Gegen die Zollwucherer, - für wirtschaftpolitischen Fortschritt

Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals Gegen die Zollwucherer, - für wirtschastspolitischen Fortschritt [] Als die Wogen der Erregung über die Teuerung am höchsten gingen und die [] künstliche Verteuerung der Lebensmittel [] wie wir sie in Deutschland haben, an erster Stelle zur De...

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Bibliographic Details
Main Authors: N.N., A. Gertsch, Düsseldorf / Sozialdemokratisches Bureau für Rheinland-Westfalen, Düsseldorf
Institution:Archiv der sozialen Demokratie (AdsD)
Format: IMAGE
Language:German
Published: 12.01.1912
Subjects:
Online Access:http://hdl.handle.net/11088/025A0857-02D5-4084-AF42-D0839A3C0E82
Description
Summary:Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals Gegen die Zollwucherer, - für wirtschastspolitischen Fortschritt [] Als die Wogen der Erregung über die Teuerung am höchsten gingen und die [] künstliche Verteuerung der Lebensmittel [] wie wir sie in Deutschland haben, an erster Stelle zur Debatte stand, erhob sich im Reichstag des Reiches Kanzler, um die deutsche Wirtschaftspolitik zu verteidigen. An dieser Politik solle nicht gerüttelt werden. Wie der Schatzsekretär den Schnapsblock, so verteidigt der Reichskanzler die Zollwucherer. [] Wenn man selbst 36000 Mk. Gehalt u. 64000 Mk. Repräsentationskosten bekommt, dazu freie Dienstwohnung, für deren Instandhaltung (Möbel, Garten) 11000 Mk. pro Jahr ausgeworfen werden, weiß man allerdings nicht, was die Teuerung für arme Leute bedeutet! [] Aber auch die Wortführer der bürgerlichen Parteien geben sich alle Mühe, unsere Wirtschaftspolitik zu verteidigen. Sie verweisen darauf, daß die Teuerung international auftrete daß auch in Freihandelsländern alles teurer geworden sei. Gewiß ist das letztere richtig und in der heutigen Gesellschaft läßt sich gegen Preissteigerungen aus allgemeinen ökonomischen Ursachen wenig tun, in Deutschland kommt aber zu der Teuerung aus solchen Ursachen [] ein frivoler, künstlicher Wucher zugunsten einer kleinen Schicht Bevorzugter! [] Diesen Tribut des Volkes lassen die Verteidiger des Zollwuchers gern recht niedrig erscheinen und schrecken dabei vor Fälschungen nicht zurück. So heißt es in der Zentrumsbroschüre. "Wen wähle ich?", daß in England 38,96 Mark, in Deutschland nur 23,20 Mark Zölle und Konsumsteuern auf den Kopf der Bevölkerung entfallen. Daß aber in England erst bei einem Einkommen von 3200 Mark, in Preußen aber von 900 Mark, in Sachsen, Bayern usw. von 500 oder 600 Mark an Einkommensteuer gezahlt werden muß, wird nicht gesagt, auch nicht, daß die deutsche Erbschaftssteuer 50, die englische aber 1911 gleich 503 Millionen Mark einbringt! Die Zölle und Konsumsteuern in England verteuern nur einen geringen Teil inländischer Ware, wie Bier, Spirituosen. Fleisch- und Getreidezölle wie Deutschland hat England nicht. [] In Deutschland brachten 1907-1909 allein die Zölle für Roggen, Weizen, Gerste und Hafer 377 Millionen Mark für die Reichskasse, aber 2682 Millionen Mark betrug außerdem die Verteuerung des inländischen Getreides.*) [] Die 23,20 Mark sind herausgerechnet aus den Zolleinnahmen für das Reich, die Gesamtbelastung stellt sich aber um ein vielfaches höher und deshalb ist die Operation mit 23,20 Mark ein sehr durchsichtiger Schwindel! [] Die englischen und die deutschen Verhältnisse können also gar nicht miteinander in Vergleich gestellt werden. Wie groß die Verteuerung der Lebensmittel in Deutschland ist, zeigt folgende Tabelle: [] [Tabelle] [] Um dem Volke diese unheueren indirekten Lasten, die sich auf [] 4 Milliarden Pro Jahr [] belaufen dürften, mundgerecht zu machen, erfanden die Zollwucherer die [] lügnerische Phrase: Schutz der nationalen Arbeit. [] Man sagt, die Zölle auf ausländische Waren sollen die inländische Industrie und Landwirtschaft schützen, daher der Name Schutzzoll. Da ist es aber sehr merkwürdig, daß gerade die Konservativen und das Zentrum, die heute so sehr für Schutzzölle eintreten, bis tief in die siebziger Jahre hinein Gegner der Schutzzölle waren. Zu der Zeit, als in Deutschland sich die Eisen-Industrie entwickelte und daher vielleicht eines Zollschutzes bedurft hätte, [] zu der Zeit beseitigten die Konservativen die Eisenzölle ganz (1873). [] Erst Ende der siebziger Jahre, als die Konservativen und das Zentrum die Getreidezölle einführten, wurden [] *) Nach Professor Brentanos Denkschrift über die Getreidezölle. [] gleichzeitig wieder Zölle für die Produktion der Eisenindustrie eingeführt, weil sonst die Industriellen den Getreidezöllen nicht zustimmten! [] Die Geldsacksinteressen von Staat, Großindustrie und Großagrarier schufen das System der Volksauswucherung durch die Zölle und dieselben Interessen sorgen für Erhaltung und Erweiterung des Systems. [] Nachdem in wenigen Jahren die französischen Milliarden von 1871 verpulvert waren, brauchte das Reich Geld. Bismarck hielt die indirekten Steuern für ein vortreffliches System der Volksausplünderung, weil, wie er sagte, "der Einzelne die Steuer im Preis der Ware zahlt, ohne zu fragen, wieviel er und wieviel sein Nachbar zahlt." [] Die Junker sprachen sich noch 1876 (Steuer- und Wirtschaftsreformer) gegen die Zölle aus. Als aber die Getreideeinfuhr aus Rußland, Oesterreich und Amerika stieg, die Preise sanken, bekehrten sie sich schleunigst zum Schutzzoll, ohne sich über die Folgen für das Volk Gedanken zu machen. [] In der Industrie zeigte sich Anfangs der 70er Jahre eine tolle Gründungswut, eine Unmenge von Unternehmungen ohne solide Grundlage entstanden, die Konkurrenz auf dem Weltmarkt war nie so scharf gewesen, kein Wunder, daß auch die Schwerindustrie zum Mittel der Schutzzölle griff, um sich die ausländische Konkurrenz vom Halse zu halten. Die Industriellen sagten zu den Agrariern: Gebt uns hohe Eisenzölle, so geben wir euch hohe Agrarzölle. [] Also, ein ganz elendes Schachergeschäft war die Einführung der "Schutzzölle", kein Schutz für schwache, im Entstehen begriffene Industrien! [] Die Schutzzölle sollten neben den Kartellen und Syndikaten der Unternehmer das Mittel sein, die "freie Konkurrenz" auszuschalten und die Preise in die Höhe zu treiben. [] Im eigenen Lande die Produkte teurer verlaufen zu können, ohne durch ausländische Konkurrenz daran gehindert zu sein, das war der Zweck der modernen Schutzzölle. [] Eigentlich hatten ja die vielen Entdeckungen und Erfindungen, die Verbesserungen an Werkzeugen und Maschinen, dazu beitragen müssen, daß manches billiger wurde, aber die industriellen Organisationen verstanden die Preise hochzuhalten. Wenns anders nicht ging, dann dadurch [] daß in das Ausland Eisen und Kohle zu Schleuderpreisen verkauft wurde, während das eigene Volk wahnsinnige Preise zahlen mußte. [] Ausländische Kohle ist zwar nicht mit Zoll belegt, aber sie muß bedeutend höhere Frachtsätze auf der Eisenbahn bezahlen als die inländische und diese Maßregel wirkt ebenso wie der Zoll. [] 92 bis 93 Mark zahlte 1911 das Ausland für unsere Kohle pro Tonne (1000 Kilogramm), während dem deutschen Handel von unseren Industriemagnaten 105 Mark abgefordert wurden! Die Kohlenausfuhr zu billigen Preisen steigt ständig. 1904 wurden in den ersten beiden Monaten 29 Millionen Tonnen ausgeführt, 1911 in derselben Zeit 42 1/2 Millionen Tonnen. [] Zur selben Zeit froren Millionen von Armen in unserm Lande, weil sie die Apothekerpreise für die schwarzen Diamanten nicht bezahlen konnten! [] Professor Sieveting schreibt in seinem Buche: Auswärtige Handelspolitik: [] "Die deutsche Eisenindustrie verlangte von dem deutschen Konsumenten 125 Mark für 1000 Kilogramm Stangeneisen, während sie es dem Ausland für 100 Mark abgab. Für Bleche hatte der Deutsche 150 Mark, der Ausländer nur 102,50 Mark zu zahlen. Ein Drahtstiftring berichtet über seine Geschäfte im 2. Halbjahr 1900. Er setzte im Ausland 20 Millionen Kilogramm, im Inland 22 Millionen ab. Wir haben es also mit einer großen Exportindustrie zu tun; allein wir staunen: das Auslandsgeschäft arbeitete mit 860 000 Mark Verlust. Also mußte der Ring an seine Liquidation denken! Keineswegs! Er konnte sogar eine Dividende verteilen. Wie war das möglich? Dadurch, daß man dem Inland 25 Marl für l00 Kilogramm abnahm, während das Ausland nur 14 Mark zu zahlen brauchte... Die deutsche Maschinenindustrie hat unter der Verteuerung des Eisens zu leiden. Durch den Schleuderexport erhält der Auswärtige, z. B. englische Fabrikant, vor dem heimischen einen Vorzug, weil er mit billigerem Material arbeiten kann." [] Die Phrase vom Schutz der nationalen Arbeit ist ein Riesenschwindel, [] das eigene Volk hat bei diesem System doppelten und dreifachen Schaden, das Ausland den Nutzen. Und wenn ein anderes Land seine Schutzzollmauer so hoch baut, daß der deutsche Kapitalist nicht mehr konkurrieren kann, dann nimmt er einen Sack voll Geld, eine Anzahl Werkmeister usw., errichtet in dem geschützten Ausland einen neuen Betrieb und dann sinds die deutschen Arbeiter, die den Schaden haben! [] Unsere von der Schwerindustrie geförderte und immer weiter getriebene Hochschutzzollpolitik liegt also nur im Interesse kleiner Gruppen, nicht des ganzen Volkes. Treffend kennzeichnet ein nationaler Mann, Amtsgerichtsrat Herz, diese Tatsache: [] "Nur einige wenige, die Herren der Urproduktion, die Großgrundbesitzer, die Schwerindustriellen, heimßten den Segen der Schutzzollpolitik ein; die andern aber, die Erzeugnisse kaufen mussten, die, ohne im Besitz von Produktionsmitteln zu sein, von ihrer Hände Arbeit oder ihres Kopfes Arbeit leben müssen, nicht weniger als die Bauern, Handwerker, Verfeinerungsindustriellen, zahlten die Zeche; der auch ihnen gewährte Schutz machte den Druck nicht wieder wett. Die Großen verschlangen die Kleinen. Betriebskonzentrationen wurden auch dort zusammengeballt, wo sie nicht aus technischer und wirtschaftlicher Notwendigkeit herauswuchsen." [] Leiden Arbeiter, Beamte, Kleinbauern usw. vor allen Dingen unter den durch die Hochschutzpolitik hervorgerufenen Preissteigerungen für alle Existenzmittel so die kleine Industrie und das Handwerk unter der Verteuerung des Materials und der Werkzeuge. Hohe Zölle auf Werkzeuge, Maschinen und Rohmaterial bringen viele Gewerbe in eine ungünstige Lage. [] Die Exportindustrie leidet unter den Vergeltungsmaßnahmen anderer Länder, welche die hohen deutschen Zölle ihrerseits mit eben solchen oder höheren beantworten. Die Folge ist, daß der gewerbliche Mittelstand doppelt und dreifach getroffen wird. Verteuerung seiner Werkzeuge und Materialien geht Hand in Hand mit höheren Ausgaben für den Lebensunterhalt infolge der [] künstlichen Verteuerung der Lebensmittel durch Zölle und indirekte Steuern. [] Eine Reihe von Handelskammern haben diese Schärfen unserer Zollpolitik anerkannt. So klagt die Handelskammer Offenbach, daß unsere "zu einseitig auf die großagrarischen Wünsche und die der Schwerindustrie Rücksicht nehmende Zoll- und Handelspolitik... nicht nur für unsere Feinindustrie im Inland, sondern namentlich für deren Absatz im Ausland die ungünstigsten Wirkungen ausgelöst" habe. [] Ernste Worte findet auch die Handelskammer Plauen gegen das Zollwucherbündnis von Schwerindustrie und Agrariertum. [] Die Handelslammer Nürnberg hebt in ihrem Bericht hervor, das an dem die Unternehmer wenig befriedigenden Resultat in erster Linie die wenig befriedigenden Bedingungen für den Warenabsatz nach dem Ausland schuld sind. Abgesehen von England sind in fast allen Ländern, die als Exportgebiete in Betracht kommen, hohe Schutzmauern errichtet..." Dringend ermahnt die Handelskammer, endlich wieder zu einer Handelspolitik zurückzukehren, die unter allmählicher Abtragung der Zollschranken auf dem Wege der Vereinbarung günstiger Handelsverträge den Warenaustausch mit dem Ausland erleichtert. [] Die Handelskammer Barmen kommt zu dem Schluß: "Das es so nicht weitergehen kann und das man auf eine zollpolitische Abrüstung allmählich aber zielbewußt hinarbeiten muß." [] Die Herrscher in der Schwerindustrie wollen aber ein Bündnis mit den Agrariern, um im nächsten Reichstag höhere Industriezölle zubekommen wofür sie den Agrariern höhere Lebensmittelzölle gewähren müssen. [] Schon heute ist die Belastung durch Zölle und indirekte Steuern ungeheuer! 715 Millionen Mark Roheinnahmen an Zoll, das sind 11 Mark auf den Kopf der Bevölkerung, hatte das Reich 1910. Werden aber die inländischen Erzeugnisse um den Zollbetrag verteuert, (und das sollen sie ja, das ist der Zweck der Zölle, der "Schutz der nationalen Arbeit") dann beträgt [] die Belastung des deutschen Volkes durch die Zollpolitik pro Jahr mindestens 3000, wenn nicht 4000 Millionen Mark, im Durchschnitt auf eine Familie über 300 Mark! [] Nun.sagen die Agrarier und ihre Freunde, die Zentrumsleute, daß unsere Zölle notwendig seien, um die Landwirtschaft zu erhalten. Die Zölle werden aber heute nicht mehr als vorübergehende Schutzmaßregeln betrachtet, sondern sie sind von der Landwirtschaft zur dauernden Grundlage ihrer Wirtschaft gemacht und lösen Wirrungen aus, welche die Schäden immer umfangreicher machen. [] Durch hohe Zollmauern hält man billiges Brot und Fleisch aus dem Lande fern, durch das System der Einfuhrscheine sorgt man dafür, daß der deutsche Roggen billig ins Ausland geht; diese Politik treibt den Preis des Grund und Bodens in die Höhe, so daß Käufer und Pächter mit immer höheren Produktionskosten zu rechnen haben. [] Seit Annahme des Zolltarifs von 1902 schossen die Bodenpreise förmlich in die Höhe. 1895-1903 stiegen sie um 17 Prozent, von 1903-1909 aber um 33 Prozent! Der kleinste Besitz (unter 2 Hektar) stieg nach 1903 um 33 Prozent, die größeren von 2-5 Hektar um 27, von 5-20 Hektar um 31. von 20-100 Hektar um 37, von 100-500 Hektar um 49 und über 500 Hektar um 53 Prozent. [] Die größten Besitzer hatten also einen Riesennutzen, wenn sie verkauften, ebenso, wenn sie verpachteten, weil ja die Pacht auch enorm stieg. Die kleinen Besitzer dagegen haben in der Regel von der Preissteigerung des Grund und Bodens nur eins: Die Möglichkeit höherer Hypothekenaufnahmen, was besonders bei Erbteilungen zutage tritt. [] Die Pächter schinden sich zum größten Teil für die Pacht, die der Zollwucher in die Höhe getrieben hat! Die kleinen Besitzer placken sich für die Hypothekenzinsen, die durch die famose Wirtschaftspolitik des Zentrums und der Konservativen immer drückender werden. [] Der Pächter und kleine Besitzer hat von unserer Zollwirtschaft wenig oder gar keinen Vorteil, denn was er vielleicht dabei verdient, setzt er beim Ankauf von Futtermitteln oder zollverteuerten Industrieprodukten wieder zu, ganz zu schweigen davon, daß die Zölle auf Kaffee, Reis, Hülsenfriichte usw., die indirekten Steuern auf Bier, Tabak, Streichhölzer usw. seine Lebenshaltung ganz enorm verteuern. [] Oft genug haben Landwirte selbst ausgesprochen, daß der kleine Bauer nicht den Nutzen von unserer Zollpolitik hat, den die Zentrumsgrafen und konservativen Agrarier ihm vormalen, oft genug haben sie Aufhebung der Futtermittelzölle verlangt. [] Ein Fachmann, der Bürgermeister und Gutsbesitzer Scheu aus Staudenbühl [?] führte in einer Versammlung in Landau in der Pfalz im Februar 1911 über unsere Schutzzollpolitik aus: [] "Sie hat auch wesentlich die landwirtschaftliche Produktion verteuert und eine Verteuerung von Milch und Fleisch war die Folge. Gesinde und Handwerker mußten aufschlagen. Das der überwiegende Teil der landwirtschaftlichen Betriebe von den Zöllen überhaupt keinen Vorteil hat, ist bekannt, aber neu dürfte für viele sein, das es sich dabei um 76,4 Prozent der Betriebe im Reiche und um 63 Prozent der Betriebe in Bayern handelt, die von jedem Vorteil der Zölle ausgeschloßen sind. Das sind nämlich die Betriebe unter 5 Hektar. Die Betriebe zwischen 5 und 20 Hektar haben von den Zöllen nur dann Gewinn, wenn die betreffenden Besitzer "kleine" Familien haben und die Arbeit mit eigenen Leuten versehen können." [] So spricht ein Fachmann und jeder kleine Bauer, der sich mit Frau und Kindern vom frühen Morgen bis in die sinkende Nacht abrackert, wird ihm Recht geben müssen. Für den kleinen Bauer ist die Hauptsache: Billige Kolonialwaren und Gebrauchsgegenstände und guter Absatz seiner Kleinprodukte an eine konsumkräftige Industriebevölkerung. [] Wie sieht es aber damit aus? [] Schon heute sind viele landwirtschaftliche Produkte unerschwinglich für die Armen. Butter kommt in Millionen von Arbeiterfamilien schon seit Jahren nicht mehr auf den Tisch, der Milch-, Eier-, Obst- und Fleischgenuß wird auf das äußerste eingeschränkt. Und das alles wird noch schlimmer bei neuen, höheren Zöllen! [] Dagegen muß sich das Volk wehren! Nicht nur die Arbeiter! Auch der Mittelstand, die Landbewohner, soweit sie nicht Großgrundbesitzer sind, haben das gleiche Interesse! [] Eine kaufkräftige Bevölkerung, nicht eine durch Wucherzölle ausgehungerte brauchen wir! [] Auch die Sozialdemokratie weiß, daß wir nicht von heute auf morgen unsere Zölle und indirekten Steuern beseitigen können, ohne unsere Volkswirtschaft schweren Erschütterungen auszusetzen, Wir brauchen aber notwendig sofort: Beseitigung der indirekten Steuern auf Salz (pro Pfund 6 Pfg.!), Petroleum (pro Liter 6 Pfg.!), Zucker (pro Pfund 7 Pfg.!), Kaffee (pro Pfund gebr. Kaffee 42 1/2 Pfg.!), Streichhölzer (pro 10-Pfg.-Paket 15 Pfg.!) und andere mehr; Milderung des heutigen Systems durch Beseitigung der Kampfzölle, Herabsetzung vieler Zollpositionen, denn nur dadurch kommen wir zu besseren Handelsverträgen, zu billigeren Lebensmittelpreisen! [] Der Bund der Landwirte, das mit ihm verbündete Zentrum und die Herren aus der Schwerindustrie wollen aber weitere Zollverschärfungen! Je größer der Einfluß dieser Schichten im kommenden Reichstag, desto größer die Gefahr neuer Volksberaubung! [] Milliarden zahlt das deutsche Volt einer kleinen Gesellschaft von Zollinteressenten, [] während das Volk hungert, steigt der Reichtum der Couponabschneider und Großagrarier ins Ungemessene! [] So betrug in Preußen die Zahl der Millionäre: [] im Jahre 1895 [] 5306 [] im Jahre 1911 [] 9341 [] Das Durchschnittsvermögen der Leute mit mehr als 2 Millionen Mark Vermögen betrug [] im Jahre 1895 [] 4,7 Mill. Mark [] im Jahre 1911 [] 5,3 Mill. Mark. [] Vier Nutznießer der Getreidepreise, die hier beispielsweise aufgeführt werden sollen, vermehrten ihr Vermögen und Einkommen wie folgt: [] Fürst Henckel von Donnersmarck aus Neudeck [] hatte ein [] [Tabelle] [] Herzog von Ujest, Fürst Hohenlohe-Oehringen-Slaventzitz [] hatte ein [] [Tabelle] [] Hans Ulrich Graf Schaffgotisch-Koppitz [] hatte ein [] [Tabelle] [] Franz Hubert Graf Tiele-Winckler-Moschen [] hatte ein [] [Tabelle] [] Solche Folgen unserer "bewährten Wirtschaftspolitik" passen den Reichen, aber die Armen büßen für diese Politik mit Entbehrung und Hunger! [] Das Zentrum, die festeste Stütze dieser Ausplünderungspolitik, gab früher noch manchmal der Wahrheit die Ehre, heute schwindelt es zur höheren Ehre des Zollwuchers das blaue vom Himmel herunter! [] Daß besonders durch die Getreidezölle dem Volke das tägliche Brot verteuert wird, wissen die Zentrumsführer. [] Sagte doch 1873, als das Zentrum sich noch gegen Getreidezölle wandte, der Zentrumsführer von Schorlemer-Alst im Reichstage: [] "Ich bin der Erste gewesen, der bei der Besprechung von Mitgliedern des deutschen landwirtschaftlichen Vereins sich entschieden gegen Getreidezölle ausgesprochen hat... Ich war auch dort der Erste, der erklärte: "Nein, ich wünsche keine Getreidezölle, weil ich der Bevölkerung das Brot nicht verteuern will." [!] [] Und Peter Reichensperger schrieb im Jahre 1887 in einer Broschüreüber "die Gemeinschädlichkeit der in Aussicht gestellten Erhöhung der Kornzölle" (S. 25), daß "durch den Getreidezoll das gesamte inländische Getreide und damit auch das im Gebot des Herrn feierlich hervorgehobene Brot entsprechend verteuert wird." [] Und weiter sagte Reichensperger in derselben Schrift (S. 30), daß die Kornzölle keineswegs zur Erhaltung des Bauernstandes dienen, [] "es sei denn, daß man darunter (also unter Bauernstand D. V.) nur die wenigen Großbauern verstehen will, die mehr Getreide produzieren, als sie für sich bedürfen." [] Christliche Arbeiterorganisationen wandten sich früher oft in der schärfsten Weise gegen die Aushungerungspolitik, heute dürfen sie das nicht mehr, heute müssen sie ihren Mitgliedern vorschwindeln, daß ohne Zoll alles noch teurer wäre! So will es das Zentrum! [] Am 25. Januar 1907 schrieb die "Trierische Landeszeitung", ein Zentrumsblatt: [] "Den neuzeitlichen Raubrittern reihen wir auch ein jene Gewappnete, welche wie ihre zünftigen Vorfahren nur das unbemittelte, wehrlose Volk auszupovern suchen, indem sie dem Reichstag zumuten, nur solche Steuergesetze zu machen, die Verbrauchsgegenstände belasten, um den kleinen Mann zu treffen; jene Leute, die den Reichstag als eine Einrichtung ansehen, der rückhaltslos und rückgratlos die Hunderte von Millionen nur so bewilligen soll, ohne zu prüfen, ob die Ausgaben nötig sind oder nicht, ganz einerlei, ob das Voll die neuen Lasten ohne Schaden zu tragen vermag oder nicht, wenn nur sie oder ihre nähere oder entfernte geschäftliche Verwandtschaft sich auf Kosten der Steuerzahler bereichern kann." [] Diesen modernen Raubrittern, dieser Schmach des Menschengeschlechts, muß am 12 [!] Januar von den armen Leuten gezeigt werden, daß sie es leid sind, sich das Fell über die Ohren ziehen zu lassen! [] Nieder mit den Junkern! Nieder mit den Scharfmachern! Nieder mit den im Gewande der Frömmigkeit herumschleichenden Volksbetrügern! [] Wer von seiner Hände, seines Kopfes Arbeit leben muß, wähle am 12. Januar den Kandidaten der Sozialdemokratie! [] Verlag: Sozialdemokratisches Bureau für Rheinland-Westfalen. Druck: A. Gerisch, beide in Düsseldorf.
Published:12.01.1912