An alle Haushaltungen von Bad-Neuenahr

SPD-Ortsverein Bad Neuenahr Bad-Neuenahr, den 12.l0.1956<NZ>An alle Haushaltungen von Bad-Neuenahr<NZ>Unter der Überschrift "Wir klagen an!" wird der SPD-Ortsvarein Bad Neuenahr in den Wochen vor den Kommunalwahlen mehrere Wahlrundschreiben an al...

Full description

Bibliographic Details
Main Author: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD), Ortsverein Bad-Neuenahr
Institution:Archiv der sozialen Demokratie (AdsD)
Format: IMAGE
Language:German
Published: 11.11.1956
Subjects:
Online Access:http://hdl.handle.net/11088/304C3BDE-A164-4065-9F8D-0BF4686F80AD
Description
Summary:SPD-Ortsverein Bad Neuenahr Bad-Neuenahr, den 12.l0.1956<NZ>An alle Haushaltungen von Bad-Neuenahr<NZ>Unter der Überschrift "Wir klagen an!" wird der SPD-Ortsvarein Bad Neuenahr in den Wochen vor den Kommunalwahlen mehrere Wahlrundschreiben an alle Haushaltungen von Bad Neuenahr herausbringen, in denen die Bevölkerung über wichtige Fragen der städtischen Kommunalpolitik aufgeklärt werden soll. Ungeachtet der grossen Unkosten, die uns dadurch entstehen, haben wir diesen Weg gewählt, um auch denjenigen Bürgern, die aus irgendwelchen Gründen die Wahlversammlungen nicht besuchen können, die nötige Aufklärung zu geben über das, was in den letzten vier Jahren geschehen ist, sowie über die Aufgaben, um deren Lösung der neue Stadtrat nicht herankommen wird. Wir bitten daher jeden Bürger, diese Informationen genau zu studieren, bevor er am 11. November zur Wahlurne geht. Am 19.5.54 hat die Stadt Bad Neuenahr mit der Casino-Kommandit-Gesellschaft einen Vertrag abgeschlossen, in dem sich die Stadt verpflichtet, der Casino K.G. jährlich, auf die Dauer von l0 Jahren, 15% der Spielbankeinnahmen als sogenannten Werbekostenbeitrag zurückzuzahlen. Im Jahre 1954/55 hat diese Leistung der Stadt 206.000 DM gekostet, im laufenden Haushaltsplan sind 90.000 DM dafür eingesetzt. Auf l0 Jahre umgerechnet, bedeutet das eine Summe von 1 Million DM. Dieser unglückichge Vertrag hat folgende Vorgeschichte. Als das Bundesfinanzministerium im Jahre 1954 einen Anteil an den Spielbankeinnahmen forderte, war das Land nicht bereit, allein diese Last zu tragen. Es forderte daher die Casino-K.G. zu einer entsprechenden Leistung auf, stellte es dieser aber frei, den anderen privaten Nutzniesser der Spielbankeinnahmen, nämlich die Kur-K.G., ebenfalls zur Leistung heranzuziehen. Dass aber auch die Stadt belastet werden sollte, war weder vom Bund noch vom Land gewünscht. Für die beiden Privatgesellschaften lag aber nichts näher, als von sich aus die Stadt zu beteiligen. Der grosse Einfluss, den die beiden Privatgesellschaften bei der Stadtverwaltung und im Stadtrat besitzen, sollte nun seine größte Probe bestehen, denn diesmal ging es darum, der Stadt einen Millionenbetrag abzulisten. Zum Leidwesen der Stadt ist dieser grosse Coup gelungen. Da es eine rechtliche Handhabe für die Verwirklichung dieses Ansinnens nicht gab, mußte man vom geraden Weg abgehen. Man nannte daher diesen Vertrag schlicht und einfach: Werbekostenbeitrag. Das bedeutet aber eine substantielle Verfälschung der auf Grund dieses Vertrages zu leistenden Abgaben, denn diese Bezeichnung entspricht weder dem Inhalt noch der Absicht dieses Vertrages. Denn wie käme eine Stadt als Gemeinwesen auch dazu, einer Privatgesellschaft , [!] die ohnedies im Besitze der Spielbankkonzession eine Monopolstellung einnimmt und daraus mühelos jährlich über 2 Millionen DM steuerfreies Geld verdienst [!] [verdient], auch noch deren Werbekosten mitzutragen? Dazu kommt noch, dass die Casino K.G. wahrscheinlich garnicht einmal soviel Werbeunkosten hat. Ausserdem muss man bedenken, dass sie von diesen ungeheuren Einnahmen keine Steuern und sonstige Abgaben zu entrichten hat, da diese durch die Anteile der Stadt, des Landes und des Bundes an dem Gewinn abgegolten sind. Ja, sie bezahlt nicht einmal eine Miete: dafür erhält die Kurverwaltung ebenfalls einen Anteil am Gesamtgewinn (dieser Anteil beträgt übrigens jährlich 600-800.000 DM, was pro Monat und Raum etwa 5-6000 DM ausmacht !!!). Sie zahlt auch an ihre Angestellten, Putzfrauen und anderen Bediensteten kein Gehalt und keinen Lohn, denn selbst diese Ausgaben, die im vergangenen Jahr 4.251.418 DM betrugen, werden aus Trinkgeldern (Trank) bezahlt, welche die Spieler den Angestellten geben. Ist es da übrigens verwunderlich, dass das Kapital der Kommandististen [!] [Kommanditisten] bis auf das Vielfache des Einlagebetrages gestiegen ist ?! Nach Feststellung dieser Tatsachen fragt man sich, woher diese Privatgesellschaft den Mut nimmt, sich auch noch an der Stadt zu bereichern. Anscheinend hat unser Herrgott diese Männer in ihrem Goldrausch mit Blindheit geschlagen, sonst hätten sie wissen müssen, dass jeder, der sich an der Allgemeinheit vergeht, in einem demokratischen Staat von dieser gerichtet wird. Und das ist nun soweit. Es ist nur unfassbar, dass die verantwortlichen Männer der Stadt dieses hemmungslose Begehren der Casino-K.G. nicht sofort zurückgewiesen, ja dass sie dem erwähnten Vertrag sogar noch ihre Zustimmung und damit die Legitimation gegeben haben, denn schliesslich ging es ja doch um eine Million Mark Gemeindegelder. Ebenso unfassbar ist es, dass eine so wichtige Angelegenheit nur in geheimen Beratungen ausgehandelt und auch in geheimer Sitzung darüber entschieden wurde. Wenn der Anspruch der Casino-K.G. berechtigt war, warum dann diese Geheimnistuerei? Die Bevölkerung hat doch ein gutes Recht darauf zu wissen, was mit ihren Geldern geschieht. Es liegt uns völlig fern, die Mitglieder des Stadtrates zu verdächtigen, in diesem Falle unehrenhaft gehandelt zu haben. Wir versichern, dass wir die Mitglieder des Stadtrates als ehrenwerte Männer achten, wenn wir auch in den letzten zwei Jahren wiederholt Auseinandersetzungen mit ihnen hatten. Wir wissen, dass sich die überwiegende Mehrheit des Stadtrates lange gegen den Abschluss dieses unseligen Vertrages gewehrt hat, aber letzten Endes hat der grosse Einfluss des Kurdirektors Dr.Dr. Rütten und des Bürgermeisters Bloser sowie die Beredsamkeit des Anwaltes vom Bankhaus Lenz aus München den Ausschlag gegeben, dass esüberhaupt zum Abschluss des Vertrages gekommen ist. Auch unsere beiden Vertreter im Stadtrat haben zugestimmt. Das war aber nur möglich, weil man sie irregeführt und zur Geheimhaltung der Angelegenheit verpflichtet hat, so dass sie dem Vorstand des SPD-Ortsvereins nicht darüber berichten konnten. Erst als dieser Posten an verschämter Stelle im Haushaltsplan erschienen war, wurden wir stutzig und sind der Sache auf den Grund gegangen,. Heute steht einwandfrei fest, dass für die Stadt kein Grund und keine Veranlassung bestanden hat, diesen Vertrag abzuschliessen. Sie hatdamit [!] [hat damit] der sowieso im Geld schwimmenden Casino-K.G. ein Millionengeschenk gemacht, während man anderseits dem Steuerzahler bei der Eintreibung kleinster Steuerbeträge unendliche Schwierigkeiten macht (man denke zum Beispiel an die Hundesteuer!) oder den Minderbemittelten, Alten und Schwachen, im letzten Jahr nicht einmal ein kleines Weihnachtsgeschenk gemacht hat, als die SPD diese beantragte. Wenn auch Herr Dr.Dr. Rütten kürzlich in der Stadtratssitzung bei einer Stellungnahme zu der diesbezüglichen Anfrage der SPD versucht hat, diesen Vertrag auch jetzt noch zu verteidigen, so geschah das, gelinde gesagt, lendenlahm. Aber er hat dabei selbst zugegeben, dass nicht die Werbekosten das Motiv für den Abschluss dieses Vertrages waren, sondern die oben dargestellten Umstände. Er hat auf diese Weise den Vertrag substantiell verleugnet, er hat auch verschwiegen, dass ein grosser Teil der Lasten von der Casino-K.G. und der Kur-K.G. auf die Stadt abgewälzt wurde. Und das dürfte auch der wahre Grund sein, warum gerade er ein so eifriger Befürworter des Vertrages auch jetzt noch ist, denn heißt es nicht: "Wer sich verteidigt, klagt sich an"? Für die SPD steht nach sorgfältiger Prüfung der Angelegenheit eindeutig fest, dass dieser Vertrag dem Stadtrat unter Vorspiegelung falscher Voraussetzungen abgelistet wurde, dass dabei die § 25 (Schweigepflicht) und § 35 (Sonderinteresse) der Gemeindeordnung auf gröbste Weise missbraucht bzw. umgangen wurden und dass durch den Vertag die Interessen der Stadt als Gemeinwesen schwer geschädigt wurden [...]<NZ>----------------------------------<NZ>[Eine OCR des weiteren Textes ist aus technischen Gründen nicht möglich]
Published:11.11.1956