Herr Fischer, ein seltsamer Hüter der Verfassung!

Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals Herr Fischer, ein seltsamer Hüter der Verfassung Aus dem Protokoll der Sitzung des Berliner Abgeordnetenhauses vom 21. Oktober 1954. Auf der Tagesordnung dieser Sitzung stand unter anderem folgende Große Dringlichkeitsanfrage: Ist dem Herrn Re...

Full description

Bibliographic Details
Main Authors: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD), Landesverband Berlin, Graphische Gesellschaft Grunewald GmbH, Berlin
Institution:Archiv der sozialen Demokratie (AdsD)
Format: IMAGE
Language:German
Published: 21.10.1954 - 05.12.1954
Subjects:
Online Access:http://hdl.handle.net/11088/C973DEF9-692E-4180-8D75-8D4F29C812FA
Description
Summary:Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals Herr Fischer, ein seltsamer Hüter der Verfassung Aus dem Protokoll der Sitzung des Berliner Abgeordnetenhauses vom 21. Oktober 1954. Auf der Tagesordnung dieser Sitzung stand unter anderem folgende Große Dringlichkeitsanfrage: Ist dem Herrn Regierenden Bürgermeister und dem Senat bekannt, daß beim Senator des Innern ein Mann namens Faust tätig ist, der Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens auf das gröblichste beschimpft hat? Den Herrn Bundespräsidenten bezeichnete er als "einen alten Trottel", den Herrn Bundeskanzler als "den Chefagenten der Amis" und den Minister für gesamtdeutsche Fragen als "den dümmsten Minister Deutschlands". Anläßlich des Todes des Regierenden Bürgermeisters Ernst Reuter äußerte er sich: "Alle Politiker, besonders aber Reuter, gefielen ihm im Sarge am besten." Welche Maßnahmen hat der Senat, nachdem der Herr Bundesinnenminister die Mitteilungen über diesen Vorgang nach Berlin gegeben hat und vor etwa einem Vierteljahr zwei juristische Mitarbeiter des Senators Fischer Vernehmungen durchgeführt haben, ergriffen? Neumann Lipschitz Ohning und die übrigen Mitglieder der Fraktion der SPD [] Dr. Schreiber: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Meine Antwort auf die Große Anfrage kann sehr kurz sein. Mir ist nichts davon bekannt, daß ein Mann namens Faust beim Innensenator beschäftigt oder tätig ist. Wenn ein ,Mann derartige Bemerkungen gemacht haben sollte, wie sie in der Großen Anfrage wiedergegeben sind - wer es auch immer sei, ob er Faust heißt oder Müller oder Schulze oder sonst wie -, so bin ich der Meinung, daß er selbstverständlich in der Senatsverwaltung keinen Platz haben kann ... Der Herr Innensenator hat auf die Mitteilung des Herrn Bundesinnenministers Untersuchungen angestellt und hat das Ergebnis dieser Untersuchungen am 4. Oktober dem Herrn Bundesinnenminister mitgeteilt. Der Herr Innensenator ist selbstverständlich bereit, dem Unterausschuß, der von diesem Hause für die Besprechung von Fragen des Verfassungsschutzamtes eingesetzt worden ist, weitere Auskunft zu geben. Dieser Unterausschuß des Innenausschusses ist bereits auf den kommenden Sonnabend einberufen worden. Präsident Suhr: Ich eröffne die Aussprache über die Antwort des Senats auf des Senats auf die Große Anfrage. Das Wort hat Herr Abgeordneter Neumann. Neumann (SPD): Meine Damen und Herren! Ich muß mit einem Bedauern beginnen, mit einem Bedauern, daß der Herr Regierende Bürgermeister wieder in die peinliche Lage versetzt wird, erklären zu müssen, ihm sei nicht bekannt, daß ein derartiger Herr beim Innensenator beschäftigt ist. Herr Regierender Bürgermeister, vielleicht können Sie den Herrn Innensenator einmal befragen. (Abg. Lemmer.- Der sitzt doch daneben!) Vielleicht können Sie, Herr Regierender Bürgermeister, den Herrn Innensenator einmal befragen, warum in seiner Dienststelle am 13. August 1954 von einem Herrn Regierungsrat, der der engste Mitarbeiter des Senators ist, Vernehmungen auf Grund des Ersuchens des Herrn Bundesinnenministers durchgeführt worden sind. Ich glaube sogar, daß ich mich noch falsch ausgedrückt habe: nicht auf Ersuchen des Bundesinnenministers, soweit unsere Informationen - - (Zuruf von der FDP- Woher?) - Woher? Aber Sie sind immer so neugierig, Sie müssen sich so für die Menschen einsetzer- und versuchen, das demokratische System so vor solchen Elementen zu schützen wie wir, dann worden Sie auch erfahren, was die Bevölkerung denkt. (Beifall bei der SPD) Meine Damen und Herren! Ich möchte mich also sogar korrigieren und möchte offen sagen: Der Herr Bundesinnenminister hat im Juli zuständigkeitshalber einen Vorgang in den Herrn Senator des Innern nach Berlin gegeben. Nachdem in der Angelegenheit dann nichts mehr zu hören war, ist dann später noch einmal der Herr Bundesinnenminister befragt worden. und ich darf Ihnen sagen, daß der Herr Bundesinnenminister zum zweitenmal daraufhin dem Beschwerdeführer die Mitteilung gegeben hat. daß auch dieser zweite Brief - ich zitiere jetzt - "an das Land Berlin zuständigkeitshalber" abgegeben worden sei. Das ist nun immerhin sehr interessant, daß der Bundesinnenminister diese Mitteilung gibt und daß Sie dann so informiert sind, daß Sie uns die Auskunft geben müssen, Ihnen sei nicht bekannt, daß ein derartiger Herr beim Innensenator beschäftigt ist. Vielleicht hätten Sie den Herrn Innensenator dann befragen können, ob dieser Herr Faust unter einem anderen Namen dort tätig ist; denn er hat - mit dem Kopf oben "Senator des Innern" - Schriftstücke mit einem Namen unterzeichnet, den er vielleicht immer dort trägt. Immerhin, Herr Regierender Bürgermeister, das Haus und die Öffentlichkeit hätten doch wohl das Recht, zu erfahren, wie lange ein Mann noch beim Senat von Berlin sein Geld bekommen soll, der den Herrn Bundespräsidenten, den Herrn Bundeskanzler, den Minister für gesamtdeutsche Fragen und andere in einer Form beschimpft, wie wir sie in der Großen Dringlichkeitsfrage festgelegt haben. Herr Regierender Bürgermeister! Ich bin doch geneigt, auch noch die Bitte an Sie zu richten, den Herrn Senator des Innern zu befragen - nach Reinhold Maier! --, was denn erst geschehen muß, damit im Amte des Herrn Senators des Innern etwas geschieht. Meine Damen und Herren! Dieser Mann mit dem Namen Faust hat erklärt: die Verfassungsschutzbehörden sind der verlängerte Arm des jüdisch-kapitalistischen Verbrechersystems. Herr Regierender Bürgermeister! Diese Äußerungen dürften doch Beweis genug sein - ich bin, wenn noch Zwischenfragen notwendig sind, bereit, noch weiter zu bedienen -, daß hier ein Mensch im Amte ist, von Berlin bezahlt wird, der nach den Erfahrungen der Weimarer Zeit nicht nur schnellstens aus dem Amte entfernt werden muß, sondern schnellstens dahin gebracht werden muß, wo er hingehört. (Beifall bei der SPD) Präsident Suhr: Weitere ortmeldungen habe ich nicht. (Rufe: Hören wir denn nichts? Das geht doch nicht so!) Herr Senator Fisdier! (Unruhe) Fischer, Senator für Inneres: Erstens: Ich glaube, es ist vom Herrn Regierenden Bürgermeister zu viel verlangt, zu wissen. ob 32 000 Angestellte, 30 000 Beamte und 34 000 Arbeiter dem Namen nach beschäftigt sind. Zweitens: Artikel 43,5 der Verfassung legt das Ressortprinzip fest; jeder Senator leitet seinen Geschäftsbereich unter eigener Verantwortung. Die Verantwortung trage ich, kein anderer! (Zuruf von der SPD. Hat denn der Regierende Bürgermeister gar nichts zu sagen?) Drittens: Ich habe bei dieser Angelegenheit festzustellen, daß das Haus bei der Beratung des Gesetzes über die Errichtung eines Landesamtes für Verfassungsschutz ich bin durch die Anfrage überrascht, habe demzufolge die Texte nicht da eine Bestimmung in dieses Gesetz aufgenommen hat, wonach der zuständige Ausschuß des Parlaments in demselben Umfang zu unterrichten ist wie der Senat. (Zuruf der Abg. Frau Schönau) Wenn Sie freundlichst zuhören wollten, erübrigten sich vielleicht Ihre Zwischenrufe. (Abg. Frau Schönau: Im Gegenteil, je mehr ich zuhöre, um so mehr habe ich Zwischenrufe zu machen) Der Innenausschuß des Abgeordnetenhauses hat je ein Mitglied des Innenausschusses aus jeder Fraktion bestimmt, und dieses Verbindungsgremium ist beauftragt, Informationen des Amtes entgegenzunehmen und die Angelegenheit des Verfassungsschutzes, soweit der Innenausschuß in Frage kommt, zu erledigen, da es offenbar ist, daß Fragen des Nachrichtendienstes und des Verfassungsschutzes nicht Gegenstand einer Erörterung im Parlament sein können. (Rufe: Ach! und Unruhe bei der SPD. - Abg. Frau Krappe: Wie beim SSD im Osten!) Ich habe dabei pflichtgemäß den § 99 und § 100 c des Strafgesetzbuches zu beachten und bin daher nicht in der Lage, über die Angelegenheit Faust hier im Parlament weitere Erklärungen zu geben. (Zuruf von der SPD: Also existiert er!) - Ich gebe gar nichts zu, Herr Ohning. Mit Ihren Winkeladvokatentricks können Sie mir nicht kommen. (Zustimmung rechts. - Große Unruhe bei der SPD) Wenn der Herr Abgeordnete Neilmann, der am 17. Oktober den Fall Faust publik gemacht hat, die Pflicht als Abgeordneter nicht wahrgenommen hat, seinen Vertreter im Unterausschuß des Innenausschusses vorher zu befragen, ist das nicht meine Verantwortung. (Unruhe und Zurufe bei der SPD) Präsident Suhr: Meine Damen und Herren! Ich möchte Herrn Senator Fischer darauf aufmerksam machen, daß ich mir das Recht herausnehme, auch Mitglieder des Senats dann zur Ordnung zu rufen, wenn sie die Ordnung des Hauses verletzen. Ich bedaure den Ausdruck, der hier von Herrn Senator Fischer gewählt worden ist. Ich möchte ihn nicht gehört haben. Jetzt hat Herr Abgeordneter Lipschitz das Wort. Lipschitz (SPD): Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich hätte zu diesen Ausführungen nicht das Wort ergriffen, wenn der Herr Senator mich nicht durch seine Darlegungen dazu gezwungen hätte. (Zuruf von der FDP) - Das ist Ihnen unangenehm, Herr Wiederhold, das glaube ich schon. Sie gehören zu den Leuten, die wahrscheinlich nicht besorgt sind, wenn sich solche Dinge in der Öffentlichkeit abspielen; wir sind es Gott sei Dank noch. Ich darf feststellen, daß diese Angelegenheit niemals in dem fraglichen Ausschuß besprochen worden ist, zum mindesten, solange ich dabei war, und mir ist nicht bekannt, daß ohne meine Anwesenheit eine solche Sitzung stattgefunden hat. Wenn der Herr Senator weiterhin sagt, daß der Ausschuß in dem gleichen Umfange informiert wird wie der Senat und ich nun feststelle, daß der Ausschuß nicht informiert worden ist, so wundere ich mich auch nicht, daß der Herr Regierende Bürgermeister nicht informiert worden ist. Wir sind mit dem Herrn Regierenden Bürgermeister in dem mangelnden Informiertsein völlig einig. Ich darf weiter feststellen, daß ich nicht als Vertreter von Herrn Neumann in diesem Ausschuß sitze, sondern, auf Grund gesetzlicher Befugnisse, und ich fühle mich dort auch frei und unabhängig und nicht als Beauftragter irgendeiner Person oder Fraktion. Präsident Suhr: Das Wort hat Herr Abgeordneter Wille. Wille (CDU): Meine Damen und Herren: Ich spreche ohne Abstimmung mit meiner Fraktion. Herr Senator! Ich bedaure Ihre Ausführungen. Ich glaube, daß wir als Abgeordnete das Recht haben, wenn in der Öffentlichkeit Behauptungen wie diese aufgestellt werden, daß ein Mann, mag er nun Faust oder Gretchen heißen, derartige Äußerungen tut, und dies festgestellt wird oder nicht festgestellt wird, zu erfragen, ob ein solcher Mann noch in Ihrem oder in irg:endeinem Amte des Senats ist, und dann sollte es ein Senator mit der Würde dieses Hauses für vereinbar halten, eine bejahende oder verneinende Erklärung abzugeben. Ich glaube, Ihr Wort hat hier nur ja oder nein zu sein, und Sie sollten Ihre Aufgabe nicht darin sehen, Abgeordnete dieses Hauses anzugreifen. Präsident Suhr: Das Wort hat Herr Abgeordneter Lemmer. - Er verzichtet. Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. (Zuruf: Fischer hat sich gemeldet) - Der Herr Senator hat sich nicht gemeldet. Herr Senator Fischer verneint, daß er sich gemeldet hat. - Herr Abgeordneter Neumann! Neumann (SPD): Ich habe keine Absicht, noch sachlich ein Wort zu dem Fall zu sagen. Ich möchte nur Herrn Innensenator Fischer folgendes sagen. Er beruft sich darauf, daß er Paragraphen des Strafgesetzbuches zu beachten hat. Herr Senator, ich möchte Ihnen das eine sagen: Alle Senatoren sollten bei derartigen Fällen, wie ich sie vorgetragen habe, auch die Regeln des politischen Anstandes beachten. (Beifall bei der SPD) Soweit das Protokoll. Vielleicht verstehen Sie nun, lieber Leser, daß wir Sozialdemokraten in Herrn Fischer von der FDP keinen geeigneten Hüter unserer demokratischen Ordnung sehen. Geben Sie bitte dieses Protokoll zur Information an Ihre Kollegen weiter. SPD Landesverband Berlin [] Druck- Graphische Gesellschaft Grunewald, G. m. b. H., Berlin-Grunewald, Bismarckplatz
Published:21.10.1954 - 05.12.1954