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Sonderdruck zur 1. Tagung der sozialdemokratischen Werbegestalter [] Clyde R. Miller, Institut für Propaganda-Analyse [] Kunstgriffe der Propaganda [] Das Institut für Propaganda-Analyse wurde im Jahre 1937 unter der Leitung von Professor Clyde R. Miller vom Teachers' College der Columbia-Universität gegründet. Der Direktionsausschuß des Instituts besteht aus hervorragenden Lehrern am [!] amerikanischen Colleges und Universitäten. [] Was versteht man unter Propaganda? [] Allgemein gesprochen, bedeutet Propaganda die Aeußerung einer Meinung oder eine von Individuen oder Gruppen ausgehende Aktion, die darauf hinzielt, die Meinungen oder Handlungen anderer Individuen oder Gruppen in einer bestimmten Richtung zu beeinflussen. Propaganda unterscheidet sich also sehr wesentlich von wissenschaftlicher Analyse. Der Propagandist versucht, etwas zu "lancieren" und durchzusetzen, einerlei ob gut oder schlecht, während der Wissenschaftler nur die Wahrheit und den objektiven Tatbestand zu erkennen und festzustellen trachtet. [] Der Propagandist wünscht keine eingehende, kritische Untersuchung, er wünscht nur eine bestimmte Handlung, hervorzurufen. Da diese Handlung im sozialen Sinne für Millionen von Menschen nützlich oder schädlich sein kann, ist es nötig, den Propagandisten und seine Tätigkeit mit dem Scheinwerfer wissenschaftlicher Untersuchung zu beleuchten. [] Wir lassen uns durch Propaganda hauptsächlich irreführen, weil wir sie nicht als solche erkennen. Wir können nun Irreführungen leichter durchschauen, wenn wir mit den sieben üblichsten Propagandakunstgriffen vertraut sind. Diese sind: [] 1. Der Kunstgriff der Schimpfnamen. 2. Der Kunstgriff der schönen Redensarten. 3. Der Kunstgriff der Uebertragung. 4. Der Kunstgriff der persönlichen Bestätigung. 5. Der Kunstgriff des "schlichten Mannes aus dem Volk". 6. Der Kunstgriff, mit falschen Karten zu spielen. 7. Der Kunstgriff der Reklametrommel. [] Warum lassen wir uns von diesen Kunstgriffen irreführen? Weil sie sich mehr an unsere Instinkte und Gefühle wenden als an unseren Verstand, Sie veranlassen uns, etwas zu glauben oder zu tun, was wir nicht glauben oder tun würden, wenn wir ruhig und kühl darüber nachdächten. Wir wollen bei der Untersuchung dieser Kunstgriffe gleich feststellen, daß sie am wirksamsten sind in Augenblicken, wo wir zu faul sind, selbst nachzudenken; und daß sie sich unserer unklaren Gefühlsreaktionen bemächtigen, um uns für oder gegen bestimmte Nationen, Rassen, Religionen, Ideale, ökonomische oder politische Richtungen und Maßnahmen einzunehmen, genau so wie für oder wider hundert andere Dinge, wie Automobile, Radioapparate, Zahnpasten, Präsidenten und Kriege. [] Die Schimpfnamen [] Der Kunstgriff der Schimpfnamen dient dem Zweck, uns dazu zu bringen, ein Urteil zu fällen, ohne die Beweisgründe dafür nachzuprüfen. Hier wendet sich der Propagandist an unsere Haß- und Furchtgefühle. Er tut das mit Hilfe von schimpflichen Bezeichnungen für diejenigen Individuen, Gruppen, Nationen, Rassen, politischen Richtungen und Maßnahmen, Glaubenssätze und Ideale, die er von uns verurteilt oder abgelehnt sehen möchte. Jahrhunderte hindurch war der Name "Ketzer" ein furchtbares Schimpfwort. Tausende wurden als Ketzer unterdrückt, gefoltert und hingerichtet. Jeder, der anders. dachte, glaubte oder handelte als die Allgemeinheit, war in Gefahr, Ketzer genannt zu werden. Im Licht unserer heutigen Erkenntnis waren manche dieser Ketzereien "schlecht" und andere "gut". Viele Pioniere der modernen Wissenschaft sind Ketzer genannt worden; man denke an Kopernikus, Galileo Galilei und Giordano Bruno. Unser heutiges Repertoire von Schimpfworten umfaßt die Bezeichnungen: Demagoge, Diktator, Roter, Plutokrat, Kommunist, Ausländer, Stänker, ausländischer Agitator, wirtschaftlicher Reaktionär, Utopist, Aufrührer, Tory u. a. m. [] Der Gebrauch von Schimpfnamen, deren eigentliche Bedeutung dabei im Unklaren gelassen wird, ist vielleicht das gewöhnlichste aller Propagandamittel. Diejenigen, die den status quo aufrecht erhalten wollen, beschimpfen jene, die ihn ändern möchten. Und diejenigen, die den status quo ändern möchten, beschimpfen jene, die ihn aufrecht erhalten wollen. [] Schöne Redensarten [] Das Feuerwerk der schönen Redensarten ist ein Kunstgriff, durch den der Propagandist sein Programm mit Hilfe von idealistischen Phrasen mit den höchsten Idealen der Menschheit identifiziert. Er appelliert an unsere Gefühle von Menschenliebe, Großmut und Brüderlichkeit. Er gebraucht Worte wie Wahrheit, Freiheit, Ehre, soziale Gerechtigkeit, Dienst an der Allgemeinheit, das Recht auf Arbeit, Loyalität, Fortschritt, Demokratie, Verteidigung der Konstitution. Diese Worte bezeichnen höchste Ideale, an die alle wohlgesinnten Leute glauben, daher sucht der Propagandist uns für seine Sache zu gewinnen, indem er seine besondere Gruppe, Nation, Rasse, Politik, Maßnahmen oder Glaubenssätze mit solchen Idealen gleichsetzt. Während man durch den Gebrauch von Schimpfworten uns dahin zu bringen sucht, ein Verdammungsurteil ohne Prüfung der Tatsachen zu fällen, sind die schönen Redensarten ein Kunstgriff, der uns dazu bringen soll, etwas zu akzeptieren oder gut zu heißen, ohne die Tatsachen geprüft zu haben. [] Schimpfnamen, ebenso wie schöne Redensarten wollen mit großem Aufwand an Worten gefühlsmäßige Reaktionen in uns auslösen und unser Denken vernebeln. In dem einen Fall werden negative Worte gebraucht, um unseren Zorn zu entfachen, und im anderen "positive", um uns zu begeistern. [] Der Propagandist ist in der Anwendung dieser Kunstgriffe dann am wirksamsten, wenn er uns Teufel zu bekämpfen oder Götter zu verehren gibt. Unter dem Einfluß seiner negativen Worte wird irgendeine Nation, Rasse, Gruppe, Politik, Methode oder irgendein Individuum oder Ideal für uns zu einer Personifizierung des Teufels, zu dessen Vernichtung wir uns berufen fühlen; während unter dem Einfluß von "positiven" Worten irgendeine Nation, Rasse, Gruppe usw. für uns zu einem Idol göttlicher Vollkommenheit wird. Werte, die für die Einen "negativ" sind, sind für Andere "positiv" oder können es werden. [] Die Uebertragung [] "Uebertragung" ist ein Kunstgriff, mit welchem der Propagandist das Ansehen und das moralische Prestige von etwas, das, allgemein Respekt abnötigt, auf die Sache überträgt, die er uns aufnötigen will. Die meisten von uns halten beispielsweise ihre Kirche und ihre Nation in Ehren. Wenn es dem Propagandisten gelingt, die Unterstützung der Kirche oder Nation für eine Kampagne zugunsten eines bestimmten Programms zu gewinnen, so überträgt er dadurch das Ansehen und moralische Prestige dieser Institution auf sein Programm. Auf diese Weise werden wir vielleicht dazu gebracht, etwas zu akzeptieren, was wir andernfalls ablehnen würden. [] Bei dem Kunstgriff der Uebertragung werden beständig Symbole angewandt. Das Kreuz repräsentiert die christliche Kirche, die Flagge repräsentiert die Nation. Standardfiguren, wie die des "Onkel Sam" oder "John Bull" repräsentieren, die gesamte öffentliche Meinung und erwecken lebhafte Gefühlsreaktionen. Ihr bloßer Anblick genügt, um mit Blitzschnelle den ganzen Gefühlskomplex zu erwecken, der sich in uns mit Kirche und Nation verbindet. Wenn ein politischer Karikaturist in seiner Zeichnung Onkel Sam eine Mißbilligung über ein Budget für Arbeitslosenunterstützung ausdrücken läßt, so ruft er in uns das Gefühl hervor, daß ganz Amerika gegen Arbeitslosenunterstützung ist; durch die Darstellung eines Onkel Sam jedoch, der demselben Programm zustimmt, kann der Zeichner uns das Gefühl geben, daß das gesamte amerikanische Volk dafür ist. In dieser Weise wird der Kunstgriff der Uebertragung sowohl für wie gegen eine bestimmte Sache oder Idee angewandt. [] Persönliche Bestätigung [] Die Bestätigung ist ein Kunstgriff, der dazu dient, uns etwas aufzuschwatzen, sei es nun eine Patentmedizin oder Zigarettenmarke oder ein politisches Programm, wobei der Propagandist das Publikum durch das Zeugnis anderer beeinflußt. Er läßt z.B. eine populäre Persönlichkeit oder bloße Reklamefiguren aussagen. "Wenn ich müde bin, rauche ich eine Camel und fühle mich sofort wie neugeboren." - "Wir glauben, daß John L. Lewis' Plan für die Organisierung der Arbeiterschaft hervorragend ist; er verdient jede Unterstützung." Dieser Kunstgriff wirkt auch umgekehrt angewandt im Sinne einer gegnerischen Bestätigung. Gegen Handelsprodukte wird er selten, in sozialen, ökonomischen und politischen Streitfragen dauernd gebraucht. [] Der Mann aus dem Volke [] Der Kunstgriff, den einfachen Mann aus dem Volk zu spielen, wird von Politikern, Arbeiterführern, Geschäftsleuten und selbst von Pfarrern und Erziehern häufig angewandt, um das Zutrauen zu erwecken, das Leute wie wir selber genießen - "nichts als schlichte, einfache Leute und gute Nachbarn." Besonders in den Jahren der Wahlen zeigen die Kandidaten ihre Liebe für kleine Kinder und die schlichten, hausbackenen Dinge des Lebens. Sie machen "Haustür-Kampagnen" und offenbaren ihre Vorliebe für das "traute Heim" und die "gute Mutter". Kurz, sie möchten unsere Stimmen gewinnen, indem sie uns zeigen, daß sie genau so einfache Leute sind, wie wir selber - "grade nur schlichte Männer aus dem Volk" - und infolgedessen natürlich weise und gut. Geschäftsleute spielen oft den "einfachen Mann" ihren Arbeitern gegenüber. [] Falsche Karten [] Mit falschen Karten spielen ist ein Kunstgriff, bei dem der Propagandist alle Künste der Täuschung und des Truges anwendet, um unsere Unterstützung für sich selbst, seine Gruppe, Nation, Rasse, Politik, Methoden und Ideale zu gewinnen. Er entstellt bewußt die Wahrheit. Er übertreibt oder "untertreibt", um sich um Diskussionen zu drücken und den Tatsachen aus dem Weg zu gehen. Er "vernebelt" eine peinliche Angelegenheit, indem er mit großem Trara eine neue Streitfrage aufs Tapet bringt. Er liefert Halbwahrheiten unter der Maske der Wahrheit. Durch den Kunstgriff der "falschen Karten" wird ein mittelmäßiger Kandidat als ein Genie hingestellt; ein gewöhnlicher Boxer wird zum voraussichtlichen Weltmeister, eine wertlose Patentmedizin zum Allheilmittel. Mit Hilfe dieses Kunstgriffs könnten uns die Propagandisten sogar davon überzeugen, daß ein rücksichtsloser Angriffskrieg ein Kreuzzug für die Gerechtigkeit ist. Zu dieser Art von Falschspielerei gehören Täuschung, Heuchelei und Unverschämtheit. [] Die Reklametrommel [] Der Kunstgriff der "Reklametrommel" zielt darauf ab, uns von der Menge mitreißen zu lassen und das Programm des Propagandisten in einem Massenrummel zu akzeptieren. Hier ist die Devise: "Jeder ist dafür!" Der Propagandist benutzt jede beliebige Technik: die des Marktschreiers, wie die des großen Theaters. Er mietet einen großen Saal, füllt ein ganzes Sportstadion und läßt Millionen Menschen in Paraden aufmarschieren. Er benutzt Symbole, Farben, Musik und Bewegung, alle dramatischen Effekte. Er appelliert an den allgemein menschlichen Wunsch "mit dabei zu sein". Da er wünscht, daß möglichst viele von uns "mit dabei" sind, wendet er sich an ganze Gruppen, die durch die Bande von Nationalität, Religion, Rasse, Umgebung, Geschlecht oder Beruf miteinander verbunden sind; seine Kampagne für oder gegen ein Programm wendet sich also an uns als Katholiken, Protestanten oder Juden, Angehörige der nordischen Rasse oder der Negerrasse, als Farmer oder Schullehrer, als Hausfrauen oder Bergleute, alle Kniffe der Schmeichelei werden angewandt, um die einer Gruppe gemeinsamen Furcht- oder Haßgefühle zu mobilisieren. [] Propaganda und Gefühlsreaktionen [] Man beachte, daß bei all diesen Kunstgriffen unsere Gefühlsreaktionen das Material bilden, womit der Propagandist arbeitet. Ohne sie wäre er machtlos. Indem er unsere Gefühle geschickt auszunutzen versteht, kann er uns mit glühendem Stolz oder brennendem Haß erfüllen und uns zu fanatischen Anhängern seines Programms machen. Wenn er nicht an unsere Gefühle appellieren könnte, an unsere Aengste und an unseren Mut, an unsere Selbstsucht und an unsere Selbstlosigkeit, dann würde er kaum irgendeinen Einfluß auf unsere Meinung und unsere Handlungen ausüben. [] Wir wollen damit nichts gegen die "Gefühle" als solche sagen, die ja doch einen wesentlichen Teil unserer Erlebniswelt darstellen, und wir wollen auch nicht behaupten, daß alle Ziele der Propagandisten an sich "schlecht" sind. Wir wollen bloß festhalten, daß der intelligente Staatsbürger seine Gefühlsregungen nicht von den Propagandisten ausgenützt sehen will, ohne genau zu wissen, um was es sich handelt. Er will nicht zur Erreichung von "Zielen" benutzt werden, die er vielleicht später bei klarer Ueberlegung, für schlecht halten wird. Er will sich nicht übertölpeln lassen, auch nicht für einen guten Zweck. Er will den Tatbestand kennen, und dazu gehört auch die Frage, wie weit seine eigenen Gefühlsreaktionen dabei ausgenutzt werden. [] Aus dem Jahrbuch "New Directions" New York.
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