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Forderungen der SPD [] für die Wahl zum Rat der Stadt Salzgitter [] 1. Mit dem Beginn des Wiederaufbaues der Hütte und des Stahl- und Walzwerkes tritt die Stadt Salzgitter in einen neuen Entwicklungsabschnitt ihrer Wirtschaft ein. Noch dringender als in den vergangenen Jahren muß daher die Bevölkerung der Stadt Salzgitter in allen ihren Schichten von der Bundesregierung die endliche Erfüllung der Versprechungen auf eine angemessene kommunale Erstausstattung verlangen. Trotz angeblich guter parteipolitischer Beziehungen zur Bundesregierung ist z. B. der Bau von Rathaus, kulturellen Einrichtungen, Schlachthaus, Finanzamt, Zollamt, Arbeitsamt, Eichamt, Gerichten, Postamt usw. und die Erstausstattung der Stadt Salzgitter mit Grund und Boden bis zum heutigen Tage der Verwirklichung nicht näher gekommen. Die Bereitstellung der Bundesmittel für eine kommunale Erstausstattung unserer Stadt, zu der die Bundesregierung rechtlich verpflichtet ist, weil sie als Nachfolger der Reichsregierung die Vermögenswerte der Reichswerke an sich zog, darf auch nicht dadurch gefährdet werden, daß die Bundesregierung die Verwendung ihrer erhöhten Steuereinnahmen für die Finanzierung des Wehrbeitrages für dringlicher erklärt als die Befriedigung der Rechtsansprüche der Stadt Salzgitter auf eine bescheidene Erstausstattung mit all den Einrichtungen, die eine Großstadt braucht. [] 2. Die außerordentliche Wohnungsnot in unserem Stadtgebiet ist nicht nach dem Vorschlag der Ratsfraktionen der CDU, DP und FDP durch Verzicht auf die Selbstverwaltung, durch den Ruf nach dem staatlichen Wohnungskommissar, durch den nutzlosen Streit um die Werkswohnungsklausel, durch immer erneute Umverteilung des zu knappen Wohnraumes oder durch sonstige Maßnahmen der Zwangswirtschaft zu lösen, Falls der Stadt Salzgitter auch weiterhin zusätzliche Beihilfen für die Endfinanzierung von städtischem Wohnungsbau verweigert werden, fordert die SPD die Aufnahme von Anleihen über den außerordentlichen Etat zur Endfinanzierung von Wohnungsneubau zur Verfügung der Stadt. [] Dabei ist dafür zu sorgen. daß die dem Notstandsgebiet Salzgitter in den vergangenen Jahren vorenthaltenen Mittel für den sozialen Wohnungsbau nunmehr verstärkt fließen, um den weiteren Bau von Werkswohnungen nicht zu erschweren. Die SPD lehnt den Bau von sogenannten Schlichtwohnungen in der Form von Starenkästen ab und fordert nachdrücklich jeweils den Bau einer angemessenen Rate von Eigenheimen, die zu tragbaren Tilgungssätzen in das Eigentum des Bewohners übergehen. In diesem Zusammenhang erhebt die SPD auch die Forderung nach einem angemessenen Mitbestimmungsrecht der 12000 Mieter im Aufsichtsrat der Wohnungs-AG durch gewählte Mietervertreter. [] Die SPD erblickt in der kommunalen Selbstverwaltung das Fundament eines demokratischen Staates. Sie tritt ein für die Beseitigung des künstlich geschaffenen Lebenstedter Wasserkopfes einer übertrieben zentralisierten Stadtverwaltung und fordert die Dezentralisierung der Verwaltung und der kommunalen Selbstverwaltung und die schrittweise Entwicklung der gewählten Ortsräte zu selbstverwaltenden Beschlußorganen der Stadtteile im Rahmen der Großstadtverfassung. [] Gegen alle Widerstände hat die SPD aus der Opposition heraus die Wahl der Ortsräte durchgesetzt. Sie lehnt es ab, die Ortsräte weiterhin als Überdruckventile mißbrauchen zu lassen oder ihnen nur Aufgaben zuzuweisen, die Vereinen für Heimatpflege zukommen. Die SPD ist gewillt, den Ortsräten - soweit es die Gesetze nur irgend zulassen - echte Beschlußrechte und das Recht zur verantwortlichen Mitwirkung auf allen Gebieten einzuräumen, auf denen der Rat bisher den Empfehlungen der Ortsausschüsse überwiegend folgte. [] 4. Die Sitzungen der gewählten Ortsräte müssen öffentlich stattfinden. Auch muß Schluß gemacht werden mit der undemokratischen Geheimniskrämerei des Rates. Personalfragen und einige wenige andere Dinge gehören auch nach Ansicht der SPD nicht in öffentliche Sitzungen. Aber die bisherige Mehrheit des Rates hat ihre Mehrheit am laufenden Band dazu mißbraucht, um wichtige Fragen, deren öffentliche Erörterung der CDU, DP und FDP aus parteipolitischen Gründen peinlich war, hinter den wohlverschlossenen Türen von nichtöffentlichen Sitzungen zu verhandeln und die Ratsherren der SPD auf diese Weise an die Geheimhaltungspflicht zu binden. Die SPD fordert ferner die ständige und ehrliche Aufklärung des Rates über alle Verhandlungen, die im Namen der Stadt in wichtigen Angelegenheiten geführt werden. Insbesondere hält die SPD die Informierung auch der Opposition für eine selbstverständliche Forderung des demokratischen Taktes und der politischen Klugheit. [] 5. Auf dem Gebiete der Personalpolitik strebt die SPD im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen ein möglichst weitgehendes Mitbestimmungsrecht der städtischen Beamten, Angestellten und Arbeiter und ein gutes Einvernehmen mit dem Betriebsrat der Stadtverwaltung an. Die SPD wird auch künftig - wie in der Vergangenheit - alle Versuche zur Einführung eines Parteibuchbeamtentums oder Gesangbuchbeamtentums bekämpfen. Sie tritt für die volle Anerkennung und Würdigung echter beruflicher Leistung bei städtischen Beamten, Angestellten und Arbeitern ein und ist der Meinung, daß eine Stadtverwaltung im Rahmen der Möglichkeiten auch als Arbeitgeber vorbildlich sein sollte. [] 6. Am 15. Oktober 1952 war die Zahl der weiblichen Erwerbslosen im Gebiet des Arbeitsamtes Salzgitter mit 2212 erstmalig höher als die Zahl der männlichen Erwerbslosen. Diese Tatsache ist einmalig im gesamten Bundesgebiet und verpflichtet den Rat, mit besonderem Ernst auf die Ansiedlung von Ausgleichsbetrieben der Leichtindustrie zu drängen, in denen Dauerarbeitsplätze für weibliche Arbeitskräfte geschaffen werden. Das wird nur möglich sein, wenn die Stadt Salzgitter künftig solchen Betrieben gegenüber ein größeres Maß von Entgegenkommen zeigt. [] 7. Die Stadtverwaltung und die aus CDU, DP und FDP bestehende bisherige Mehrheit des Rates gefährdeten nach Ostern 1952 die zusätzliche Ausbildung von Lehrlingen in der Lehrwerkstatt der Hütte, indem sie ablehnten, die Durchleitung der Beihilfe aus Landesmitteln in Höhe von 360000 DM jährlich in den Etat der Stadt aufzunehmen. Erst auf Protest der SPD wurde die Durchleitung dieser Mittel in den Nachtragshaushalt aufgenommen. Die SPD ist der Meinung, daß alle Möglichkeiten zur Beseitigung der Jugendberufsnot voll ausgeschöpft werden müssen und daß Konflikte zwischen Handwerk und Reichswerken nicht auf dem Rücken der Schulentlassenen ausgetragen werden dürfen. Eine Berufsausbildung in der Lehrwerkstatt der Hütte bedeutet für einen jungen Menschen ein Kapital für sein ganzes Leben. [] 8. Die SPD hat im Rat der Stadt gegen die Bewilligung städtischer Mittel für den Lebenstedter Bahnbau gestimmt, weil keine Klarheit darüber besteht, welche finanziellen Folgen der Stadt Salzgitter durch die Zerstörung der Bruchmachtersenstraße und eines Teiles des Gewerbeparkes entstehen. Sie ist immer noch der Meinung des CDU-Ratsherrn Rißling, daß dieser Bahnbau für Lebenstedt keine großstädtische Verkehrslösung bringt, sondern eine "Bimmelbahn", "Mißgeburt" und "Zangengeburt" darstellt. Die SPD fordert, daß die Bundesregierung im Rahmen der Versprechungen auf eine kommunale Erstausstattung auch die Mittel bereitstellt, um in Salzgitter endlich einen stadteigenen Kraftverkehr zwischen den Stadtteilen mit sozialen Tarifen und großstädtischer Verkehrsdichte einzurichten, ohne den Salzgitter den Namen einer Großstadt nicht verdient. [] 9. Die SPD hat den festen Willen, den von der bisherigen Mehrheit des Rates immer wieder geschürten Konflikt zwischen der Stadt und den Reichswerken zu beheben. Die Reichswerke sind als Betriebe der öffentlichen Hand keineswegs Einrichtungen, die der Stadt Salzgitter von Natur aus feindlich gegenüberstehen müssen. Wenn sich gelegentlich einzelne Leiter von Reichswerke-Gesellschaften der Stadt gegenüber so benehmen, als wenn der Geist Görings noch über der Fuhse schwebte, dann ist über die Bundesregierung, über das Mitbestimmungsrecht oder durch klare Stellungnahme des Rates für Änderung zu sorgen. [] 10. Die SPD ist die Partei der Heimatvertriebenen. Sie war bisher im Rat der Stadt mit 5 Heimatvertriebenen bei insgesamt 14 sozialdemokratischen Ratsherren vertreten und hat im Rat der Stadt die besonderen Belange der heimatvertriebenen Bevölkerung stets mit Entschiedenheit wahrgenommen. Von 46 Kandidaten, die von der SPD für die Wahl zum Rat aufgestellt wurden, sind wiederum 15 Heimatvertriebene. Das ist ein Prozentsatz, der höher ist als der Anteil der Heimatvertriebenen an der Gesamtbevölkerung unserer Stadt. [] Die SPD ist im Bundestag als einzige Partei konsequent für einen sozialen Lastenausgleich eingetreten. Sie hält es daher für ausgeschlossen, daß politisch nachdenkliche Heimatvertriebene ihre Stimme bei der Wahl zum Rat der Stadt ausgerechnet den Kandidaten der Bonner Koalitionsparteien geben, die im Bundestag einen wirklichen Lastenausgleich verhinderten. Insbesondere die werktätigen Heimatvertriebenen aber werden ihre Stimme auch nicht dem BHE geben können, dessen Redner die Gewerkschaften und das Mitbestimmungsrecht begeifern, dessen Bundestagsabgeordnete sich bei der Abstimmung über das Lastenausgleichs-Gesetz der Stimme enthielten, dessen Minister in Schleswig-Holstein mit den Vertretern des Besitzbürgertums regieren und dessen Bestreben in der Landesregierung Niedersachsens bekanntlich in der Hauptsache auf das Besetzen gutbezahlter Ämter mit BRE-Funktionären abzielt. [] 11. Dem Mittelstand erklärt die SPD, daß es in unserer Stadt - in der die Umsätze des Einzelhandels pro Kopf der Bevölkerung weit unter dem Stand anderer Großstädte liegen und in der fast zwei Drittel aller Erwerbspersonen Arbeiter im engeren Sinn des Wortes sind - eine besondere Mittelstandspolitik nicht geben kann. Mit jedem wieder besetzten Arbeitsplatz, aber auch mit jedem Pfennig Lohnerhöhung verbessert sich auch die Lage des Mittelstandes, der darum im ureigensten Interesse handelt, wenn er zur SPD hält, die für die Hebung der Massenkaufkraft, für Vollbeschäftigung und für die Linderung sozialer Not kämpft. [] 12. Salzgitter ist eine ausgesprochene Arbeiterstadt. In den Rat unserer Arbeiterstadt, die am Beginn eines neuen wirtschaftlichen Aufschwunges steht, gehört eine Arbeiter-Mehrheit, um die Forderungen der SPD durchzusetzen. Darum stimmen alle, die von ihrer Hände Arbeit leben oder ihr Leben von kümmerlichen Renten und Unterstützungen fristen, am 9. November für die Kandidaten der SPD! [] An alle Haushaltungen in Salzgitter! [] Liebe Einwohnerin! Lieber Einwohner! [] Mit diesem Brief senden wir Ihnen unser Wahlprogramm für die Kommunalwahlen am 9. November 1952. Sie sollen wissen, warum Sie gerade die SPD wählen. Vielleicht werden Sie mit mancher Auffassung. die wir vertreten, nicht einverstanden sein und deshalb weitere Fragen zur Politik der SPD haben. Auf diese Fragen wollen wir Ihnen gern in unserer öffentlichen Wahlversammlung am Freitag, dem 31. Oktober 1952, um 20 Uhr in Salzgitter-Lebenstedt. Werksgasthaus, eine Antwort geben. Zu dieser Veranstaltung laden wir Sie hiermit herzlich ein. Es spricht zu Ihnen [] Erich Ollenhauer [] 1. Vorsitzender der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands [] Freundliche Grüße [] Hellmut Schmalz Kreisvorsitzender der SPD [] Für den Inhalt verantwortlich: Hellmut Schmalz, Salzgitter-Bad [] Druck: Volksfreund G.m.b.H., Braunschweig
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