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Das ist ein unerhörter Skandal! Metallindustrielle lehnen erneut und brutal die Aufnahme von Lohnverhandlungen ab! Metallindustriellen-Vertreter droht mit Abbau der betrieblichen Sozialleistungen! Metallindustrielle beleid !gen die Arbeiter und Arbeiterinnen der Metallindustrie! Die Art des Auftretens der Metallindustriellen im Verlaufe der Verhandlungen vor der Schiedsstelle am Freitag vergangener Woche war eine einzige Beleidigung und Herausforderung der gesamten Arbeitnehmerschaft in der Metallindustrie. Seit mehr als zwei Monaten fordert die IG Metall die Aufnahme von Lohnverhandlungen. Der Verband der Metallindustriellen lehnte jedoch erneut Lohnverhandlungen ab. Dadurch waren wir gezwungen, die tarifvertraglich vereinbarte Schlichtungsstelle anzurufen. Mit nicht zu widerlegendem, umfangreichem Material bewiesen unsere Vertreter auch dort, daß die Metallindustrie die gestellten Forderungen der Metallarbeiter erfüllen kann. Was aber die Vertreter der Metallindustriellen daraufhin der Arbeitnehmerschaft zu bieten wagten, ist einfach ein Skandal! Denn wie sonst kann man ein "Angebot" von ganzen 3 Pfennigen für die Zeitlohnarbeiter und von sogar nur lumpigen 2 Pfennigen für die Akkordarbeiter angesichts der enormen Profite in der Metallindustrie bezeichnen? Und was bliebe von diesem "Angebot" überhaupt noch übrig, wenn man die Orts- und Altersklassenabstriche dabei in Rechnung stellt? Tatsache ist, daß ein großer Teil der Arbeitnehmer der Metallindustrie so gut wie leer ausgehen müßte! Das aber ist nicht alles. Die 2 und 3 Pfennige sollen nicht eine Lohnerhöhung sein, die gezahlt wird, weil die Gewinne der Unternehmen die gegenwärtige Höhe erreicht haben. Die 2 und 3 Pfennige sollen - nach der Auslassung eines der Schiedsstellen-Beisitzer der Arbeitgeber - eine "Anerkennungsgebühr" für braves Verhalten sein! Diese Prämie soll bezahlt werden, damit die Metallarbeiter darauf verzichten, zur Durchsetzung Ihrer berechtigten und erfüllbaren Forderung in den Streik zu treten. Mit diesem allzu plumpen, auf Dummenfang berechneten "Angebot", suchen die Metallindustriellen von der Erfüllung einer Lohnforderung von 12 Pfennigen loszukommen. In der Tat: Das wäre ein feines Geschäft! Dieser empörende Vorschlag ist sehr bezeichnend für die Denkweise derjenigen, die glauben, solche "Angebote" der Arbeitnehmerschaft machen zu dürfen! Doch die Industriellen haben ihre Rechnung ohne die Metallarbeiter gemacht! Damit noch nicht genug! Der neu zu schließende Vertrag sollte eine Laufzeit von eineinhalb Jahren haben! Bis Ende 1955 also sollten den Arbeitnehmern der Metallindustrie die Hände gebunden sein! Wer weiß aber nicht, daß gerade die nächsten Monate sehr empfindliche Preissteigerungen bringen werden? Die bereits zum Teil sehr wesentlich, erhöhten Kohlenpreise machen sich im Geldbeutel des Arbeitnehmers im Herbst und Winter bemerkbar. Es ist bereits ausgemacht, daß im Herbst auch die Fleischpreise und die Preise anderer lebenswichtiger Artikel steigen werden! Und das Jahr1955 wird weitere erhebliche Mietpreiserhöhungen bringen. Die Metallarbeiter aber sollen durch die Laufdauer des Vertrages eineinhalb Jahre lang zum Stillschweigen gezwungen werden! Die Krönung dieses von rücksichtsloser Profit- und Machtgier diktierten Vorschlages der Metallindustriellen stellt jedoch die Drohung mit Abbau der betrieblichen Sozialleistungen durch einen der prominentesten Firmenvertreter dar, wenn die Gewerkschaften darauf bestünden, die Ertragslage der Unternehmen zur Grundlage ihrer Lohnforderung zu machen. Das also ist der Geist der "Partnerschaft", den die Unternehmer der Arbeiterschaft immer predigen! So ist es in Wirklichkeit um das soziale Verständnis jener Kreise bestellt, die der Arbeitnehmerschaft einzureden versuchen, daß die Gewerkschaften im Grunde genommen heute überflüssig seien, weil - ja weil eben die Unternehmer "freiwillig" mehr täten, als sie verpflichtet seien. Die Drohung der Unternehmer zeigt aber noch mehr: sie zeigt, auf welch unsicherer Grundlage diese "freiwilligen" Leistungen, die in Wirklichkeit nichts anderes sind als vorenthaltener Lohn, beruhen, wenn sie nicht tarifvertraglich gesichert sind! Der Arbeitnehmerschaft einen Anspruch auf die sozialen Leistungen zu sichern, die ganz und gar keine "freiwilligen" sind, und um die sich ganz besonders die Betriebsräte verdient gemacht haben, wird deshalb eines der nächsten Ziele der gewerkschaftlichen Arbeit sein müssen. So also präsentierte sich die Scharfmacherpolitik der Unternehmer ohne jede Schminke während der Verhandlungen der Schiedsstelle. Schließlich sah sich der Vorsitzende veranlaßt, den Parteien einen Vorschlag zu unterbreiten, der zwar etwas weiter geht als das "Angebot" der Unternehmer - aber auch er wird der berechtigten und erfüllbaren Forderung der Metallarbeiter nicht gerecht. Dieser Vorschlag empfiehlt eine Erhöhung der Löhne der Zeitlohnarbeiter um 5 Pfennig und die der Akkordarbeiter um 4 Pfennig. Den Parteien wird Erklärungsfrist über die Annahme oder Ablehnung des Einigungsvorschlages gesetzt bis Samstag, 12. Juni 1954, 12.00 Uhr. Kolleginnen und Kollegen! Das verantwortungslose Verhalten der Metallindustriellen hat zu einer weiteren Verschärfung der Lage im Lohnkonflikt der Metallindustrie geführt. Die große Tarifkommission der IG Metall für das Tarifgebiet Nordwürttemberg - Baden wird am Dienstag, dem 8. Juni, zusammentreten und zu dieser Situation Stellung nehmen. Wir werden die Belegschaften der Metallbetriebe schnellstens über die dort gefaßten Beschlüsse informieren. Inzwischen bringt jeder Tag neue Beweise wachsender Kampfbereitschaft der Belegschaften der Metallbetriebe für die Durchsetzung unserer Lohnforderung. Außer den Versammlungen und Kundgebungen, über die wir bereits in unserer Zeitung Metall berichteten, haben in den letzten Tagen eine Reihe von weiteren machtvollen Kundgebungen der Metallarbeiter stattgefunden. In Mannheim haben 1000 Gewerkschaftsfunktionäre und Betriebsräte beschlossen, ihre ganze Kraft für die Erfüllung der gewerkschaftlichen Forderungen einzusetzen. 900 Betriebsräte aus dem gesamten Tarifgebiet Nordwürttemberg-Baden haben erklärt, daß das ständig steigende Arbeitstempo in den Betrieben die von der IG Metall erhobene Lohnforderung notwendig mache. In Heidenheim bekundete eine Metallarbeiterversammlung mit 1300 Teilnehmern und in Neckarsulm eine Kundgebung der Metallarbeiter mit mehr als 3000 Teilnehmern ihre Bereitschaft, für die Durchsetzung ihrer Forderung gewerkschaftliche Kampfmaßnahmen anzuwenden. Es ist jetzt keine Zeit mehr zu verlieren. jetzt heißt es bereit zu sein und schnellstens die letzten Vorbereitungen zu treffen! Die Arbeiterinnen und Arbeiter der Metallindustrie sind - wenn sie einheitlich und geschlossen handeln - stark genug, den arroganten Widerstand der Unternehmer zu brechen. Lohndiktate müssen in der Demokratie ein für allemal der Vergangenheit angehören! Industriegewerkschaft Metall Bezirksleitung Stuttgart Verantwortl.: Ludwig Becker, Stuttgart. Druck: Union-Druckerei u. Verlagsanstalt GmbH, Frankfurt a. M.
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