Weckruf, Politische Merkblätter, 2. Folge [Serie]: Selbstmord des Bürgertums?

Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals; [!] = sic!; [?] = vermutete Leseart Weckruf [] Politische Merkblätter [] Aufbewahren! [] Wichtiges Material [] 2. Folge [] Selbstmord des Bürgertums? [] Das deutsche Kaiserreich ist an der politischen Unfähigkeit und Charakterlosigkeit des Bü...

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Bibliographic Details
Main Authors: Meitmann, Karl, Hamburger Buchdruckerei und Verlagsanstalt Auer & Co., Hamburg
Institution:Archiv der sozialen Demokratie (AdsD)
Format: IMAGE
Language:German
Published: 12.1930
Subjects:
Online Access:http://hdl.handle.net/11088/A1F4D658-5779-4F9D-B31B-97A5DC6C1D1F
Description
Summary:Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals; [!] = sic!; [?] = vermutete Leseart Weckruf [] Politische Merkblätter [] Aufbewahren! [] Wichtiges Material [] 2. Folge [] Selbstmord des Bürgertums? [] Das deutsche Kaiserreich ist an der politischen Unfähigkeit und Charakterlosigkeit des Bürgertums zugrunde gegangen. Es hat untätig und kritiklos, meist sogar bewundernd zugesehen, wie ein notorisch pathologischer Monarch Deutschland zunächst isolierte, sodann in den Wellkrieg hineinschliddern ließ und schließlich, trotz beispiellosen Opfermutes des gesamten Volkes, dem Zusammenbruch entgegenführte, der mit einem Funken von politischem Geschick zu vermeiden gewesen wäre. [] Die Lehre von 1918 hat offenbar wenig gefruchtet. [] Das deutsche Bürgertum ist wieder auf dem besten Wege, das in der Republik wiedererstandene, wiederbefestigte Reich zugrunde zu richten. [] Klassendünkel, Haß gegen die Sozialdemokratie bestimmen seine Gedanken und seine Handlungen. Mit Ausnahme jener Teile des katholischen Bürgertums, die im Zentrum und in der Bayrischen Volkspartei ihre politische Vertretung erblicken und die sich zur Zeit noch gegen den drohennden Wahnsinn wehren, ist das übrige bürgerliche Deutschland auf dem besten Wege, die [] Kapitulation vor dem Faschismus [] vorzubereiten. Das demokratische Bürgertum spielt nur noch eine kümmerliche Rolle, sein Zerfall ist durch die selbstmörderische Gründung der Staatspartei beschleunig worden. Die Deutschnationalen haben unter Hugenbergs Leitung auf jede selbständige Politik längst verzichtet und sind jetzt bewußt die Schrittmacher des Hakenkreuzlertums. Die Wirtschaftspartei überschlägt sich förmlich in Liebeserklärungen an Hitler und möchte eher heute als morgen durch vorzeitige Neuwahlen einen ähnlichen Kuddelmuddel in Preußen hervorrufen, wie ihn der 14. September im Reich geschaffen hat. Durch ihren offenen Uebergang zur Opposition gegen das Kabinett Brüning und den unter grotesken Begleitumständen erzwungenen Rücktritt ihres Ministers Bredt hat dieser Partei des Spießertums bekundet, daß auch sie von Hittlers Drittem Reich das Heil erhofft. [] In der Deutschen Volkspartei sind ebenfalls Kräfte am Werk, dem Beispiel von Hugenberg und Drewitz zu folgen und damit aus Angst vor dem Tode Selbstmord zu begehen. Als Stresemann starb, dessen persönliches Prestige weit über den Nahmen seiner Partei hinausstrahlte, ahnte jeder, daß es mit der Deutschen Volkspartei, zumal unter Dr. Scholz, schnell bergab gehen würde. Nun hat Scholz aus dem Wahldebakel seiner Partei und aus der soüberflüssigen und blamablen persönlichen Niederlage, die er bei der Reichstagspräsidentenwahl erlitt, die Konsequenzen gezogen, wie er sie ziehen mußte. Seinem Nachfolger, Rechtsanwalt Dingeldey, ging bisher der Ruf eines besonnenen südwestdeutschen Liberalen voraus. Ist diese Einschätzung nach seiner jüngsten Magdeburger Rede noch berechtigt, oder steht er, wenige Tage nach der Uebernahme des Vorsitzes seiner Partei, jetzt ebenfalls im Begriff, den Kräften im volksparteilichen Lager nachzugeben, die sich den Nazis in die Arme werfen wollen? [] In Magdeburg hat Dingeldey von den "wertvollen Kräften" gesprochen, die innerhalb der Nationalsozialistischen Partei vorhanden sein sollen. Er soll ferner erklärt haben, daß diese Kräfte in den Wiederaufbauprozeß "eingespannt" werden müßten. Diese Ausführungen stehen offensichtlich im Widerspruch zu dem, was der Führer der Volkspartei ungefähr acht Tage früher, kurz nach seiner Wahl zum Vorsitzenden der Dentschen Volkspartei in Berlin<NZ>unter dem Beifall des volksparteilichen Zentralvorstandes über die Nationalsozialisten ausgeführt hat. Damals wandte sich Dingeldey entschieden gegen die Borniertheit der nationalsozialistischen Führung. Wahrscheinlich als Konzession an die Kräfte der Volkspartei, die glauben, den Nationalsozialisten nur durch ihre Beteiligung an der Regierung Abbruch tun zu können, hat Dingeldey nun von den "wertvollen Kräften" in der Hitlerpartei gesprochen. Aber mit dieser Konzession hat sich Herr Dingeldey auf einen Weg begeben, der seinem bisherigen Ruf als besonnener Politiker Abbruch tun muß. [] Kein Wunder, daß die Nationalsozialisten, die die bürgerlichen Parteien mit blutigem Hohn und rücksichtsloser Scharfe bekämpfen, größenwahnsinnig werden, wenn sie sehen, wie die Führer dieses Bürgertums auf die ihnen zuteil werdende Behandlung reagieren, wie sie ihnen, statt sich in schärfste Abwehr- und Angriffsstellung zu begeben, großartige Komplimente machen. [] So wie Herr Dingeldey die Nationalsozialisten "bekämpft", wird er die Aufsaugung der bürgerlichen Parteien und seiner Volkspartei nicht aufhalten, sondern nur beschleunigen. Daß sie als Parteien ihren sicheren Tod beschleunigen, wäre an sich kein Schaden. Aber auf die Art, wie sie es tun, treiben sie das ganze deutsche Volk in die furchtbarsten Katastrophen. Das muß verhindert werden und kann auf die Dauer nur verhindert werden durch verstärkten Kampf gegen den Faschismus und seine Helfer! [] Dingeldey und Hitler [] "Das Verhältnis Hitlers zur Deutschen Volkspartei muß ich einstweilen noch als völlig offen bezeichnen..." (Parteiführer Dingeldey in Magdeburg.) [] Zum Thema Nationale Würde [] Mussolini, Faschistenhauptmann und Stahlhelm [] Der Auftrieb der Nazis halte, sehr zum Leidwesen der Bundesleitung, den Stahlhelm ein wenig in den Hintergrund gedrängt. Um diesem Uebelstand abzuhelfen, entfaltete man eine neue Geschäftigkeit im Stahlhelm. Man machte in Nationalismus in Koblenz, pries dabei das Deutschtum mit drohender Gebärde gegen Frankreich, ja, gegen die ehemaligen Feinde Deutschlands. [] Einige Wochen später reiste eine Delegation von Stahlhelmführern nach Italien. Eine Studienreise? Nun, Höhepunkt der Studienreise war eine [] Huldigung für Mussolini, dem man das Stahlhelmabzeichen in Silber überreichte. [] Außerdem benutzte man den Erinnerungstag an den Waffenstillstand, um am Denkmal des unbekannten Soldaten in Rom einen Kranz niederzulegen. [] Wehe, wenn Republikaner oder Pazifisten etwas Aehnliches in Paris, London oder Brüssel getan hätten. Da wäre die gesamte "nationale" Presse mit wüsten Schimpfkanonaden über diese "nationale Würdelosigkeit" deutscher Republikaner hergefallen. So aber war es der Stahlhelm, der sich ausgerechnet das Land brutaler Morddiktatur, Italien, für diese nationale Würdiglosigkeit [!] ausgesucht hatte. [] Nationale Würdelosigkeit? [] Wenn auf etwas diese Bezeichnung mit Recht anzuwenden ist, dann auf das Verhalten des Stahlhelms in Rom. Eine Photographie ging durch die nationale Presse Deutschlands, die die Stahlhelmabordnung mit Mussolini und einem Faschistenhauptmann zeigte. [] Mit demselben Mussolini, der während des Krieges, kurz vor dem Eintritt Italiens in den Weltkrieg, in seinem Blatt "Popolo Italiano" den Rat gab, "alle Deutschen, die heute noch in Italien weilen, an der nächsten Laterne aufzuknüpfen". [] Derselbe Mussolini, der im Anfang des Jahres 1915 die Lügenpropaganda über angebliche Greueltaten deutscher Soldaten in Belgien organisierte. [] Derselbe Mussolini, der vor noch gar nicht langer Zeit den Kampf der Deutschen in Südtirol um ihr kulturelles Eigenleben mit wüsten Beschimpfungen der Deutschen beantwortete, indem er davon sprach, daß Italien das Land Südtirol mit allen Mitteln halten werde, wenn es sein müsse, würde man die Deutschen zertrampeln. [] Wie die Nationalsozialisten den Kulturkampf der Deutschen in Südtirol um der Freundschaft mit Italien willen als eine Lächerlichkeit bezeichnen, so hat auch der Stahlhelm sich durch seine Verbeugung vor Mussolini hinter diese Kulturschande gestellt. [] Doch wer war der Faschistenhauptmann, mit dem der Stahlhelm Verbindung aufnahm? Es war derselbe faschistische Hauptmann, der 1921 in Bozen ein Bombenattentat gegen einen Südtiroler Trachtenzug richtete, bei dem viele Deutsche, Männer, Frauen und Kinder, entsetzlich verstümmelt vom Platz getragen werden mußten. Mussolini trägt jetzt das Ehrenabzeichen des deutschen Stahlhelms, und der Faschistenhauptmann war der Führer des Stahlhelms in Rom. [] So sieht es mit der nationalen Würde des Stahlhelms aus. Das ging selbst dem Ehrenmitglied des Stahlhelms, dem Reichspräsidenten Hindenburg, zu weit. Er hat dem Stahlhelm gegenüber sein Befremden zum Ausdruck gebracht. Und siehe da, die Bundesleitung des Stahlhelms erzählt der Öffentlichkeit plötzlich, sie sei von dem Verhalten ihrer Führerdelegation in Rom "überrascht gewesen". Es sei ihr doch etwas zu weit gegangen. [] Diese Gesellschaft hat den Anspruch, von nationaler Würde zu reden, verwirkt! Es ist die erbärmlichste Würdelosigkeit, die sie sich in Italien geleistet hat und die auch Richtschnur ihres Handelns in Deutschland ist. [] Der Stahlhelm kann sich also durchaus an die Seite der Nationalsozialisten stellen, die sich ja in dieser Würdelosigkeit in nichts vom Stahlhelm unterscheiden. [] Die Wahlkampfforderung der SPD und ihre Erfüllung [] Sozialdemokratie beseitigt die Giftzähne aus der Juli-Notverordnung [] Der Reichstag hat die am 1. Dezember erlassene neue Notverordnung mit 292 gegen 254 Stimmen gebilligt und mit dem gleichen Stimmenverhältnis die von Hitler und Hugenberg eingebrachten Mißtrauensanträge gegen die Regierung abelehnt. Die Sozialdemokratie hat gegen die Mißtrauensanträge und gegen die Aufhebung der neuen Notverordnung gestimmt. Sie hat damit die Regierung Brüning zunächst vor dem Sturz bewahrt. [] Hat die Sozialdemokratie dies aus freundschaftlichen Gefühlen für die Regierung getan? Wollte sie sich vielleicht anbiedern? Hat sie gegen die Aufhebung der Notverordnung gestimmt, weil sie diese für gut hält und sich ihren Inhalt zu eigen machen möchte? [] Nein! Nichts von alledem! Die Entscheidung der Sozialdemokratie ist die allein mögliche Folgerung aus der Tatsache, daß [] jetzt ein Sturz der Regierung Brüning bedeutet hätte, die Geschäfte der faschistischen Diktatur zu besorgen, [] und daß die Aufhebung der neuen Notverordnung, für deren Ersatz durch bessere Gesetze in diesem Reichstag keine Mehrheit zu finden ist, nicht nur die Aufrechte Haltung aller unsozialen Bestimmungen der allen Notverordnung, sondern überhaupt das wirtschaftliche und politische Chaos herbeigeführt hätte. [] Die Entscheidung der Sozialdemokratie ist aber vor allem auch dadurch bestimmt worden, daß es den sozialdemokratischen Führern gelang, in der neuen Notverordnung [] erhebliche Verbesserungen der alten Notverordnung vom Juli dieses Jahres zu erzielen [] und auch bei den von der Regierung erlassenen neuen Finanzgesetzen eine ganze Reihe von Verbesserungen und Ausmerzung allzu starker Härten durchzusetzen. [] Die Giftzähne beseitigt! [] Als die Sozialdemokratie im Oktober für die Verweisung der Juli-Notverordnung an den Haushaltsausschuß stimmte, um dort den Kampf für die Beseitigung der Giftzähne zu führen, die der Parteivorsitzende Hermann Müller schon im August als das Ziel des Mahlkampfes verkündet hatte, da höhnten, spotteten und schimpften die Nazis und Kommunisten. Das sei nur wieder, so erzählten sie, eines der berüchtigten Manöver der SPD., um ihren Umfall zu bemänteln und den Klassenverrat zu verschleiern. [] Nun, das "Manöver" der SPD. hat dazu geführt, daß die Regierung Brüning sich genötigt sah, ihre früher als unabänderlich bezeichnete Verordnung in wesentlichen Teilen zu ändern und den Forderungen der Sozialdemokratie entgegenzukommen. Die voreiligen und höhnischen Prophezeiungen der Kommunisten und Nazis, wie auch des leider noch in vielen Arbeiterfamilien zu findenden "Hamburger Anzeiger", die SPD. werde alles schlucken müssen und bedingungslos zuzustimmen haben, sind Lügen gestraft worden. [] Reichskanzler Brüning sah sich gezwungen, an die Spitze der neuen Notverordnung folgende auf die sozialdemokratischen Forderungen zurückgehenden Abänderungen der Juli-Verordnung zu stellen: [] I. [] Die Krankenschein- und Arzneigebühr wird aufgehoben: [] a) sofern die mit der Krankheit verbundene Arbeitslosigkeit länger als 10 Tage dauert; [] b) für sämtliche Arbeitslose (Empfänger von Arbeitslosenunterstützung, Krisenfürsorge und Wohlfahrtsunterstützung); [] c) für alle Personen, die aus der Invaliden-, Angestellten- und Unfallversicherung Rente oder Ruhegeld beziehen; [] d) für alle Schwerbeschädigte (Kriegsbeschädigte, die nach der Reichsversicherungsordnung Rente beziehen und alle Schwerkriegsbeschädigte, die Zusatzrente beziehen); [] e) für Tuberkulöse und Geschlechtskranke, die von ihrer Fürsorge- oder Beratungsstelle eine Bescheinigung beibringen. [] 2. Bei Gehaltsempfängern, die neben dem Krankengeld ihr volles Gehalt beziehen, muß künftig der Beitrag zur Krankenversicherung gesenkt werden. Außerdem kann das Krankengeld erhöht werden. Der Anspruch auf Gehalt oder Lohn darf nicht durch Vertrag ausgeschlossen oder beschränkt werden. [] 3. Den Krankenkassen wird das Recht gegeben, das Hausgeld, das durch die Juli-Verordnung auf die Hälfte gekürzt war, allgemein auf zwei Drittel des Krankengeldes zu erhöhen. Daneben wird für jeden Angehörigen ein Zuschlag von 5 % zugelassen. [] Durch die Abänderung sind Hunderttausende von der Krankenschein- und Arzneigebühr befreit worden [] II. [] 1. Den Jugendlichen zwischen 16 und 17 Jahren soll der ihnen durch die Notverordnung genommene Anspruch auf die Arbeitslosenunterstützung wiedergegeben werden. [] 2. Der § 105 a der Arbeitslosenversicherung, wonach die Unterstützungssätze bei einer unter 52 Wochen liegenden Anwartschaft gekürzt werden, wird dadurch verbessert, daß der Berechnungszeitraum von 18 Monaten ausgedehnt wird. [] 3. In Fällen, in denen die den Versicherten ordnungsgemäß abgezogenen Beiträge durch die Unternehmer nicht abgeführt worden sind, muß trotzdem den Versicherten die Unterstützung in voller Höhe gewährt werden. [] Durch diese Abänderungen ist wieder eine Erweiterung der Arbeitslosenversicherung erzielt worden [] III. [] 1. Alle Personen, die Arbeitslosenunterstützung, Krisenunterstützung Kriegsbeschädigtenrente oder Wohlfahrtsunterstützungen erhalten, sind von der Bürgersteuer befreit. [] 2. Befreit sind auch alle Familienangehörigen, die kein selbständiges Einkommen haben (zum Beispiel ältere Familienangehörige, die bei Verwandten wohnen). [] 3. Die bisherige, kaum zu erkennende Staffelung wird verschärft und steigt jetzt bis zu 2000 M. für die hohen Einkommen. Für die Einkommen bis zu 4500 M. bleibt es bei dem Satz von 6 M. für den Mann und 3 M. für die Ehefrau. Einkommen bis zu 1200 M. zahlen 3 M. [] Durch diese Aenderungen ist der Bürgersteuer der empörend unsoziale Charakter einer reinen Kopfsteuer genommen worden [] Mit diesen Zugeständnissen sind zwar nicht alle Forderungen der Sozialdemokratie erfüllt worden, aber die ärgsten Giftzähne wurden der alten Notverordnung doch ausgebrochen. Die Sozialdemokratie hat das wahr gemacht, was sie im Wahlkampf als Ziel ihres Kampfes verkündet hat: Sie hat, trotzdem ihr Einfluß im neuen Reichslag durch die verrückte Wahl am 14. September geschwächt ist, für die Notleidenden Erleichterungen erzielt, die in dieser Zeit doppelt fühlbar sind. Während die Kommunisten und Nazis sich in Agitationsanträgen erschöpfen, deren Annahme in diesem Reichstag völlig ausgeschlossen ist und die auch ohne jede Rücksicht auf die ja nicht wegzudiskutierende Finanznot aufgestellt sind, hat die Sozialdemokratie in wenigen Wochen positive, unmittelbar wirksame Erfolge für die Arbeiterschaft erzielt! Sie hat herausgeholt, was herauszuholen war! [] Die Sozialdemokratie ist mit diesen Erfolgen nicht zufrieden und gibt sich nicht zufrieden. Sie hat im Reichstag eine Reihe weiterer Anträge eingebracht, die diejenigen Verbesserungen enthalten, die in der neuen Notverordnung keine Berücksichtigung fanden. Um die Durchsetzung dieser Anträge, die bei den gegenwärtigen Machtverhältnissen allerdings nur Schritt für Schritt möglich sind, wird der Kampf in der nächsten Zeit gehen. Die Voraussetzung für die Führung dieses Kampfes ist, der faschistischen Diktatur unbedingt den Weg zu sperren. Deshalb, nur deshalb hat die Sozialdemokratie die Regierung Brüning vor dem Sturz bewahrt, die sie im Wahlkampf heftigst bekämpft hat. Der alte Wilhelm Liebknecht hat einmal gesagt, daß man die Taktik so oft ändern müsse, wie sich die Umstände ändern, unter denen man kämpft. Nach dieser Erkenntnis hat die Sozialdemokratie auch jetzt gehandelt. Die Umstände sind jetzt anders als vor dem 14. September, als die Sozialdemokratie den Sturz der Regierung Brüning forderte. Jetzt heißt die wichtigste Ausgabe, alles daran zu setzen, daß die Hitler und Hugenberg nicht zur Macht gelangen und Deutschland vor einem wirtschaftlichen und politischen Chaos bewahrt bleibt, das die Arbeiterschaft auf Jahrzehnte hinaus ins fürchterlichste Elend stürzen würde. Um dieser Aufgabe willen hat die Sozialdemokratie ihre Bedenken auch gegen den Weg der Notverordnung zurückgestellt, nachdem sich die Unmöglichkeit ergeben hat, gegenwärtig eine parlamentarische Mehrheit für notwendige Maßnahmen zu finden. Die Sozialdemokratie hat durch ihre Haltung erneut bewiesen, daß allein sie das [] starke Bollwerk der Werktätigen gegen kapitalistisches Ausbeutertum darstellt [] Was tut die Sozialdemokratie im neuen Reichstag? [] Sie kämpft [] gegen die Preisdiktatur der Kartelle [] Die sozialdemokratische Reichstagsfraktion denkt nicht daran, sich mit den nebenstehend aufgeführten Verbesserungen der Vorschriften über die Krankenversicherung, die Arbeitslosenversicherung und die Bürgersteuer zu begnügen. Sie wird weiterhin bestrebt sein, mit allen ihr zu Gebote stehenden Mitteln die Reichsgesetzgebung zu beeinflussen. Aus diesen Gründen hat die sozialdemokratische Rechstagsfraktion [!] Anträge eingereicht, die auf den Gebieten der Wirtschafts- und Finanzpolitik sowie bei den Ernährungsfragen wichtige Verbesserungen des bestehenden gesetzlichen Zustandes bezwecken. [] Die wirtschaftspolitischen Anträge sind vor allem darauf gerichtet, die Preissenkung in verstärktem Maße in Gang zu bringen. Diesem Ziel dient zunächst ein Antrag auf Herabsetzung des Höchstpreises für Zucker von 21 M. auf 18 M. für den Zentner. Darüber hinaus wird ein umfangreicher Entwurf für cm Kartell- und Monopolgesetz vorgelegt, durch den das Reich instand gesetzt werden soll, unwirtschaftliche Preisbindungen der Monopole und Karlelle aufzuheben. Das Reich soll das Recht einer dauernden Aufsicht über die Kartelle und Monopole erhalten: es soll ein Reichsamt für Kartell- und Monopolverwaltung geschaffen werden, und schließlich sind eine ganze Reihe von Zwangsmaßnahmen und Strafbestimmungen gegen widerstrebende Kartelle und Monopole vorgesehen. [] Was will die Sozialdemokratie auf dem Gebiete der Steuer- und Finanzpolitik als nächste Ziele? [] Sie kämpft [] für verschärfte Besitzbesteuerung! [] Zum Zwecke einer besseren und dem Grundsatz der Steuergerechtigkeit mehr entsprechenden Besteuerung des Besitzes hat die Sozialdemokratie beantragt, bei den Einkommen über 8000 M. eine Erhöhung des Einkommensteuerzuschlages von 5 auf 10 %, für 1930 und 1931 vorzunehmen. Der Einkommensteuerzuschlag für Aufsichtsräte, der nach der ersten Notverordnung nur 2 ½ % beträgt und den die Regierung in der neuen Notverordnung auf 10 % erhöht hat, soll auf 20 % heraufgesetzt werden. Ein weiterer Antrag fordert eine Verschärfung der Besteuerung der Spekulationsgewinne und der Einkommenbesteuerung nach dem Verbrauch. [] Dem Ausbau der Besitzbelastung soll weiter ein Antrag auf Erhöhung der Erbschaftssteuer dienen. Dieser Antrag verfolgt drei Ziele: 1 Die Ehegatten sollen wieder steuerpflichlg werden, soweit das ererbte Vermögen 10 000 M. überschreitet; 2. die Steuersätze sollen erhöht werden: 3. soll dem Mißbrauch der Stundungsvorschriften ein Riegel vorgeschoben werden. Alle diese Maßnahmen zur Verschärfung der Besitzbelastung werden vervollständigt durch den Antrag auf Offenlegung der Steuerlisten. Dieser Antrag verlangt die Offenlegung der Veranlagungsergebnisse sämtlicher Steuern vom Ertrag, Einkommen und Vermögen. [] Was tut die Sozialdemokratie zum Schutz der notleidenden breiten Volksmassen? [] Sie kämpft [] für Milderung der Massenbelastung [] Zu diesem Zwecke hat die sozialdemokratische Reichstagsfraktion beantragt: [] a) Die Sonderumsatzsteuer für Warenhäuser und Konsumvereine, die unter Moldenhauer eingeführt morden ist, wird wieder aufgehoben; [] b) die Mineralwassersteuer wird wieder beseitigt; [] c) Befreiung bei der Hauszinssteuer soll für folgende Schichten eintreten: [] 1. Kleinhausbesitzer, deren Eigenhäuser weniger als 5000 M. Friedenswert haben; 2. Arbeitslose, die länger als 13 Wochen erwerbslos sind; 3. Krisen- und Wohlfahrtsunterstützte, Sozialrentner und rentenberechtigte Kriegsbeschädigte. [] d) In der gleichen Richtung liegt schließlich der Antrag, der die Verlängerung des Kontingents für die Zigarettenindustrie, die in der ersten Notverordnung zugestanden worden ist, wieder rückgängig macht. Dadurch soll verhindert werden, daß die Tabaksteuererhöhung, die durch die zweite Notverordnung vorgenommen worden ist, von der Industrie auf die Verbraucher abgewälzt werden kann. [] Was tut die Sozialdemokratie zur Abwehr der Gefahren, die die Massen durch die Zoll- und Wirtschaftspolitik des Landbundministers Schiele drohen? [] Sie kämpft [] für Erleichterung der Volksernährung! [] Diesem Zwecke dient der Antrag, das Roggenmehl mit 70 statt mit 60 % auszuwählen und auf diese Weise ein verbessertes Roggenbrot herzustellen. Weiter soll der Beimischungszwang von Roggen- und Kartoffelmehl für Weizengebäck aufgehoben werden, und schließlich soll das Verbot beseitigt werden, in Gaststätten Weizengebäck zu verkaufen. [] Um eine drohende Verteuerung der Margarine zu verhindern, soll auch die Beimischung von inländischem Talg und Schmalz für die Margarinefabrikation unterbleiben. [] Wichtig ist vor allem der Antrag, der das zollfreie Gefrierfleischkontingent von jährlich 50 000 Tonnen wieder herstellen will. [] Ein anderer Antrag verlangt Aenderungen bei dem System des Gerstenzolls, die im Interesse der bäuerlichen Viehwirtschaft liegen. [] Weiterhin werden verbesserte Maßnahmen für den Arbeitsschutz der Nahrungsmittelarbeiter verlangt. [] Diese Reihe der Anträge wird abgeschlossen durch einen Antrag auf Einsehung eines Untersuchungsausschusses gemäß Artikel 34 der Reichsverfassung. Dieser Ausschuß soll feststellen, ob in den Monaten vor der Wahl bei der Roggenstützung Mißbrauche zu Zwecken der Wahlagitation vorgekommen sind, wie es von den Deutschnationalen behauptet wird. [] Und was tut die Sozialdemokratie im Interesse der minderbemittelten Landbevölkerung? [] Sie kämpft [] für freie Bahn dem kleinen Siedler! [] Folgende Anträge sind dazu gestellt worden: [] 1. Die Siedlungsbestimmungen mit der Maßgabe abzuändern, daß auch unbemittelten Bewerbern, insbesondere den Landarbeitern, der Erwerb einer Siedlung ermöglicht wird; [] 2. die Regierung aufzufordern, daß sie dem Reichstag möglichst umgehend den seit langem zugesagten Entwurf eines Pachtschutzgesetzes zugehen lassen möge. [] Beide Anträge haben den Zweck, den Landarbeiten, Kleinbauern, Pächtern und ihren Söhnen die Gründung und Erhaltung ihrer Existenz zu erleichtern. Die jetzt geltenden Siedlungsbestimmungen schließen unbemittelte Bewerber nachgerade aus. Ebenso haben sich im Pachtwesen unerträgliche Verhältnisse herausgebildet. [] Ein letzter Antrag schließlich bringt einen vollständigen Entwurf für ein Wohnheimstättengesetz nach den Beschlüssen des zuständigen Beirates für Wohnheimstättenwesen beim Reichsarbeitsministerium. [] Alle diese Anträge halten sich im Rahmen dessen, was tatsächlich durchgeführt werden kann. Unbeirrt von der Flut der Agitationsanträge der Nationalsozialisten und Kommunisten hält die Sozialdemokratie an ihrer bisherigen Einstellung fest, nur solche Anträge im Reichstag einzubringen, deren Durchführung fachlich möglich und notwendig ist. [] Und was tun die Nationalisten im Reichstag? [] 107 Nazis schützen das Kapital! [] In der Reichstagssitzung vom Dienstag, 9. Dezember 1930, stimmte die nationalsozialistische Fraktion geschlossen gegen folgende Anträge: [] 1. Alle Vermögen über 500 000 M. werden einer einmaligen Steuer von 20 % unterworfen. [] 2. Alle Dividenden und sonstigen ausgeschalteten Gewinne bei gewerblichen Unternehmungen werden einer Steuer in Höhe von 20 % der Ausschüttung unterworfen. [] 3. Alle Aufsichtsratstantiemen und ähnliche Vergütungen unterliegen einer Sondersteuer in Höhe von 20 %. [] 4. Alle Einkommen über 50 000 M. werden mit einer Sondersteuer in Höhe von 20 % jährlich belegt. [] Infolge der kapitalsfreundlichen Haltung der Nationalsozialisten wurden diese Anträge mit 319 gegen 197 Stimmen abgelehnt. Für die Anträge stimmten nur Sozialdemokraten und Kommunisten. [] Hallen die Nationalsozialisten für diese Antrags gestimmt, so wären sie mit etwa 300 gegen 215 Stimmen angenommen worden. [] Am 9. Dezember haben sich die Nationalsozialisten selbst die Maske vom Gesicht gerissen. Sie sind und bleiben entgegen allen ihren Versicherungen und Ankündigungen die Schutztruppe des Kapitals! [] Laut eigenem Antrag der Begünstigung des Wuchers schuldig [] Ins Loch mit Frick und Franzen! [] Der Kampf gegen Zinsknechtschaft [] ... in der Theorie. [] Reichstagsdrucksache Nr. 64 vom 14. Oktober 1930: [] Antrag [] Dr. Frick und Genossen: Der Reichstag wolle be-beschließen: [!] [] Die Reichsregierung aufzufordern, unverzüglich einen Gesetzentwurf vorzulegen, der nachstehende Bestimmungen enthält: [] 1. Der höchstzulässige Zinssatz wird auf 5 vom Hundert festgesetzt. Davon ist mindestens 1 vom Hundert auf die Tilgung der Schuld zu verrechnen. Wer sich für ein Darlehen einen höheren Zinssatz einschließlich aller Provisionen und Verwaltungskosten als 5 vom Hundert versprechen lässt oder entgegennimmt, wird wegen Wuchers mit Gefängnis nicht unter drei Monaten bestraft. [] ... in der Praxis. [] Sitzung des Reichsrats vom Dienstag, 2. Dezember 1930: [] Zur Beratung steht ein Gesetzentwurf der Reichsregierung nach dem die Verzinsung der Aufwertungshypotheken, die gegenwärtig 5 vom Hundert beträgt, vom 1. Januar 1932 an um 2 ½ vom Hundert auf 7 ½ vom Hundert erhöht werden soll. Die preußische Regierung ersuchte, sich mit einer Er-Erhöhung [!] von 2 vom Hundert zu begnügen, weil die Landwirtschaft 7 ½ vom Hundert nicht tragen könne, und Zinssätze von 7 ½ vom Hundert auch die Mieten verteuern, also mit der Preissenkungsaktion der Reichsregierung nicht vereinbar seien. Der Vorschlag der Reichsregierung wurde jedoch angenommen. Für die 7 ½ vom Hundert, gegen die sämtliche preußischen Vertreter sich wandten, stimmten u. a. die Frick-Regierung von Thüringen und die Franzen-Regierung von Braunschweig. [] Im Anschluß an diesen aufschlußreichen Vorgang im Reichsrat entwickelte sich folgende Debatte: [] Staatssekretär Weismann, Preußen: Ich weise auf die interessante Tatsache hin, daß die Regierungen von Braunschweig und Thüringen ihre Vertreter instruiert haben, für einen Zinssatz von 7 ½ % zu stimmen, obwohl die Nationalsozialisten im Reichstag beantragt haben, daß alle Leute, die einen Zins über 5 % nehmen, wegen Wuchers bestraft werden sollen. [] Gesandte Boden, Braunschweig: Ich bitte den Vertreter von Preußen, die Entwicklung der Gründe, die eine Regierung zur Instruktion ihres Vertreters geführt haben, der Regierung selbst zu überlassen. [] Minister Dr. Münzer, Thüringen: Thüringen bemerkt, es sei bisher nicht üblich gewesen, daß ein Vertreter einer Regierung im Reichsrat an dem Verhalten einer andern Regierung Kritik übe. Uebrigens berühre es eigenartig, an der Stellungnahme einer Regierung deshalb Kritik zu üben, weil eine der in dieser Regierung vertretenen Parteien einen gewissen Standpunkt eingenommen habe. [] Staatssekretär Weismann: Eine Kritik an einer Regierung hat mir ferngelegen. Ich habe lediglich eine interessante Tatsache feststellen wollen. [] Wie hätte nun die Schlagzeile des "Völkischen Beobachter" lauten müssen? Drei Monate ins Loch mit Frick und Franzen! [] ?? Denkt einmal nach! [] "Brechung der Zinsknechtschaft" - [] ...Was ist das? ?? [] "Brechung der Zinsknechtschaft", das ist die Parole, mit der die Nationalsozialisten stets agitieren. In diesem Wort erschöpft sich ihr ganzer "Sozialismus". Niemand hat das deutlicher erklärt, als Gottfried Feder, der theoretische Führer der Nationalsozialisten, der Mann, dem Hitler das ganze amtliche Schrifttum der Nationalsozialistischen Partei übertragen hat. Feder verleugnete in der Reichstagssitzung vom 4. Dezember den Sozialismus, um die Gunst der Großindustriellen und Großbankiers der Deutschen Volkspartei zu erringen und auf diese Weise die Nationalsozialistische Partei in die Regierung hineinzubringen. Feder verleugnete jeglichen Sozialismus. "Wir stehen grundsätzlich auf dem Boden des Privateigentums", so rief er aus. [] "Wir erkennen auch die gesellschaftliche Bedeutung der Bankiers an, die nicht beseitigt werden sollen", [] so fuhr er fort, "Wir sind nicht für die Beseitigung des Gewinnertags", und zum Schluß an die volksparteilichen Großkapitalisten gewandt: "Lesen Sie gefälligst unsere Literatur, ehe Sie uns sozialistische Tendenzen unterstellen." Bevor der Hahn dreimal gekräht hatte, haben die Nationalsozialsten also alle ihre scheinsozialistischen Parolen offen verleugnet, haben sie ein klares und [] eindeutiges Bekenntnis zum kapitalistischen System [] abgelegt, haben sie alle Ausgebeuteten, die gläubig auf den Sozialismus der Nazis vertrauten, schmählich verraten, um die Gunst der Mächtigen aus Industrie und Finanz zu erringen. [] Wenn man die Bankiers als gesellschaftlich notwendig anerkennt, wie will man dann noch den Kampf gegen das Finanzkapital führen? Aber die Nationalsozialisten beantragen doch Verstaatlichung der Großbanken, sie beantragen Festsetzung eines Höchstzinssatzes von 5 %, so wird mancher vielleicht erwidern. Ist denn dann das kein ernsthafter Kampf gegen die Zinsknechtschaft, gegen das Finanzkapital? Nein, es ist ein Scheinkampf, genau wie der Sozialismus der Hitler, Goebbels und Feder ein Scheinsozialismus ist. Das Geschrei gegen die Zinsknechtschaft ist nichts als Sand in die Augen derer, die sich von hochtrabenden Worten einsangen lassen und nicht gründlich die Dinge durchdenken. [] Was bedeutet zum Beispiel ein Höchstzinssatz von 5 %? [] Sicher gibt es keinen Freund des Volkes, der nicht eine Herabsetzung des übermäßig hohen Zinsfußes erstrebte. Aber solange die kapitalistische Wirtschaftsordnung bestehen bleibt - und Feder hat ja ausdrücklich erklärt, an ihr nicht rütteln Zu wollen -, richtet sich die Höhe des Zinsfußes nach Angebot und Nachfrage. Ist die Nachfrage nach Kapital stark und das Angebot gering, so steigt naturnotwendig der Zinssatz. Setzt man ihn dann zwangsweise durch den Staat in der Höhe von 5 % fest, dann verbessert man die Dinge nicht, sondern verschlechtert sie. Wenn nämlich nicht mehr als 5 % Zinsen gefordert werden dürfen, so können die Banken und die Sparkassen den Sparern und Depositeninhabern natürlich einen noch geringeren Zins für ihr Sparkapital vergüten, vielleicht 2 ½ oder 3 %. Dann aber geht jeglicher Anreiz zum Sparen verloren. Die Menge des Kapitals, das zur Arbeit in der Wirtschaft zur Verfügung steht, wird geringer, mit andern Worten, [] das Kapitalangebot sinkt. [] Und wenn dann kein Kreditnehmer mehr als 5 % Zinsen zu zahlen braucht, so werden viele, für die sich Kreditaufnahme bei höheren Zinsen nicht lohnt, jetzt an den Kapitalmarkt herantreten, um auch Kredit zu erhalten. [] Die Kapitalnachfrage steigt [] also weiter. Das Mißverhältnis zwischen Angebot und Nachfrage wird also verstärkt. Es wird noch weiter verstärkt, weil auch das Auslandskapital, das wir vorläufig noch nicht entbehren können, sich zurückhalten würde, ja, sogar das Kapital, das heute in der deutschen Wirtschaft arbeitet, von seinen ausländischen Besitzern zurückgezogen würde. Es würde also immer weniger Kapital zur Verteilung in der deutschen Volkswirtschaft zur Verfügung stehen. Diejenigen aber, die dieses geringe Kapital zu verteilen hätten, also die Banken, würden eine weitaus größere Macht erhalten, sie könnten unter den vielen, die bei ihnen Kredit beantragen, sich diejenigen aussuchen, die ihnen am liebsten sind. And das wäre bei der engen Verflechtung von Industrie und Bankkapital unzweifelhaft die heute schon mächtige Großindustrie, während die Kleingewerbetreibenden nicht nur keinen billigen Kredit, sondern überhaupt keinen Kredit erhalten würden. [] Das Federsche Rezept stärkt also nur die Macht der Banken. [] Nun sollen ja aber die Großbanken verstaatlicht werden. Dann könnte doch der Staat auf diesem Wege für gerechte Kreditverteilung sorgen? Nein, er könnte es nicht. Denn auch Staatsgroßbanken müßten die Großindustrie, die man ja nicht einfach erdrosseln kann, mit Kredit versorgen. Würden sie das versäumen, so müßten Großbetriebe stillgelegt werden und die Arbeitslosigkeit würde nur noch steigen. [] Auch Staatsgroßbanken könnten also die Kleinen nicht bevorzugen. [] Es genügt eben nicht, die Großbanken zu verstaatlichen und den Zinsfuß durch Gesetz festzulegen. Eine sozialistische Wirtschaft muß neben den Banken vor allem die Großindustrie vergesellschaften. Läßt man den Krupp und Thyssen, den Siemens und Kirdorf freie Hand, dann werden sie weiter die Macht, die ihnen ihr Kapital gibt, mißbrauchen, dann werden sie weiter nur auf den Profit sehen und ihr Kapital in Kanäle lenken, die der Volkswirtschaft nur Schaden bringen. [] Kampf gegen die Zinsknechtschaft ist also nichts als eine unehrliche Parole, [] die es verschleiern soll, daß die Großindustrie die nationalsozialistische Bewegung finanziert und deshalb von ihr geschont werden muß. Die Großindustrie hat den Nationalsozialismus gekauft, um die berechtigte Empörung des Volkes durch falsche Parolen von dem Kampf um den wahren Sozialismus von dem Kampf gegen den gesamten Kapitalismus abzulenken, in Gefilde, wo höchstens mit törichten Redensarten die Luft erschüttert werden kann, wo aber dem Kapitalismus selbst kein Haar gekrümmt wird. [] Der Volkszeitungsredakteur bekennt: [] Die Oberbürgermeister-Villa [] ein "Wahlrummel" [] Im letzten Reichstagswahlkampf wurde von den Kommunisten ein niederträchtiger Wahlschwindel über den sozialdemokratischen Altonaer Oberbürgermeister Brauer verbreitet und selbstverständlich auch sofort von den Nationalsozialisten freudestrahlend in ihr Repertoire aufgenommen. Unter anderm war behauptet worden: "SPD.-Bürgermeister Brauer flüchtet aus Altona. Er kauft sich eine Villa in Arosa in der Schweiz, er sichert sein Vermögen im Ausland." [] Das war natürlich Schwindel, bewußt verbreitet zu dem Zweck, den Sozialdemokraten Brauer herabzusetzen. Der Altonaer Magistrat strengte gegen den Redakteur der "Hamburger Volkszeitung", Demolski, Klage an. Am 29. November fand vor dem Hamburger Amtsgericht die Verhandlung statt. [] Hier machte der Rechtsvertreter des angeklagten Redakteurs gar nicht erst den Versuch, den Wahrheilsbeweis anzutreten, [] sondern gab gleich eingangs der Verhandlung folgende Erklärung namens seines Mandanten ab: [] "Im Wahlkampf zu der diesjährigen Reichstagswahl war der Redaktion der "Hamburger Volkszeitung" von verschiedenen glaubwürdigen Personen mitgeteilt worden, daß Herr Oberbürgermeister Brauer, Altona, sich eine Villa in Arosa gekauft habe. Die Ermittlungen der "Hamburger Volkszeitung" haben jetzt zu dem Ergebnis geführt, daß ihre Gewährsmänner irregeführt sind. Bei dieser Sachlage hält der Angeklagte Demolski und mit ihm die "Hamburger Volkszeitung" die Behauptung, daß Herr Oberbürgermeister Brauer sich eine Villa in Arosa gekauft und sein Vermögen im Ausland gesichert habe, daß er aus Altona flüchtete, nicht mehr aufrecht und nimmt diese Behauptung zurück." [] Nachdem der Wahlschwindel seine Wirkung getan, wird die Behauptung also zurückgenommen. Aber vergebens sucht man in der Erklärung auch nur nach einem Wort des Bedauerns darüber, daß eine falsche Behauptung in die Welt gesetzt wurde. Im Gegenteil, der Rechtsvertreter des angeklagten Redakteurs hatte den traurigen Mut, vor dem Gericht noch zu erklären, [] "das sei ja alles nur ein "Wahlrummel" gewesen!" [] Nichts bestätigt schärfer die ganz bewußte Mache dieser Verleumdung des sozialdemokratischen Oberbürgermeisters als diese Aeußerung des Verteidigers. [] Bei der Begründung der sehr milden Strafe von 300 M. betonte der Richter, daß man sich nur darum zu dieser Milde entschlossen habe, weil der Angeklagte seine Behauptung als nicht den Tatsachen entsprechend zurückgenommen habe. Immerhin: 300 M. für einen solchen Wahlschwindel, wo ist da die Sühne? [] Beglückendes unterm Sowjetstern [] I. [] In Moskau gibt es neuerdings allerhand Sensationen. Am 2. Dezember meldete die amtliche Telegraphenagentur der Sowjetunion, daß auf Beschluß des Zentralkomitees der KPD. Syrtzoff und Lominadse aus dem Zentralkomitee der Partei ausgeschlossen wurden. Ferner entband das Präsidium des Zentralexekutivkomitees der Sowjetunion den stellvertretenden Vorsitzenden des Volkskommissariats der Sowjetunion, Schmidt, von seinen Amtspflichten. Die für Anfang Dezember einberufene Sitzung des Zentralexekutivkomitees wurde auf Ende Dezember vertagt. [] II. [] In Chemnitz hat die kommunistsche [!] RGO. die Straßenbahner in einen wilden Streik getrieben, der bereits nach wenigen Tagen zusammenbrach. Einziger Erfolg der Aktion: Alle Streikenden wurden einlassen! Die Gewerkschaften mußten daraufhin eingreifen, um die von der RGO. völlig vermasselte Situation wieder zu retten. [] III. [] Aus Anlaß der hinterhältigen Ermordung eines Hamburger Polizeibeamten durch kommunistischen Mob gibt ein früherer Funktionär der KPD. Kenntnis von folgenden Ausführungen, die ein prominenter und heute noch anerkannter Führer der KPD. in einer internen Sitzung im Jahre 1923 machte: [] "Genossen! Wir müssen uns im kommenden Straßenkampf darüber klar sein, daß wie [!] diesen Kampf allein nicht in Bewegung setzen können, wir müssen, ob wir wollen oder nicht, hierzu das sogenannte Lumpenproletariat zur Hilfe nehmen. Diese müssen sozusagen die Sache erst an einigen noch naher zu bezeichnenden Stellen in Gang bringen und wir dann zur rechten Zeit eingreifen. Allerdings müssen wir dabei aufpassen, daß uns das Lumpenproletariat nicht über den Kopf wächst und die Situation beherrscht; wir sind gezwungen, nachdem die Sache ins Rollen gebracht ist, gegen dies Lumpenproletariat mit allen Mitteln vorzugehen, um sie ans der gewonnenen Situation wieder herauszudrängen, damit wir nicht selber [?] unter den Schlitten kommen." [] Solche Ausführungen, dem Sinne nach wie die obigen, sind nicht nur in dieser Sitzung zum Ausdruck gebracht worden, sondern waren das A und O in mehreren Sitzungen, die der Einsender als ehemaliger Funktionär der KPD. mitgemacht hat. [] Nazi-Volksbetrug wohin man sieht [] "Chiffreanzeigen verbieten" rufen die Nazis [] Chiffreanzeigen in Massen in der Nazipresse [] Die nationalsozialistsche [!] Fraktion hat im Reichstag einen Antrag auf Vorlage eines Gesetzentwurfs eingebracht, durch den "die Ausschreibung von Arbeitsstellen für Arbeitnehmer durch Chiffre-Anzeigen verboten wird". [] Und die Praxis? [] Im "Völkischen Beobachter" vom 30. November finden wir ein Inserat, in dem Verkäufer für eine Aufstreichschuhsohle gesucht werden. "Offerten mit Angabe von Ref. u. Nr. 15 533 an den V. B.." In einem andern Inserat werden Untervertreter für den Vertrieb eines Geschenk- und Propagandaartikels gesucht. "Angebot" unter Postlagerkarten Nr. 306. Berlin 15." [] In einer dritten Anzeige handelt es sich um einen Bekleidungsgegenstand. "Anfragen nur v. Volksgen. unter 15 493 a. d. V. B." Im "Angriff" vom 27. November 1930 wird "eine perfekte Stenotypistin P. Gen. mit einjähriger Mitgliedschaft aushilfsweise halbtäglich zur Probe" gesucht. Offerten unter St. 212. Nach Berlin-Steglitz wird ein strebsamer Gärtnergehilfe gesucht. Offerten unter K. 211. [] Das ist nationalsozialistische Theorie und Praxis... [] Es hat sich schon allgemein herumgesprochen, daß die Naziführer sich für ihre Parteitätigkeit gut bezahlen lassen. Nicht umsonst hat Pg. Goebbels den besten Mercedes-Wagen, der in Berlin aufzutreiben ist; nicht umsonst bewohnt Pg. Hitler im vornehmsten Viertel Münchens eine hochfeudale Neun-Zimmer-Wohnung, für die allein an Miete jährlich 5520 M. zu zahlen sind, nicht umsonst hat sich die Altonaer Ortsgruppe der NSDAP kürzlich ein altes Patrizierhaus in der Palmaille zugelegt, dessen "pompöse Einrichtung" in den Hamburger Nachrichten sehr gerühmt wird. [] Aber die Hilfskräfte der oberen "Pg." (Parteigenossen) sollen ohne Bezahlung arbeiten. Im "Völkischen Beobachter", Nummer 274 vom 18. Neovember [!] 1930, ist folgende parteiamtliche Anzeige zu lesen: [] "Es werden gesucht: [] Freiwillige Kräfte, die perfekt Stenographie und Schreibmaschine können, zur ehrenamtlichen Arbeit auf der Gaugeschäftsstelle. Meldungen: Privatsekretariat Dr. Goebbels." [] So bekämpfen die Nationalsozialisten die Arbeitslosigkeit! [] Die Hilfskräfte sollen ohne Bezahlung arbeiten und damit den stellungslosen Angestellten das Brot wegnehmen. Eine "Arbeiter"partei! [] Verlag: Karl Meitmann, Hamburg. - Rotationsdruck: Hamburger Buchdruckerei und Verlagsanstalt Auer & Co., Hamburg 36.
Published:12.1930