Thema des Tages: Nicht vergessen!

Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals; Thema des Tages: [] Nicht vergessen! [] In den ersten Tagen nach der Währungsreform beherrschte unverkennbar überall eine Stimmung wie in glücklicheren Zeiten in den Wochen vor Weihnachten. Es ist für den ruhigen Beobachter dieser Dinge eigen...

Full description

Bibliographic Details
Main Authors: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD), Bundesvorstand, Hannoversche Presse, Druck- und Verlagsgesellschaft m.b.H., Hannover
Institution:Archiv der sozialen Demokratie (AdsD)
Format: IMAGE
Language:German
Published: 10.06.1948
Subjects:
Online Access:http://hdl.handle.net/11088/4A2A9DAF-55EE-4DA8-BA54-8DF6F2810207
Description
Summary:Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals; Thema des Tages: [] Nicht vergessen! [] In den ersten Tagen nach der Währungsreform beherrschte unverkennbar überall eine Stimmung wie in glücklicheren Zeiten in den Wochen vor Weihnachten. Es ist für den ruhigen Beobachter dieser Dinge eigentlich unbegreiflich - und in einem gewissen Maße sogar etwas beängstigend - daß die arbeitenden Menschen, so friedlich das Wiedersehen feiern mit den guten und nützlichen Dingen, die sie zwar fabriziert haben, die ihnen aber von den Hortern vorenthalten worden sind. Wenn einer monatelang mit einem Bezugschein in der Tasche immer wieder hinter einen Kochtopf herlaufen mußte und jedesmal nur die Antwort bekam, daß nichts da sei, und er sieht dann heute ganze Berge von Kochtöpfen gerade in dem Augenblick, in dem er eigentlich kein Geld mehr hat, dann ist es schon ein Zeichen von außerordentlicher Geduld, wenn er nicht die Scheibe einschlägt. Noch niemals ist jene Strophe aus dem Freiheitslied der Arbeiterbewegung so drastisch illustriert worden wie jetzt: [] "Gewölbe stark und fest bewehret, [] die bergen was man dir entzog, [] dort liegt das Gut, das dir gehöret [] und um das man dich betrog. [] Ausgebeutet bist du worden, [] ausgesogen stets dein Mark! [] Auf Erden rings, in Süd und Norden, [] das Recht ist schwach, die Willkür stark!" [] Der Arbeiterschaft sind diese Worte wohl vertraut, und sie hat ihren Sinn immer begriffen, denn es ist ihr eigentlich immer so ergangen. Wenn sie aber ausgesprochen wurden, entrüsteten sich alle vornehmen Leute und sagten, daß das Klassenkampf sei. Sie waren sehr froh, als die Nazis so etwas überhaupt verboten und alle, die diese Wahrheit verkündeten, ganz einfach ins Kz steckten. Heute steht mancher von denjenigen, die diese Wahrheit nicht hören wollten, verzweifelt vor den Vorräten in Friedensqualität und zerknittert seinen Bezugschein, der ebenso wertlos geworden ist wie das alte Geld. Wird er den Mut zur Konsequenz aufbringen, wenn einmal über diese Sorte von Wirtschaft das politische Urteil gesprochen werden muß - etwa bei der nächsten Wahl? [] Als vor Monaten die SPD-Fraktion im Wirtschaftsrat ihr Enthortungsgesetz einbrachte, hatten die Generaldirektoren, die in der CDU den Ton angeben, die Stirne, im Wirtschaftsrat mit ihrer Mehrheit zu beschließen, daß erst einmal festgestellt werden müßte, ob denn überhaupt in Deutschland gehortet würde! Der von ihnen eingesetzte Direktor der Verwaltung für Wirtschaft, Dr. Erhard, hat sich wohlweislich gehütet, diesen Auftrag ernst zu nehmen. Ihm war schließlich sehr genau bekannt, daß von allen lebenswichtigen Gütern große Mengen wohlverwahrt in den Gewölben lagen. Im Gegenteil, er, hat dieser verbrecherischen Praxis der Sachwertbesitzer noch eine vornehme Theorie geliefert, indem er verkündete, daß man mit einem "Warenpolster" in die Währungsreform hineingehen müsse - und die von ihm betreute Wirtschaft hat sich dann auch ganz schön gepolstert. [] Heute drehen die breiten Massen den Groschen dreimal um, ehe sie das Notwendige kaufen können, und die Flüchtlinge und die Rentenempfänger haben nicht einmal einen Groschen, den sie umdrehen können. Was diese großen Herren "wirtschaftliche Vernunft" nannten, ist doch geradezu eine nationale Schande. Wir haben unsere ausländischen Freunde anbetteln müssen, damit sie uns einmal einen Kamm oder eine Zahnbürste stifteten. Zugleich ist gegen die Demontage, Kohlenexporte auf Reparationskosten usw. gewettert worden. Heute wissen wir, und die ganze Welt weiß es, daß Kämme am laufenden Band fabriziert worden sind, daß man sie uns bloß nicht geben wollte. Wer hat sie uns vorenthalten? Der böse Feind da draußen? - Nein, unser innerer Feind! [] Seit Monaten war das Ruhrgebiet ohne Fleisch, und es gab eigentlich nirgendwo Fleisch. Dafür gab es aber die Forderung nach außen, daß die anderen uns endlich mehr Fleisch schicken sollten und die Erklärung nach innen, daß man es keinem Bauern zumuten könnte, seine guten Kühe für so schlechtes Geld zu verkaufen. Die Folge waren Unterernährung und Tuberkulose. An manchen Orten wurden überhaupt nur wertloses und verhungertes Vieh oder notgeschlachtete Tiere angeliefert. Und Schweine? Die Schweine waren doch schon längst alle abgeschlachtet! Seit dem Tage nach der Währungsreform hat sich das Bild auf allen Schlachthöfen außerordentlich verändert. Nicht nur der Zahl nach, auch nach der Qualität wird soviel Fleisch angeliefert, daß es zu ernsthaften Schwierigkeiten bei der Abnahme kommt. [] Diese ganze Schande liegt offen vor den Augen der Deutschen und leider auch offen vor den Augen der Welt. Nach außen hin muß es sich auswirken als eine schwere Belastung bei der Vertretung berechtigter deutscher Interessen. Niemand wird draußen begreifen, warum sich die Deutschen in ihrer großen Not nicht untereinander wenigstens so anständig behandeln, wie sie es von den andern fordern. [] Vor allem kommt es darauf an, daß nach innen die richtigen Konsequenzen gezogen werden, und deshalb werden diese bitteren Wahrheiten hier ganz offen ausgesprochen. Das, was in diesen Tagen geschieht, darf nicht vergessen werden. Daran muß jeder denken, wenn - möglichst recht bald - denen die Rechnung für ihre Wirtschaftspolitik präsentiert wird, die für das alles die unmittelbare Verantwortung tragen - den Besitzbürgerparteien, die im Frankfurter Wirtschaftsrat die Mehrheit bilden. [] SPD [] Herausgeber: Vorstand der SPD
Published:10.06.1948