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Summary:Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals; Hamburg zum deutsch-alliierten Vertragswerk [] Erklärung [] des Senats der Freien und Hansestadt Hamburg, abgegeben durch den Präsidenten des Senats, Bürgermeister Max Brauer, im Bundesrat am 15. Mai 1953. [] Herr Präsident, meine Herren! [] Der Senat der Freien und Hansestadt Harnburg bedauert außerordentlich, daß die Entscheidung über die Ratifikation der Verträge in zunehmendem Maß ein Verfahrensfragen unterzugehen droht. Die den Beratungen zugrunde liegende politische Frage, die das Wohl des deutschen Volkes in erheblichem Maße berührt, droht zu versinken in einer Reihe von in der Öffentlichkeit nicht verstandenen formellen Fragen. Das ist die Folge der von vornherein falschen innerpolitischen Behandlung der Verträge durch den Bundeskanzler. Der Bundeskanzler hat darauf verzichtet, während der Verhandlungen über den Inhalt und über den Wortlaut der Verträge die Opposition zu beteiligen. Er hat sich dadurch selbst der Möglichkeit beraubt, die sachlichen Argumente der Opposition in seinen Verhandlungen mit den auswärtigen Mächten zu verwenden und mit ihrer Hilfe Entscheidungen zu erringen, die er selbst anstrebte. Statt dessen hat er das Parlament vor die vollendete Tatsache der unterzeichneten Verträge gestellt. [] Entgegen der ausdrücklichen Verpflichtung, die sich aus dem Grundgesetz Artikel 53 Satz 3 ergibt, hat der Bundeskanzler auch den Bundesrat und damit die Länder nicht auf dem laufenden gehalten und auch sie mit der Vorlage der unterzeichneten Verträge vor die vollendete Tatsache gestellt. Der Senat der Freien und Hansestadt Hamburg hält an der einstimmig vom Bundesrat und seinem Rechtsausschuß bisher vertretenen Auffassung fest, daß alle Verträge und alle Ratifikationsgesetze der Zustimmung des Bundesrats bedürfen, um rechtsgültig zu werden. Er ist also nicht der Meinung der Bundesregierung, daß nur zwei der weniger wichtigen Verträge zustimmungsbedürftig seien. Dadurch würden die Hauptverträge der Entscheidung des Bundesrats entzogen. [] Der Senat der Freien und Hansestadt Hamburg hält vor einer sachlichen Entscheidung über die Zustimmung oder Nichtzustimmung eine Prüfung der Frage für erforderlich, ob die Verträge mit dem Grundgesetz vereinbar sind. Angesichts der geäußerten erheblichen Zweifel hätte darüber das Bundesverfassungsgericht so früh wie möglich entscheiden müssen. Der Senat der Freien und Hansestadt Hamburg bedauert außerordentlich, daß die Bundesregierung in allen Stadien der bisherigen Verhandlungen nichts getan hat, um diese Prüfung zu fördern und sich auch jetzt noch weigert, eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts herbeizuführen. Hätte die Bundesregierung ihre Hilfe nicht ausdrücklich versagt, dann könnte diese Frage bereits seit Monaten geklärt sein, und die politische Frage, die mit der Billigung der Verträge zu entscheiden ist, brauchte nicht durch eine ungeklärte Rechtsfrage verdeckt zu sein. [] Der Senat kann sich daher in dieser Lage schon wegen der ungeklärten verfassungsrechtlichen Frage nicht entschließen, seine Stimmen für die Billigung der Verträge abzugeben. Er glaubt, diese Entscheidung auch deswegen treffen zu müssen, weil der vorliegende Inhalt der Verträge, auf dessen Gestaltung durch das Verschulden der Bundesregierung die Länder keinen Einfluß haben nehmen können, erheblichen Bedenken unterliegt. Der Senat glaubt, daß in einer Reihe von Fragen die vorliegende Fassung der Verträge nicht gebilligt werden kann und bei richtigem Verhalten der Bundesregierung anders abgeschlossen hätte werden können. [] Der Senat der Freien und Hansestadt Hamburg ist bereit, jeden Schritt zu fördern, der zu der Bildung der Vereinigten Staaten von Europa führt. Auf dem Wege zu diesem Ziel und in Abwehr aller Versuche von totalitären Staaten, dieses Ziel zu verhindern, sollte die Bundesrepublik Deutschland mit den westlichen Mächten gemeinsam handeln. Der Senat ist sich auch klar darüber, daß die Vereinigten Staaten von Europa nur erreicht werden können, wenn man bereit ist, die Freiheit zu verteidigen, und, es ist selbstverständlich, daß Deutschland zu dieser Verteidigung einen Beitrag leisten muß. [] Da die Bundesrepublik Deutschland nach den Verträgen nicht selbst Mitglied des Nord-Atlantik-Paktes ist, unterliegt sie mit ihrem Kontingent in der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft den strategischen und taktischen Entscheidungen einer Organisation, an der sie selbst nicht beteiligt ist und auf die sie keinen Einfluß hat. Sie als einzige Macht soll einen Truppenbeitrag leisten zu einer Verteidigungsorganisation, auf deren militärische und politische Führung sie nicht den geringsten Einfluß hat. Das gleiche gilt hinsichtlich der finanziellen Fragen, die mit dem Verteidigungsbeitrag zusammenhängen. Die Bundesrepublik Deutschland läuft die Gefahr, daß von den Mächten, die dem Nord-Atlantik-Pakt angehören, ohne Mitwirkung der Bundesrepublik Deutschland beschlossen wird, welchen finanziellen Beitrag die Bundesrepublik zur Europäischen Verteidigungsgemeinschaft zu leisten hat. Die Bundesrepublik ist also nicht gleichberechtigt mit den anderen beteiligten Mächten. Der Mangel an Gleichberechtigung zeigt sich auch in der Einführung der so genannten Notstandsklausel. Keine der anderen Mächte, auf deren Gebiet fremde Truppen stationiert sind - und das ist in vielen europäischen Staaten der Fall -, hat diesen fremden Truppen eine solche Notstandsklausel einräumen müssen. Der Senat der Freien und Hansestadt Hamburg glaubt ferner, daß durch die gegenwärtige Regelung des Vertrages die Wiedervereinigung Deutschlands eher erschwert als erleichtert wird und daß das deutsche Auslandsvermögen in Teil 6 Artikel 3 des Überleitungsvertrages in einer Art und in einem Umfange aufgeopfert worden ist, wie es durch nichts gerechtfertigt war. Schließlich glaubt der Senat, daß die 50jährige Vertragsdauer zum mindesten nach der Richtung, erleichtert werden müßte, daß in fünfjährigen Abständen ein Sachverständigenausschuß die Möglichkeit für Revisionsvorschläge bekäme. [] Aus all diesen Gründen sieht sich der Senat der Freien und Hansestadt Hamburg nicht imstande, seine Stimmen für die Billigung der Ratifikationsgesetze abzugeben. [] Zur Beratung standen folgende Gesetze. [] 1a) Gesetz betreffend den Vertrag vom 26. Mai 1952 über die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Drei Mächten mit Zusatzverträgen; [] 1b) Gesetz betreffend das Abkommen vom 26. Mai 1952über die steuerliche Behandlung der Streitkräfte und ihrer Mitglieder und betreffend das Protokoll vom 26. Juli 1952, durch das die Zuständigkeit des Schiedsgerichts auf Streitigkeiten aus dem vorbezeichneten Abkommen erstreckt wird; [] 2a) Gesetz betreffend den Vertrag vom 27. Mai 1952 über die Gründung der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft und betreffend den Vertrag vom 27. Mai 1952 zwischen dem Vereinigten Königreich und den Mitgliedstaaten der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft; [] 2b) Gesetz betreffend das Abkommen vom 27. Mai 1952 über die Rechtsstellung der Europäischen Verteidigungsstreitkräfte und über das Zoll- und Steuerwesen der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft. [] Diese vier Gesetze wurden im Bundesrat in seiner 87. Sitzung am 20. Juni 1952 erstmalig beraten. Sie wurden vom Deutschen Bundestag in seiner 220. Sitzung am 10. Juli 1952 in erster Lesung, in seiner 242. Sitzung am 5. Dezember 1952 in zweiter Lesung und in seiner 255. Sitzung am 19. März 1953 in dritter Lesung verabschiedet. Der Bundesrat hatte in seiner 105. Sitzung am 24. April 1953 beschlossen, daß er über die Verträge erst Beschluß fassen könne, wenn eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vorläge. In seiner 107. Sitzung am 15. Mai 1953 stimmte der Bundesrat den unter 1b) und 2b) genannten Gesetzen zu. Zu den unter 1a) und 2a) genannten Gesetzen stellte der Bundesrat fest, daß ein Antrag auf Anrufung des Vermittlungsausschusses innerhalb der gesetzlich vorgeschriebenen Frist von zwei Wochen durch den Bundesrat nicht gestellt worden war. Damit seien auch diese beiden Gesetze vom Bundesrat verabschiedet worden. In seiner Sitzung vom 20. Juni 1952 hatte der Bundesrat alle vier Gesetze einstimmig für zustimmungsbedürftig erklärt. Diesen Standpunkt gab der Bundesrat in seiner Sitzung vom 15. Mai 1953 mit 23:15 Stimmen auf. [] Auerdruck GmbH., Hamburg 1
Published:15.05.1953