Meine lieben Frauen, Mädchen und Mütter!

Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals; Meine lieben Frauen, Mädchen und Mütter! [] Wenn ich heute zu Euch ein paar Worte spreche anläßlich der vor Euch stehenden Wahl des 14. August, so tue ich das insofern mit großem Bedauern, als wir Frauen in Berlin und in der Ostzone nicht zug...

Full description

Bibliographic Details
Main Authors: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD), Parteivorstand, Hannoversche Presse, Druck- und Verlagsgesellschaft m.b.H., Hannover
Institution:Archiv der sozialen Demokratie (AdsD)
Format: IMAGE
Language:German
Published: 14.08.1949
Subjects:
Online Access:http://hdl.handle.net/11088/2B88AFCA-4A0C-452D-8EBD-3E7CFA8F0BBE
Description
Summary:Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals; Meine lieben Frauen, Mädchen und Mütter! [] Wenn ich heute zu Euch ein paar Worte spreche anläßlich der vor Euch stehenden Wahl des 14. August, so tue ich das insofern mit großem Bedauern, als wir Frauen in Berlin und in der Ostzone nicht zugleich mit Euch zur Wahl gehen können. Diese Tatsache zeigt die außerordentlich schweren Verhältnisse, unter denen Ihr Eure Entscheidung treffen sollt; sie zeigt zugleich die große Verantwortung, die Ihr in den Westzonen Deutschlands für das Schicksal unseres Vaterlandes tragt. [] Als wir Frauen vor 30 Jahren zum ersten Male als Gleichberechtigte mit den Männern unser Wahlrecht ausüben konnten, verdankten wir das dem jahrzehntelangen Kampf der Sozialdemokratie und den sozialdemokratischen Volksbeauftragten, die uns das aktive und passive Wahlrecht gaben. Groß war damals die Freude der Wählerinnen; groß war in uns ersten Frauen, die wir in die Nationalversammlung einzogen, das Gefühl der Verantwortung gegenüber unserem Volk. Seitdem haben die meisten Völker Europas den Frauen das Wahlrecht gegeben. Ueberall hat man begriffen, daß Mann und Frau zusammengehören, wo es gilt, der großen Volksfamilie ein Heim zu errichten. Begriffen hat man darüber hinaus, daß die Frauen nicht ausgeschaltet werden können, wo es geht um die Sicherung des Friedens, um die Errichtung eines Heimes für die Völkerfamilie. [] So dürfte es auch heute Euch selbstverständlich sein, daß Ihr Euer Wahlrecht ausübt. Ernst steht vor Euch die Frage, wen Ihr wählt. [] Wir alten Sozialdemokratinnen wissen, daß die Sozialdemokratie vorangeschritten ist nicht nur in dem Ruf nach gleichen Rechten für Mann und Frau, sondern auch in dem Kampf um die Gestaltung sozialer Verhältnisse. In der deutschen Republik haben wir gearbeitet [] für die Verbesserung der Schule, [] für die Schaffung einer ausreichenden Alters- und Invalidenversorgung, [] für die Gestaltung des Mutterschutzes, der Wochenhilfe, [] für die Erreichung physisch und seelisch gesunder Verhältnisse für unsere Kinder und unsere Jugend. [] An all diesen Gesetzen haben wir Frauen in den Jahren 1919 bis 1933 mitgearbeitet. Dann allerdings hat der nationalsozialistische totalitäre Staat uns diese Arbeit untersagt. [] Wir Sozialistinnen wissen, daß der letzte Erfolg all dieser für uns und unser Volk lebenswichtigen Fragen abhängt von einer nationalen und internationalen Gestaltung der Wirtschaft, die nicht auf der einen Seite Profit und Ueberfluß, auf der anderen Seite Elend und Not, sondern Brot und Arbeit für alle schafft. [] Deshalb nennen wir uns Sozialisten; wir nennen uns aber auch Demokraten, denn nicht auf dem Wege der Diktatur, sondern auf dein Wege einer Mitbestimmung wollen wir unser Ziel erreichen. Die Diktatur der Nationalsozialisten hat uns das größte Unglück der Weltgeschichte gebracht. 11 bis 12 Millionen Menschen haben ihre Heimat, weitere Millionen ihr Hab und Gut oder ihr Leben verloren. [] Gerade im Hinblick auf die große Zahl der Vertriebenen, der politischen Flüchtlinge ist es notwendig, mit besonderer Sorgfalt unsere Wahl zu treffen. Sie alle müssen wieder Wohnung und Arbeit haben und der Volksgemeinschaft eingegliedert werden. So wenig wir ihre Heimatlosigkeit verschuldet haben, so wenig dürfen wir es dulden, daß diese Heimatlosigkeit ein Dauerzustand bleibt. [] Wir lehnen aber auch jede andere Diktatur - sei es, in welcher Gestalt sie uns immer entgegentritt - ab und wollen uns selbst und unserem Volke Mitbestimmung, Demokratie und Menschlichkeit erhalten. [] So bitte ich Euch Frauen, an den Gedanken der Wahl des 14. August heranzutreten. [] Trefft Eure Wahl so, daß Ihr vor Euren Kindern bestehen könnt, [] trefft Eure Wahl aber auch so, daß in nicht zu ferner Zukunft zur Westdeutschen Bundesversammlung und zum Westdeutschen Bund Berlin und Ostdeutschland hinzutreten können, [] trefft Eure Wahl so, daß sie die Vorbedingung darstellt für die Schaffung eines einheitlichen, freiheitlichen und friedlichen Deutschlands! [] Herausgeber: Vorstand der SPD. Druck: Hannoversche Presse. Druck- und Verlagsgesellschaft m.b.H., Hannover. - 293/7./49. Kl. C.
Published:14.08.1949