Sozialdemokratische Politik

Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals; Dublette (1) Sozialdemokratische Politik [] Kundgebungen und Beschlüsse des Sozialdemokratischen Parteitages Hannover Mai 1946 [] Aufruf an die deutsche Jugend [] Aus Anlaß des ersten Parteitages der Sozialdemokratischen Partei wenden wir jun...

Full description

Bibliographic Details
Main Author: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)
Institution:Archiv der sozialen Demokratie (AdsD)
Format: IMAGE
Language:German
Published: 08.05.1946 - 11.05.1946
Subjects:
Online Access:http://hdl.handle.net/11088/67816AE6-03C8-40CC-99B2-342330FC0986
Description
Summary:Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals; Dublette (1) Sozialdemokratische Politik [] Kundgebungen und Beschlüsse des Sozialdemokratischen Parteitages Hannover Mai 1946 [] Aufruf an die deutsche Jugend [] Aus Anlaß des ersten Parteitages der Sozialdemokratischen Partei wenden wir jungen Delegierten aller Zonen uns an die deutsche Jugend. [] Miteinander sind wir durch eine Welt des Chaos und des Grauens gegangen. Gemeinsam gehen wir nun auch an den Aufbau. Unser politisches Wollen ist das Ergebnis eines Schicksals, das uns alle miteinander vereint. Die Zukunft unseres Volkes liegt in unserer Hand. Jeder muß sich entscheiden. Das alte System ist zerbrochen. [] Unser Weg zum Sozialismus ist aus der Erkenntnis geboren, daß wir Opfer einer menschlichen Ordnung waren, die mit Zwangsläufigkeit zu einer Katastrophe der Menschheit geführt hat. Es wurde uns klar, daß es in unsere Hände gelegt ist, die historische Wende zum Sozialismus herbeizuführen oder unterzugehen. [] Die Grundlage der alten Ordnung, die es zu stürzen gilt, ist jenes System des Kapitalismus, das immer wieder das nationale Bewußtsein der Völker mißbraucht hat, mit unserem Blut seine eigensüchtigen Interessen zu verwirklichen. [] Wir alle stehen heute vor einer Entscheidung, vor der noch keine Jugend gestanden hat. Der Fortschritt der Technik kündet eine Zeit an, in der die Vernichtung der Menschheit Tatsache zu werden droht. Wir aber wollen Technik und Wirtschaft in den Dienst des Aufbaues stellen. Wir kämpfen für Freiheit, soziale Gerechtigkeit und Völkerverständigung. Das ist eine große Aufgabe. Deswegen rufen wir Euch, mit uns jungen Sozialisten diese Aufgabe gemeinsam zu lösen. Die alte Welt geht zugrunde. Erkennt das Ziel Eurer Sehnsucht, das Ihr im Herzen tragt. Uebertragt es in die Klarheit des politischen Bewußtseins und der politischen Tat. Dann werdet Ihr Träger eines Geistes sein, der wie ein Sturmwind über alle Länder geht und alle Grenzen sprengt. [] Sozialismus ist die Gegenwartsaufgabe! [] Gruß an die Sozialdemokraten Berlins und der Ostzone [] Der Parteitag der Sozialdemokratischen Partei verurteilt die durch den Zentralausschuß der SPD in Berlin vollzogene Auslieferung der Sozialdemokratischen Partei in der Ostzone an die Kommunistische Partei. Er billigt die Haltung des Büros und der Zonenausschüsse für die Westzonen in dieser Frage. [] Der Parteitag betrachtet die Mitgliedschaft in der Sozialistischen Einheitspartei und die Werbung für die SED als unvereinbar mit der Mitgliedschaft in der SPD. [] Der Parteitag beglückwünscht die Berliner Sozialdemokratie zu ihrem tapferen Kampf für die Freiheit und Unabhängigkeit ihrer Organisation und für die Freiheit der demokratischen Entscheidung ihrer Mitglieder. Die Sozialdemokratische Partei in den Westzonen fühlt sich eins mit den Berliner Sozialdemokraten, und sie wird alles tun, was in ihren Kräften steht, um den persönlichen und sachlichen Kontakt mit der Berliner Sozialdemokratie so eng wie möglich zu gestalten. [] Der Parteitag bedauert aufs tiefste die Haltung führender Sozialdemokraten in der Ostzone, die durch ihren Opportunismus den Gleichschaltungsbestrebungen der Kommunisten Vorschub geleistet und die große Mehrheit der sozialdemokratischen Mitglieder in der Ostzone in einen schweren Gewissenskonflikt gebracht haben. [] Der Parteitag sendet allen Sozialdemokraten in der Ostzone, die entgegen ihrer Ueberzeugung Zwangsmitglieder der SED werden mußten, brüderliche Grüße. Alle diese Sozialdemokraten können die Gewißheit haben, daß die Sozialdemokraten im Westen Deutschlands sich diesen zum Schweigen verurteilten Kämpfern verbunden fühlen und mit ihnen auf den Tag hoffen, an dem alle Sozialdemokraten Deutschlands wieder in einer freien und unabhängigen Sozialdemokratie gemeinsam für den freiheitlichen und demokratischen Sozialismus kämpfen und wirken können. [] An die Sozialdemokraten unter den Flüchtlingen [] Der Parteitag begrüßt besonders alle Sozialdemokraten unter den Ostflüchtlingen. [] Ihr habt viel verloren, aber Eure politische Heimstätte, die deutsche Sozialdemokratie, ist Euch geblieben. Wir rufen Euch auf, in Euren neuen Wohngebieten in der Partei mitzuarbeiten. Nur in gemeinsamer Anstrengung können wir unsere gemeinsamen Ziele erreichen und damit auch das schwere Schicksal erleichtern, das Euch betroffen hat. [] Der Parteitag begrüßt gleichermaßen die sudetendeutschen Sozialdemokraten, die jetzt in Deutschland neue Wohn- und Arbeitsstätten suchen müssen. [] In Erinnerung an Euren tapferen Kampf gegen den Henleinfaschismus, an Eure unvergleichliche Solidarität mit den Opfern des deutschen Faschismus und an die aktive und selbstlose Unterstützung des illegalen Kampfes der deutschen Sozialdemokraten gegen die Hitlerdiktatur begrüßen wir Euch als Freunde und Genossen. Unsere Partei steht Euch offen, nicht als Gäste und Bittsteller, sondern als die erprobten Mitkämpfer für die gemeinsame sozialistische Sache und für ein neues sozialistisches Europa, in dem alle Völker Sicherheit und Frieden finden. [] Gruß an die Internationale Konferenz in London [] Der Parteitag der Sozialdemokratischen Partei in Hannover dankt den sozialistischen Parteien des Auslandes für die Beweise der Sympathie und der Freundschaft, die der deutschen Sozialdemokratie aus Anlaß des 1. Mai und des Parteitags zugegangen sind. [] Der Parteitag übermittelt der Internationalen Konferenz der europäischer Sozialisten in London die Grüße der deutschen Sozialdemokraten. [] Der Parteitag hofft, daß die Konferenz eine gemeinsame Politik der europäischen sozialistischen Parteien zur Sicherung des Friedens und für den Wiederaufbau des wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Lebens in Europa einleiten möge. [] Die deutsche Sozialdemokratie sieht in der Schaffung eines demokratischen, sozialen und friedlichen Deutschlands eine unerläßliche Voraussetzung für den Frieden Europas. Sie ist bestrebt, durch eine sozialistische Politik im Innern und durch eine Politik der Verständigung und der Wiedergutmachung nach außen zu ihrem Teil an dem Aufbau eines neuen Europa beizutragen. [] Die deutsche Sozialdemokratie bekennt sich erneut zu der internationalen Zusammenarbeit der sozialistischen Parteien. In der gegenwärtigen Situation würde die Wiedereingliederung der deutschen Sozialdemokratie in diese internationale Zusammenarbeit eine wesentliche politische und moralische Stärkung der demokratischen und sozialistischen Kräfte in Deutschland bedeuten. [] Botschaft der deutschen sozialdemokratischen Frauen an die Genossen und Genossinnen des Auslandes [] Auf Veranlassung der weiblichen Delegierten des ersten deutschen Sozialdemokratischen Parteitages in Hannover wird folgende Entschließung gefaßt: [] "Wir deutschen Sozialdemokraten und Sozialdemokratinnen sind uns bewußt, daß wir nicht nur die dringende Aufgabe haben, die äußeren Trümmer Deutschlands zu beseitigen, sondern daß ganz besonders die in den Hirnen und Herzen vorhandenen Trümmer weggeräumt werden müssen. [] Noch gibt es zahlreiche Kreise, besonders der Jugend, denen eine Welt zusammengebrochen ist, und die deshalb eine schwere Gefahr für die demokratische und sozialistische Neugestaltung Deutschlands und damit für den Frieden der Welt darstellen. Diese Gefahr kann nur abgewendet werden durch eine Arbeit im Geiste wahrer Demokratie, d. h. voller Freiheit und Verantwortung. [] In dem Bewußtsein, daß jede Form der Diktatur und der Unfreiheit der Persönlichkeit, ebenso wie der Kapitalismus neue Kriegsgefahren in sich birgt, betrachten wir es als unsere erste Aufgabe, die Jugend und die Frauen zu wahrhaft sozialdemokratischem und pazifistischem Denken zu erziehen. [] Wir danken all den Genossen und Genossinnen im Auslande, die sich dafür einsetzen, unseren schwerleidenden Müttern, Kindern und Alten zu helfen. Wir sehen darin nicht nur eine materielle Hilfe, sondern werten sie als erstes Zeichen einer neu erstehenden Solidarität. [] Im Gedenken an die unerhörten Opfer, die unsere Genossen und Genossinnen Seite an Seite mit den Verfolgten aller Länder im Kampfe gegen den Nationalsozialismus gebracht haben, versprechen wir, in ihrem Sinne weiterzuarbeiten. [] Wir senden unsere freundlichsten Grüße den Frauen und Müttern aller Länder, die mit uns so schwer unter dem nationalsozialistischen Kriegsverbrechen gelitten haben. Wir senden diese Grüße auch den Genossen und Genossinnen in den Parlamenten der verschiedenen Länder. Wir versprochen ihnen, nicht zu ruhen, bis der Weltfrieden gesichert ist und der Gedanke der Völkerversöhnung sich in unserem ganzen Volke durchgesetzt hat. [] Entschließung zur Rhein- und Ruhrfrage [] Entscheidungen über das Schicksal von Ruhr und Rhein sind Entscheidungen über die Zukunft Deutschlands und Europas. [] Die deutsche Sozialdemokratie anerkennt die Notwendigkeit einer Sicherung gegen eine neue wirtschaftliche Aufrüstung Deutschlands. Eine internationale ökonomische Kontrolle des Ruhrgebiets, die diesem Ziel dienen soll, muß die Mitwirkung der deutschen demokratischen Kräfte an dieser Kontrolle einschließen. Die Sozialdemokratische Partei kann sich eine solche Kontrolle aber nicht als von kapitalistischen Faktoren beeinflußt vorstellen und sieht nur in einer sozialistisch aufgebauten europäischen Wirtschaft die Voraussetzung für diese Form von internationaler Zusammenarbeit. [] Die deutsche Sozialdemokratie wünscht, dem berechtigten Sicherheitsbedürfnis des französischen Volkes Rechnung zu tragen. Sie sieht in einer auf gegenseitigem Vertrauen gegründeten Freundschaft zwischen dein französischen Volk und einer neuen deutschen Demokratie eine entscheidende Voraussetzung für einen dauerhaften Frieden in Europa. [] Die deutsche Sozialdemokratie ist überzeugt, daß Annexionen oder die wirtschaftliche oder nationale Verstümmelung eines Volkes keine geeigneten Mittel der Friedenssicherung sind. Die Abtrennung des Rhein- und Ruhrgebietes vom deutschen Staatsgebiet muß zu verheerenden wirtschaftlichen und politischen Folgen für das deutsche Volk führen und Deutschland zu einem dauernden Unruheherd im Herzen Europas machen. [] Der Beitrag zu einer dauernden Friedenssicherung, den das deutsche Volk leisten kann und muß, liegt in einer aufrichtigen, von der Mehrheit des deutschen Volkes getragenen Friedenspolitik. Die deutsche Sozialdemokratie ist entschlossen, eine solche Friedenspolitik im Geiste der internationalen sozialistischen Arbeiterbewegung zu führen. Sie wird alles daransetzen, eine neue Aufrüstung Deutschlands zu verhindern, und sie wird an jeder Regelung mitarbeiten, die die Verbrechen und die Zerstörungen des Hitlerkrieges wiedergutmacht und den Frieden der Völker Europas sichert. [] Entschließung zur Entnazifizierung [] Bevor das deutsche Volk sich der schweren Aufgabe zuwandte, das von den Nazis hinterlassene Chaos zu meistern und sein wirtschaftliches, politisches, geistiges und moralisches Leben neu aufzubauen, hätte es sich von jenen Elementen befreien müssen, die Krieg und Zusammenbruch verschuldeten, die das deutsche Volk immer wieder bis aufs Blut quälten und die verantwortlich für die Verbrechen sind, die den deutschen Namen in der ganzen Welt geschändet haben. [] Die Schaffung eines Reichsfahndungsdienstes für aktive Nazis und fanatische Militaristen und ihre radikale Beseitigung aus jeder verantwortlichen Tätigkeit in Wirtschaft, Politik und Verwaltung, in Polizei und Justiz, vor allem aber in Schulen, Fachschulen und Hochschulen wäre deshalb die erste Aufgabe einer weitsichtigen Staatspolitik gewesen. Die zögernde Durchführung der Entnazifizierung hat eine solche beschleunigte Selbstreinigung des deutschen Volkes leider verhindert. Sie ist mitschuldig daran, daß ein tiefes Mißtrauen wie eine zehrende Krankheit das gesamte politische Leben zersetzt und die Parteien an einer positiven, aufbauenden, konstruktiven Politik hindert. [] Die Überwindung dieses Mißtrauens hält die Sozialdemokratische Partei für eine der dringlichsten Aufgaben der deutschen Politik. Sie befürwortet aus diesem Grunde eine beschleunigte Entnazifizierung nach den Richtlinien der Militärregierung. Insbesondere fordert sie Maßnahmen zur Aufspürung aller derer, die direkt oder indirekt an den Verbrechen beteiligt gewesen sind, die Deutschland die Verachtung der ganzen Welt eingetragen haben: der politischen Mörder der SS. oder SA., der Peiniger aus den KZ-Lagern, der Richter, die auf Befehl urteilten, der Vollstrecker der Todesurteile. Viele von ihnen halten sich heute noch verborgen und bilden eine dauernde Gefahr. Die Sozialdemokratie ruft zu ihrer Entdeckung die Mithilfe aller anständigen Deutschen auf. [] Ans den Aemtern und aus der Wirtschaft müssen alle diejenigen entfernt werden, die sich aktiv an verantwortlicher Stelle für den Nationalsozialismus eingesetzt haben, gleichgültig, ob sie Parteimitglied waren oder durch Haltung und Taten ihr Einverständnis mit den Zielen der NSDAP bekundeten. Insbesondere sind den Schuldigen alle Gelegenheiten zu nehmen, Einfluß auf das öffentliche Leben auszuüben, arbeitende Menschen zu führen, im Auftrage von Behörden aufzutreten oder die Jugend zu erziehen. [] Auch müssen die verantwortlichen Stellen endlich die gesetzlichen Voraussetzungen dafür schaffen, daß geschlossene Nazi-Siedlungen, die eine dauernde Gefahr für einen demokratischen Neuaufbau bilden, beseitigt, und daß aktive Nazis, die immer noch besser wohnen als ihre bedauernswerten Opfer, aus ihren Wohnungen entfernt werden können. [] Die zahllosen Opfer des Faschismus, die Ermordeten, die Gefolterten, die brotlos Gemachten und Verfolgten in allen Ländern, alle, die im Nazikriege sinnlos geopfert wurden, nicht zuletzt die verführte, um Jugend und Glauben betrogene junge Generation haben ein Recht darauf, daß alle Schuldigen nach der Schwere ihrer Schuld zur Rechenschaft gezogen werden. Ob es richtig ist, aktivste Nazis in Lagern dem Nichtstun zuüberlassen, während ihre Opfer die durch ihre Schuld zerstörten Städte aufräumen, muß mit Recht bezweifelt werden. [] Die Entnazifizierung ist ohne Rücksicht auf die sogenannte fachliche Eignung der Schuldigen durchzuführen. Kein Nazi ist unersetzlich. Je schneller das, deutsche Volk diesen schmerzlichen Prozeß der politischen Säuberung hinter sich hat, desto früher kann es sich den positiven Aufgaben der Gegenwart zuwenden; dem Aufbau eines gerechten Lebens in Staat, Kultur und Wirtschaft. [] Jenen Nationalsozialisten, die nur unter politischem Druck Mitglied der Partei geworden sind, und die sich in den Jahren der Hitler-Diktatur nichts zuschulden kommen ließen, sollte Gelegenheit gegeben werden, gemeinsam mit den aufbauwilligen demokratischen Kräften an die Räumung und den Aufbau der zerstörten Städte und unserer zusammengebrochenen Wirtschaft zu gehen und durch freiwilligen aktiven Arbeitseinsatz ihre Mitschuld am Unglück des deutschen Volkes wiedergutzumachen. Nur so läßt sich eines Tages jene Kluft überbrücken, die das deutsche Volk heute trennt und die es an jeder aufbauenden Politik hindert. [] Alle jungen, von der Propaganda des Nationalsozialismus und Militarismus vorführten Menschen aber, soweit sie nicht Aktivisten waren oder kriminell belastet sind, betrachtet die Sozialdemokratische Partei als nicht verantwortlich. Die Sozialdemokratische Partei wird deshalb allen jungen Menschen helfen, ihr eigenes Leben in einem neuen demokratischen Deutschland wiederaufzubauen und damit die Zukunft des deutschen Volkes mitzugestalten. [] Freiheit der politischen Betätigung für öffentliche Bedienstete [] Die Militärregierung der britischen Zone hat eine Anordnung ergehen lassen, derzufolge alle öffentlichen Bediensteten sich in den Bezirken ihrer Behörden jeder politischen Betätigung zu enthalten haben. Der Parteitag der SPD in Hannover vom 8. bis 11. Mai 1946 beschließt, daß der Parteivorstand die Militärregierung auf die schwerwiegenden politischen Nachteile in einer solchen Anordnung hinweisen soll. Insbesondere soll folgendes hervorgehoben werden: [] 1. Unbedingt anzuerkennen ist die Absicht der Militärregierung, daß die öffentlichen Bediensteten nicht in der demokratischen Einrichtung zur Kontrolle der Behörde mitwirken, der sie selbst angehören. [] 2. Jede andere politische Betätigung sollte jedoch nicht als unerwünscht, sondern im Gegenteil gerade bei öffentlichen Bediensteten als eine Aufgabe und Pflicht gelten. [] 3. Gerade diejenigen Parteien, die die Masse der Arbeiter vertreten, sind darauf angewiesen, daß die fachlich gut unterrichteten Bediensteten der öffentlichen Behörden ihren Mitbürgern mit ihren Fachkenntnissen und ihrem sachverständigen Rat zur Verfügung stehen. [] 4. Umgekehrt hat es die Demokratisierung des öffentlichen Lebens in Deutschland aufgehalten und geschädigt, daß in früheren Zeiten viele öffentliche Bedienstete unter dem Schein einer "unpolitischen" Haltung einseitig die Politik der Dynastien oder - später - der Nazis vertreten haben. Eine offene und ehrliche politische Mitarbeit an den Parteien führt demgegenüber die Beamten auch als Bürger an die demokratische Mitverantwortung heran. In der unmittelbaren Verbindung mit allen Kräften des Lebens werden sie vor der Gefahr des "Bürokratentums" bewahrt. [] 5. Die Sozialdemokratische Partei hat in Deutschland im Kampf mit den Nazis eine Unzahl ihrer besten Funktionäre verloren, andererseits muß gerade die SPD heute in großer Zahl ihre Mitglieder für den öffentlichen Dienst zur Verfügung stellen. Eine Anordnung der Militärregierung an die öffentlichen Bediensteten, daß sie sich nicht politisch betätigen sollen, schädigt also einseitig diejenigen Parteien, die sich am tatkräftigsten für die Demokratisierung der Behörden Deutschlands einsetzen. [] Rückführung von Polizei und Justiz in die deutsche Verwaltung [] Die Stadt- und Landpolizei und die Justiz sind von der britischen Militärregierung aus der deutschen Verwaltung herausgenommen worden. Diese Maßnahme hat sich insbesondere hinsichtlich der personellen Zusammensetzung der Polizei und der Justizverwaltung nicht bewährt, wie u. a. die kürzlich erfolgte Entlassung zahlreicher Polizeibeamter und der Fall des Oberlandesgerichtspräsidenten in Hamm beweisen. [] Der Parteitag beauftragt daher den Parteivorstand, den Militärregierungen den dringenden Wunsch zu übermitteln, daß Polizei und Justiz wieder den deutschen Behörden unterstellt werden. [] Entschließung zur Flüchtlingsfrage [] Die Lösung des Flüchtlingsproblems ist einer der Ausgangspunkte der gegenwärtigen Politik. Unbeschadet der Tatsache, daß wir die letzten Konsequenzen des Naziverbrechens und des verlorenen Krieges in territorialer und politischer Hinsicht noch nicht kennen, darf die Inangriffnahme von durchgreifenden Hilfsmaßnahmen für die Flüchtlinge nicht länger aufgeschoben werden. Gelingt es nicht, die Millionen Heimat- und Existenzloser wieder in das deutsche Volksleben einzugliedern, muß es notwendigerweise zu Verzweiflungsausbrüchen und Notwehrmaßnahmen kommen, die schließlich zu einem Kampf aller gegen alle führen müssen. In diesem Kampfe würde der letzte Rest deutscher Zukunftshoffnungen untergehen. [] Darum ist die Sozialdemokratische Partei entschlossen, die zur positiven Ueberwindung des Flüchtlingselends notwendigen Maßnahmen durchzusetzen, zumal es oft in Formen auftritt, die mit der Selbstachtung einer Kulturnation unvereinbar sind. Sie fordert auch hinsichtlich der Flüchtlingsfrage einen sozial gerechten Lastenausgleich unter dem Gesichtspunkt, daß zwar nicht alle Deutschen schuldig sind an der gegenwärtigen Katastrophe, daß aber das ganze Volk für die Folgen gemeinsam haftbar ist. Alle Deutschen haben den Krieg verloren und müssen sich die Folgen teilen. [] Die Sozialdemokratische Partei appelliert an die Regierungen aller Länder, dafür Sorge zu tragen, daß die Umsiedlungen unter Beachtung der allgemein anerkannten völkerrechtlichen Gepflogenheiten stattfinden und daß dem deutschen Volke bei der Lösung der Flüchtlingsfrage entscheidende Hilfe zuteil wird. [] Die Sozialdemokratie lehnt alle Maßnahmen ab, die die Verarmten als sozial Deklassierte den noch Besitzenden zum Ersatz für die Zwangsarbeiter ausliefern wurden. Die Flüchtlinge, Evakuierten, Ausgebombten und existenzlos Gewordenen sind weder Eindringlinge noch Gäste, von denen man Verzicht und Bescheidenheit erwartet, sondern sind bei der nach dem Zusammenbruch des Dritten Reiches notwendig gewordenen Neuverteilung der deutschen Existenzgrundlagen mit allen anderen Schichten des deutschen Volkes gleichberechtigt. [] Die Sozialdemokratische Partei weiß, daß angesichts des Ausmaßes der Not sehr weitgehende Eingriffe in das nach dem Kriege übriggebliebene Eigentum notwendig sind. Dabei ist selbstverständlich der kleine Besitz außer Betracht zu lassen, der nur dazu dient, die Arbeitskraft des Eigentümers zu verwerten. Sie ist sich klar darüber, daß diese Politik auf den entschlossenen Widerstand aller stoßen wird, die ohne Rücksicht auf die Folgen für Volk und Staat unter allen Umständen ihren Besitzstand erhalten wollen. [] Mit der Hergabe von Geld allein kann niemandem geholfen werden, Realleistungen sind erforderlich. Wo die Abgabepflicht des einzelnen von ihm nicht ohne weiteres erfüllt werden kann, müssen sich Abgabepflichtige zu Leistungsgemeinschaften zusammenschließen, insbesondere bei der Abgabe von Land, Wohnraum, Geräten, Maschinen und Handwerkszeug. [] Die Sozialdemokratische Partei erwartet von allen deutschen Behörden, [] 1. daß sie die Bevölkerung über die soziale und nationale Notwendigkeit eines Lastenausgleiches durch Veröffentlichung geeigneter Unterlagen gründlich aufklären, [] 2. daß sie durch scharfen Zugriff auf Vorräte und Reservebestände und ohne Rücksicht auf private Interessen die Flüchtlinge mit den zur Lebensführung notwendigen Dingen ausstatten; [] 3. daß die Arbeitskraft der Flüchtlinge in sozial gerechter Weise sofort eingesetzt wird. [] Den Flüchtlingen sagt die Sozialdemokratische Partei, daß ihren Ansprüchen an die Gemeinschaft auch Pflichten gegenüberstehen. Ebenso wie niemandem sein gegenwärtiger Besitzstand garantiert ist, kann kein Anspruch auf völlige Wiederherstellung der früheren Verhältnisse erhoben werden. Insbesondere erwartet die Sozialdemokratie von den Flüchtlingen, daß sie aus dein unmittelbaren Erlebnis der katastrophalen Folgen der Nazipolitik die Einsicht in die Notwendigkeit eines völligen Neubaues unseres sozialen und wirtschaftlichen Lebens gewinnen, und daß sie die politische und moralische Kraft entwickeln, die zur Ueberwindung der kaltherzigen und engstirnigen Besitzverteidigungspolitik notwendig ist. [] Die Sozialdemokratie als die Partei aller Menschen, die von ihrer eigenen Arbeit leben, will sich inbesondere der Flüchtlinge und aller anderen Opfer der Nazikatastrophe annehmen, die heute der wirtschaftlich schwächste Teil unseres Volkes sind. Sie will ihnen und dem ganzen Volke zeigen, mit welchen Mitteln die lebensbedrohende Not abgewendet werden kann, und wo diese Mittel zu finden sind. Die Sozialdemokratische Partei wird aber auch die Kraft organisieren, um die Hergabe und den richtigen Einsatz der Mittel zu erzwingen, wenn der Appell an die Menschlichkeit und die nationale Verantwortung nicht genügen sollte. [] Für die Freilassung der Kriegsgefangenen [] Der Parteitag der Sozialdemokratischen Partei hält eine baldige Lösung des Kriegsgefangenenproblems für dringend erforderlich. [] Mit der Einstellung der Feindseligkeiten und mit dem Zusammenbruch der Hitlerdiktatur sind die wesentlichen Gründe für die Fortdauer der Kriegsgefangenschaft fortgefallen. [] Die große Zahl der deutschen Kriegsgefangenen erschwert eine schnelle und umfassende Entlassung und Heimbeförderung der Kriegsgefangenen. Es sollte deshalb eine schrittweise Entlassung der Kriegsgefangenen in der Weise durchgeführt werden, daß zuerst die Kriegsgefangenen entlassen werden, die auf eine einwandfreie antinazistische und demokratische Vergangenheit und Tätigkeit verweisen können. [] Der Parteitag anerkennt die Notwendigkeit, deutsche Arbeitskräfte zum Wiederaufbau der durch den Hitlerkrieg zerstörten Gebiete heranzuziehen. Diese Wiederaufbauarbeiten werden aber besser und zweckmäßiger durch freie Arbeiter unter normalen Arbeitsbedingungen durchgeführt als durch den Einsatz von Kriegsgefangenen als Zwangsarbeiter. [] Soweit die Heranziehung von Arbeitskräften im Wege des Zwangseinsatzes von den Kontrollmächten für notwendig gehalten wird, sollte der Austausch von Kriegsgefangenen, die durch ihre politische Vergangenheit ihre Eignung für den demokratischen Wiederaufbau Deutschlands bewiesen haben, gegen aktive Nazis erfolgen. [] Der Parteitag beauftragt den Parteivorstand, im Sinne dieser Anregungen auf die baldige Lösung des Kriegsgefangenenproblems hinzuwirken, vor allein auch in enger Zusammenarbeit mit den beteiligten sozialistischen Bruderparteien im Ausland. [] Organisation Jungsozialistischer Arbeitsgemeinschaften [] Der Parteitag der Sozialdemokratischen Partei beschließt, in allen Ortsvereinen unserer Partei die Mitglieder zwischen 18 und 35 Jahren zu besonderen Jungsozialistischen Arbeitsgemeinschaften zusammenzufassen. In diesen Arbeitsgemeinschaften sollen unsere jungen Parteigenossen zu sozialistischen Aktivisten erzogen werden. Das ist nur möglich, wenn in diesen Arbeitsgemeinschaften nicht nur das wissenschaftliche Rüstzeug für unsere Weltanschauung erarbeitet wird, sondern die einzelnen Mitglieder dieser Arbeitsgemeinschaften zugleich aktiv in der parteipolitischen Kleinarbeit stehen. [] Förderung des Sportgedankens [] Der Parteitag erkennt die Bedeutung der Sportbewegung, als Mittel zur demokratischen Erziehung sowie sittlichen und moralischen Ertüchtigung der Jugend. [] Der Parteitag weiß um die Gefahr der insbesondere die deutsche Jugend ausgesetzt ist, wenn die Sportbewegung länger dem direkten und indirekten Einfluß reaktionärer, nazistischer und militärischer Beeinflussung ausgesetzt ist. [] Die Partei hat der Förderung des Sportgedankens im Sinne unserer sozialistischen Erziehungsaufgaben ihr besonderes Augenmerk zu schenken. Die Delegierten des Parteitages beantragen die Errichtung eines Sportreferates beim Parteivorstand, dem die Beobachtung und Ausrichtung in allen Fragen des Sports und verwandten Gesellschaftsorganisationen als besondere Aufgabe übertragen ist. [] Als Referent wird Genosse Fritz Wildung vorgeschlagen.
Published:08.05.1946 - 11.05.1946