Summary: | Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals; Herkunft: SPD-Landesverband Bayern, Signatur 76
Wahlaufruf der Sozialistischen Partei [] Wähler und Wählerinnen von Österreich! [] In geschichtlicher Stunde ruft die Provisorische Staatsregierung euch auf, durch freie Wahl euch eine Volksvertretung und damit der Republik eine vollberechtigte Regierung zu geben. [] Das künftige Schicksal des Landes ist damit in die Hände des Wählers gelegt. Gewissenhaft muß er sich selbst entscheiden, wen er wählt, denn er entscheidet damit über die Zukunft des ganzen Volkes. [] Unheil und Elend waltet im Lande. Wer hat dagegen alles, was in seiner Macht stand, aufgeboten, es zu verhüten? Erinnert euch! Welche Partei hat seit ihrem Bestande, seit dem Jahre 1889, ohne Unterlaß das Volk gewarnt vor den Gefahren des Militarismus? Welche Partei hat nach dem furchtbaren ersten Weltkrieg von 1914 bis 1918 die Parole durch alle Länder Europas, ja der ganzen Welt, getragen: [] "Nie wieder Krieg!" [] Ihr müßt bekennen: Wir waren es, die Sozialisten! Viele sind diesem Ruf gefolgt - aber eine Mehrheit unseres Volkes hat anderen Parteien vertraut. Unverstand und Leichtsinn haben uns verspottet! [] Und doch haben wir recht behalten: Die Katastrophe vor der wir leidenschaftlich gewarnt haben, ist zweimal über uns hereingebrochen und heute tragen wir die Folgen! [] Erinnert euch! Wer hat das Volk in allen Ländern gewarnt vor den Verschwörungen des schwerindustriellen Kapitalismus, der zum Kriege treibt - um der Kriegsgewinne willen? [] Es waren die Sozialisten aller Länder und mit ihnen dieösterreichische Sozialdemokratie! [] Wohl alle haben uns angehört, viele sind uns gefolgt. Aber eine verblendete Menge hat den Verleumdungen eines Fürsten Starhemberg lieber Gehör geschenkt, hat im Dienst der Geldsäcke der Alpinen Montangesellschaft bewaffnete Heimwehrscharen gebildet, um die Sozialdemokratie niederzuschlagen [!] [] Sie haben den Krieg im Innern des Staates entfesselt - den Vorboten des Völkerkrieges! [] Sie haben dem braunen Faschismus, dem Nationalsozialismus den Weg gebahnt. Sie haben der gewaltsamen Besetzung und politischen Vernichtung unserer ersten Republik durch das Deutsche Reich vorgearbeitet. [] So wurde Österreich das erste Opfer der abenteuerlichen Eroberungssucht und Herrschgier des Nationalsozialismus und zugleich das letzte Opfer seiner verbrecherischen Kriegführung. [] Sozialisten waren es, die immer wieder zum Widerstand gegen die deutsche Herrschaft, zum Kampf für die Befreiung vom Joch des Hitler-Faschismus aufriefen. Sie rufen auch heute zum entschlossenen Widerstand gegen jede Form des Faschismus und der Diktatur. [] Österreicher! Betrachtet die Ruinen eurer Städte, die Verwüstung eurer Felder, die unersättlichen Gräber der Kriegsgefallenen und urteilt: [] Welche Partei hat am klarsten erkannt, wohin diese Politik, wohin die Verachtung der Volksrechte, die Verherrlichung des Militarismus, die Hetze des Nationalsozialismus letzten Endes führen? Wer hat durch mehr als 50 Jahre gewarnt? Die österreichische Sozialdemokratie! [] Wir wollen heute nicht mit den Verblendeten rechten. Aber wir trauern um die Opfer ihrer Verblendung, wir, die das herannahende Verhängnis 1934 im offenen Kampf verhindern wollten, wir trauern um die Opfer von 1934, die den Henkern und Bütteln, den Kerkermeistern ausgeliefert worden sind. Sie sind für Österreichs Freiheit gefallen, wir ehren ihr Angedenken! [] Aber trotz Faschismus und Naziterror haben unsere Genossen in den Reihen der Revolutionären Sozialisten den unterirdischen Kampf gegen das Gewaltregime über ein Jahrzehnt fortgeführt und den Glauben an unsere hehre Sache aufrechterhalten. Verfolgungen, Zuchthaus, Konzentrationslager und Fallbeil mußten sie dafür auf sich nehmen, aber alle Einsichtigen müssen bekennen: [] Die Geschichte des letzten Jahrzehnts hat den Sozialisten recht gegeben! [] Als Verräter der Nation hat man sie beschimpft, weil sie verkündeten: Jeder Nation ihre Selbstregierung! Verlacht hat man ihre Idee, einen Weltbund freier Völker herzustellen. Dieser Weltbund wird soeben begründet - leider ohne uns - und auf den Trümmern unserer Kulturstätten, auf den Leichenäckern unzähliger Schlachtfelder über einer verarmten und siechen Menschheit! [] Mit den Bürgern aller besiegten Staaten müßt ihr nun gestehen: Hätten wir doch der Sozialdemokratie mit unseren Stimmen die Macht in die Hand gegeben: noch stünden unsere Häuser, noch lebten unsere Brüder und Söhne! [] Bauern, die ihr den Pflug über zertrampelte Felder führt, Bürger, die ihr in Werkstätten und Läden um euren und eurer Kinder Unterhalt ringt, ihr waret es zumeist welche die sozialistische Arbeiterschaft mißverstanden haben. [] Haben es doch viele von euch unerträglich gefunden, daß der Arbeiter der Fabrik, der Angestellte, daß der, der da nichts besitzt als seine Arbeitskraft, dasselbe politische Recht haben solle wie der Besitzende! [] Mit diesem Argument haben euch Grundherren und Kapitalisten für die Interessen des Großbesitzes eingefangen und so die Demokratie hassen gelehrt, so haben sie euch dem Faschismus und dem "Führer" zugetrieben. Bitter, ja blutig hat sie gerächt, für einen einzigen Mann die ganze Volksgemeinschaft preiszugeben. [] Wer aber stand hinter dem sogenannten "Führer" allüberall? Das Finanzkapital, die Rüstungsindustrie, die Militärkaste! [] Arbeiter, Bürger und Bauern! Ihr dürft nicht länger zurückbleiben! Reiht euch ein in die Reihen des demokratischen Sozialismus! Ihm könnt ihr beruhigt die Zukunft des Landes anvertrauen! Ebenso wie 1918 wird er den Staat nach dem Muster der Demokratie neu erbauen! Diesmal, dank eurer Stimme, in unzerstörbarer Festigkeit: Unerschütterlich erstehe durch unsere vereinte Kraft [] die demokratische Zweite Republik Österreich, frei und unabhängig nach Nord und Süd, Ost und West! [] Es gilt, die unter so schweren Opfern wiedererrungene Freiheit zu festigen, den Wiederaufbau der Demokratie zusichern. Nie wieder soll sie von ihren Gegnern gemeuchelt werden. Die Sozialistische Partei hat niemals auch nur einen Augenblick in ihrer Treue zur Demokratie geschwankt. Sie hat aus ihren Reihen Baumeister und Blutzeugen der Demokratie gestellt. Auch heute ist wieder ein Sozialist, unser Staatskanzler Dr. Karl Renner, an der Spitze der Provisorischen Regierung, die zum Neuaufbau der demokratischen Republik Österreich unschätzbare Arbeit unter schwierigsten Bedingungen geleistet hat. [] Aber der Wiederaufbau des Staates ist nicht möglich ohne den Wiederaufbau der Wirtschaft.Österreichs Wirtschaft ist heute durch Krieg und Kriegsfolgen auf das schwerste erschüttert und zerstört. Nur eine gemeinsame Anstrengung, von der Gemeinschaft gelenkt, kann den Wiederaufbau vollbringen. [] Die Sozialisten haben seit je die Vorzüge planmäßigen Wirtschaftens, und der Gemeinwirtschaft für Großindustrie und Bergbau, Bank- und Versicherungswesen, Verkehr und Energiewirtschaft vertreten, die die Geschichte jetzt in allen Ländern auf die Tagesordnung gestellt hat - auch inÖsterreich. Der Wiederaufbau unseres Landes kann sich gar nicht anders vollziehen, als indem gewisse Schlüsselindustrien unter die Kontrolle der Volksgesamtheit gebracht, verstaatlicht oder auf sonst eine Art vergesellschaftet werden. Auf der anderen Seite muß dem Bauern und dem kleinen Geschäftsmann und Gewerbetreibenden sein Wirtschaftsgut ungeschmälert erhalten bleiben. [] Wirtschaft zum Wohle des Ganzen muß die Losung des Wiederaufbaues sein! [] Nehmt teil an diesem Aufbauwerk und laßt euch nicht länger irremachen durch die Einflüsterungen unserer Gegner! [] Welche Angst haben euch diese einzuflößen gesucht! Die Partei des Sozialismus, haben sie gesagt, sei die Partei der gewaltsamen Enteignung, des gesellschaftlichen Umsturzes, die Partei der Heimatlosen, der vaterlandslosen Gesellen! [] Wir rufen gegen sie das Zeugnis unserer Taten auf! [] Von 1918 bis 1934 war die Sozialdemokratie zwei Jahre lang in der Staatsregierung, einige Jahre lang führend in Wien, in größeren und kleineren Gemeinden des Landes. [] Zeigt uns doch den Bauern, den wir von seiner Wirtschaft gewaltsam vertrieben haben! Wir werden zehntausende Siedler und Kleingärtner dagegenhalten, denen wir ein Fleckchen Erde angewiesen haben, damit jeder von ihnen der Notdurft des Lebens leichter Herr werde! [] Ihr Männer und Frauen! Zeigt uns doch einen einzigen Werktätigen, den wir gewaltsam enteignet, den wir um Haus und Hof gebracht haben! [] Hunderttausenden Familien haben wir eine wohnliche Heimstatt in unseren Wohnbauten bereitet, in Wien allein mehr als siebzigtausend! [] Und wir werden wieder aufbauen, mit doppeltem Eifer, da die Not durch den Faschismus übergroß geworden ist. [] Wir sind, so sagen jene, die Partei der Heimatlosen! Wir sind es gerade, die daran arbeiten, den Heimatlosen endlich eine gesicherte Heim- und Arbeitsstätte zu schaffen! Aber sogenannte Heimatschützer haben beigetragen, daß Hunderttausende ihre Heimat verloren haben. Unser Werk soll es sein, sie ihnen wiederzugeben! [] Ihr, deren Heim der Zerstörung entronnen ist, helft mit euren Stimmen! Helft uns, daß auch die anderen durch unsere gemeinsamen Anstrengungen wieder zu einer Heimstatt und zu Wohlstand kommen! [] Das will der Sozialismus, ja das will heute die große Mehrheit aller großen Nationen der Erde. Deshalb ist der Sozialismus allüberall, im Osten und im Westen, im Norden und im Süden, siegreich im Vormarsch! Ihm gehört nicht bloß die Zukunft, ihm gehört schon heute die Gegenwart! [] Niemand aber soll sich ausschließen von dem Werk, das in der ganzen Welt in Gang ist! Jedermann soll sich einreihen in die große Armee des Sozialismus! [] Dem Arbeitervolk in Stadt und Land rufen wir zu: Der Sozialismus ist seit jeher eure Kampfparole! Alle unter die Fahnen! Es geht zum Ziel, zum endlichen Aufbau einer Gesellschaftsordnung der Freiheit und Gerechtigkeit, des allgemeinen Wohlstandes und Friedens! [] So wollen wir den Massen des Volkes ein wahres Vaterland schaffen. Wir wollen, daß dieses Land stark, gesund und wieder reich werde, daß es die verlorene Achtung aller anderen Nationen wieder erringe. [] Wir sind verurteilt, auf den Trümmern zweier Weltkriege wieder zu beginnen. Aber wir werden es erzwingen, daß unsere Felder wieder reichliche Ernte tragen, unsere Werkstätten wieder arbeiten, unsere Städte wieder gedeihen, Kunst und Wissenschaft wieder blühen und das harte Leben von heute wieder lebenswert wird. [] Jeder, der uns bei diesem Werke beistehen will, wähle die [] Sozialistische Partei Österreichs!
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