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Summary:Bemerkungen: Der Sejm bildet in Polen zusammen mit dem Senat das Parlament. Dabei kann der Sejm mit dem britischen Unterhaus, der Senat mit dem britischen Oberhaus verglichen werden. Eine Woiwodschaft oder Wojewodschaft (polnisch: województwo) ist ein polnischer Verwaltungsbezirk; [] = Absatzmarken im Volltext des Originals An die werktätige Bevölkerung in Stadt und Land! [] Deutsche Wählerinnen und Wähler! [] Arbeiter und Angestellte! [] Genossinnen und Genossen! [] Der Wahltermin nähert sich. Am 4. und 11. März 1. J. [!] werdet Ihr zu entscheiden haben, wer Euere Interessen in den gesetzgebenden Körperschaften (Sejm und Senat) vertreten soll, wem Ihr Euer Vertrauen schenken sollt. [] 34 Kandidatenlisten sind auf die Staatsliste eingereicht worden und 11 allein in unserem Schlesischen Wahlbezirke. [] In unserem Bezirke bewerben sich außer dem vereinigten deutsch - polnischen sozialistischen Wahlblock, dessen Liste "Polska Partja Socjalistyczna" heißt und die Nummer 2 trägt, noch 10 bürgerliche Parteien. [] Nun, lieber Wähler, wähle und entscheide! Frage nicht, wer mehr gibt, wenn er marktschreierisch seine Parteiware anpreist, sondern überlege gut, wieviel manche Partei versprochen und wie wenig sie für die arbeitende Masse des Volkes geleistet hat. [] Also: Nehmen wir die Regierungsparteien, die plötzlich unter die Fittiche Pilsudskis geschlüpft sind, unter die Fittiche jenes Mannes, den sie in den Maitagen 1926 als Banditen bezeichnet haben. Diese Parteien sagen nun: Pilsudski kann alles. Was er allein macht ist gut; deshalb wollen wir ihn stützen. Deshalb alle Macht dem Präsidenten, alle Macht der Regierung! [] Wenn dem so ist, darin brauchen wir keinen Sejm. Wozu die Wahlen? Warum kandidiert noch Pater Londzin? Warum überläßt er nicht alles Pilsudski und seiner Regierung? Warum bewirbt er sich mit seinem Anhang um Mandate, statt sein priesterliches Amt in der Kirche zu verrichten? Diese Herren wollen in Wirklichkeit keinen Sejm. Sie wollen die Regierung der "festen Faust", - die Diktatur! Warum sagen sie es nicht offen! [] Und nun der Minderheitenblock! Hiezu gehört die hiesige Deutschbürgerliche Wahlgemeinschaft mit dem christlichsozialen gew. Abgeordneten Franz und dem liberalen Prof. Rob. Piesch an der Spitze. Welches ist das Programm der Deutschen Wahlgemeinschaft? Sie hat sogenannte Richtlinien. Sie wird betonen und appellieren. [] In deutschen Belangen ist uns der Mut dieser deutsch-bürgerlich-christlich-freiheitlich-kapitalistischen Mischmaschsippe gut bekannt. [] Sie haben für das Deutschtum große Worte, aber keinen Mut. Sie drohen mit der Zehe im Schuh; aber wenn es zur Wahrung deutscher Interessen kommt, dann lassen sie die Sozialisten die Kastanien aus dem Feuer holen. Dann heißt es gewöhnlich "Jokele, geh' Du voran, du hast die großen Stiefel an!" [] So war es bei der Auflösung der deutschem Gewerbeschule. Damals haben die Sozialisten Versammlungen einberufen, Proteste verfaßt und sie durch eine aus deutsch-polnischen Genossen bestehende Deputation der Wojewodschaft übermittelt. Die Deutschbürgerlichen haben damals untereinander gestritten ob und wer mit einer Deputation mitgehen soll. [] Als man bei den Schulbeschreibungen deutsche Arbeiterkinder in polnische Schulen zwängen wollte, haben wir uns an den Obersten Gerichtshof gewendet und erreicht, daß diese Kinder die deutsche Schule besuchen konnten. Die Deutschbürgerlichen haben lediglich betont und appelliert. [] Die deutsche Direktorstelle an der Zennerbergschule haben sie an die Klerikalen verkauft und nur mit Hilfe der polnischen Christlichsozialen in der Wojewodschaft erreicht, daß ein wirklich deutscher Lehrer, der überdies doppelt soviel Dienstjahre hatte, gegenüber einem klerikalen Lehrer zurückgestellt wurde, weil jener der sozialdemokratischen Partei angehört. [] Die Deutschbürgerlichen haben auch den Verlust einer deutschen Volksschule am Gewissen, weil in dieser nur jüdische Kinder waren. Um den konfessionellen Schlüssel nicht zu sprengen, verzichteten sie lieber auf den Bestand der Schule. Diese Schule ist nun polnisch. [] Die Deutschbürgerlichen wollten mit uns einen Wahlblock schließen. Als wir aber auch sichere Mandate verlangten, da nannten sie dieses Verlangen "Erpresserpolitik". [] Die Deutschbürgerlichen haben trotz ihrerübermacht im Bielitzer Gemeinderate dem Ruf der Polen nachgegeben und beschlossen, einen polnischen Polizeikommissär zum Kanzleidirektor anzustellen, dessen Aufgabe es gewesen wäre, den Magistrat raschestens von den deutschen Beamten zu säubern. Wenn dieser Beschluß bis heute nicht durchgeführt ist, so ist dies nur dem energischen Protest der wenigen sozialistischen Gemeinderäte zu verdanken. [] Daß der deutsche Klub im Schlesischen Sejm zusammen mit den polnischen Kapitalistenvertretern (Korfanty etc.) das Mieterschutzgesetz verdorben hat, um wie Abg. Dr. Pant sagte, den Hausbesitzern eine kleine Rente zu sichern, spürt jeder Mieter an seiner eigenen Tasche. [] In sozialen und wirtschaftlichen Fragen halten die Deutschbürgerlichen mit den polnischen und jüdischen Kapitalisten zusammen, in nationalen Belangen begnügen sie sich - mit dem Betonen und Appellieren. [] Nun, lieber deutscher Arbeiter, Angestellte, Mieter! Wenn Du Dir nach diesem angeführten Sündenregister von den Deutschbürgerlichen eine Besserung Deiner Lage, eine Wahrung Deiner national-kulturellen Interessen versprichst, dann wähle den Minderheitenblock. [] Nun zu den Juden! Zion, Aguda, nationale, orthodoxe, liberale und wie sie sonst alle diese jüdischen Parteien heißen, marschieren nach jeder dieser Richtungen noch gespalten zur Urne. Sie bilden aber als rein kapitalistische Parteien sofort einen Block, wenn es sich um 'ie Ausbeutung und Knebelung der breiten Massen des arbeitenden Volkes handelt. Was sie im Sejm wollen, ist höchstens - Geschäft. Einen zionistischen Staat werden sie in Polen wohl nicht gründen, und jener, den sie in Palästina geschaffen haben, ist gerade so kapitalistisch wie alle anderen. Mehrere 1000 jüdische Arbeiter sind dort arbeitslos und schließen sich mit den Arabern in einer gemeinsamen Organisation zusammen, zur Abwehr gegen ihre jüdischen Ausbeuter. Manche jüdischen Parteien sind sogar bereit um ein Linsengericht für die Regierung zu stimmen, wenn sich diese bereit erklärt, den Wochenmarkt von Samstag auf einen anderen Wochentag zu verlegen[.] Die Wahlen sind also für sie doch nur Geschäft. [] Jüdischer Arbeiter und Angestellter hast Du etwas davon? [] Mit den anderen bürgerlichen Parteien, mögen sie sich katholisch, christlichsozial, national, ja sogar monarchistisch nennen, wollen wir uns nicht mehr befassen, weil sie überhaupt nicht ernst zu nehmen sind. [] Was die Kommunisten anbelangt, so weiß jeder aufgeklärte Arbeiter, daß sie gerade so wie die bürgerlichen Parteien es darauf abzielen, die Einheitsfront der Arbeiterschaft und damit ihre Schlagkraft zu sprengen. [] Wer sind nun wir und was wollen wir? [] Wir stehen auf dem Standpunkte, daß es im politischen und wirtschaftlichen Kampfe der Völker in allen Staaten nur 2 Fronten gibt: [] hie Kapital - hie Arbeit. [] Das Kapital ist bestrebt mit Hilfe des Nationalismus, der Kirche und des Militarismus seine Macht im Staate aus purem Klassenegoismus zu erhalten, um die große Masse des schaffenden Volkes für seine Zwecke auszubeuten. [] Für dieses Ziel ist dem besitzenden Bürgertum kein Mittel zu schlecht. [] Während das Kapital bestrebt ist, alle Macht an sich zu reißen, um selbst im demokratischen Staatswesen seine diktatorischen Machtgelüste durchzusetzen, stehen wir auf dem Standpunkte der wahren Volksregierung und sagen: [] Alle Macht dem Volke! [] Das sagt auch unsere Staatsverfassung. [] Diese demokratische Verfassung wollen unsere Gegner in dem Sinneändern, daß sie die Macht der Präsidenten und der Regierung erweitern und den Sejm zu einem ohnmächtigen Werkzeuge herabwürdigen wollen. [] Wir hingegen wollen, daß die Machtbefugnis des Sejm als Volksvertretung erweitert und die Regierung lediglich das ausführende Organ der Volksbeauftragten werde. Deshalb wollen wir auch keinen Senat, der sich nur als Hemmschuh bei der gesetzgebenden Tätigkeit erwiesen hat. [] Wird der Sejm eine Vertretung in unserem Sinne aufweisen, dann werden wir nicht zulassen, daß 30 Prozent der gesamten Staatseinnahmen, dem Moloch Militarismus in den Rachen geworfen werden. [] Wir stehen auf dem Standpunkte des Völkerfriedens, der Völkerversöhnung und der Abschaffung des Militarismus. [] Die für den Militarismus herausgeworfenen Milliarden wären besser für Schulen, Spitäler, Wohnhäuser und andere Zwecke der Volkswohlfahrt angelegt. [] Wir wollen ferner, daß das gegenwärtige, ungerechte Steuersystem, welches jeden Bissen Brot verteuert, durch ein gerechtes ersetzt werde. Die besitzenden Klassen müssen durch Steuerleistung mehr herangezogen, die Besitzlosen hingegen entlastet werden. [] Wir wollen, daß der Achtstundentag Wirklichkeit werde, um dem Arbeiter und Angestellten mehr Zeit für seine geistige Entwicklung und körperliche Erholung zu gönnen. [] Wir wollen alle Schaffenden für den Fall der Krankheit und des Unfalles und der Arbeitslosigkeit durch Ausbau der Kranken-, Unfall- und Arbeitslosen-Versicherungsgesetze sichern. [] Wir wollen den Arbeiter und Angestellten im Alter vor Not und Entbehrungen durch Schaffung einer Altersversicherung schützen. [] Da wir auf dem Boden der Völkerversöhnung stehen, sind wir entschiedene Gegner der nationalen Hetzpolitik, stehen auf dem Boden unseres Staates, und glauben ihm am besten dadurch zu nützen, wenn wir fordern und kämpfen: [] für die territoriale und kulturelle Autonomie für alle den Staat bewohnenden Minderheitsnationen, für die Freiheit der Schule und des Elternrechtes, damit jedes Kind nach seiner Muttersprache erzogen wird. [] Dieses Ziel kann nur erreicht werden, wenn wir Hand in Hand mit allen anderssprachigen Arbeitsbrüdern den Kampf aufnehmen. Deshalb ist unser Wahlbund mit der polnischen Arbeiterschaft eine sichere Gewähr für die Erreichung dieses Zieles. So handeln wir international im Interesse unserer nationalen Forderungen. [] Dies ist unser Programm, ein Programm nicht nur für die Wahlen, sondern ein Programm für die Zukunft, für den Fortschritt, für die Höherentwicklung der Menschheit. Wer diesem Programm zustimmt, der muß am 4. und 11. März I. J. nur für die sozialistische Liste Nr. 2 stimmen! [] Es lebe der Bund der P. P. S. und D. S. A. P.! [] Hoch die völkerversöhnende Sozialdemokratie! [] Die Bezirksexekutive der D. S. A. P. Teschner-Schlesiens. [] Verlag der D. S. A. P. Bielsko. - Druck von Gustav Jenkner Bielsko.
Published:03.1928