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Werner Hansen [] Werner Hansen [] Landesbezirkvorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbundes für Nordrhein-Westfalen [] Köln, August 1953 [] Sülzgürtel 5 [] Liebe Wählerin! Lieber Wähler! [] Darf ich mich Ihnen als Bundestagskandidat der Sozialdemokratischen Partei Ihres Wahlkreises vorstellen? Ich nehme an, daß Sie, liebe Wählerin und lieber Wähler, nicht zu jenen Menschen gehören, die der Ansicht sind, die Arbeiter in Ost-Berlin und in Mitteldeutschland hätten sich als "meuternde Volksverräter" gegen die Ostzonenregierung erhoben, und es sei ihnen recht geschehen, daß Karabiner und Panzer, Zuchthaus und Todesstrafe gegen sie eingesetzt wurden. Ich nehme auch nicht an, daß Sie der Ansicht sind, der Naumann-Kreis und seine Helfer hätten für unser Volk etwas Gutes im Sinn mit ihren Plänen, die alte nationalsozialistische Herrschaft neu zu errichten. Sehen Sie, wenn wir uns in diesen Ansichten schon einig sind und darüber hinaus noch gemeinsam glauben, daß heutzutage viele Anstrengungen nötig sind, um unser Volk in Frieden, Freiheit und sozialer Gerechtigkeit wieder zu vereinigen, dann könnte es eigentlich zwischen uns keine Meinungsverschiedenheiten geben. Nur über die Mittel und Wege, die politischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Notwendigkeiten zu verwirklichen, könnten Sie bestimmte Ansichten haben. Aber diese möglichen Meinungsverschiedenheiten über Mittel und Wege dürften kein Grund sein, uns gegenseitig Böswilligkeit zu unterstellen. In unserer noch nicht sehr gefestigten Demokratie, in der Freiheit und sozialer Fortschritt durchaus nicht gesichert sind, sollten alle Menschen guten Willens, denen die Verteidigung der Freiheit Herzensangelegenheit ist, nicht gegeneinander, sondern miteinander arbeiten. Das ist meine Meinung! In meiner Arbeit in der Einheitsgewerkschaft habe ich gelernt, Toleranz zu üben. Ich glaube, daß mir gerade diese Eigenschaft helfen wird, in dem kommenden Bundestag so zu arbeiten, wie es unsere Zeit erfordert. Mein Eindruck ist, daß wir einiges aus der gewerkschaftlichen Erfahrung, nämlich das Gemeinsame vor das Trennende zu stellen, auf den Bundestag übertragen sollten. [] Aus der demokratischen Selbstzerfleischung ziehen nur jene rechts- und linksradikalen Kreise Nutzen, die unser Vaterland wieder einmal ins Unglück stürzen wollen. Liebe Wählerin, lieber Wähler - nun etwas Persönliches. Ich bin jetzt 48 Jahre alt. Mein Vater war Postbeamter. Ich habe eine kaufmännische Lehre abgeschlossen und war vor 1933 als kaufmännischer Angestellter tätig. In vielen Städten unseres Vaterlandes habe ich gearbeitet; zuletzt und am liebsten in Köln. Ich kenne die Sorgen und Nöte der schaffenden Menschen, weil ich sie selber mitgemacht habe, auch als Arbeitsloser. Ich weiß also, was eine Wirtschaftskrise bedeutet. Während der Hitlerzeit war ich mehrere Jahre im Ausland. Ich habe während dieser Zeit vieles gelernt. Ich ging nicht freiwillig, sondern weil ich mich vor Himmlers Schergen retten mußte. Meine Gegnerschaft gegen das Dritte Reich hat mich nicht davor bewahrt, auch draußen das Leben hinterm Stacheldraht kennenzulernen. Ich weiß, was es bedeutet, abgeschnitten von der Außenwelt, mit Sehnsucht nach Deutschland und vor allem mit Heimweh nach Köln, tatenlos dazusitzen. Damals faßte ich den Entschluß, so bald als möglich nach Deutschland zurückzukehren, um mich voll und ganz für die soziale Sicherheit der schaffenden Menschen einzusetzen, weil ich kein neues 1933 für unser gequältes Volk wollte. Ich weiß, wie sehr es von der Existenzsicherheit nicht nur der Arbeitnehmerschaft, sondern all der kleinen Leute - seien es Arbeiter, Angestellte, Beamte oder Gewerbetreibende -abhängt, ob wir in Zukunft eine gesunde und friedliche demokratische Entwicklung haben werden. Nach Köln zurückgekehrt, setzte ich mich mit dem Freund aller schaffenden Menschen, unserem auf Melaten begrabenen Ehrenbürger Hans Böckler für die Bildung einer deutschen Einheitsgewerkschaft ein, da durch die frühere unheilvolle Trennung nach verschiedenen Richtungen die Arbeitnehmer immer den kürzeren ziehen mußten. Ich wurde auf Vorschlag von Hans Böckler als sein Nachfolger zum Vorsitzenden des Landesbezirks Nordrhein-Westfalen des Deutschen Gewerkschaftsbundes gewählt. Vielleicht haben Sie in der Presse schon öfter gelesen, wie wir gemeinsam mit unseren Freunden aus den früheren christlichen und freien Gewerkschaften sowie mit den jungen Freunden, die nie diese Trennung gekannt haben, uns erfolgreich einsetzten für die Anliegen der Arbeitnehmerfamilien. Wir haben neben den mancherlei harten und schwierigen Aufgaben der tariflichen Ansprüche in Fragen von Lohn und Gehalt, Urlaub, Jugend-, Frauen- und Mutterschutz auch die Besserung der trostlosen Lebensbedingungen der Invaliden und Rentner niemals vergessen. Und wenn die Lebensmittelpreise durch die unsoziale Steuer- und Zollpolitik der Bundesregierung unverantwortlich in die Höhe kletterten und besonders die kinderreichen Familien und die alten Leute davon am schwersten betroffen wurden, haben wir uns immer wieder energisch dagegen gewehrt. Meine besondere Aufmerksamkeit galt den Fragen der wirtschaftlichen Neuordnung und mein Kampf jenen links- und rechtsradikalen Kreisen, die immer wieder versuchen, den von uns vertretenen sozialen Fortschritt zu stören. Es ist mir ein echtes Anliegen, die Interessen aller Arbeitnehmer in ehrlicher Achtung der religiösen Bekenntnisse zu vertreten. Man sollte nicht die heiligen Werte des Glaubens durch den leider oft mit unsauberer Reklame geführten Wahlkampf ziehen. Und schon gar nicht sollte eine Partei sich als christlich bezeichnen lassen, die außerdem auch noch von sich behauptet, daß nur sie allein die Religion und die Demokratie erhält. [] Ich bin der Ansicht, eine tätige Lebensführung in der Hilfe für alle Menschen in Not und Bedrängnis ist einfach sittliche Verpflichtung, [] zu der ich mich vorbehaltlos bekenne. [] So, liebe Wählerin und lieber Wähler, ich glaube, daß Sie jetzt einiges über mich wissen. Nach meiner Ansicht hat jeder Volksvertreter die Pflicht, sich vor seinen Wählern über seine Haltung im Parlament dauernd zu verantworten. Vor seiner Wahl muß er sich offen seinen Wählern stellen, um von ihnen zu erfahren, mit welchem Auftrag sie ihn in das Parlament wählen. Um eine Probe dieses Rechtes der Wähler zu machen: Ich würde mich freuen, wenn Sie einmal eine jener Versammlungen besuchen würden, in denen ich Ihnen mehr über mich und über das, was ich im Bundestag vertreten möchte, sagen will. Auf Ihre Fragen in den Versammlungen oder auf Ihre brieflichen Fragen werde ich Ihnen gern antworten. [] Ich wünsche Ihnen ein gesundes Leben in einer Zukunft des Friedens und der sozialen Gerechtigkeit! [] Ihr [] Werner Hansen
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