Liebe Mitbürger und Mitbürgerinnen!

Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals; Liebe Mitbürger und Mitbürgerinnen! [] Am 6. September wird ein neuer Bundestag gewählt. Er soll gerade auch der jüngeren Generation Gelegenheit geben, verantwortlich am Wiederaufbau Deutschlands und Europas mitzuarbeiten. Meine sozialdemokra...

Full description

Bibliographic Details
Main Authors: Erler, Fritz, AZ Mannheim
Institution:Archiv der sozialen Demokratie (AdsD)
Format: IMAGE
Language:German
Published: 06.09.1953
Subjects:
Online Access:http://hdl.handle.net/11088/DDE33655-2D83-4CA1-86AB-43862C66EB2B
Description
Summary:Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals; Liebe Mitbürger und Mitbürgerinnen! [] Am 6. September wird ein neuer Bundestag gewählt. Er soll gerade auch der jüngeren Generation Gelegenheit geben, verantwortlich am Wiederaufbau Deutschlands und Europas mitzuarbeiten. Meine sozialdemokratischen Freunde in den Kreisen Karlsruhe-Land und Pforzheim haben mich gebeten, in diesem Wahlkreis zu kandidieren, weil sie davon überzeugt sind, daß der Name des erst vierzigjährigen Bundestagsabgeordneten Fritz Erler durch seine parlamentarische Arbeit auch in unserem Wahlkreis einen gewissen Klang bekommen hat. [] Die Sorgen und Nöte gerade der kleinen Leute sind mir voll vertraut. Als vierter Sohn einer Arbeiter- und Handwerkerfamilie in Berlin geboren, verdanke ich der sozialdemokratischen Kulturpolitik Berlins den Besuch der höheren Schule. 1932 bestand ich das Abitur und 1935 die 2. Verwaltungsprüfung. Schon seit frühester Jugend gehörte ich zur sozialistischen Jugendbewegung. Nach 1933 führte ich illegal die Arbeit der sozialistischen Jugend und der SPD weiter. Den Verwaltungsdienst quittierte ich Anfang 1938 und ging in die Industrie. Die als kaufmännischer Leiter eines mittleren chemischen Unternehmens gesammelten Erfahrungen sind für meine jetzige Arbeit sehr wertvoll. Von Ende 1938 bis zum Zusammenbruch der Diktatur war ich wegen meiner illegalen Arbeit gegen ein Regime, dem wir unsere nationale Katastrophe zu verdanken haben, in Haft. Im Mai 1945 wurde ich Landrat in Biberach. Der französischen Besatzungsmacht war ich nicht willfährig genug und wurde deshalb 1946 vier Monate interniert. Dann folgten ein Jahr Arbeit in der Tübinger Staatskanzlei und die erneute Berufung zum Landrat in Tuttlingen. Inzwischen wurden Parlamente gewählt. Ich war Mitglied der Verfassunggebenden Landesversammlung und des ersten Landtages in Bebenhausen. Seit 1949 gehöre ich dem 1. Deutschen Bundestag an. [] Dort habe ich vom ersten bis zum letzten Tage im Haushaltsausschuß gewirkt, dem wirksamsten Instrument der parlamentarischen Kontrolle. Leider hat sich gezeigt, daß die Regierungsparteien in vielen Fällen diese Kontrollaufgabe nicht ernst genug nahmen, sondern sich der Regierung unterwarfen, statt ihr den Willen des Parlamentes aufzuzwingen. Als Fachmann kam ich in die Ausschüsse für Innere Verwaltung und für Geld und Kredit. Besondere Freude machte mir die Arbeit im Ausschuß für Wiederaufbau und Wohnungswesen. Die SPD hat im wesentlichen das Erste Wohnungsbaugesetz gestaltet. Auf vielen Rathäusern findet sich der zu diesem Gesetz erschienene Kommentar aus meiner Hand. Dieses wichtige Gesetz ist ein Beispiel dafür, daß wir nicht einfach nein zu den Vorstellungen der Bundesregierung sagen, sondern durch unsere positive Mitarbeit viele Gesetze mitgeformt und mit beschlossen haben. [] Mit dem Eintritt der Bundesrepublik in den Europarat wurde ich als sprach- und auslandskundiger Delegierter dorthin entsandt. Deshalb holte man mich auch in Bonn in den Auswärtigen Ausschuß und in den Ausschuß für Fragen der europäischen Sicherheit. Meine früheren Arbeiten auf dem Gebiet der Innenpolitik mußte ich daher in andere Hände legen, zumal auch die Untersuchungsausschüsse über die Ausgaben im Raume Bonn und über die Personalpolitik des Auswärtigen Amtes meine Zeit sehr beanspruchten. [] Sie werden sicher von meinen Auseinandersetzungen mit dem Bundeskanzler gerade wegen des Aufbaues eines zuverlässigen auswärtigen Dienstes und vor allem wegen des Vertrages über die Europaarmee gelesen oder gehört haben. Meine Einwände gegen den EVG-Vertrag und grundsätzliche Ausführungen zum Thema der Sicherheit Deutschlands vor der bolschewistischen Bedrohung und zur deutschen Wiedervereinigung, haben ihren Niederschlag in meiner in vielen tausend Exemplaren verbreiteten Broschüre "Soll Deutschland rüsten?" gefunden. Am Aktionsprogramm der SPD und an den Erläuterungen hierzu habe ich tatkräftig mitarbeiten können. Die Anerkennung meiner Arbeit durch meine politischen Freunde fand ihren Ausdruck in meiner Wahl zum Mitglied des Vorstandes unserer Bundestagsfraktion. [] So sieht also der Mann aus, der um Ihr Vertrauen wirbt. Er will mit seinen sozialdemokratischen Freunden darum kämpfen, dieser Bundesrepublik ein demokratisches Fundament zu geben, sie so sozial gerecht wie möglich zu machen und alles zu tun, um die deutsche Einheit in Freiheit friedlich zu verwirklichen. [] Fritz Erler [] Das Ergebnis der Bundestagswahl von 1949 war eine Regierung, die innenpolitisch gegen die SPD und außenpolitisch ohne die SPD regierte [] Die Folge war eine zunehmende Verschärfung der Gegensätze im Innern, außenpolitisch aber eine bedenkliche Aufspaltung deutscher Politik. [] Einige Tatsachen zur Innenpolitik: [] Die Umsatzsteuer wurde von 2% auf 4% erhöht. [] Die Folge: eine enorme Belastung des Haushaltungsgelds der breiten Verbraucherschichten. Eine gerechte Steuerpolitik schont die wirtschaftlich Schwachen und zieht die wirtschaftlich Starken mehr heran. Die Bundesregierung aber machte das Gegenteil, sie erhöhte die Verbrauchssteuern und ermäßigte die direkten Steuern. Wie die Einnahmen des Bundes gedeckt wurden, zeigt folgende Tabelle: [] 1949 zu 48 % aus Eink.-Steuern = direkte Steuern, zu 52 % aus allgem. Verbrauchssteuern [] 1951 zu 39 % aus Eink.-Steuern = direkte Steuern, zu 61 % aus allgem. Verbrauchssteuern [] Die kleinen Sparer wurden bei der Währungsreform enteignet, das Aktienkapital dagegen wurde geschont. Folgende Übersicht zeigt das klar: [] Spareinlagen des Volkes [] 1 Tag vor der Währungsreform 71 Milliarden [] 1 Tag nach der Währungsreform 3,6 Milliarden [] Aktienbesitz [] 1 Tag vor der Währungsreform 21 Milliarden [] 1 Tag nach der Währungsreform 17 Milliarden [] Trotz der Propaganda um das sogenannte deutsche Wirtschaftswunder hinken die Löhne hinter den Kapitalgewinnen drein. Wahrend die industrielle Lohnquote von 1936 auf 1951 um mehr als 100% fiel, stieg die Bruttogewinnquote im selben Zeitraum um mehr als 10% an. [] Eine vierköpfige Arbeiterfamilie muß 44%, eine zwei/dreiköpfige Rentnerfamilie sogar 50,5% ihres Einkommens allein für Lebensmittel ausgeben. Steigende Preise und Verbrauchssteuern machten jede kleine Erhöhung des Lohnes wett. Die Rentenempfänger werden durchweg mit viel zu niederen Renten abgespeist. [] 931000 Angest.-Vers.-Rentner erhalten durchschn. 70.70 DM [] 3,2 Millionen Sozialrentner erhalten durchschn. 58.50 DM [] 1,8 Millionen Fürsorgeempfänger erhalten ganze 38.- DM [] Insgesamt sind es etwa sechs Millionen Menschen, die mit ihren Angehörigen von Bezügen leben müssen, die unter dem Existenzminimum liegen. Auf der anderen Seite ermöglichte es die Steuerpolitik der Bundesregierung, daß über 10000 Personen nach Abzug ihrer Steuern [] über ein Einkommen von mehr als 65000 DM [] verfügen können, und dies nach einer Währungsreform, nach der alle mit 40.- DM in der Hand dastanden. Im sozialdemokratisch regierten Schweden geht es gerechter zu.- Dort ehrt man das Alter durch eine Volkspension von 4886.- Kronen = 3909.- DM im Jahr. Wahrend bei uns an den notwendigsten Sozialausgaben gespart wird, behauptet Bundesfinanzminister Dr. Schäffer, ohne neue Steuern [] 10 Milliarden für die neue Aufrüstung [] aufbringen zu können. Gegen denselben Minister erzwang die SPD auch die Senkung der Kaffee- und Teesteuer. Immer mußte es zu Kampfabstimmungen im Bundestag kommen, bevor sich die Regierungsparteien zu kleinen Verbesserungen bereit fanden. Meist aber wurden die Vorschlage der SPD stur niedergestimmt. [] Es ist derselbe Pharisäer-Geist, [] der auch in der Außenpolitik den Gegensatz zwischen Regierung und Opposition immer schärfer hervortreten ließ. Von Anfang an betrieb die Regierungskoalition unter dauernder Ausschaltung der SPD ihre sogenannte [] Politik der Stärke. [] Man behauptet, nur dadurch könne man Rußland zum Entgegenkommen zwingen. Diese Auffassung wurde durch die jüngsten Ereignisse glatt widerlegt. Durch diese Politik kam immer wieder [] neues Elend über die Menschheit [] und die Gefahr, daß es auch diesmal so sein wird, ist viel größer, als man wahrhaben will. [] Wir warnen das Volk vor Adenauers Rüstungspolitik! [] Jede Regierung, die sich einbildet, sich nur auf Divisionen verlassen zu brauchen, hat diese Auffassung mit dem Blut ihres Volkes bezahlen müssen. [] Wollt Ihr wieder Kanonen statt Butter? [] Wer mit seinem Stimmzettel die Fortsetzung dieser CDU-Politik ermöglicht, lädt eine ungeheure Verantwortung auf sich. [] Noch ein Wort zum sogenannten "Nein-Sagen der SPD": Wir nehmen diesen Vorwurf deshalb ernst, weil er für viele Wähler etwas Bestechendes haben mag. Die Außenpolitik der Bundesregierung war keine Politik aus deutschem Willen, sondern war der Wunsch der westlichen Alliierten. Unsere Hinweise auf die Verfassungswidrigkeit dieser Politik wurden in den Wind geschlagen. Die von uns beantragte [] Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts wurde hintertrieben. [] Da diese Entscheidung immer noch aussteht, kann die SPD aus politischen und verfassungsrechtlichen Gründen dieser Politik weder ganz noch teilweise folgen. Unser Nein ist die logische Folge des Verhaltens des Bundeskanzlers und seiner Regierung, die ausländische Presse und Staatsmänner besser unterrichtete als die eigenen Landsleute. [] Dr. Kurt Schumacher sagte einmal: "Wenn einer seine Jacke beim ersten Knopf falsch zumacht, dann ist nachher der ganze Anzug nicht in Ordnung." So ist es auch mit der Außenpolitik Adenauers. [] Liebe Wählerinnen und Wähler! Sie werden in diesen Tagen viel Propagandamaterial erhalten. Für die CDU wird es von der Industrie bezahlt, denn diese Kreise haben ein lebhaftes Interesse an der Fortsetzung dieser Politik. [] Wir können Sie nur noch einmal auf die Ergebnisse der letzten vier Jahre verweisen und Sie aufrufen, daraus auch politische Schlußfolgerungen zu ziehen. Es liegt in Ihrer Hand, diesen Kurs zu ändern. Die SPD und ihre Kandidaten versprechen keine Wirtschaftswunder für die oberen Zehntausend, sondern arbeiten unermüdlich für das große Ziel: Soziale Sicherheit für alle, für Frieden in Freiheit. [] Wählen Sie den Kandidaten und die Liste der SPD [] AZ, Mannheim
Published:06.09.1953