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SPD [] "Freiheit ist immer Freiheit des anders Denkenden. Nicht wegen des Fanatismus der "Gerechtigkeit", sondern weil das Belehrende, Heilsame und Reinigende der politischen Freiheit an diesem Wesen hängt und seine Wirkung versagt, wenn die "Freiheit" zum Privilegium wird." [] ROSA LUXEMBURG [] SPD der Ostzone? [] Wenn die internationalen Gerächte und die in der Ostzone ausgebrochenen Diskussionen mehr bedeuten als einen autoritär gestarteten Versuchsballon, so wird es möglicherweise ab Mitte Februar in der sowjetischen Zone wieder eine "SPD" geben. Eine SPD in Gänsefüßchen. [] Es wächst und fällt kein Blatt auf dem politischen Baum dieser Zone ohne den Segen der russischen Staatsmacht. Sie gibt Rahmen und Inhalt, und Ausnahmen sind als Betriebsunfälle zu werten, die Gefahren für Leib und Seele mit sich bringen können. [] Die Moskauer Haltung gegenüber der SPD hat bereits zwei Wandlungen hinter sich. Die erste Phase begann mit dem Angebot ehemaliger Sozialdemokraten unmittelbar nach der Kapitulation an Vertreter der KPD zur Schaffung einer vereinigten sozialistischen Arbeiterpartei. Nach wochenlangem Schweigen oder Ausflüchten der Kommunisten wurde über das in Moskau geschulte Emigranten-Zentralkomitee dadurch eine Ablehnung erteilt, daß die KPD neugegründet wurde. Die "ideologischen Unterschiede" zwischen den Anhängern der beiden Parteien seien zu groß, so lautete die nachträgliche Begründung. [] Moskau glaubte infolge falscher Einschätzung der innenpolitischen Lage, verfährt durch falsche Instruktionen, daß die KPD unter den deutschen Parteien das Rennen machen würde. Es stellte sich bald heraus, daß man auf das falsche Pferd gesetzt hatte, daß die gefügige KPD als Werkzeug nicht taugte, daß ihr Einfluß infolge der Praxis der Militärmacht und der Haltung der herausgestellten Kommunisten in der Bevölkerung sogar rückläufig wurde. [] Deshalb begann die zweite Phase. Obwohl die "ideologischen Unterschiede" zwischen den Funktionären der KPD und der SPD von Woche zu Woche zunahmen, wurde im Herbst 1945 die Zwangsehe in der sogenannten SED aufgeboten. Das bedeutete praktisch das Verbot der größten demokratischen Partei. Die Quittung erfolgte durch die Niederlage der SED bei den Berliner Kommunalwahlen. Das im Sommer 1945 in der Ostzone außerordentlich stark aktivierte politische Leben erstarrte. Der nazialistisch-demokratische Gedanke ist dort durchaus lebendig, aber er konnte und kann keinen Niederschlag finden. Freie demokratische Wahlen in der Ostzone, darüber gibt es keinen Zweifel, würden zur Vernichtung der SED führen. [] In Moskau sitzen Realpolitiker. Sie wiesen, daß man mit der SED nicht mehr erreichen kann, als bisher beschieden war. Man treibt dort keine Politik aus Sentimentalität. Man wird jeden Tag bereit sein, die SED zu verabschieden, wenn man einen anderen Mohren findet. Die SED darf noch als eine Auftragsangelegenheit die neuen Verfassungen durchpeitschen, um eine Plattform für zukünftige Entwicklungsmöglichkeiten zu schaffen. Aber die Schaffung von Ländern, genau wie in der Westzone, die Moskauer Schwenkung zum Bundesstaat entgegen der bisher auftragsgemäß erfolgten Forderung der SED nach einer streng zentralistischen Einheit Deutschlands zeigt, daß die Konsequenzen aus dem Versagen der SED gezogen werden. Wird die dritte Phase mit dem neuen Start einer "SPD" von "demokratischen" Glocken eingeläutet werden? [] Bei einem Aufrechterhalten der bisherigen russischen Besatzungspolitik würde eine solche Partei unter einer autoritär ausgewählten Führerschaft nichts anderes bedeuten als ein politisches Werkzeug, dem Auftragsangelegenheiten zuerteilt würden, im günstigsten Falle aber eine Gruppe ähnlich den bürgerlichen Parteien, die in der Ostzone zugelassen sind, ur [!] die außerhalb Berlins nach dem vorgeschriebenen Regiement exerzieren und ohne Eigenleben von Bedeutung und Gewicht vegetieren. [] Es ist aber auch möglich, daß sich mit einer Neuzulassung einer SPD ein grundlegende Wandel der Besatzungspolitik ankündigt, möglicherweise unter starker oder gänzlicher Räumung der Zone nach den Friedensverhandlungen oder wenigstens unter Anerkennung des Unvermögens, die sich aufdrängende deutsche Zentralregierung und damit das Eindringen europäischer demokratischer Luft in die Ostzone zu verhindern. Die entgegen dem im Frühjahr 1946 gegebenen Versprechen, die Demontage am 1. Mai beendet zu haben, letzthin eingeleitet und überhastet durchgeführte Aktion auf Verschickung des bis dahin verbliebenen wichtigsten Industriepotentials unterstreicht diese Möglichkeit. [] In diesem Falle würde die Neugründung einer SPD den Versuch darstellen, über eine Partei mit einem guten Ruf und Namen im Volk unter ausgesuchten Männern einen politischen Einfluß zu installieren und damit zu retten, was noch zu retten ist. Namen oppositioneller Propheten in der SED von heute, möglicherweise Favoriten von morgen, werden genannt. Ihre Namen sind für uns nicht von sonderlichem Interesse, um so weniger, wenn sie sich dadurch auszeichnen, daß sie - vor 1933 auf dem rechtesten Flügel der SPD - im Jahre 1945/46 noch weniger Rückgrat und demokratischen Stolz vor der Wilhelm Pieck beschirmenden Autorität aufbrachten als seinerzeit vor dem braunen Statthalter des Monopolkapitals. Selbst wenn sie persönlich guten Willens sind, in einem aufgezogenen, allein seligmachenden Apparat verlieren viele Menschen nicht nur die Praxis, sondern den Sinn für Freiheit und schöpferische Selbstbehauptung. [] Immer wird eine solche "SPD" von vornherein diskreditiert sein. Immer wird sie vom Volk und uns nicht anerkannt werden können als die Partei des demokratischen Sozialismus, die nur von unten her wachsen und leben kann und keine Aufträge und Bindungen auf sich nehmen darf, es sei denn aus dem Willen dem schaffenden Volkes und der Menschheit. [] ("Hannoversche Presse" vom 7. Januar 1947.)
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