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Handelspolitische Flugblätter der "Nation." [] Nr. 4. [] Maximal- und Minimaltarif. [] Für die bevorstehende Revision des deutschen Zolltarifs wird gegenwärtig von agrarischer Seite als erste Forderung die Aufstellung eines Doppeltarifs, eines sogenannten Maximal- und Minimaltarifs, verlangt. Die neueste Eingabe des Vorstandes des Bundes der Landwirthe an den soeben ernannten Reichskanzler Grafen v. Bülow gibt dieser Forderung einen ebenso rücksichtslosen wie bezeichnenden Ausdruck. [] Im alten deutschen Zollverein wie im neuen deutschen Reiche hat man sich bisher mit einem einheitlichen, allgemeinen Zolltarif begnügt, dessen Sätze als Regel auf die Erzeugnisse aller Länder angewendet wurden. Diese Zollsätze sind indessen auch durch Tarifverträge mit anderen Staaten ermäßigt oder im Falle eines Zollkrieges allein einem einzelnen Lande gegenüber erhöht worden. Bei dem nunmehr verlangten System sollen von vornherein zwei vollständige, gesonderte Tarife aufgestellt werden: ein allgemeiner Zolltarif mit höheren Sätzen und ein Spezialtarif mit niedrigeren Sätzen. Der allgemeine oder Generaltarif, für den man den wenig zutreffenden Namen "Maximaltarif" erfunden hat, soll als Regel auf die Erzeugnisse aller Länder Anwendung finden, denen nicht besondere Zugeständnisse gemacht werden; der zweite Tarif, der "Minimaltarif", trägt dagegen seinen Namen mit Recht, denn feine Sätze sollen die unterste Grenze bezeichnen, bis zu welcher vertragsmäßig Ermäßigungen der Sätze des allgemeinen Tarifs einzelnen Ländern zugebilligt werden dürfen. [] Das System des Minimal- und Maximaltarifs ist zuerst in Frankreich ersonnen worden, und seine Tendenz ist aus der Geschichte seiner Entstehung sofort klar zu erkennen. Frankreich hatte auf Grund eines einheitlichen autonomen Zolltarifs vom Jahre 1881 in den Jahren 1881 und 1882 Tarifverträge mit Belgien, Italien, Portugal, Holland, Schweden-Norwegen, Spanien und der Schweiz abgeschlossen, durch welche jenen Staaten insgesammt für etwa 1200 Artikel Ermäßigungen bis zu 24 Proz. im Vergleich zum Generaltarif zugestanden wurden; den gleichen Vortheil genossen Deutschland, England, Oesterreich-Ungarn, Rußland und die Türkei als meist begünstigte Länder. Gegen diese Handelverträge erhoben aber bald sowohl Agrarier wie Industrieschutzzöllner lebhafte Klagen, und nachdem insbesondere in den Jahren 1883 bis 1890 die von Beiden angefachte Bewegung starke Fortschritte gemacht hatte, überboten sich unter der Führung Méline's die Interessenten in immer neuen Forderungen. Die im Oktober 1890 von der Regierung den Kammern gemachte Zollvorlage trug diesen Forderungen in ausgiebigstem Maße Rechnung, indem sie zugleich das System eines Maximal- und Minimaltarifs in Vorschlag brachte. Die Sätze des Maximaltarifs wiesen im Durchschnitt eine Steigerung von 70 Proz. gegen diejenigen des Tarifs von 1881 auf und kamen in vielen Fällen einem Einfuhrverbot gleich; die Sätze des Minimaltarifs waren durchschnittlich etwa 40 Proz. höher als die Sätze von 1881. Aber selbst diese Sätze wurden in der Deputirtenkammer und im Senat theilweise noch weiter erhöht. [] Die Handelsvertragspolitik war hierbei vollständig in den Hintergrund gedrängt worden, ja man kann sagen, daß die Abneigung gegen Handelsverträge sowohl die Regierung wie das Parlament zur Annahme eines Doppeltarifs geführt hat. Die Festsetzung der Zölle sollte überhaupt der autonomen Gesetzgebung des Landes nicht entzogen werden. Deshalb wurde ein Generaltarif geschaffen, der je nach den Umständen zu jeder Zeit abgeändert werden kann; deshalb wurde ein Minimaltarif aufgestellt, dessen Sätze die Grenze der Zugeständnisse bilden, bis zu welchen bei Verträgen gegangen werden darf, ohne daß die betreffende Industrie des ihr gebührenden Zollschutzes beraubt würde. Der Generaltarif ist der gleichmäßig auf alle Länder anzuwendende Tarif, wenn keine besonderen Abmachungen bestehen. Die Sätze des Minimaltarifs können, sämmtlich oder theilweise, denjenigen Staaten gegenüber Anwendung finden, welche - so heißt es im Gesetz - "den französischen Waaren entsprechende Vortheile gewähren und welche auf dieselben ihre niedrigsten Tarife anwenden." Die Stellung der französischen Gesetzgeber zur Handelsvertragspolitik bei Annahme dieses Doppeltarifsystems ergibt sich aus der Begründung der Vorlage, in welcher bemerkt wurde: "Die Regierung wollte nicht von vornherein die Möglichkeit der Vertragspolitik gänzlich ausschließen, denn hierdurch könnte Frankreich leicht in eine völlige wirtschaftliche Isolirtheit gelangen, die eventuell zu gefährlichen Repressalien führen würde." Noch schroffer stellte sich der Führer der parlamentarischen Mehrheit, Méline, indem er den Wunsch aussprach, daß die Regierung bei Vertragsverhandlungen selbst auf eine Bindung des Minimaltarifs verzichte und fremden Staaten nur Meistbegünstigung gewähre. [] Die Aufstellung des französischen Doppeltarifs bedeutet den Sieg der Hochschutzzöllnerei und des Agrarierthums über die Handelsvertragspolitik - das lehrt die Geschichte seines Zustandekommens. Die Tendenz einer strengen Abschätzung des inländischen Marktes triumphirte über das Streben nach Sicherung und Förderung des Absatzes nach dem Auslande. Hochschuhzöllnern und Agrariern mußte ein solches System freilich gefallen. Der Minimaltarif sicherte ihnen in jedem Falle, auch beim Abschluß neuer Handelsverträge, einen Zollschutz, wie sie ihn selbst als unentbehrlich bezeichnet hatten; soweit nicht Abmachungen mit anderen Ländern Platz griffen, fiel ihnen auch noch ein Plus aus den höheren Sätzen des Maximaltarifs [...] das sie gern hinnahmen. [] Man rühmt freilich auch den Doppeltarif vom konstitutionellen Standpunkte. Ein Parlament werde leicht in eine peinliche Lage gebracht, wenn ein vorgelegter Handelsvertrag solche Zollermäßigungen enthalte, welche die parlamentarische Mehrheit als nachtheilig für die betreffenden Produktionszweige ansehe, denn es sei sehr schwer, um dieser Nachtheile willen einen Vertrag zu verwerfen, der vielleicht für andere Produktionszweige große Vortheile enthalte; auch für eine Regierung könnten im internationalen Verkehr höchst unangenehme Folgen entstehen, wenn ein von ihr mit einer auswärtigen Regierung vereinbarter Vertrag vom Parlament verworfen würde. Bei dem Doppeltarif könne weder die Regierung noch die parlamentarische Mehrheit in eine solche üble Lage kommen, weil von vornherein durch Übereinstimmung der gesetzgebenden Faktoren festgesetzt sei, bis zu welcher Grenze die Regierung bei den Verhandlungen über einen Vertrag in ihren Zugeständnissen gehen könne. Abgesehen von der staatsrechtlichen Frage, ob im Deutschen Reiche nicht Kaiser und Bundesrath durch einen Minimaltarif in der ihnen verfassungsmäßig zustehenden Befugniß zum Abschluß von Handelsverträgen in unzulässiger Weise beschränkt würden, steht aber bei diesem System dem konstitutionellen Vortheil, wenn es ein solcher ist, unzweifelhaft ein wesentlicher materieller Nachtheil gegenüber. Denn das Wettrennen nach hohen Schutzzöllen, zu welchem, wie die Erfahrung lehrt, jede schutzzöllnerische Revision eines Zolltarifs den lebhaftesten Anreiz gibt, findet bei einem Doppeltarif noch einen weit größeren Spielraum, sich zu entwickeln, als bei einem Einheitstarif. Selbst von schutzzöllnerischer Seite wird zugegeben, daß es in der Natur der Sache begründet und erklärlich sei, wenn in nicht wenigen Fällen von den Produzenten absichtlich [?] [...] als die durchaus erforderlichen Minimalzölle als solche angegeben werden; das Verlangen, von vornherein den Zollsatz anzugeben, der bei dem "Schutz der nationalen Arbeit" den geringsten Nutzen lasse, rufe einen scharfen Konflikt mit dem Eigennutz hervor, und es sei begreiflich, wenn dieser den Sieg davon trage. Wirkt somit schon die Feststellung eines Minimaltarifs darauf hin, die Produzenten die Grenze für den "unentbehrlichen Zollschutz" möglichst in die Höhe schrauben zu lassen, so ist vollends den Wünschen nach höchsten Sätzen im Generaltarif gar keine Schranke gezogen, weil der einzige Maßstab, der sonst bei Bemessung von Schutzzöllen noch in Anwendung kommen kann, die nachgewiesene "Notwendigkeit" eines bestimmten Maßes von Zollschutz, hier einfach fortfällt. Man kann deshalb die Steigerung der bestehenden Tarifsätze ebenso gut um zweihundert Prozent wie um hundert Prozent verlangen. Aber jeder dieser Phantasiezölle kann im gegebenen Falle Wirklichkeit werden, und gerade je höher die Sätze des Minimaltarifs geschraubt werden, je größer also die Wahrscheinlichkeit wird, daß Tarifverträge mit anderen Staaten nicht zu Stande kommen, um so näher rückt auch die Möglichkeit, daß größtentheils oder ausschließlich die Sätze des Maximaltarifs zur Anwendung kommen. [] Während in Frankreich Hochschutzzöllnern und Agrariern mit dem Doppeltarif die sehr reale Gabe einer Fülle neuer, hoher Schutzzölle dargeboten wurde, mußten sich die Freunde der Handelsvertragspolitik mit einigen vagen Vertröstungen begnügen, denen die Gesetzgebung selbst, wie die mitgetheilte Stelle aus der Begründung beweist, nicht viel Werth beilegte. Trotzdem will man in Deutschland, namentlich von agrarischer Seite, den Maximal- und Minimaltarif als das wirksamste Werkzeug empfehlen, um zu neuen, für die deutsche Ausfuhr günstigen Handelsverträgen zu gelangen. Aber das Wesen des Doppeltarifs widerstreitet dieser Behauptung durchaus. Bei einem solchen Tarif kennt jeder andere Staat von vornherein das Maß der Zollermäßigungen, das zu erreichen ist, wenn er die Meistbegünstigung zugestanden erhält; es ist somit für keinen Staat ein Interesse vorhanden, Tarifverträge zu machen. Wenn aber bei den Verhandlungen doch gegenseitige Zollermäßigungen zur Sprache kommen, so wird jeder Staat nicht Ermäßigungen der Phantasiezölle des Maximaltarifs, sondern der Sätze des Minimaltarifs fordern, und erweisen sich diese Sätze wirklich als unabänderlich, so werden Tarifabmachungen einfach überhaupt nicht zu Stande kommen. Man denke sich einmal, daß die deutsche Reichsregierung an Rußland mit dem Vorschlage heranträte, einen neuen Tarifvertrag abzuschließen auf Grundlage eines deutschen Doppeltarifs, welcher, nach den jetzt kundgegebenen Forderungen der Agrarier, für Weizen und Roggen einen Zollsatz von 10 Mk. Pro Doppelzentner im Maximaltarif und von 7 ½ Mk. im Minimaltarif enthielte. Es ist mit größter Sicherheit zu erwarten, daß Rußland den Satz des Maximaltarifs gar nicht ernst nehmen und unbedingt eine Wiederermäßigung des Satzes des Maximaltarifs fordern würde; falls diese nicht zu gewähren wäre, würde der Abschluß eines neuen Vertrages von vornherein Unmöglich sein. Man behauptet freilich, daß ein Doppeltarif darum besonders geeignet sei, andere Staaten nachgiebig zu machen, weil jeder Staat aus Besorgnis seine Erzeugnisse sonst den höheren Sätzen des Maximaltarifs unterworfen zu sehen, bereitwillig seinerseits Zugeständnisse machen werde. Diese Behauptung ist völlig haltlos. Einmal wird ein Staat durchaus nicht zu Zugeständnissen geneigt sein, nur um die Sätze des Minimaltarifs zugebilligt zu erhalten, wenn diese Sätze schon derartig erhöht worden sind, daß er seine Ausfuhr auch durch sie bedroht sieht. Vor Allem aber, wenn der Doppeltarif in der That ein so vorzügliches Mittel ist, um anderen Staaten bei dm Verhandlungen Schrecken einzuflößen - was in aller Welt hindert diese Staaten daran, das gleiche Mittel anzuwenden, indem auch sie Doppeltarife herstellen? Dann stehen Doppeltarife gegen Doppeltarife, die unveränderlichen Sätze des einen Minimaltarifs gegen die unveränderlichen Sätze eines anderen Minimaltarifs; die Handelsvertragspolitik, welche durch gegenseitige Zugeständnisse Förderung und Sicherung des internationalen Handelsverkehrs anstrebt, würde an einem todten Punkte angelangt sein. [] Pfiffige Leute, welche bei aller Sympathie für den Doppeltarif doch die Wahrscheinlichkeit eines solchen Verlaufs der Dinge nicht verkennen können, sind auf die Idee gekommen, zur Verhütung desselben die Aufstellung, nicht eines als Gesetz veröffentlichten, sondern eines geheimen Minimaltarifs anzurathen. Die Regierung soll darnach auf Grundlage des ihr von sachverständigen Interessenten gelieferten Materials selbst einen Minimaltarif aufstellen, denselben aber wohlweislich in ihren Akten behalten. Bei Vertragsverhandlungen würde sie dem anderen Staate nur den von den gesetzgebenden Faktoren beschlossenen Tarif, der in Wahrheit ein Maximaltarif wäre, vorlegen und in ihren etwaigen Zugeständnissen nicht weiter als bis zu den Sätzen des geheimen Minimaltarifs gehen. Der dem Doppeltarif vom konstitutionellen Standpunkte nachgerühmte Vortheil, daß das Parlament durch Annahme eines Minimaltarifs von vornherein jedem Artikel den ihm gebührenden Zollschutz gesetzlich sichert, würde dabei vollständig preisgegeben. Die Regierung würde, falls es sich bei dm Verhandlungen als nöthig herausstellen sollte, in ihren Zugeständnissen auch noch unter die Sätze des Minimaltarifs herunter gehen können; sie würde aber, falls sie diese Sätze als unantastbar ansieht, wiederum leicht in die Lage kommen können, den Abschluß eines vortheilhaften Handelsvertrags vereitelt zu sehen. [] Diese Betrachtung läßt den Grundfehler des heute so laut empfohlenen Systems erkennen, der gar nicht zu beseitigen ist, gleichviel ob der Minimaltarif gesetzlich festgestellt und in der Gesetzgebung veröffentlicht oder ob er nur von der Regierung aufgestellt und geheim gehalten wird. Bei Verhandlungen über Handelsverträge, wie bei allen internationalen Verhandlungen, stellen sich diejenigen Punkte, über welche eine Einigung zu erzielen ist, und diejenigen, über welche eine Meinungsverschiedenheit besteht, erst im Laufe der Verhandlungen selbst heraus. Durch einen Doppeltarif wollen demnach Regierung und Parlament gegenüber Verhältnissen und Situationen, die sie von vornherein garnicht übersehen können, eine feste, absolut unveränderliche Stellung einnehmen. Beengt durch die Sätze des Minimaltarifs ist die Regierung eines Landes nicht in einer günstigeren, sondern in einer ungünstigeren Lage, Der Doppeltarif wird den Abschluß von Handelsverträgen mit gegenseitigen Zollermäßigungen nicht erleichtern, sondern erschweren, in vielen Fällen sogar unmöglich machen und dadurch die Entstehung von Zollkriegen befördern. [] Die Erfahrung hat diese aus dem Wesen des Doppeltarifs sich ergebenden Folgerungen in überzeugendster Weise bestätigt. Frankreich hat seit dem Bestehen seines Maximal- und Minimaltarifs nicht einen einzigen Handelsvertrag zu Stande gebracht, der durch Ermäßigungen ausländischer Zölle seiner Ausfuhr Vortheile gebracht hätte. In den meisten Fällen hat es gegen die einfache Meistbegünstigung seinen Minimaltarif gewähren müssen, gleichzeitig ist es aber mit einer Reihe von Ländern, mit denen es bisher in lebhaften wirthschaftlichen Beziehungen stand, in schwere Zollkriege gerathen, welche ausnahmslos zu seinen Ungunsten ausgegangen sind. [] Eine schwere Niederlage hat sich z. B. Frankreich in dem Zollkriege mit der Schweiz geholt. Die Schweiz hatte auf die Ermäßigung einer Anzahl von Sätzen des Minimaltarifs bestanden. Hieran scheiterte der geplante Vertrag, am 1. Januar 1893 trat der französische Maximaltarif gegen die schweizerischen Erzeugnisse in Kraft, die Schweiz antwortete durch Zuschlagszölle, durch welche die Sätze ihres Generaltarifs auf das Doppelte oder Mehrfache gesteigert wurden. Dieser Zollkrieg hat länger als 2 1/2 Jahre gedauert und bei dem großen Verbrauch französischer Erzeugnisse in der Schweiz Frankreich viel mehr als der Schweiz geschadet. Die französische Ausfuhr nach der Schweiz hatte 1891 einen Werth von 250 Millionen Francs; sie fiel 1892 auf 173, 1893 auf 105 und 1894 sogar auf 97½ Millionen. Die französische Weinausfuhr nach der Schweiz sank während des Zollkrieges von 250000 auf 30 000 Hektoliter. Nach langem Widerstände mußte sich Frankreich zum Nachgeben entschließen. Im Jahre 1895 kam ein Abkommen mit der Schweiz zu Stande, in Folge dessen Frankreich im Wege autonomer Gesetzgebung seinen Minimaltarif in 30 und zwar sehr wichtigen Positionen ermäßigte! Die Schweiz gewährte dagegen, ohne irgend eine Zollermäßigung, den französischen Erzeugnissen die einfache Meistbegünstigung. Die einmal verlorene Stellung auf dem Schweizer Markt hat aber Frankreich bis jetzt nicht zurückgewinnen können. Seine Ausfuhr nach der Schweiz belief sich 1899 auf 204 Millionen Francs gegen 250 Millionen Francs in 1891; in derselben Zeit hat sich die Ausfuhr Deutschlands, das im Jahre 1891 einen umfangreichen Tarifvertrag mit der Schweiz abgeschlossen, von 165 Millionen Mark auf 285 Millionen gehoben. [] Auch mit zwei anderen Nachbarn, mit Italien und Spanien, ist Frankreich in langdauernde Zollkriege gerathen, unter denen die französische Ausfuhr ebenfalls erheblich gelitten hat und deren schließliche Beilegung durchaus nicht besonders vorteilhaft für Frankreich ausgefallen ist. Ein Vertrag mit Rußland ist nur dadurch zu Stande gekommen, daß Frankreich das feierlich proklamirte Prinzip der Unantastbarkeit des Minimaltarifs auch hier fallen ließ, indem es dem russischen Petroleum Zollvortheile über das Maß des Minimaltarifs hinaus gewährte. [] Frankreich hat demnach, wo es mit anderen Staaten in handelspolitische Konflikte gerieth, die Grundsätze seiner neuen Zoll- und Handelspolitik durchbrechen müssen. Es wollte keine Verträge mehr schließen, sondern seine auswärtigen Handelsbeziehungen lediglich nach Maßgabe seiner autonom aufgestellten Tarife regeln, und es hat sich dem wirthschaftlich viel schwächeren Italien gegenüber doch zum Abschluß eines Vertrages herbeilassen müssen; es wollte die Sätze des Minimaltarifs als unterste Grenze festhalten und hat doch der kleinen, aber wirtschaftlich starken Schweiz gegenüber ansehnliche Ermäßigungen dieser Sätze zugestehen müssen. [] Handel und Schiffahrt Frankreichs haben im Allgemeinen unter dem neuen System keine besondere Entwicklung genommen. Frankreichs Gesammtausfuhr betrug 1890 3753 Millionen und 1891 3569 Millionen Frcs.; 1898 nach ziemlich starkem Rückgange wieder 3511 Millionen und 1899 3899 Mill. Frcs.; Deutschlands Ausfuhr belief sich 1890 auf 3326 Millionen und 1891 auf 3175 Millionen Mark, im Jahre 1898 dagegen aus 3757 Millionen und 1899 auf 4207 Millionen Mark. [] Frankreichs Beispiel ist auch in anderen Ländern nachgeahmt worden. So hat Spanien ebenfalls einen Maximal- und Minimaltarif aufgestellt, es hat aber gleichzeitig darauf verzichtet, durch Tarifverträge seiner Ausfuhr Erleichterungen auf auswärtigen Märkten zu verschaffen. Rußland besitzt ebenfalls einen Doppeltarif, es hat indessen nicht angestanden, im Vertrage mit Deutschland auch die Sätze seines Minimaltarifs zu ermäßigen. [] Der vollständige Mißerfolg des Doppeltarifsystems auf handelspolitischem Gebiet ist darnach unbestreitbar. Er kann nicht überraschen. Ein Doppeltarif enthält unausgesprochen die Absicht, keine Zollverträge zu wollen und höchstens die Meistbegünstigung im internationalen Verkehre zu sichern. Das System eines einheitlichen Tarifs bietet, in richtigem Geiste erfaßt und benutzt, eine durchaus wirksame Handhabe für eine vortheilhafte vertragsmäßige Regelung der internationalen Handelsbeziehungen. Wie bei allen Verhandlungen, muß auch bei Zollverhandlungen und in heutiger Zeit, wo die in fast allen Staaten vorherrschenden schutzzöllnerischen Tendenzen ohnehin jeder handelspolitischen Verständigung besondere Schwierigkeiten bieten, mehr als je, die Möglichkeit, sich Verhältnissen und Bedürfnissen anzuschmiegen, vorhanden sein. Ein starrer Minimaltarif schließt dies aus, ein einheitlicher Tarif hat es, wie die Geschichte lehrt, noch immer ermöglicht, wo nur der rechte Wille zur Verständigung vorhanden war. Auf der Grundlage einheitlicher Zolltarife sind die Handelsverträge Frankreichs in den Jahren 1860 bis 1862, die Verträge des deutschen Zollvereins in den Jahren 1862-1865, die Verträge Frankreichs im Jahre 1881 und die Verträge des Deutschen Reiches im Jahre 1891 zu Stande gekommen. Eine Handelspolitik, welche mit voller Sachkunde den Blick auf die Stellung Deutschlands auf dem Weltmarkt gerichtet hält und dem unberechtigten Andrängen von Sonderinteressen mit Festigkeit entgegentritt, bietet die beste, ja die einzige Gewähr, daß auf gleicher Grundlage auch Gleiches erreicht werden kann. [] Die Einführung eines Maximal- und Minimaltarifs im Deutschen Reiche würde, wie s. Z. in Frankreich, den Sieg der Hochschutzzöllnerei und des Agrarierthums bedeuten; sie würde die Aussicht eröffnen, daß langfristige Handelsverträge mit gegenseitigen Zugeständnissen, deren die deutsche Ausfuhr unbedingt bedarf, nicht zu Stande kommen, daß Deutschland dagegen in eine Reihe von Zollkriegen verwickelt werden würde, welche die deutsche Gewerbthätigkeit schwer schädigen müßten und um so schwerer beizulegen sein würden, als es sich dabei um eine Durchbrechung des von mächtigen Interessen verteidigten Minimaltarifs handeln würde. [] Wer unser Vaterland vor einer solchen Gefahr bewahren will, weil er die Bedeutung der deutschen Ausfuhr und ihrer Zukunft für das wirthschaftliche und politische Leben Deutschlands voll würdigt, wird darum rechtzeitig und nachdrücklich Widerspruch gegen die Ausstellung eines Maximal- und Minimaltarifs erheben müssen. [] Der Verlag der "Nation" (Georg Reimer, Berlin W., Lützowstraße 107/108) stellt dies Flugblatt weiteren Kreisen zum Preise von 10 Mark für die ersten 1000 Stück, zum Preise von 5 Mark für jedes weitere 1000, zur Verfügung. [] Verlag von Georg Reimer, Berlin W., Lützowstraße 107/108 - Druck von H. G. Hermann in Berlin.
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