Mann der Arbeit, aufgewacht!

Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals; [?] = vermutete Leseart; [!] = sic! Mann der Arbeit, aufgewacht! [] Wer ist es, Arbeiter, der Deinen Willensausdruck hemmt, Deine Aktionskraft lähmt und Deine Ziele verfälscht? Du hast am 9. November gesiegt. Du hast alle Ketten gesprengt. Du...

Full description

Bibliographic Details
Main Authors: N.N., Vorwärts Buchdruckerei und Verlagsanstalt Paul Singer & Co., Berlin
Institution:Archiv der sozialen Demokratie (AdsD)
Format: IMAGE
Language:German
Published: 11.1918
Subjects:
Online Access:http://hdl.handle.net/11088/95188C10-71D2-4141-9106-6F76083927C7
Description
Summary:Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals; [?] = vermutete Leseart; [!] = sic! Mann der Arbeit, aufgewacht! [] Wer ist es, Arbeiter, der Deinen Willensausdruck hemmt, Deine Aktionskraft lähmt und Deine Ziele verfälscht? Du hast am 9. November gesiegt. Du hast alle Ketten gesprengt. Du hast dir, was dir längst schon gebührte, genommen: die uneingeschränkte politische Freiheit. [] War es erst am 9. November? [] Nein, Du Haft schon viel früher gesiegt; Du hast durch jahrzehntelange unermüdliche, auf zielbewußter Organisation und opferbereiter Solidarität aufgebaute Tätigkeit, dadurch, daß Du mit unaufhörlicher Konsequenz für Volksfreiheit, Volksherrschaft, für das Recht der Unterdrückten gegen die Unterdrücker, für das Recht der Mehrheit gegen eine anmaßende Minderheit gestritten hast, die Saat ausgestreut, die am 9. November aufgegangen ist. [] Der 9. November, an welchem Tage Du die Macht in die Hände genommen hast, zeigte Deinen bisherigen Gegnern erst, was Du schon längst gewesen bist: Ein Hauptfaktor im Staatsleben und in der menschlichen Gemeinschaft. [] Nun gehst Du daran, auch Deine wirtschaftliche Befreiung, die Beseitigung der Kapitalsherrschaft, zu vollziehen, den Sozialismus zu verwirklichen. [] Aber Du weißt, daß dieses wieder nur durch unermüdliche, gewissenhafte Arbeit, aufgebaut auf Organisation und opferbereiter Solidarität (nicht nur gegen Deinen Arbeitsbruder, sondern gegen Deinen Mitmenschen überhaupt), geschehen kann, denn Sozialismus ist nicht nur Klassenkampf, sondern auch Menschheitskampf. [] Hätten wir heute die Friedenswirtschaft, so läge die Sache wesentlich einfacher. Aber wir haben eine durch den langen Krieg beispiellos zerrüttete und ausgesogene Wirtschaft. Die Lebensmittel- und Rohstoffvorräte stehen vor der Erschöpfung, die Produktion ist auf den Krieg eingestellt und muß erst durch mannigfache, vorläufig unproduktive Arbeit für die täglichen Lebensnotwendigkeiten umgebaut werden. [] Wir sind nicht nur auf den Kredit des Auslandes, sondern auch auf die Mitarbeit aller schaffenden im eigenen Lande angewiesen. [] Wir können die Rohstoffe, die uns das Ausland borgt, nur durch das Plus der Arbeit über den heimischen Verbrauch bezahlen. Das geschieht, indem wir einen Teil der eingeführten Rohstoffe als fertige Produkte wieder ausführen. Wir müssen mehr arbeiten als jedes andere Volk der Erde. Wir dürfen keinerlei Unterbrechung, keinerlei Lässigkeit in unserer Arbeit einreißen lassen und keinen Teil des werktätigen Volkes von der Mitarbeit und der Mitbestimmung im Staatsleben ausschließen. [] Arbeiten wir nicht, so gibt uns das Ausland keine Rohstoffe und Lebensmittel, proklamieren wir jetzt, wo die organisierte Arbeiterschaft noch eine Minderheit ist, die alleinige Herrschaft des Proletariats, so treiben wir unseren tüchtigen Mittel- und Beamtenstand zur Verzweiflung und zur Sabotage und setzen auf diese Weise unser gesamtes Wirtschafts- und Staatswesen schwerster Zerrüttung aus. [] Rußland wurde durch die Diktaturherrschaft der Sowjets in den Abgrund gestoßen. Hunger, Arbeitslosigkeit, neuer Krieg nach innen und außen sind die Resultate. Jetzt ruft Lenin nach dem Bürgertum und in seiner letzten Rede auf dem 8. Kongreß der russischen Kommunisten am 18. März bekannte er sich - zu spät - zu dem Satze: "Der Kommunismus kann mit den Mitteln der Gewalt nicht durchgeführt werden." [] Tatsächlich ist der Versuch der Einführung kommunistischer Wirtschaftsformen in Rußland mit den Mitteln der Gewaltdiktatur im Experiment stecken geblieben; in allen Produktionszweigen zeigen sich Rückbildungen zur Privatwirtschaft, und Lenin ist nicht nur genötigt, an die Mithilfe der Bürgerschaft, sondern auch an die Mitwirkung des inländischen und ausländischen Privatkapitals zu appellieren. Unter allen Ländern Europas hat Rußland die günstigsten Voraussetzungen dafür, ein ökonomisch "selbsttätiges" [?] Gebiet zu werden, d. h. ohne Inanspruchnahme der Ein- und Ausfuhr von Waren und ohne ausländischen Kredit zu existieren. Es hat die meisten Rohstoffe, die es braucht, im eigenen Gebiet und produziert in normalen Zeiten einen Ueberfluß an Lebensmitteln. In einem solchen Lande war also tatsächlich der Boden für eine kommunistische Wirtschaft am günstigsten bereitet. Wenn aber in Rußland die Versuche der Einführung des Kommunismus durch diktatorische Gewalt an dem Widerstand der vergewaltigten mittleren Klassen gescheitert sind und dem Lande nur namenloses Elend eingebracht haben, so beweist dies, [] daß keine Volksgemeinschaft existieren kann ohne die tätige Mitwirkung aller Glieder derselben. [] Wie stehen nun die Dinge in Deutschland? [] Du weißt, daß unser Land weder genug Rohstoffe noch genug Lebensmittel besitzt, daß Deutschland niemals als ein ökonomisch selbsttätiges Gebiet angesprochen werden kann. Wir haben den tüchtigsten und arbeitsamsten Mittel- und Beamtenstand. Wie können wir daran denken, ohne Hilfe dieses Standes unser Haus zu bestellen? Jeder Versuch wäre Wahnsinn und Verbrechen an unserm Volke. [] Nur eine Zusammenfassung aller Kräfte des deutschen Volkes vermag die deutsche Heimat aus der Not und Gefahr unserer Tage einer lichteren Zukunft entgegenzufahren. [] Der deutsche Mittelstand ist keine kapitalistisch interessierte Klasse. Er ist nur in anderen politischen und sozialen Anschauungen erzogen worden als Du. Auch er ist in den Revolutionstagen aufgewacht. Bei normaler Entwicklung kann es nicht mehr lange dauern und Proletariat und Mittelstand werden gemeinsam am Bau der sozialistischen Ordnung arbeiten. [] Inzwischen schreiten die Vorbereitungen zur Sozialisierung der hierfür reifen Produktionszweige rüstig vorwärts. Alle Betriebe müssen sofort sozialisiert werden, bei welchen aus der Sozialisierung eine Steigerung der Produktion, eine Besserstellung der Arbeiterschaft und ein Nutzen für die Allgemeinheit erwächst. Eine Sozialisierung ins Blaue hinein würde wirtschaftliche Katastrophen heraufbeschwören. Ist doch Sozialismus nicht Selbstzweck, sondern nur Mittel zum Zweck; der Zweck aber ist, wie Du im Erfurter Programm nachlesen kannst: "Aufhebung jeder Art Ausbeutung und Unterdrückung, richte sie sich gegen eine Klasse, eine Partei, ein Geschlecht, eine Rasse." [] Diese normale Entwicklung wird aber durch die Ungeduld und die gefährliche Unruhe, von welchen ein Teil der Arbeiterschaft ergriffen wurde, gehemmt und vollends durch die putschistischen Wühlereien der Spartakisten der Katastrophe zugetrieben. Nicht sozialistisch geschulte Arbeiter sind es, die die Reihen der Unruhestifter füllen: es sind ungeschulte Elemente, Kriegsproletarier, Angehörige der gelben Gewerkschaften, junge und alte Hitzköpfe und endlich auf persönlichen Erfolg und Gewinn spekulierende Elemente, die, von der phantastischen Machtbefugnis russischer bolschewistischer Kommissare fasziniert, die bolschewistische Tyrannei nicht schnell genug nach Deutschland verpflanzt sehen können. In der gewissenlosesten Weise werden in den Betrieben die bisher indifferenten Arbeiter, ebenso auch die gewerkschaftlich jahrelang Organisierten gegen ihre alten gewerkschaftlichen Organisationen scharf gemacht. Die Wahlen haben eine zahlengemäße Minderheit derjenigen erwiesen, welche durch Gewalt zu besseren Verhältnissen kommen wollen, daher muß man sich eine größere Plattform schaffen: dieses sollen die Gewerkschaften werden. Dazu muß man aber die Erfahrung und die jahrzehntelange [] Treue der alten Führer [] verdächtigen, man arbeitet mit denselben schäbigen Mitteln, indem man ihnen Verrat der Arbeiter an dem Kapitalismus vorwirft, denselben Leuten, die in zwanzigjährigem Ringen erst dem deutschen Arbeiter seine politische Bedeutung ermöglicht haben, teilweise gegen dieselben Leute: Gelbe, Streikbrecher und Indifferente. Arbeiter, der Schwindel ist zu durchsichtig. Seht Euch einen Teil derjenigen an, die heute mit großen Versprechungen, lautem Geschrei und phrasenhaften Gebärden auf die Tribüne klettern, prüft ihr Vorleben und ihr Verhalten zur alten opfervollen Arbeiterbewegung vor dem Kriege, vergleicht es mit dem Leben Eurer alten Führer, und menn [!] Euch dann nicht die Augen aufgehen, dann ist Euch nicht zu helfen. [] Gewiß, es mag manchmal nicht nach Eurem Geschmack gewesen sein, was Euch in diesem oder jenem Falle empfohlen werden mußte, aber hat man Euch nicht in jedem Falle die Möglichkeit gegeben, durch Abstimmung zu entscheiden, was zu tun sei: seit wann besteht die Methode, die in den Abgrund führt, mit Revolvern in der Hand alten erfahrenen Männern den Willen einiger weniger Schreier aufzuzwingen? Wie lange, wir fragen Euch? - Seitdem viele Arbeiter sich die Köpfe von unreifen Schwätzern verkleistern ließen. Die Ernüchterung wird und muß kommen, dann wird es zu spät sein, darum warnen wir, solange es Zeit ist. Es gibt Fehler, die keine Reue gutmachen kann, einen solchen seid Ihr im Begriff zu begehen: Nämlich den guten, sicheren, erfolgreichen Boden des Sozialismus und die Lehren Eurer Alten: Wilhelm Liebknecht, Bebel, Singer, Kautsky, Bernstein und Hunderte Ungenannter zu verlassen und fremden asiatischen Schwärmern und Betrügern nachzulaufen, die Euch verlassen, wenn sie Euch im Unglück sehen werden. Seht Ihr denn den Unterschied nicht? Eure alten, bewährten Vorkämpfer und Führer opfern lieber mit ihren grauen Haaren ihre Existenz, ehe sie Euch und ihrem Prinzip untreu werden. Was waren die andern? Was werden sie tun? Nur das, was ihnen ihr Vorteil vorschreibt. Arbeiter, entscheidet richtig. Wäre es nicht ein Leichtes, mitzuheulen in diesem Chor? Es wäre vorteilhaft und gefahrlos für die eigene Person, das Gegenteil erfordert mehr Mut, mehr Ideale, mehr innere Ueberzeugung. Wenn Euch die Leute dieses Schlages einst fehlen würden, was würde dann eintreten? [] Die marxistische Lehre von der Diktatur des Proletariats, die als die Herrschaft des proletarischen Volkes über eine kleine Kapitalistenschicht - noch haben wir die Entwickelungsstufe nicht erreicht - aufzufassen ist, deuten sie in eine Diktatur des Proletariats als Volksminderheit um. Folglich wird dies nur eine Diktatur einer Minderheit des Proletariats über die proletarische Mehrheit und über alle übrigen Klassen sein können und schließlich - wie in Rußland - in eine Diktatur über das Proletariat ausarten. [] In Rußland herrscht nicht der wirklich arbeitende Proletarier, sondern der dem Proletariat entstammende neue Beamte. Die Macht der Arbeiter- und Soldatenräte gehört in Rußland längst der Vergangenheit an. [] Wo man Gewalt und Willkür an Stelle von Demokratie und Recht setzt, ist eine solche Rückbildung zum persönlichen Absolutismus nur natürlich. [] Der in den Idealen der Demokratie aufgewachsene deutsche Arbeiter wird solche ins Dunkel führende Wege nicht beschreiten. Wenn er sich jedoch daran Genüge sein läßt, passiv zu bleiben, so wird er gegen seinen Willen in allerlei dunkle und gefährliche Machenschaften verwickelt werden. Wo irgendeine Bewegung, ein Streben innerhalb der Arbeiterschaft zur Geltung kommen will, schon stellt sich Spartakus an die Spitze, weiß sie schlau in seine Bahnen zu lenken. Das ist die Taktik der Schüler des russischen Bolschewismus: eine kluge, aber ruchlose Taktik, dazu bestimmt, die zahlenmäßige Bedeutungslosigkeit der Spartakisten zu verschleiern und ihren dunklen Bestrebungen den Charakter einer Massenbewegung zu verleihen. Spartakus ist der Schnittlauch auf allen Suppen. Jede aus der Mitte der Arbeiterschaft ausgesprochene Forderung wird von ihm aufgenommen und in seinem Sinne umgedeutet, jeder Streik ist sein Streik und jede Kundgebung wird von ihm mit einem bewaffneten Putsch begleitet, die Arbeiterregierung zu stürzen und an ihrer Stelle eine Gewaltherrschaft zu etablieren. Und wenn dann die Regierung, die ja nicht anders kann, der Gewalt mit Gewalt begegnet, so schreit Spartakus: "Die Regierung läßt auf die Arbeiter schießen." [] Eine gefährliche Atmosphäre entsteht, eine Verwirrung der Begriffe, eine Verschiebung der Machtverhältnisse, die den realen Verhältnissen nicht entspricht. Die Kreise des Mittelstandes, die sich dem Sozialismus genähert hatten, werden erschreckt und schwenken nach rechts ab. Die Reaktionäre bekommen Wind in ihre Segel, und so geraten die Errungenschaften der Revolution wirklich in Gefahr. [] Darum, Arbeiter, sei wachsam! [] Stehe dem gefährlichen Treiben der Kommunisten nicht passiv gegenüber, wehre sie aktiv ab! [] Erlaube Spartakus nicht, daß er sich zum Vollstrecker Deines Willens aufwirft, daß er Deine Aktionskraft in unrechte Bahnen lenkt und Deine Ziele verfälscht! Solches Beginnen mußt Du schon im Keime ersticken. Ziehe einen dicken, allen sichtbaren Strich zwischen Deinen auf die Verwirklichung des wahren Sozialismus gerichteten Bestrebungen und den machtlüsternen Bestrebungen der Kommunisten! Halte sie Dir zehn Schritte vom Leibe! [] Folge ihm nicht auf dem Wege der ins Grauen mündenden Gewalt! Bleibe Dir selber treu! Bleibe treu den erhabenen Prinzipien der großen französischen Revolution: [] Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit! [] Vorwärts Buchdruckerei und Verlagsanstalt Paul Singer & Co., Berlin SW 68.
Published:11.1918