An alle Bildenden, Lehrenden, Geistesschaffenden!

Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals; Auf der letzten Seite des Originals ist eine Textpassage geschwärzt worden An alle Bildenden, Lehrenden, Geistesschaffenden! [] Diese erste Wahl nach zwölf Jahren geistiger Nötigung ist historische Entscheidung und Bekenntnis zugleich. [] His...

Full description

Bibliographic Details
Main Authors: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD), Hamburg, Kähler, Ernst, Hanseatische Druckanstalt GmbH, Hamburg
Institution:Archiv der sozialen Demokratie (AdsD)
Format: IMAGE
Language:German
Published: 13.10.1946
Subjects:
Online Access:http://hdl.handle.net/11088/0C8A4ACD-647F-4834-BCFA-4B23E7830BBD
Description
Summary:Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals; Auf der letzten Seite des Originals ist eine Textpassage geschwärzt worden An alle Bildenden, Lehrenden, Geistesschaffenden! [] Diese erste Wahl nach zwölf Jahren geistiger Nötigung ist historische Entscheidung und Bekenntnis zugleich. [] Historische Entscheidung, weil mit ihr der grundsätzliche Wille bekundet wird über Geist und Form unserer neuen deutschen Gestalt: über den Neubau deutscher Weit, die Neugestaltung deutschen Menschenbildes, die Verlebendigung neuen Gemeinschaftslebens. Bekenntnis, weil mit ihr offenbar wird, in welcher kulturellen Gesamtrichtungüberhaupt gewollt werden soll. [] Daß diese Entscheidung ein Votum für eine politische Partei sein muß, liegt im Wesen der Demokratie. [] Sie kann nur eine Alternative für oder gegen den Sozialismus sein! So eindeutig wird uns heute die Frage gestellt, daß nicht eine der bürgerlichen Parteien wagt, schweigend sie zu überhören. [] Jedoch, grundsätzlich wollen sie nicht den Sozialismus. Vielmehr glauben sie an ihr besonderes herrschaftliches Entscheidungsrecht, an die Omnipotenz des bürgerlich-kapitalistischen Geistes und seiner ihm zugeordneten Sozialgestalt, des Bürgertums. Dem unaufhaltsamen Drängen, der den Sozialismus wollenden sozialen Bewegung geben sie nur insofern nach, als es zur Erhaltung ihrer Existenz unumgänglich nötig ist. [] Die einzige traditionelle politische Vertreterin der sozialen Bewegung, durch die Geschichte legitimierte Vorkämpferin für den Sozialismus, ist die [] Sozialdemokratische Partei. [] Sie allein kämpft mit allen anständigen politischen und geistigen Mitteln für die Verwirklichung der im Sozialismus dargestellten sozialen Idee. [] Idee nicht in rein gedanklicher, im Grunde zu nichts verpflichtender "idealer" Natur, vielmehr als höchst massive Realität, als das innere Leben, der von ihr erfüllten, sich mit ihr und durch sie emporringenden Menschen; als der Lebens- und Gestaltungsdrang, der elementare Wille der durch den Kapitalismus in der bürgerlichen Welt ins Unrecht gesetzten und in Unebenbürtigkeit gefallenen breiten Schicht der arbeitenden Menschen zur sozialen Freiheit. [] Freiheit als Leistung, Verantwortung, Sinnerfüllung, Menschenwürde, als Recht auf Menschentum in einer am Vollzuge der Wesensverwirklichung unserer sozialistischen Welt wirksamen Gestalt. [] Sozialismus geht zu einem Teile als planmäßige Lenkung der Wirtschaft in die Welt ein. Zutiefst aber wird dieses Wirtschaften nicht als Selbstzweck. betrieben. An allem Anfang und alles Ziel ist der ganze lebendige Mensch. [] Um der Schaffung und Erhaltung echten Menschentums willen geben wir alte Formen preis, hat der Formwandel kapitalistisch-bürgerlicher Welt notwendig zu geschehen. [] Das aber ist im höchsten Bezuge ein geistiger Auftrag; es ist im tiefsten Begriffe eine Bildungsaufgabe - die Bildungsaufgabe unserer Zeit! [] Welcher Berufene, welcher Geistesschaffende, Lehrende, Bildende vermöchte sich dieser großen, aller edlen Mühe würdigen Aufgabe zu entziehen: echtes Menschentum zur Gestaltung zu bringen, auch den ärmsten Sohn seines Volkes zu wesenseigener Leistung, zu Verantwortung, zu Sinnerfüllung seines Lebens zu führen, am Bau einer sozialistischen Menschenwelt wirksam zu sein? [] Das ist die Gewissensfrage unserer Zeit, vor die in einem besonders ausgeprägten Sinne alle Lehrenden, Bildenden, Geistesschaffenden schlechthin gestellt sind. Das ist die Bekenntnisfrage. [] Kraft ihres historischen Auftrages hat die Sozialdemokratische Partei Deutschlands - immer und immer wieder die Lauen, die Flauen, die Weltfremden aufrüttelnd - sie in die Welt hineingerufen, zugleich als richtende Frage an alle Mächte der Welt gestellt. [] Ihr ist - wie der ganzen sozialen Bewegung - steter Wille zur Gestaltung neuer Welt und neuen Menschentums eingeboren. Von Generation zu Generation wird dieses Menschentum schrittweise seiner Verwirklichung näher geführt, vom Kinder-, Frauen- und Arbeiterschutz über Verbesserungen der Lebenshaltung durch Lohnerhöhungen, der Lebensführung durch Arbeitszeitverkürzungen und Arbeiterbildungseinrichtungen, über Koalitionsfreiheit, Konsum- und Produktivgenossenschaften, Sozial-, insbesondere Arbeitslosenversicherung zu den Betriebsräten und zum Arbeitsrecht, wo endlich Menschentum zum ersten Male als Rechtsprinzip in die soziale Welt eintritt. Überall wächst das Arbeitertum in immer weitere Bezirke der Verantwortung und Mitführung hinein. [] Das sind in das Bewußtsein unserer Zeit unverlierbar eingeprägte Ergebnisse. Allgemeiner als je zuvor wird gewußt: Nur in dieser Richtung kann überhaupt gewollt werden. [] Es gibt keinen Arbeiterführer, keinen von der sozialen Idee Ergriffenen, der nicht um ihre gestaltende, bildende, Menschen bildende Kraft wüßte und sie nicht in Leidenschaft wollte. [] Wenn der arbeitende Mensch in die Gestalt echten Menschentums eingehen soll - und das macht ja die Wucht der sozialen Bewegung aus - dann muß er seine ihm eingeborenen Bildungskräfte zu seiner Bildungsgestalt entwickeln, eben bilden können. [] Hier begegnen sich alle, die in der Würde tiefen Ernstes sozialistische Zukunft wollen: die Bildenden, Lehrenden, Geistesschaffenden, die Werker und Arbeiter, gebend und nehmend, ein Neues gestaltend zugleich. [] Verantwortliche Neugestaltung kann nur geistige Leistung sein, geistige Leistung nur über den Weg der Bildung möglich werden. [] Es ist ein aus der sozialen Idee gesetzmäßig entwachsendes Interesse, das die Sozialdemokratische Partei an ihnen hat. An ihnen, an Schulen, an allen Bildungsstätten. [] Das ist der tiefere Grund, weshalb bis zum Jahre 1933 gerade unter den Sozialdemokraten in den Regierungen und anderen Machtkörpern mit wahrer Hingabe Bildung ermöglicht und Schulen errichtet wurden. [] In Hamburg führte die Sozialdemokratische Partei fünfzehn Jahre ununterbrochen die Bildungspolitik. Nie, in keinen Zeiten vorher und nachher, stand unser Schulwesen so überragend glänzend da. In keinem Zeitabschnitt hamburgischer Geschichte wurden so viele ausgezeichnete Schulhäuser erbaut. Den Nationalsozialisten blieb es vorbehalten, begierig vom guten Ruf des hamburgischen Schulwesens zu zehren, verlogene Propaganda damit zu betreiben, nicht eine einzige Schule zu bauen, sich alle erdenkliche Mühe zu geben, Hamburgs gesamtes Bildungswesen zu entgeistigen, Lehrer- und Gewerbelehrerbildung zu degradieren, Gehälter zu kürzen, Selbstverwaltung zu zerschlagen, Beförderungen in leitende Positionen vom Besitze eines höheren Offizierspatentes abhängig zu machen. Das war auch "Kulturpolitik". [] Aus leidenschaftlichem Bekenntnis zum Bildungsauftrag der sozialen Bewegung, aus klarem Wissen um die Schlüsselstellung aller Bildenden, insbesondere der Volksschullehrer und Berufsschullehrer in unserem gesamten Kulturgefüge als Erzieher unserer Jugend zu politischem, d. h. mit sachlichem Verständnis an der Gestaltung unserer Welt teilnehmenden toleranten Menschen, gelang es allein der Hamburger SPD, der ganzen Lehrerschaft das volle Recht zu politischer Betätigung zu erstreiten. Wir wissen, daß sie sich dieses Rechtes würdig erweisen wird. [] Neue Lehrer- und Berufsschullehrerbildung sind auf dem Wege. Selbstverwaltung als Form gemeinsamer Bildungsarbeit zwischen Kollegien, Elternschaft, Berufsvertretungen wird kommen. [] Wir Sozialdemokraten wollen die Wissenschaft, die Lehre, die Bildung. Aber für alle, die da fähig sind. Deutschland kann es sich nicht mehr leisten, auch die letzte Intelligenz ungenützt, auch die letzte Bildungskraft ungeweckt zu lassen. [] Dem Neubau unseres Landes muß eine Planung von weiter Sicht und organischer Folgerichtigkeit zugrunde liegen, der in Anbetracht aller aufs rationellste zu aktivierenden Geisteskräfte eine Bildungsplanung einzubeziehen ist, die wegen ihrer auf die Neukonstruktion unserer Arbeitswelt bezogenen Bedeutung als höchst aktuelle grundlegende Vorausleistung sofort begonnen werden muß. [] Hier fallen soziale Idee und nationale Idee im besten Sinne zusammen. [] Alle Hemmnisse, die auch nur das Werden von Begabungen erschweren, insbesondere alle Hemmnisse, die begabten Kindern der Arbeiter und aller anderen Minderbemittelten den Zugang zur Bildung versperren, müssen fallen. Eine Bildungsreform an Haupt und Gliedern ist dem unvermeidlichen Formen- und Geisteswandel unserer Daseinsordnung zwangsläufig zugeordnet. Es hat hier im einzelnen wie im ganzen zu heißen: um der Erhaltung und Gestaltung lebendigen geistgeladenen Lebens willen hat sich die Wandlung zu vollziehen. [] Wir wollen neues, besseres Menschentum, und wäre es im noch weiteren Verzicht auf materielle Güter. Es wird unser ganzer Stolz sein müssen, in der Armut künftiger Staats- und Gemeindehaushaltspläne, das Schwergewicht unter den Einzelpositionen dennoch mehr als eh und je in "glücklicheren" Zeiten geschah, in die bildenden, pflegenden, Kultur gestaltenden Aufgaben für alle zu verlegen. [] Jetzt muß sich zeigen, ob wir ein Kulturvolk sind, oder ob in Not und Armut alle Kultur von uns abfallen soll! [] Vom Leben her haben die Institutionen der Bildung, Wissenschaft und Lehre Impuls, Richtung und Gestalt ihrer Wandlung zu empfangen, Man hüte sich, alte Bildungsbegriffe aufzufrischen. Wohl wollen wir Universitäten als Stätten freier Forschung, doch dürfen sie sich nicht einem zweckbezogenen Bildungsverlangen versperren. Das Leben gestaltet doch über sie hinweg. [] Wohl schätzen wir Wissenschaft, doch an ihre Allmacht, an ihr und ihrer Vertreter besonderes Vorrecht glauben wir nicht. Wir waren nicht blind in den zwölf Jahren deutscher Tragik. Wir sahen, wohin Wissenschaft und viele, viele ihrer Vertreter sanken. Wir werden die Massen vor jedem Wissenschaftsaberglauben zu bewahren wissen. Dann bewahren wir sie vor Enttäuschungen und vor dem Fall ins Entgegengesetzte, in dem sie Gesundbetern und weltpolitischen Scharlatanen nachlaufen würden. [] Als Partei der sozialen Idee sind wir die Partei der erwachenden, Gestalt gebenden und Gestalt wandelnden Bildungskräfte. [] Kommunistische Partei ist bestenfalls Partei uniformer Geistesprägung. [] Eine "höhere" Bildung im alten bürgerlichen Sinne erkennen wir nicht an, weil sie in unserer Welt nichts als Standesbildung, als Anspruch auf Vorherrschaft bedeutet. [] Zufolge ihrer grundlegend gleichen Geistesverfassung sind alle bürgerlichen Parteien die Parteien der sogenannten "höheren" Bildung und darum die Vertreter bürgerlichen Bildungsmonopols. [] Wenn bürgerliche Herren sagen, sie seien gebildet, dann - so meinen sie - hätten allein sie Anspruch auf politische, auf Staatsführung. Und doch endete bürgerliche Bildung in Nihilismus und Divergenz zum praktisch lebendigen Leben. Diese Bildungsidee ist die Idee einer Sozialgestalt, deren historische Aufgabe auf dem Wege über den großkapitalistischen Monopolismus und Imperialismus sich überschlug zu nationalistischer Arroganz und als Hochverrat wider den Menschengeist im allgemeinen und wider den deutschen Geist im besonderen auf dem Trümmerfeld ihrer spezifisch bürgerlich-kapitalistischen Welt endete. [] Wer wagt zu bestreiten, daß es im bürgerlichen Bildungsideal großgewordene Bürgerssöhne waren, die als Juristen die Jurisprudenz zur Zuhälterin nationalsozialistischer Henkersknechte machten? Wer wagt zu bestreiten, daß es wiederum am bürgerlichen Bildungsideal gesättigte Bürgerssöhne waren, die aus dem hohen Beruf des Arztes ebenso eine Dirne dieser selben Henkersknechte zu machen erfolgreich sich bemühten? Wie viele gehorchten dem Anruf "Du darfst töten anstatt zu retten!" Sie wurden mitschuldig an der "heillosen Zerrüttung jener psychologischen Urbeziehung zwischen dem Arzt und dem Kranken, die sich in der Bewahrung des Lebens und der Wiederherstellung der Gesundheit" als lebenszentraler Aufgabe manifestiert. [] Aus der Überheblichkeit bürgerlicher Bildung versagte sich das Bürgertum in seinen so "Gebildeten" den lebenselementaren, zu echtem Menschentum emporringenden Kräften der sozialen Bewegung; die zudem eine spezifisch deutsche Bewegung ist. [] In eingefrorener Ideologie, aus völligem Mangel an lebenzugewandter Bildung nationalsozialistischen Rattenfängern und Verbrechern nachlaufend, warfen sich Tausende dieser Bürgerssöhne aus ihrer "höheren", ach so armseligen Bildung heraus dieser Karriere verheißenden ungeistigsten aller Bewegungen in die Arme, sich zu negativer Auslese und "Zuchtwahl" malträtieren lassend. [] Wären sie wahrhaft Gebildete in unwandelbar sicherem Kulturgefühl gewesen und also wirklich im echten Menschentum höher Gebildete, dann dürfte das alles nie und nie geschehen sein. [] Welch ein katastrophaler, erschütternder Beweis gegen den Talmiwert dieser bürgerlichen "höheren" Bildung. An welchen Quellen nährte sich ihr Geist und wuchs ihre Seele? Kamen sie nicht wohlbehütet aus "gebildeten" Familien? Wer waren ihre Erzieher? Wo waren ihre Bildungsstätten? Und - wir fragen weiter mahnend und besorgt -: "Wo ist all dieses heute?" [] Die Frage an unser deutsches Schicksal ist, da wir auf Gräbern wandeln, in tiefer Ergriffenheit und höchstem Ernste zu stellen. Wir wollten eigentlich nicht in Sachen unseres Menschheitsschicksals in billiger Polemik verfahren. Doch der verhärtete Teil unseres Bürgertums, Pietät und Scham in eigener Angelegenheit vergessend, zwingt uns durch gewisse Argumente seiner Wahlpropaganda kurz zu parieren. [] Väter der Tausende aus "höherer" bürgerlicher Bildung heraus dem nationalsozialistischen Ungeist und Barbarismus verfallenen Söhne, die als Vertreter des Großbürgertums und ihrer zwischenbürgerlichen Trabanten aller Arten damals vielleicht "nicht mitgemacht" haben, Brüder und Söhne dieser Söhne, ja sie selbst - sofern man sie nicht erkannte - erheben wieder einmal Anspruch darauf, kraft ihrer "höheren" Bildung, in der Neugestaltung unserer deutschen Welt zu führen. Was sie so Neugestaltung nennen. Wie kann man schon mit altem abgelebtem Geiste neu gestalten wollen? [] Zwar wurde Welt aus ihrem Geiste zerschlagen. Dennoch fordern sie ihren Platz auf den Kommandohöhen der Geschichte; dennoch glauben sie immer noch an ein Gottesgnadentum des Bürgers. Niemals mehr vermag die Gestalt des Bürgers zukunftverwirklichende, Neues und Andersartiges bildende Kräfte in Aktion zu setzen; nur noch retardierende und antiquarische Bedeutung kommt ihm zu. Ohne eigene, aus dem Geist der neuen Zeit gewonnene Konzeption sind die bürgerlichen Parteien so "reich" an "höherer" Bildung, daß sie mit millionenmal hergelogenen Propagandafloskeln der Goebbels-Hitler ihre Wahlpropaganda bestreiten müssen. [] So rufen sie "gegen Marxismus" und heben einen alten Bürgerschreck aus der Klamottenkiste politischer Altwarenhändler. "Gegen Marxismus" soll heißen gegen die gesamte um Sinnerfüllung ringende freie organisierte Arbeiterschaft: Weil sie wissen, daß Marx dem dumpfen Lebensdrange des entrechteten und geknechteten Arbeitertums erste geistige Grundlegung und Organisation gegeben hat; weil sie wissen, daß Sinnerfüllung und Menschentum im Arbeitertum nur durch Abbau ihrer wirtschaftlichen und sozialen Monopolstellung möglich ist. So sind sie es wieder, die den Klassenkampf anrufen, ohne ihn zu nennen! [] Ein Neo-Nazismus will wie eine üble alte Krankheit unser junges politisches Leben im Keime verseuchen. [] "Gegen Marxismus" soll auch heißen "gegen die Juden": Die Antisemiten huschen aus ihren Mauselöchern und werden als faules Treibholz des "tausendjährigen Germanenreiches" auf den trüben Fluten politischer Dunkelmänner von gelehrigen Schülern der Nazi-Demagogen in deren weit aufgerissenen Sammelbecken geschleust. [] Ebenso symptomatisch - wenn auch harmloser - zeigt sich der Mangel an originärer Konzeption im Bürgertum an den "Freien Demokraten". Nicht wahr, freie Demokraten? Als ob es anderes als freie Demokraten geben könnte. [] So sind bürgerliche Parteien. Nein, sie reden nicht von Klassenkampf, brauchen es auch nicht; sie führen ihn! Sie führen ihn gegen das Arbeitertum; Herrn Hugenberg ihre Reverenz wie ehedem und Herr von Papen ist zu ihrer stillen Freude "unschuldig". Sie brauchen sich nicht als Klasse zu deklarieren. Über alle Parteischattierungen hinweg haben die Kapitalisten des Geistes und des Geldes ihre gemeinsamen Vorherrschaftsgelüste, ihre Vervetterung und Verschwägerung über alle westlichen Grenzen des europäischen Festlandes hinaus. Sie können hinter freundlichen Schleiern ihrer Wohlhabenheit klassen- [!] und Familienpolitik zugleich betreiben wie weiland das Haus Habsburg. Sie pflegen ihre Konnexionen als Erbmasse aus Leistung, Profiten und sozialer Vormachtstellung ihrer Vorväter und wollen sie erhalten für ihre spätesten Nachkommensgenerationen. Mit dem sicheren Instinkt alter herrschaftgewohnter Geschlechter wittern sie in jeder auf Leistung und Erfüllung Anspruch erhebenden aufsteigenden Schicht tödliche Konkurrenz, gegen die sie unüberwindliche Schranken errichtet wissen möchten. Und dennoch wurde unser Deutschland aus ihrem kapitalistischen Geiste heraus in eine einzige grandiose Schutthalde verwandelt. [] Und abermals dennoch: Sie bekreuzigen sich mit christlichem Augenaufschlag, wenn es heißt, nur im Sozialismus kann neues Deutschland werden. Eine Gänsehaut läuft ihren patriarchalischen Rücken herab: "Nicht Sozialismus, aber sozial". [] Ja, "sozial"! Damit meinen sie karitative Hilfe, Wohlfahrtsamt von Fall zu Fall, wenn es ihnen paßt. Aber dem Gestaltungsdrang lebendigen Lebens im Arbeitertum um den Preis eines grundlegenden Form- und Inhaltswandels ihrer Welt den Durchbruch zu gewähren, das wollen sie nicht. [] Sie wollen keinen Sozialismus. Bedauern wir sie, sie können nicht mehr anders; sie sind zu alt. So alt wie ihr in den letzten Zügen liegender Kapitalismus. Von Mensch zu Mensch gesprochen, wollen wir ihnen nicht gerade böse sein. Nur wenigen ist gegeben, in Weisheit des Alters zukunfttragenden Mächten Platz zu machen. [] Achten wir darauf, daß sie keine Torheiten machen zum Schaden unseres Volkes! [] Sie sollten mehr in die Kirche gehen, damit ihr Gott ihnen an ihrem späten Lebensabend sagen möge, wie geschmacklos es ist, ihn zur Wahlattraktion und das Christentum zur Reklame zu mißbrauchen. [] Wir empfinden unseren Kampf für den Sozialismus als unabdingbaren Auftrag und sind gerade deshalb in unerschütterlicher Zuversicht. [] Reaktionäres Bürgertum will sich offenbar der Kirchen bedienen. [] Wir warnen die Kirchen aller Arten, sich zum Nachteile der sozialen Bewegung zu Mithelfern zu machen; sie könnten ihr Renommee und ihre Seelsorge verderben. [] Wir Sozialdemokraten haben in jüngster Zeit wiederholt öffentlich bekundet: Wir sind vorbehaltlos für Glaubens- und Gewissensfreiheit für alle, für Trennung zwischen Kirche und Staat zum Wohle beider. Damit wird den Kirchen und allen Weltanschauungsgemeinschaften die Möglichkeit gegeben, in Freiheit die ihnen eigenen Aufgaben zu erfüllen. Und niemand soll verpflichtet sein, seine religiöse Überzeugung zu offenbaren. [] Bildende, Gelehrte, Geistesschaffende! Wo wie heute inmitten äußerster Entbehrungen einer zertrümmerten Welt das Gefühl für die großen Auf gaben des Lebens auf steht und wächst, da sieht hinter den Dingen die soziale Idee, der elementare Wille zum Sozialismus. Es gibt nur diese eine Richtung, in der gewollt werden kann. Die Kampfkraft und Leidenschaft des Arbeitertums pflanzt sich fort auf das ganze deutsche Volk und wird zur Gestaltungskraft unserer neuen deutschen sozialistischen Welt. [] Wer vermöchte sich diesem Anruf deutschen Schicksals zu entziehen? [] Der wahrhaft Gebildete nicht! [] Hanseatische Druckanstalt GmbH, R.EP3, Hamburg. 7249/6000. 10.46. Klasse C - Mit Genehmigung der Militärregierung [] Herausgeber. SPD Hamburg - Verantwortlich: Ernst Kähler, Hamburg
Published:13.10.1946