt es nur ein Gebot der Stunde: Handeln, nicht abwarten! Keine Scheu vor der Verantwortung, nicht länger Passivität und unfruchtbare Schimpferei. Es sind unsere Frauen und unsere Kinder, die wir vor dem Hunger bewahren müssen, und auf uns kommt es an ob uns dies gelingt. [] 19. Juli 1945 [] Aktionsausschuß [] der Kommunisten und Sozialisten
Published:1945