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Deutsche Sicherheit [] Dr. Dr. Gustav W. Heinemann, Bundesinnenminister a.D. [] I. Die Sicherheitsgarantie. [] Sicherheit gegen Umsturz im Inneren und gegen Angriff von Außen ist ein Anliegen jeden Volkes. Für die Sicherheit gegen inneren Umsturz haben wir selbst zu sorgen. Die Sicherheit gegen Angriffe von Außen liegt nicht in unserer Hand. Sie ist Sache der Besatzungsmächte. Seit dem Konflikt der Besatzungsmächte untereinander und dem Kampf um Berlin ist die Sicherheit der Bundesrepublik gegen einen Angriff von Außen ein Gegenstand besonderer Sorge geworden. Auch sie kann heute nur von den Besatzungsmächten der Bundesrepublik, d. h. den Westmächten gewährleistet werden. Die Westmächte haben sich im Kommuniqué der Außenminister vom 19. September 1950 zu ihrer Schutzpflicht bekannt und gesagt: "Sie werden jeglichen Angriff gegen die Bundesrepublik und Berlin, von welcher Seite er auch kommt, als einen gegen sich selbst gerichteten Angriff behandeln." Damit ist das, was gegenwärtig zur psychologischen Beruhigung getan werden kann, getan. Nachzuholen bleibt die militärische Fundierung dieser Erklärung. Die Westmächte sagen darüber in dem gleichen Kommuniqué, daß sie ihre Streitkräfte in Westdeutschland "vermehren und verstärken" werden. [] Bleiben wir zunächst bei diesem Punkt stehen, so ist also festzustellen, daß die Westmächte der Bundesrepublik ein Sicherheitsversprechen gegeben haben, und daß sie sich anschicken, dieses Versprechen durch Vermehrung ihrer Streitkräfte zu realisieren. Die Beurteilung dieses Vorganges muß von zwei Seiten erfolgen. Was er für uns in der Bundesrepublik bedeutet, liegt auf der Hand und ist bei der Bekanntgabe der Washingtoner Erklärung sowie erneut in der Rundfunkansprache des Bundeskanzlers vom 11. Oktober unterstrichen worden. Keinen klaren Ausdruck hat dagegen die andere Seite des Vorganges gefunden. Ich sehe ihn darin, daß die Westmächte, zumal die kontinentalen, damit ihre eigene Verteidigung gegen einen Angriff vom Osten im Vorfeld ihrer Länder auf deutschem Boden aufzufangen gedenken. Die Westmächte erklären m. a. W., uns schützen zu wollen, weil sie damit sich selber zu schützen gedenken. Sie wollen eine etwaige Auseinandersetzung mit dem Osten lieber auf unserem Boden vollziehen als auf dem Boden ihrer Heimatländer. Die Interpretation des Kommuniqués vom 19. September dure h den französischen Verteidigungsminister Moch im Radio London am 22. September lautete: "Meine Aufgabe ist es, mit einer französischen Armee, die in Deutschland aufgebaut werden muß, die Russen im Falle eines Angriffes im Osten (!) aufzuhalten.". Herr Moch erklärte einige Wochen früher: "Wir müssen den Schutz des Glacis sicherstellen, das der Sieg von 1945 uns zu besetzen erlaubt hat. Es ist die [] Schaffung eines Manöverierfeldes Elbe-Rhein, die ständig unsere (!) oberste Sorge zu sein hat." Die anderen Westmächte, zumal die kontinentalen, sehen die Dinge ebenso. [] Die Bundesrepublik hat somit durchaus nichts Unbilliges gefordert, wenn sie die Westmächte um ein Verteidigungsversprechen anging. Die Westmächte haben es gegeben, das sei mit Befriedigung festgestellt. Sie haben es aber selbstverständlich nicht nur um unseretwillen, sondern um ihrer selbst willen gegeben. Werden wir zur Verwirklichung dieser Verteidigung militärisch selber beitragen? Das ist die Frage. [] II. Ungefragte Bereitwilligkeit. [] Vor der Frage, ob wir Deutsche in der Bundesrepublik einen militärischen Beitrag zur Verteidigung Westeuropas leisten werden, steht die andere Frage, ob die Bundesregierung im voraus ungefragt ihre Bereitwilligkeit zur militärischen Beitragsleistung erklärt hat. Was ist geschehen? [] In einem Interview des Bundeskanzlers vom 18. August in der "New York Times" wird von der Notwendigkeit starker deutscher Verteidigungskräfte gesprochen. Am 29. August übergibt der Bundeskanzler dem amerikanischen Hohen Kommissar ein Sicherheitsmemorandum, das auf der Außenministerkonferenz am 12. Sept. beraten werden soll. Im Pressedienst der Bundesregierung vom 31. August wird eine Reutermeldung aus London zitiert, wonach das Memorandum des Kanzlers u. a. der Vorschlag einer europäischen Armee enthält. Am selben 31. August tritt in Bonn die Bundesregierung zu einer Kabinettssitzung zusammen, die der Beschlußfassung über das Memorandum dienen soll. Da das Memorandum vom Bundeskanzler bereits ohne diese Beratung abgesandt war, erklärt der Bundesinnenminister seinen Rücktritt. Nach Verlesung des Memorandums stimmen die übrigen Kabinettsmitglieder zu. Am 19. September übergeben die Außenminister ihr Kommuniqué, in dem es heißt: "Die Minister haben ... zur Kenntnis genommen, daß in jüngster Zeit in Deutschland ... Stimmen laut geworden sind, die eine deutsche Beteiligung an einer gemeinsamen Streitmacht zum Schutz der europäischen Freiheit befürworten. Am 9. Oktober erklärt der französische Hohe Kommissar, daß die Bundesregierung im Prinzip ihre Bereitwilligkeit zur Remilitarisierung gegeben habe. Deutsche Zeitungen berichten diese Erklärung in abschwächender Form, indem sie sagen, daß der französische Hohe Kommissar die "Möglichkeit" einer solchen Bereitwilligkeitserklärung [] ausgesprochen habe (so Frankf. Allg. Ztg. vorn 10. Okt.). Der französische Informationsdienst sagt dagegen bündig: "Le gouverment allemand a donné son accord de principe a cette remilitarisation." [] Ist es vertretbar, daß eine Erklärung von solch entscheidungsvoller Tragweite vom Bundeskanzler abgegeben wird, ohne daß das Kabinett an der Willensbildung beteiligt ist? Ist es vertretbar, daß das deutsche Volk nur vom Ausland her oder durch einen Hohen Kommissar von einer Bereitwilligkeit seiner Regierung zur militärischen Beteiligung an einer Verteidigungsmacht unterrichtet wird? In der Radioansprache am 11. Okt. erklärt der Bundeskanzler, daß keine "Verpflichtungen" zu einer Beteiligung eingegangen seien. Das hatte niemand behauptet. Zur Erörterung steht lediglich eine Bereitwilligkeitserklärung. Darüber wird deutscherseits geschwiegen. Was also steht nun im Memorandum des Bundeskanzlers vom 29. August, dem die Bundesregierung am 31. August zugestimmt hat? [] III. Das Gebot der Zurückhaltung. [] Es ist nicht unsere Sache, eine deutsche Beteiligung an militärischen Maßnahmen nachzusuchen oder anzubieten. Wenn die Westmächte unserer Mitwirkung zu bedürfen glauben, so mögen sie an uns herantreten und dabei verbindlich sagen, welches die Grundlagen einer etwa von ihnen gewünschten deutschen Mitwirkung sein sollen. Nachdem es eines der vornehmsten Kriegsziele der Alliierten gewesen ist, uns zu entwaffnen und auch für die Zukunft waffenlos zu halten, nachdem die Alliierten in fünfjähriger Besatzungszeit alles darauf angelegt haben, das deutsche Militär verächtlich zu machen, unsere Wehrmöglichkeiten unter Einschluß sogar von Luftschutzbunkern zu zerstören und das deutsche Volk zu einer jedem Militärwesen abholden Geisteshaltung zu erziehen, haben wir allen Anlaß, auf gegenteilige Aufforderungen so zurückhaltend wie nur möglich zu reagieren. Dies wird für unsere Nachbarvölker im Westen wie im Osten der eindrücklichste und immer noch notwendige Beweis für die doch unleugbare Gesinnungsänderung des deutschen Volkes sein. Wenn wir anders handeln, kann nur der alte Verdacht gegen unseren Militarismus und die aus ihm folgende Mißachtung unseres Volkes verhängnisvoll belebt werden. [] Für diejenigen, die eine solche Zurückhaltung - vielleicht aus Unkenntnis dessen, was im Ausland über uns gedacht wird, nicht mehr für geboten erachten, sollte vielleicht erwogen werden, ob sie nicht im voraus die auf uns zukommende Frage der Westmächte nach unserer militärischen Beteiligung hinsichtlich der dann zu klärenden näheren Bedingungen ungünstig beeinflussen. Eilfertige deutsche Stimmen können nur dazu dienen, daß das, was diese selben Stimmen an Aufgeschlossenheit der Westmächte für deutsche Wünsche erwarten, anders ausfallen wird, als sie annehmen. [] IV. Die Gleichberechtigung. [] Erst dann, wenn eine Aufforderung der Westmächte an uns vorliegen wird, uns militärisch zu beteiligen, ist der Zeitpunkt der Entscheidung gekommen. Wir werden alsdann u. a. zu prüfen haben, welche Grundlagen die Westmächte anbieten. [] Es wird von dem Grundsatz der Gleichberechtigung gesprochen. Uns fehlt die Souveränität. Wir haben also einen schwachen Stand. Angesichts dessen, was uns in den Augen der Welt noch wesentlich stärker als im Bewußtsein unseres eigenen Volkes aus der Hitlerzeit belastet. (siehe z. B. den Osloer Beschluß vom 2. Oktober 1950 über unsere Nichteinladung zur Winter-Olympiade), haben wir auch nur schwache moralische Grundlagen für eine Forderung nach Gleichberechtigung. Man könnte uns brauchen wollen und ächten zugleich. Man könnte die alte Rechnung wieder präsentieren wollen, wenn die Not vorüber ist. Damit mache ich den Völkern, die unter dem Hitlerkrieg gelitten haben, keinen Vorwurf. Ich stelle lediglich eine Situation fest. Sie besagt, daß es ganz und gar freier Entschluß der Westmächte sein wird, ob sie Gleichberechtigung gewähren. Sie müßte echte Solidarität und Schicksalsgemeinschaft mit uns bedeuten. Sie müßte praktische Folgen haben, die hinsichtlich des Militärischen beispielsweise darin zu sehen wären, daß deutsche Menschen nicht als Kanonenfutter behandelt werden, und hinsichtlich des Politischen beispielsweise darin, daß die Bundesregierung von den Westmächten nicht nur in etwas platonischer Weise als Sprecherin auch für die russische und polnische Zone anerkannt wird, sondern auch darin, daß das Saargebiet als deutsches Gebiet, d. h. als Bestandteil der Deutschen Bundesrepublik behandelt wird. Eine Reihe weiterer Voraussetzungen (z. B. etlicher Berichtsverfahren) [] möchte ich im Augenblick nur andeuten. [] V. Annahme der Aufforderung? [] Ich sagte, daß der Zeitpunkt der Entscheidung über eine militärische Beteiligung der Bundesrepublik an der westeuropäischen Verteidigung gegeben sein wird, wenn die Westmächte uns darum angehen. Niemand von uns sollte daher bei allem heutigen Durchdenken der Fragen schon jetzt diese Entscheidung vorwegnehmen. Wenn die Entscheidung vor uns steht, wird eine Fülle von Überlegungen geboten sein, die nach den dann gegebenen Umständen zu treffen sein werden. [] Der einfache Satz: "Wir müssen uns verteidigen können", genügt keinesfalls. Es gehört zu den simplen biblischen Wahrheiten, daß man sich auf einen Krieg nicht einlassen soll, wenn keine Aussicht vorhanden ist, daß man ihn bestehen kann (Luk. 14, Vers 31 f). Wird eine Aussicht bestehen? Wird es darauf ankommen, daß deutsche Soldaten zur Verfügung stehen? Das wissen wir nicht, weil uns bis zur Stunde niemand gesagt hat, was die Westmächte denken oder planen. [] Wenn es so liegen sollte, daß der deutsche Soldat entscheidend gefordert ist, wird noch manches Weitere vor uns stehen. [] Die Aufstellung deutscher Truppen bedeutet eine schwere Belastung unserer sozialen Gestaltungsmöglichkeiten. Wenn es bisher nicht gelangt hat, den Ostvertriebenen und Kriegsbeschädigten, den Wohnungslosen und Sozialrentnern, der Jugend und manchen anderen Gruppen unseres Volkes zu geben, was ihnen zusteht, so werden Rüstungsausgaben ihre Situation nicht erleichtern. Wo ist die soziale Generalstabsarbeit, die hier eine Antwort vorbereitet? [] Die andere Belastung erwächst unserer jungen Demokratie. Die militärische Macht wird nahezu unvermeidlich wieder eine eigene politische Willensbildung entfalten. Wenn wir diese Gefahr dadurch für gebannt halten, daß die deutschen Kontingente in einer internationalen Armee stehen, so bleibt zu fragen, ob unsere Abhängigkeit von einem internationalen Generalstab erträglicher sein wird und wer diesen internationalen Generalstab politisch in der Hand hat. [] Besonders bedeutungsvoll ist die Frage, ob eine westdeutsche militärische Beteiligung auf Rußland provozierend wirken würde. Der Marxist glaubt ohnehin an kapitalistische Einkreisung. Er glaubt andererseits an den Endsieg des Kommunismus, den er dadurch heraufziehen sieht, daß der Kapitalismus sich in seinen Krisen selbst zerstören wird. Der Marxist ist geneigt, diese Krisenentwicklung zu fördern, d. h. er ist Revolutionär und nicht primär ein Krieger. Deshalb ist ihm gegenüber die innere Immunisierung durch beispiellose Ordnung der Gerechtigkeit und Freiheit mindestens ebenso wichtig, wie äußere Panzerung. Wenn das Wiedererstehen des deutschen Soldaten in Frankreich ein tiefes Mißbehagen auslöst, was wird es in Rußland auslösen, das den furor teutonicus in besonderem Maße erlebt und ebenfalls nicht vergessen hat? [] Ich versuche nicht, auf diese Fragen heute eine Antwort zu geben. Sie werden aber vor uns stehen, wenn wir unseren Weg von der Parole bestimmen lassen wollen, daß wir uns doch zur Verteidigung bereit machen müssen. [] VI. Die deutsche Situation. [] Es gibt viele Überlegungen, die wir mit den Westmächten gemeinsam anzustellen haben, wenn man uns zur militärischen Beteiligung am Schutze Westeuropas auffordern wird. Es gibt darüber hinaus aber auch noch einige Überlegungen, die uns Deutschen besonders obliegen werden. [] Ein europäischer Krieg unter unserer Beteiligung wird für uns nicht nur ein nationaler Krieg sein, wie für die anderen betroffenen Völker, sondern obendrein ein Krieg von Deutschen gegen Deutsche. Er wird sich, so wie die Dinge liegen, auf deutschem Boden abspielen. Wer auch immer die erste Schlacht gewinnt, - der Stoß geht in deutsches Land, im Westen oder im Osten. Wenn der erste Stoß sich nicht zu einem endgültigen entwickelt, kann dasselbe deutsche Land im Westen oder im Osten abermals der Schauplatz des Krieges sein. [] Angesichts dieser Situation haben wir wahrlich bis zum Äußersten ein Lebensinteresse daran, daß eine friedliche Lösung gefunden wird. Was für Rußland und seine Satelliten auf der einen Seite und für die Westmächte auf der anderen Seite zwar ein todernstes Spiel um die Existenz ist, aber immerhin noch eine Chance des Gewinnens oder doch des Überlebens in sich schließt, ist für uns mit höchster Wahrscheinlichkeit der Tod, weil wir das Schlachtfeld eines beiderseitigen totalen Vernichtungswillens sind. Natürlich kann Deutschland jederzeit von den anderen zum Schlachtfeld gemacht werden. Aber wir legitimieren unser Deutschland selbst als Schlachtfeld, wenn wir uns in die Aufrüstung einbeziehen. Ich weiß, daß es z. Zt. irreal ist, an eine Verständigung unter den Weltmächten über Deutschland oder an eine Uno-Lösung für Deutschland zu denken. Wer aber vermöchte zu sagen, daß es auch morgen irreal sein wird? Es kommt darauf an, daß die Chance für eine friedliche Lösung nicht verloren geht. Unsere Beteiligung an der Aufrüstung würde das Aufkommen einer solchen Chance kaum mehr offen lassen. [] Was wird zu geschehen haben, um diesen Erwägungen gerecht zu werden? Auch diese Frage wird vor uns stehen, wenn es so weit ist. [] VII. Gandhi-Apostel? [] Einige leichtfertige Leute haben mich einen Gandhi-Apostel genannt. Ich schmähe Gandhi durchaus nicht, wenn ich bündig sage, daß ich nicht sein Apostel bin. Es ist Gottes Wille, daß weltliche Obrigkeit regiert und daß sie das Schwert führt. Sie hat es auch gegen äußere Feinde zu führen, - sofern sie überhaupt eins besitzt. Wir besitzen keins. Hier erhebt sich zumal für Politiker, die aus christlicher Verantwortung zu handeln erklären, die Frage, ob es nicht etwa so ist, daß wir durch Gottes Gericht waffenlos gemacht worden sind um deswillen, was wir mit der Waffe angerichtet haben. Auch dann würden wir nicht für alle Zeit waffenlos bleiben müssen. Aber wir sollten uns gefragt wissen, ob es denn Wirklich wieder soweit ist oder ob Gott uns heute nicht noch die Geduld und den Mut beibringen will, auch in gefahrvollster Situation seinem von uns nicht vorher zu berechnenden Weltregiment zu vertrauen. Er hat Möglichkeiten die Fülle. Diese Frage kann indessen nur derjenige recht hören, der Gott nicht als Idee versteht, sondern in ihm den Schöpfer und Erhalter der Welt und ihrer Völker weiß. Ich bitte, diese Frage stehen zu lassen und nicht mit billigen Reden abzutun. Gott läßt sich nicht spotten. Das hat unser deutsches Volk wahrlich gerade erlebt. Wer nur aus Angst handelt, fällt erst recht in die Grube. Neben allem Aufruf zur Tat ist uns je und dann auch gesagt: "Wenn ihr umkehret und stille bliebet, so würde euch gehalten. Durch Stillesein und Hoffen würdet ihr stark sein, aber [] ihr wollt nicht." (Jes. 30, Vers 15). [] Wiederum sage ich in diesem Augenblick nichts anderes, als daß diese Frage vor uns stehen wird. [] VIII. Wer hat zu entscheiden? [] Der Bundeskanzler erklärte in der Radioansprache am 11. Okt., daß der Bundestag zu entscheiden haben wird, wenn wir zur militärischen Beteiligung aufgefordert werden. Mc Cloy sagte drei Tage zuvor: "Die westlichen Alliierten sind sich der Tatsache durchaus bewußt, daß ein deutscher Beitrag nur dann möglich und nur dann wünschenswert ist, wenn das Volk, die Volksvertretung und die Regierung der Bundesrepublik ihn wünschen und aktiv unterstützen." Auch Mc Cloy kennt die Bundesverfassung und weiß, daß der Bundestag allmächtig ist. [] Die Neue Zeitung (die amtliche amerikanische Zeitung in Deutschland) unterstreicht im Leitartikel vom 10. Oktober: "Die Formulierung das Volk, die Volksvertretungen und die Regierungen" ist nicht zufällig. Sie deutet darauf hin, daß man auf seiten der Alliierten nicht übersieht, daß eine so entscheidende Frage, wie die einer Teilnahme an der militärischen Sicherung der freien Welt nur auf wirklich freiwilliger Basis gelöst werden kann." Mc Cloy denkt offensichtlich in den Traditionen amerikanischer Demokratie, in der sich der politische Wille aus den Staatsbürgern über das Parlament in die Regierung entwickelt. Der Bundeskanzler denkt in den Formen autoritärer Willensbildung und des stellvertretenden Handelns. Streiten wir dabei nicht um Verfassungswortlaute. Wo ein Wille zur Mitbeteiligung des Volkes vorhanden ist, gibt es auch Wege, um diese Mitbeteiligung aufzuschließen. Wir werden unser Volk nur dann demokratisch machen, wenn wir Demokratie riskieren. Wenn in irgend einer Frage der Wille des deutschen Volkes eine Rolle spielen soll, dann muß es in der Frage der Wiederaufrüstung sein. Angesichts dessen, was unser Volk durch Krieg erlebt und durch fünfjährige Besatzungserziehung erfahren hat, wäre es eine Vermessenheit, jetzt so zu handeln, als ob nichts geschehen sei. Die Verwirrung ist heute schon groß genug. Wenn wir nicht die Geduld haben, sie zu klären, kann es unmöglich einen guten Weg geben. [] Man sage nicht, daß keine Zeit sei, die Klärung abzuwarten und alle Fragen in Ruhe zu durchdenken, die ich in diesen Artikeln aufgeworfen habe. Es wird noch sehr respektable Zeit dauern, bis alle anderen westlichen Völker soweit gerüstet sind, daß auch wir daran denken können. [] IX. Mein Rücktritt. [] Zum Schluß möchte ich ein persönliches Wort anfügen. Mein Rücktritt aus der Bundesregierung ist erfolgt, weil ich die Verantwortung nicht tragen kann, die einem Bundesminister zugemutet wird. Wo die dem Kanzler obliegende Bestimmung der politischen Richtlinien so verstanden wird, daß eine gemeinsame echte Willensbildung nicht stattfindet, und wo jeder nur mit Vorwürfen zu rechnen hat, der sich den Richtlinien nicht willig fügt, möchte und kann ich keine Mitverantwortung tragen. [] Mein Ausscheiden aus der Bundesregierung möge das deutsche Volk vor die Frage führen, wie es sich Demokratie denkt und was es von seinen Ministern erwartet. Es möge die deutschen Männer und Frauen insbesondere in der vor uns stehenden sachlichen Frage der Wiederaufrüstung veranlassen, selber nachzudenken und ihren Willen deutlich zum Ausdruck zu bringen. [] Druck Rob. Bechauf, Bielefeld 381
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