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Die Armen ärmer ...! [] [] Die Regierung Adenauer betreibt seit ihrem Bestehen eine Wirtschaftspolitik, die ihr die begeisterte Zustimmung der meisten Industriellen und aller Millionäre - und die erbittertsten Flüche von Millionen der Ärmsten eingebracht hat. [] Die Adenauer-Regierung zieht Propaganda aus der Tatsache, daß das deutsche Volk durch Krieg und Niederlage eine zeitlang in einem nicht mehr zu steigernden Elend lebte, von dem es sich inzwischen dank seinem Fleiß und dank ausländischer Hilfe wieder erholt hat. [] Die Regierung tut so, als sei dieser Aufstieg allein ihrer Politik zu verdanken, und als seien an dem wiederentstehenden Wohlstand alle Deutschen in etwa gleichem Maße beteiligt. [] Beide Behauptungen sind grundfalsch. Sie sind ein Teil des unwahren Propagandafeldzuges, mit dem die Bonner Koalitionsparteien das In- und Ausland zu täuschen versuchen. [] [] Die Wahrheit ist, daß die Regierung Adenauer in den entscheidenden Punkten der deutschen Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik einen Kurs gesteuert hat, der die Reichen reicher und die Armen ärmer gemacht hat. [] Lebt der Deutsche dank der Wirtschaftspolitik dieser Regierung besser oder ebensogut wie andere Völker Europas? [] [] Die Antwort ist NEIN! Der private Verbrauch hat in Deutschland erst jetzt wieder den Vorkriegsstand erreicht, während die meisten Länder Westeuropas ihren Vorkriegsstand längst überschritten haben. Das wäre auch in Deutschland möglich, wenn man das Sozialprodukt gerechter aufgeteilt hätte. [] Statt dessen hat man den Verbrauch des kleinen Mannes durch überhöhte Steuern und Abgaben künstlich gedrosselt. [] [] Das Ergebnis ist, daß der Deutsche heute nur zwei Drittel der Fleisch-, Butter- usw. -quantitäten ißt, die er vor dem Krieg verbrauchte; daß er, um die gleiche Menge Lebensmittel zu kaufen wie etwa ein Engländer, in vielen Fällen das Doppelte und Dreifache an Arbeitszeit aufwenden muß, um das dazu nötige Geld zu verdienen, und daß er weitgehend auf hochwertige Lebensmittel und Genußmittel verzichten muß. [] Hinter der glänzenden Fassade des angeblichen deutschen Wirtschaftswunders verbergen sich die düsteren Fakten der deutschen Wirklichkeit: [] Es fehlen noch immer über 5000000 Wohnungen. [] Von drei Familien haben zwei keine eigene Wohnung. [] 100000 Flüchtlingsfamilien hausen in Massenunterkünften. [] Sechs von zehn Jugendlichen haben keinen eigenen Schlafraum. [] Einer von drei Jugendlichen besitzt kein Elternhaus imüblichen Sinn. [] Auch in der günstigsten Jahreszeit gibt es über eine Million Arbeitslose, viele davon seit acht Jahren! [] Rund zehn Millionen Menschen (ein Fünftel aller Einwohner) haben ein Einkommen, das weit unter dem Existenzminimum liegt. Fast zwei Millionen von Ihnen haben monatlich weniger als 40 DM. [] [] Das alles - und es ist nur ein Teil des grauen Bildes - wäre nicht nötig, wenn in Deutschland eine Politik der Gerechtigkeit und des Ausgleichs der sozialen Spannungen getrieben worden wäre. [] Statt dessen wurde die Steuerlast ungleich verteilt, die Kleinsparer enteignet und der Aktienbesitz verschont; die Löhne niedrig gehalten und die Industriellengewinne gefördert; der Preiswucher geduldet und die Lebenshaltungskosten gesteigert. [] Die Adenauer-Regierung betreibt das Gegenteil einer gerechten Steuerpolitik: Fast zwei Drittel des Finanzbedarfs werden aus den indirekten Verbrauchssteuern gedeckt, die die Armen am schwersten belasten. [] Während die Arbeitnehmer ihre Lohnsteuer bis zum letzten Pfennig zahlen müssen, ließ die Regierung die Steuerhinterziehung von 4 Milliarden DM durch die Reichen passieren -; und sie gewährte dem gleichen Kreis jährlich 1¼ Milliarden DM an Steuervergünstigungen. Während in Deutschland bei der Währungsreform 1948 die Sparguthaben über Nacht von 71 auf 4 Milliarden DM zusammenschmolzen und die Millionen kleinen Leute dadurch praktisch zum zweiten Male enteignet wurden, haben die Deutschen, die 1914 ihr Vermögen in Aktien anlegten, über zwei Kriege und zwei Inflationen hinweg ihr Vermögen in der Kaufkraft von 1914 erhalten können - ein wahrscheinlich einmaliger Vorgang in der Welt. [] Und dazu noch haben die Bonner Regierungsparteien verhindert, daß in einem echten Lastenausgleich die Kriegslasten gleichmäßig auf Sparer und Aktionäre verteilt worden sind. [] Die Löhne wurden niedrig gehalten: Während der Industrieumsatz in zwei Jahren um über 40 vH stieg, erhöhte sich der Industriearbeiterlohn nur um rund 10 vH. In ähnlicher Weise fiel der Anteil der Löhne am Gesamt des Industrieprodukts, während die Gewinnquote der Unternehmer erheblich stieg. [] Maßlos ist der Preiswucher. Die Preise für Baustoffe beispielsweise - die von entscheidender Bedeutung sind - haben sich seit der Währungsreform auf 260 vH des Standes von vor dem Krieg erhöht. Die Preise für Nahrungsmittel, Bekleidung und Hausrat haben sich in den Jahren der Adenauer-Herrschaft um 50 bis 100 vH erhöht. Diesen Preiserhöhungen sind die Löhne jedoch nur mit großem Abstand, die Renten dagegen kaum gefolgt. [] Es ist heute so, daß die Mehrzahl der Arbeiter und Angestellten fast die Hälfte des Familieneinkommens allein für Nahrungsmittel ausgeben muß. [] Dem steht auf der anderen Seite wachsender und protzender Reichtum der Besitzenden gegenüber. Während in fast allen anderen Ländern die Gruppe der Millionäre zusammenschmilzt, steigt ihre Zahl in Deutschland unaufhörlich - in den vier Jahren der Adenauer-Regierung haben wir 200 neue Millionärsfamilien zu verzeichnen. [] [] Und die Steuerpolitik dieser Regierung hat es ermöglicht, daß in Deutschland über 10000 Leute noch Abzug der Steuern ein Nettoeinkommen von über 65000 DM je Jahr für sich verwenden können. In dem gleichgroßen Großbritannien, in dem die Labour Party nach einem Wort des deutschen Botschafters Schlange-Schöningen die Armut abgeschafft hat, gibt es nur noch 60 Leute mit einem derartigen Einkommen. [] Am Ende der ersten Legislaturperiode des Bundestages und einer fünf Jahre währenden "sozialen" Marktwirtschaft lebt der größte Teil der Bevölkerung Westdeutschlands, gemessen an dem Lebensstandard vergleichbarer Nationen im Westen und Norden Europas, in unverschuldeter Armut und ohne Hoffnung auf ein gesichertes und auskömmliches Alter. [] Auf der anderen Seite entfaltet eine kleine Schicht einen Luxus auf Kosten des Steueraufkommens, der immer wieder die schärfste Kritik nicht nur der benachteiligten Schichten des Volkes, sondern des Auslandes hervorruft. Die Politik der bisherigen Bundesregierung ermöglicht nicht nur einen persönlichen Luxus einzelner, sondern einen allgemeinen Aufwand bestimmter Kreise, der im krassen Gegensatz zur Not vieler Millionen Deutscher steht -, vor allem in den Notstandsgebieten. [] [] Das also ist eine der beiden entscheidenden Fragen neben der Außenpolitik -, vor die der deutsche Wähler am 6. September gestellt ist: Will er Schluß machen mit einer Regierung, die die Reichen reicher und die Armen ärmer gemacht hat - und die faul verkündet daß sie ihre Politik fortzusetzen gedenkt, wenn ihr der Wähler dazu die Macht gibt. [] SPD [] [] Herausgeber: Vorstand der SPD, Bonn. Druck: Druckhaus Deutz
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