Gewerkschafts-Zeitung . Der "flüchtende" Bergarbeiter

Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals; So ist zu lesen in der: [] Gewerkschafts-Zeitung [] Beilage für die Jugend [] Dritter Jahrgg. [] Organ der Bayerischen Gewerkschaften [] November 1948 [] München [] Nummer 11/12 [] Der "flüchtende"' Bergarbeiter [] In allen Ver...

Full description

Bibliographic Details
Main Authors: Gewerkschafts-Zeitung, Organ der Bayerischen Gewerkschaften, Hannoversche Presse, Druck- und Verlagsgesellschaft m.b.H., Hannover
Institution:Archiv der sozialen Demokratie (AdsD)
Format: IMAGE
Language:German
Published: 1948
Subjects:
Online Access:http://hdl.handle.net/11088/2537525D-6BE3-472D-8E3D-58B42420A01D
Description
Summary:Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals; So ist zu lesen in der: [] Gewerkschafts-Zeitung [] Beilage für die Jugend [] Dritter Jahrgg. [] Organ der Bayerischen Gewerkschaften [] November 1948 [] München [] Nummer 11/12 [] Der "flüchtende"' Bergarbeiter [] In allen Verfassungen der deutschen Länder ist unter den Grundrechten auch die freie Wahl des Arbeitsplatzes und des Aufenthaltsortes garantiert. Diese Freizügigkeit der Arbeitnehmer gilt von jeher als eine der Grundforderungen der Gewerkschaften, auf deren Einhaltung die Gewerkschaften eifrig bedacht sind. Alle durch die Not der Zeit bedingten Ausnahmen werden überwacht, damit sie sich nicht zum Nachteil der Arbeitnehmer auswirken. Sie könnten sonst leicht zur Zwangsarbeit führen. In den Westzonen haben wir einige Ausnahmebestimmungen, die in der Hauptsache durch die Wohnungsnot in den verwüsteten Städten bedingt sind. Die freie Wahl des Arbeitsplatzes schränkt aber auch der Kontrollratsbefehl Nr. 3 vom 13. Mai 1946 ein, dessen Ziffer 18 die Arbeitsämter ermächtigt, wenn notwendig, Personen durch Zwangsanordnungen auf Arbeitsplätze einzuweisen, und die Ziffer 19 stellt unter Strafe den Arbeitsplatzwechsel ohne Erlaubnis des Arbeitsamtes und die Nichtbefolgung von Arbeitszwangsanordnungen. Diese Strafe kann bis zu 1000 DM und Gefängnis bis zu 3 Monaten gehen. [] Von der Erlaubnis ist von den Arbeitsämtern der Westzonen nur selten (gegen Schwarzhändler) Gebrauch gemacht worden. Anders in der Ostzone. Dort hat man auch viele Personen aus bestehenden Arbeitsverhältnissen herausgeholt, um sie für die Arbeit in den Radium-Bergwerken zwangszuverpflichten. Groß ist natürlich die Zahl der zwangsverpflichteten Arbeiter aus den Bergwerken, die sich diesem Zwang entziehen. Auch deshalb, weil die Arbeitsbedingungen keineswegs gut sind. Das wird zwar vielfach von der Ostzone bestritten oder bagatellisiert, aber ein Dokument, das uns vorliegt, spricht dagegen. [] Die zentrale Bergwerksverwaltung in Aue (Sachsen) hat sich veranlaßt gesehen, besondere "Richtlinien" über Fahndung nach "flüchtigen Bergarbeitern" an alle Polizeidienststellen der Ostzone herauszugehen. Diese Richtlinien sind ein einzigartiges Dokument. [] "Wenn Arbeitseingewiesene (Bergarbeiter), welche von den Arbeitsämtern auf Grund des Kontrollratsbefehls Nr. 3 zur Arbeitsleistung verpflichtet wurden, nicht an ihrer Arbeitsstelle erscheinen oder nach Krankheit oder Urlaub nicht an ihren Arbeitsplatz zurückkehren, also der Verdacht besteht, daß sie flüchtig sind, so sind von der Bergwerkspolizei genaue Ermittlungen anzustellen, ob es sich tatsächlich um ein böswilliges Fernbleiben oder Entfernen vom Arbeitsplatz handelt." [] An sich ist es schon schlimm genug, wenn Arbeitnehmer, die von ihrer Arbeit fernbleiben, sofort von der Bergwerkspolizei daraufhin "geprüft" werden, ob das Fernbleiben von der Arbeit berechtigt ist. Doch bringt Ziffer II eine Ergänzung, die deswegen besonders heimtückisch ist, weil infolge der Not an Kleidung und Schuhwerk wohl jeder Bergarbeiter, der seinen Arbeitsplatz verläßt, einfach aus Mangel an anderer Kleidung zur Mitnahme irgendeines Bekleidungsstückes gezwungen ist: [] "Weiter ist festzustellen, ob außer dem Vergehen nach Kontrollratsbefehl Nr. 3 eine kriminelle strafbare Handlung (Unterschlagung) infolge Mitnahme von verwaltungseigener Arbeitskleidung oder ähnlichem vorliegt." [] Durch eine solche Untersuchung wird der flüchtende Bergarbeiter zum Verbrecher gestempelt. Die Folgen sind dementsprechend. Während der freiwillige Bergarbeiter zwar auch von den Polizeiorganen gesucht wird, aber dann "lediglich ein Antrag wegen Arbeitsvertragsbruchs bei dem zuständigen Arbeitsgericht möglich" (Absatz III der Richtlinien) ist, und gegen die Zwangsverpflichteten ein Verfahren wegen Vergehens nach Kontrollratsbefehl Nr. 3 angestrengt wird, heißt es unter IV: [] 1. Wird von der Bergwerkspolizei festgestellt, daß ein Bergarbeiter flüchtig ist, daß außer dem Vergehen nach Kontrollratsbefehl Nr. 3 eine kriminelle strafbare Handlung (Unterschlagung, Diebstahl u. d.) vorliegt, so erfolgt eine Meldung an das KA Zwickau. [] 2. Die flüchtigen kriminellen Bergarbeiter werden listenmäßig unter Angabe des kriminellen Delikts erfaßt und aufgeschlüsselt nach ihren letzten Wohnorten an die KA Zwickau, Kommissariat K 7b zur polizeilichen Ermittlung durchgegeben. [] 3. Das Kriminalamt Zwickau meldet nunmehr diese Namen unter Angabe der strafbaren Handlung an das LKA des entsprechenden Landes, in dem die flüchtigen Bergarbeiter ihren letzten Wohnsitz hatten, zur Weitergabe an die für den Wohnort des Beschuldigten zuständige Polizeidienststelle. [] 4. Diese hat nunmehr Ermittlungen über den Verbleib des Beschuldigten anzustellen. Beim Antreffen des Gesuchten ist derselbe vorläufig festzunehmen und unverzüglich nach vorheriger fernschriftlicher Meldung an das KA Zwickau dem Bewährungshaftlager Zwickau zuzuführen. Unrechtmäßig mitgenommene Gegenstände sind sicherzustellen. Bei Zuführung werden die Gefangenenkurswagen der Reichsbahn in Anspruch genommen." [] Bewährungshaftlager? Das kennen wir doch, so hießen doch die KZ-Lager offiziell. Also Flucht aus dem Bergwerk unter Mitnahme eines Paars Bergwerksschuhe oder einer Arbeitshose bringt ins Konzentrationslager. [] Die "nicht ergriffenen flüchtigen Bergarbeiter" werden wie Schwerverbrecher gesucht Es wird gegen sie eine "Strafanzeige erstattet, aus welcher die strafbare Handlung (z. B. Vergehen nach Kontrollratsbefehl Nr. 3, Unterschlagung und Diebstahl)" hervorgeht und eine Dauerfahndung eingeleitet, also ein Steckbrief erlassen. Jeder flüchtige Bergarbeiter ist damit als steckbrieflich verfolgter Dieb gestempelt. Diese Richtlinien, unterzeichnet von Wagner, 1. Vizepräsident, sind über die Landeskriminalämter an alle Dienststellen der Kriminalpolizei "sofort zur Beachtung bekanntzugeben". [] Die Aehnlichkeit dieses Dokumentes mit den Verfügungen der Gestapo zur Ergreifung geflüchteter ausländischer Zwangsarbeiter während des Krieges ist verblüffend. Wir versagen uns jedes weitere Wort dazu. [] Druck: Hannoversche Presse, Druck- und Verlagsgesellschaft m. b. H., Hannover
Published:1948