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Zwangsarbeit in Sowjetrußland [] I. [] Objektive Erforschung der Wahrheit ist nie eine leichte Aufgabe. Sie wird um so schwerer, wenn das Gefühl vor dem Ergebnis einer Untersuchung zurückscheut. Das ist wohl der Hauptgrund, daß viele Sozialisten, die mit dem Rüstzeug der marxistischen Methode scharf kritisch an die Tätigkeit der ihnen nahestehenden britischen Arbeiterregierung herangehen - (was gut und richtig ist) oder schonungslos alle Sünden des amerikanischen "way of life" aufdecken, daß diese gleichen Menschen sich weigern, denselben Maßstab an die Sowjetunion anzulegen. Verzweifelt halten sie trotz allen faktischen Widerlegungen an dem Glauben fest, in der Sowjetunion von heute die legitime Erbin und Nachfolgerin der Oktoberrevolution von 1917 zu sehen, der Oktoberrevolution, die einer der großen Taten, ein Markstein und ein vergängliches Fanal in der Geschichte der Menschheit ist und bleiben wird, ein Ereignis, an dem jeder revolutionäre Sozialist mit allen Fasern seines Herzens hängt. Aber die Gleichsetzung eines totalitären Diktaturstaates mit dem Bastillesturm des Oktobers bedeutet in Wahrheit die Verleugnung der Revolution von 1917, deren Sturmlauf getragen und beflügelt war von der humanen Tradition, vom Ideal der Menschenrechte, den Ideen der Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit. Es ist bitter, die langgehegte Hoffnung aufgeben zu müssen, daß die Diktatur in der Zeit der Interventionskriege, die Wandlungen des Kriegskommunismus usw. nur vorübergehende, widerwillig ergriffene Notmaßnahmen gewesen [] wären, Umwege, von denen bald wieder auf den Weg der Freiheit zurückgelenkt würde. Doch gibt es einen Prüfstein, an dem alle Illusion, wenn sie nicht willentliche Selbsttäuschung ist, zerschellen muß: die Tatsache der Zwangsarbeit in der Sowjetunion als einer entscheidenden Grundlage des sowjetischen Wirtschafts- und Herrschaftssystems. [] Es sind über diese Frage schon manche Bücher geschrieben und viele Aussagen gemacht worden, aber obwohl die Tatsache, die nicht geleugnet werden konnte, an sich zweifellos gegen das Sowjetregime sprach, war das Ganze doch dicht genug mit dem Schleier des wohlbehüteten Geheimnisses umgeben, um die Vergünstigung des Zweifels der Sowjetunion zuteil werden zu lassen. Nun aber liegt eine neue eingehende Untersuchung vor, welcher die linkssozialistische "Tribune" (23. Januar 1948) nachrühmt, daß sie zu den "wenigen wirklich verläßlichen und tiefdringenden soziologischen Studienüber das neue Rußland" gehört und daß sie getragen ist von jener nüchternen Objektivität, welche die besten Werke der marxistischen Literatur auszeichnet". Das ausführliche Referat der "Tribune" über das Werk wird bestätigt und ergänzt durch ein noch eingehenderes in "The American Mercury" (Novemberheft 1947), so daß es möglich ist, aus diesen Angaben die wesentlichen Züge der Zwangsarbeit in der Sowjetunion herauszuarbeiten. Was die Quellen angeht, auf welche die Verfasser Dallin und Nikolaewsky sich stützen, bemerkt die "Tribune": [] "Sie beziehen sich ausgiebig auf die jüngsten Erfahrungen, welche die polnischen und anderen Gefangenen und Deportierten während der Kriegszeit gemacht haben ... Sie haben nicht nur die Masse der schriftlichen Zeugenaussagen studiert, welche nach der Freilassung der Million deportierter Polen und anderer im Jahre 1941/42 (so nach dem Ueberfall des Hitlerreichs auf Rußland) ans Licht gekommen sind, sondern ebenso die gesamten, Akten (records) des Sowjetregimes, die sich auf das Gebiet der Gefängnisreform und der Arbeitsdisziplin beziehen." [] II. [] An dem Wandel, den die Behandlung der Sträflinge bis zum heutigen Zustand der Zwangsarbeit erfahren hat, kann man wie in einer Widerspiegelung die Wandlungen der sowjetischen Praxis und Ideologie ablesen. [] "Erziehungsinstitute sind an die Stelle von Gefängnissen zu setzen", so beginnt ein Dekret des Volkskommissariats der Justiz vom Jahre 1918. Die Worte "Schuld, Strafe, Rache" sollten aus dem offiziellen Vokabular gestrichen werden. Die Ausdrücke "Gefängnis" und "Verbannung" wurden "ein für allemal abgeschafft". Der Verbrecher, wie er in den bürgerlich-kapitalistischen Staaten genannt wurde, sollte als Opfer der sozialen Umstände, als hilfsbedürftiger Kranker behandelt werden, damit er geheilt und wieder als nützliches Glied in die Gesellschaft eingereiht würde. Um die Rechte und "menschliche Würde" dieser Unglücklichen zu sichern; die zeitweilig an "Orte sozialer Haft- und Rehabilitierung" verbracht werden mußten, wurden ihnen weitgehende Rechte - Rauchen, Lesen, Briefeschreiben und Briefempfang, Besuche ohne Aufsicht usw. - garantiert. [] "Die bürgerliche Strafpolitik", so heißt es in der neuen Vollzugsordnung, "geht auf moralische und physische Verkrüppelung, und physische Vernichtung aus, wobei sie sich der Mittel organisierter Tortur und Verletzung der menschlichen Würde der Gefangenen bedient ... Die Ausbeutung der Gefangenenarbeit (Produktion für den Profit des Staates statt zum Nutzen des Gefangenen), das System, das ihnen goldenen Schweiß auspreßt, die Art der Produktion in den Gefängnissen, die zwar vom kommerziellen Gesichtspunkt aus profitabel ist, aber grundsätzlich den Sinn der Besserung vermissen läßt, ist in sowjetischen Haftstätten absolut unzulässig." [] Niemand wird die edle Gesinnung leugnen können, die aus diesem Dokument - einem document humain! - spricht, um so weniger als es erlassen wurde, während das neue Rußland sich in schweren revolutionären Geburtswehen befand. Strahlend trat diese Gesinnung noch hervor in jenem erschütternden und beglückenden Filmwerk über die "Besprisorni", im "Weg ins Leben", das der Sowjetunion zahllose Freunde in aller Welt geworben hat. Selbst die gefürchtete Tscheka oder GPU, die Geheimpolizei, war damals lediglich als eine vorübergehende Noteinrichtung gedacht, wie schon ihr Name "Außerordentliche Kommission zur Bekämpfung der aktiven Konterrevolution" besagt. Sie sollte verschwinden, sobald die gegenrevolutionären Armeen geschlagen und vom Boden der Sowjetunion vertrieben wären. [] III. [] Nicht mit einem Schlag kam die Verfälschung dieses edlen Reformgedankens, bis sie schließlich in einem "Sklavensystem" gipfelte, das, wie die "Tribune" schreibt, "bei weitem die armseligen Leistungen der alten Assyrer und Aegypter übertrifft", zu einem Ausbeutungssystem der Gefangenen, das ihnen "goldenen Schweiß" in einem bisher unerhörtem Maße erpreßt. [] Denn selbst unter dem Zarismus hatte die Verschickung in die "Katorga", die schwere Zwangsarbeit der Verbannung - Dostojewskijs "Memoiren aus einem Totenhaus"! - nicht entfernt einen solchen Umfang angenommen. Sie sollte im Gegenteil um die Jahrhundertwende ganz abgeschafft werden, erfuhr jedoch nach der Revolution von 1905 wieder eine Verschärfung. Nach dem sicherlich "fachmännischen" Zeugnis von Andrej Wischinsky war die Zahl der Katorga-Insassen am 1. Januar 1906 auf 6000 und 1914 auf beinahe 30000 angestiegen. "Wie enorm, wie monströs muteten damals diese Zahlen an; wie bescheiden, wie idyllisch gering scheinen sie heute", bemerkt "The American Mercury" dazu. [] Denn heute wird nicht mit Zehntausenden, auch nicht mit Hunderttausenden, sondern mit Millionen und aber Millionen "gerechnet"! Viele, die sich "Freunde der Sowjetunion" nennen, es aber viel weniger sind als jene Sozialisten, die nur eine und nicht eine doppelte Moral anerkennen, entschuldigen diesen furchtbaren Niedergang mit unausweichlichen politischen und wirtschaftlichen Notwendigkeiten. Aber diese "Notwendigkeiten" ergaben sich aus den ersten Schritten auf einem falschen Weg, sie ergeben sich aus der immer weitergreifenden Einschränkung der Demokratie, wie das Rosa Luxemburg, gewiß eine radikale, revolutionäre Sozialistin, in ihrer 1918 in einem deutschen Gefängnis geschriebenen Denkschrift über "Die Russische Revolution" in unerbittlicher Logik erschütternd klar vorausgesehen hat. [] Nachdem einmal der Staat - in diametralem Gegensatz zur Lehre von Marx - als identisch mit der Gesellschaft erklärt worden war und nicht staatlichen Organisationen jegliche Autonomie verweigert wurde, gab es nur noch Entscheidungen von oben, trat an die Stelle freudiger Mitwirkung von unten der Zwang, die Polizeigewalt, die sich immer größerer Gebiete des Gesellschaftslebens bemächtigte und allmächtig wurde; es kam die Zwangskollektivierung der Bauern und mit ihr die riesige Masse der "liquidierten Kulaken". [] IV. [] Ein immer größerer Teil des russischen Industrialisierungsprogramms wurde seit 1929 abhängig von der Zwangsarbeit. Mindestens in dem Sinne verhielt sich die Regierung "marxistisch", daß sie mit der ökonomischen Grundlage nun auch ihre Ideologieänderte. Nichts mehr von unglücklichen Opfern der Gesellschaft oder von Kranken, die man heilen muß! "Gefängnis ist Gefängnis", schreiben nun die sowjetischen Offiziellen. [] "Warum so zimperlich? Maßnahmen gesellschaftlichen Schutzes ist ein lächerlicher Ausdruck. Wir müssen diesen süßlichen Liberalismus, diese mitleidige Haltung gegenüber dem Verbrecher überwinden ... Der Fünfjahresplan stellt uns vor Aufgaben, die ein großes Aufgebot ungelernter Arbeiter erfordern. Das ist der Punkt, wo die Gefängnisse solchen Wirtschaftsunternehmungen Beistand leisten können, die an Arbeitermangel leiden ... Die Arbeit derer, denen die Freiheit entzogen wurde, ist in die Planwirtschaft des Landes und in den Fünfjahresplan einzuschalten ... Eine Reihe von Wirtschaftsprojekten ist ... durch ausgedehnten Arbeitseinsatz verurteilter Personen unter bedeutender Einsparung von Ausgaben zu Verwirklichen ..." [] "Billige Arbeit" zu bekommen - das ist das Motiv zu dieser neuen Ideologie und Praxis, wie das schon 1935 der damalige Präsident des Internationalen Gewerkschaftsbundes, Sir Walter Citrine, einem GPU-Mann gegenüber hervorhob. [] Billige Arbeit war der eine Faktor, bedingt durch den doppelten wirtschaftlichen Druck, der gleichzeitig ausging von der Zwangskollektivierung der Bauern, (Hungersnot!) und der Errichtung einer gewaltigen Schwerindustrie. Dazu kam ein weiteres Moment: der Mangel an maschineller Ausrüstung, dem anders als etwa beim industriellen Aufbau der Vereinigten Staaten - auf dem "normalen" Weg ausländischer Anleihen nicht abgeholfen werden konnte. Diese Lücke wurde durch die Zwangsarbeit gestopft. Hierüber äußert sich Leonard E. Hubard, ein englischer Wirtschaftswissenschaftler, der die Wirtschaftsprobleme der Sowjetunion eingehend an Ort und Stelle jahrelang verfolgt und studiert hat und an die Frage der Zwangsarbeit mit großer Vorsicht und Zurückhaltung herangeht. Den Kostenunterschied zwischen Zwangsarbeit und freier Arbeit in der Sowjetunion nicht besonders hoch einschätzend, schreibt er: [] "Was jedoch viel mehr zählte als die Kosten für Nahrung und Kleidung, war die maschinelle Ausrüstung zu einer Zeit, da alle Arten von Kapitalgütern knapp waren und jeder Industriezweig nach Ausrüstung und Maschinen schrie. Die Sträflinge mußten also Ausschachtungsarbeiten usw. mit einem Minimum von arbeitsparenden Maschinen bewältigen. Es kam nicht so sehr darauf an, wie lang sie dazu, brauchten, denn ihre Versorgung mit Nahrung war nur ein Transportproblem, und man grämte sich nicht weiter, wenn ein großer Teil von ihnen an Entbehrung und Krankheit zugrunde ging. Die Verwendung von Sträflingsarbeit in den 1930er Jahren hat gewisse Aehnlichkeiten mit der Verwendung von Leibeigenen und Sträflingen durch Peter I., als er Kanäle und Straßen baute und Sümpfe entwässerte. In beiden Fällen war es schwierig, freie Arbeiter zu bekommen, entweder, weil sie an Ort und Stelle nicht verfügbar waren oder weil die erforderlichen Versorgungs- und Ausrüstungsmittel knapp waren. Zur Zeit Peters I. waren Kraftmaschinen noch nicht erfunden; in den ersten Jahren nach 1930 waren sie nicht verfügbar, weil die Sowjetunion noch nicht imstande war, sie herzustellen oder mit der Produktion anderer Dinge voll beschäftigt war, und die Sowjetregierung es sich nicht leisten konnte, sie von außerhalb zu importieren." [] V. [] "Man grämte sich nicht weiter, wenn ein großer Teil von ihnen an Entbehrung und Krankheit zugrunde ging" - diese nüchterne, gerade deshalb ans Herz greifende Feststellung gibt die Antwort auf die Frage, warum die Sklavenarbeit, die wie die Geschichte lehrt, die am wenigsten ergiebige Art der Produktion ist, sich im Sowjetsystem doch "bezahlt" machte. Während der Sklave im Privateigentum einen Vermögenswert darstellte, den am Leben zu erhalten im Interesse des Besitzers lag, kam es bei Staatssklaven, die kostenlos rekrutiert werden konnten, nicht darauf an, wie rasch sie sich zu Tode arbeiteten. Als Antrieb diente die Festsetzung einer "Norm", eine Minimalleistung, die der Sträflingsarbeiter erreichen mußte, um nicht zu verhungern. Diese "Norm" wurde von der Lagerleitung festgesetzt, entsprechend den Bedingungen und Vorschriften der Wirtschaftspläne und ohne Rücksicht auf die Leistungsfähigkeit der Gefangenen. Der Lebensstandard in den Konzentrationslagern wurde systematisch unter das Niveau herabgedrückt, das nach dem Wort von Karl Marx zur "Reproduzierung der Arbeitskraft" notwendig ist. Die Folge war und ist selbstverständlich eine außerordentlich hohe Rate der Sterblichkeit, der Vergeudung von Menschenleben. Es sind dies "Kosten", die nach Auffassung der Sowjetmachthaber nun einmal bezahlt werden müssen; sadistische Mordabsichten liegen ihnen, wie betont werden muß - im Gegensatz zum Nazisystem - fern. Zu diesem Punkt schreibt die "Tribune": [] "Die Nazi ahmten dieses System dann nach aber charakteristischerweise pervertierten sie es, indem sie die Lager in Todesfabriken umwandelten. Das scheint in der Sowjetunion eher die Ausnahme als die Regel zu sein. Der Hauptzweck ist unzweifelhaft Arbeit für den Staat - in erster Linie Holzfällerei, Kanal- und Straßenbau sowie primitive landwirtschaftliche Arbeiten - zum billigsten nur möglichen Preis geliefert zu kriegen. Die furchtbare Sterblichkeitsrate ergibt sich vielmehr aus den klimatischen Bedingungen, dem Nahrungsmangel und der übermäßig hohen Zahl der Arbeitsstunden, als daß sie durch irgendwelche politischen Motive bedingt wäre ..." [] Im Gegensatz zu den Todeslagern der Nazi, in denen sadistische Grausamkeit Orgien feierte, ist das sowjetische System der Zwangsarbeit, wie es an anderer Stelle heißt, ein "Geschäftsunternehmen - ein Großgeschäftsunternehmen" (a matter of business - big business). [] Die GPU (oder NKWD) ist heute der größte "Arbeitgeber" der Welt. Ueber die genaue Zahl der Zwangsarbeiter sind zuverlässige Angaben nicht erhältlich. Die Sowjetunion ist der einzige Großstaat in der Welt, der keine Strafstatistik veröffentlicht. (Bezeichnenderweise wurde sie 1931 eingestellt.) Nach den vorsichtigen Schätzungen von Dallin und Nikolaewski schwankt die Zahl der Sträflingsarbeiter zwischen 7 und 15 Millionen. Einer erschütternde Ziffer! Ist sie doch höher als die Gesamtzahl der Industriearbeiter unter dem Zarismus, höher als die Hälfte der "freien" männlichen Arbeiter in der heutigen Industrie! [] VI. [] Der laufenden Versorgung mit den benötigten Zwangsarbeitskräften dient ein rigoroses Strafsystem. Verspätung oder "Schwänzen", Vergehen gegen die Arbeitsdisziplin, ungenügende Leistung oder gar "Sabotage" - ein sehr willkürlich angewandter, dehnbarer Begriff - all das gehört zu den "Verbrechen gegen den Staat" und wird mit Straf- und Zwangsarbeit geahndet (im Durchschnitt 10 Jahre). Keineswegs wird nur die Industriearbeiterschaft davon betroffen. Dies Damoklesschwert hängt über jeder Gruppe und jeder Person der Sowjetgesellschaft. Nach den von den erwähnten Autoren zitierten Zeugnissen der ehemaligen Deportierten sind ihnen während ihres Zwangsaufenthalts in den Konzentrationslagern nicht wenige wohlbekannte kommunistische Führer begegnet, die wegen abweichender oppositioneller Ansichten verurteilt worden waren, zahlreiche hohe Sowjetbeamte, die dieses oder jenes industriellen Verbrechens schuldig gesprochen waren, Intellektuelle, die von der großen "Säuberung" der Jahre 1936-1938 erfaßt worden waren, eine Menge von kleineren Beamten und Angestellten, die wegen Durchstechereien oder aus anderen Gründen bestraft worden waren. Darüber hinaus natürlich die ungezählt Masse der Arbeiter und Bauern, der deportierten Ausländer wie Polen und Balten oder die rebellische oder auch nur der Rebellion verdächtige Bevölkerung ganzer Sowjetrepubliken wie die Wolga-Deutschen, die 1941 nach Sibirien deportiert wurden, und - nach 1946, also nach dem Krieg - diejenige kleinerer [] Krim-Republiken. [] Darüber hinaus erfüllt die "graue Masse" der Sträflingsarbeiter - ob es beabsichtigt ist oder nicht - jene Funktion, die in der bürgerlich-kapitalistischen Welt nach Karl Marx der "industriellen Reservearmee" der Arbeitslosen zufällt, deren Nichtexistenz in der Sowjetunion (an sich mit Recht) als Ergebnis und Erfolg der Planwirtschaft rühmend hervorgehoben wird. Das Vorhandensein der Konzentrationslager, die immer drohende Gefahr, dem Heer der Zwangsarbeiter einverleibt zu werden, ist Druck genug, um die "freien" Arbeiter sich abfinden zu lassen mit niedrigen Löhnen, Antreiberei (Stachanowsystem), rigorose Aufhebung der Freizügigkeit, Inlandspaß usw. Da die Gewerkschaften in der Sowjetunion zu einem Teil des Staatsapparates umgeformt sind, haben sie keine Gelegenheit, die Schutzfunktion zugunsten der Arbeiterschaft auszuüben, die ihnen als Kampforganisation innerhalb der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft immerhin möglich ist. [] In diesem Zusammenhang gehört schließlich auch noch die politische Rolle, welche die Zwangsarbeit im Gefüge und gesellschaftlichen Aufbau der Sowjetunion spielt, eine Rolle, die, wie die "Tribune" bemerkt, "Sozialisten nur unter Gefährdung ihrer eigenen Sache unbeachtet lassen". Wörtlich führt die Zeitschrift dann weiter aus: [] "Wenn die Arbeiter, so hat Lenin einmal hervorgehoben, nicht politische Freiheit erlangten, hätten ihre wirtschaftlichen Gewinne nicht den geringsten Wert. Er hatte das in der Zeit des Zarismus geschrieben. Was sich dann später ereignete, hat die Richtigkeit seiner Auffassung bewiesen. Die totale Vernichtung der politischen Freiheit und der unabhängigen Gewerkschaftsbewegung, die bald nach 1917 eintrat und durch nichts außer durch gute Absichten aufgewogen wurde, die sich schließlich in schlechte verkehrten, beraubte die russischen Arbeiter ihres einzigen Schutzschildes gegen Ausbeutung und - letzten Endes - Erniedrigung (degradation). Die dauernde Existenz einer Helotenklasse ist so zu einer Garantie gegen von unten kommende demokratische Regungen geworden, welche der neuen herrschenden Schicht gefährlich werden könnten." [] Aussprechen, was ist - die Maxime Ferdinand Lassalles - gehört zu den unabdingbaren Pflichten des Sozialisten. Ausgesprochen werden muß, daß das heute in Rußland herrschende System trotz Beseitigung des Privatkapitalismus und privaten Grundbesitzes mit Sozialismus nichts mehr zu tun hat und, wie die Entwicklung gezeigt, immer weiter von ihm abführt. Beschimpfungen, Verdächtigungen, Verleumdungen, wie die dumme, daß jede Kritik am sowjetrussischen System einer Beteiligung an einem "antirussischen Kreuzzug" gleichkomme, ja selbst das peinliche Risiko, daß solche Kritik von den Feinden des Sozialismus mißbraucht werden kann - all das muß man im Interesse der Klarheit und Wahrheit auf sich zu nehmen den Mut haben. [] "Es ist die historische Aufgabe des Proletariats", so schrieb Rosa Luxemburg im Jahre 1918, "wenn es zur Macht gelangt, an Stelle der bürgerlichen Demokratie sozialistische Demokratie zu schaffen, nicht jegliche Demokratie abzuschaffen." Und später: "Sozialistische Demokratie beginnt zugleich mit dem Abbau der Klassenherrschaft und dem Aufbau des Sozialismus." [] Das ist unser, der sozialistische Weg, wie ihn bisher, nicht ohne Erfolg, die britische Arbeiterregierung gegangen ist. Indem wir so den Menschheitsideen der Oktoberrevolution treu bleiben, werden wir ihre besten Verteidiger sein und am ehesten dem russischen Volke helfen, sich aus den Verstrickungen eines Irrweges zu lösen. [] R. K. [] Herausgeber: Vorstand der SPD. Druck: Hannoversche Presse, Druck- und Verlagsgesellschaft m. b. H., Hannover.
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