Prof. Baade zum Schuman-Plan

Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals; Brandflecken Prof. Baade zum Schuman-Plan [] Am 5. Mai 1951 hielt auf Einladung des Instituts für Weltwirtschaft an der Universität Kiel Staatssekretär Prof. Dr. Hallstein einen Vortrag über den Schuman-Plan mit anschließender Diskussion. Wäh...

Full description

Bibliographic Details
Institution:Archiv der sozialen Demokratie (AdsD)
Format: IMAGE
Language:German
Published: 05.05.1951
Subjects:
Online Access:http://hdl.handle.net/11088/25149B33-6E90-4895-8EC5-A3BF7B0ACE25
Description
Summary:Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals; Brandflecken Prof. Baade zum Schuman-Plan [] Am 5. Mai 1951 hielt auf Einladung des Instituts für Weltwirtschaft an der Universität Kiel Staatssekretär Prof. Dr. Hallstein einen Vortrag über den Schuman-Plan mit anschließender Diskussion. Während Professor Hallstein den Schuman-Plan verteidigte, äußerte Professor Baade die nachstehenden grundsätzlichen Bedenken zu wichtigen Bedingungen des Schuman-Planes: [] Meine Damen und Herren! [] Ich muß Ihnen bekennen, daß ich über den Schuman-Plan mit schwerem Herzen spreche. Die Idee eines Zusammenschlusses der europäischen Stahlwirtschaft und insbesondere der endgültigen Beilegung aller deutsch-französischen Gegensätze in der Montanindustrie ist eine so schöne Idee, daß man sich wirklich nur sehr schwer entschließen kann, etwas dagegen zu sagen. Ich möchte daher von Anfang an betonen, daß ich selbstverständlich der Idee der wirtschaftlichen Einigung durchaus begeistert zustimme. [] Meine Auffassung aber über die Art und Weise, wie uns diese europäische Wirtschaftseinigung auf dem Gebiet der Montanindustrie in Gestalt des Schuman-Planes präsentiert wurde, war von Anfang an außerordentlich skeptisch. Ich habe mich sehr bemüht, während der einjährigen Diskussion über den Schuman-Plan eine absolut objektive Stellung zu diesem Projekt zu gewinnen, und ich muß Ihnen bekennen, daß mein Skeptizismus von Monat zu Monat größer geworden ist. Ich teile den Optimismus, mit dem die Deutsche Bundesregierung den Schuman-Plan beurteilt, in keiner Weise. Ich sehe sehr schwere Gefahren für die deutsche Wirtschaft aus dem Schuman-Plan erwachsen, ich halte es für außerordentlich schwierig, die machtpolitischen Instrumente, die im Schuman-Plan gegen Deutschland geschaffen worden sind, zu wirklichen europäischen Instrumenten umzugestalten, die auch für Deutschland den notwendigen Lebensraum lassen würden. [] Vielleicht ist es gut, wenn ich zu Anfang einen neutralen Zeugen über den Schuman-Plan sprechen lasse, den Vertreter eines Landes, das in dieser Frage in ganz besonderer Weise neutral ist, da es als ein sehr großer und entscheidender Eisen- und Kohleproduzent abgelehnt hat, unter das kaudinische Joch des Schuman-Plans zu gehen, nämlich Englands. Das englische Organ, das ich hier als Zeugen erwähne, ist ein Organ, dessen Sachkunde in der ganzen Welt anerkannt ist, ein Organ, das wir hier in unserem Hause als ein besonders wichtiges Arbeitsinstrument kennen und schätzen, nicht seit gestern und vorgestern, sondern seit dem Beginn des Instituts, nämlich der Londoner "Economist". [] Der Londoner "Economist" schreibt über den Schuman-Plan ganz kürzlich am 10. März: "The American can and should use the German dependence on the grain and raw materials to press for signature." (Die Amerikaner können und sollten die deutsche Abhängigkeit in Getreide und Rohstoffen ausnutzen, um sie zur Unterschrift zu pressen.) Meine Damen und Herren, für einen Deutschen, der die Zeit nach dem ersten Weltkrieg erlebt hat und der weiß, wie das ist, wenn man zur Unterschrift eines Vertrages gepreßt wird mit der Drohung, daß man sonst kein Getreide bekäme, sind das keine sehr freundlichen Töne. Der "Economist" fährt fort: "... und die Westlichen Regierungen sollten den Deutschen fest erklären, daß die Annahme oder Zurückweisung der internationalen Kontrolle ihrer Schwerindustrie als ein Prüfstein betrachtet werden wird bezüglich ihrer Vertrauenswürdigkeit als gleichberechtigte Partner in Europa." [] Meine Damen und Herren, das ist die Theorie der Vorleistungen, daß die Deutschen immer noch wieder irgend etwas zu unterschreiben haben, ehe ihnen überhaupt vertraut werden könnte und ehe sie gleichartige Partner werden können. [] Der "Economist" fährt fort: "Auf der anderen Seite müssen wir anerkennen, daß die Deutschen hier aufgefordert werden, große Stücke aufzugeben: Die Früchte ihrer natürlichen Vorteile in bezug auf die Rohstoffe, eine Form der industriellen Organisation, deren Wirksamkeit erprobt ist, und eine monopolistische Verkaufsorganisation, welche, wie sie behaupten, es unwirtschaftlichen Zechen ermöglichte, zu arbeiten und die Beschäftigung aufrechtzuerhalten - das sind Vorteile, die kein deutscher Politiker ohne schwere Besorgnis ausliefern kann." [] Meine Damen und Herren, das, was der "Economist" schreibt, scheint mir die Grundwahrheit über den Schuman-Plan zu sein. Wir werden sehr nachdrücklich aufgefordert, etwas zu unterschreiben, von dem die anderen überzeugt sind, daß wir es ohne Zwang nicht unterschreiben würden. Und wir werden aufgefordert, Dinge aufzugeben, die kein verantwortlicher deutscher Politiker ohne sehr schwere Besorgnisse und ohne sehr zwingende Gründe aufgeben darf. [] Nach den Feststellungen des "Economist" sollen wir folgendes aufgeben: [] 1. "Die natürlichen Früchte unserer Vorteile in bezug auf die Rohstoffe." [] Wir haben nur bei einem einzigen Rohstoff in Deutschland natürliche Vorteile, das ist die Kohle. Der Hauptvorteil, den wir hier haben, der Hauptstandortsvorteil liegt darin, daß diese Kohle nicht nur unter relativ günstigen geologischen Bedingungen produziert wird, sondern daß sie auch an dem großen Rheinstrom liegt, so daß, soweit Eisenerz nicht in nächster Nähe der Kohlen vorhanden ist, das Erz unter sehr billigen Transportkosten dorthin gebracht werden kann. Das Ruhrgebiet ist der standortmäßig günstigste Teil des europäischen Kohle- und Stahlgebietes. Wir haben im Laufe der Jahrzehnte und in den verschiedensten Perioden unserer politischen Entwicklung sehr konsequent diese Standortvorteile organisatorisch ausgebaut zu dem, was wir Verbundwirtschaft nennen. Diese Verbundwirtschaft ist eine Grundlage unserer wirtschaftlichen Lebensfähigkeit. Diese Verbundwirtschaft soll uns durch den Schuman-Plan beschnitten werden. Verehrter Herr Staatssekretär, ich kann die These nicht annehmen, daß das bereits durch Besatzungsrecht erfolgt wäre, und daß der Schuman-Plan hier keine neuen Tatsachen schaffe. Ich kann es nicht annehmen, daß selben Vertreter der Siegermächte, die uns dieses Besatzungsrecht aufgezwungen haben, den Schuman-Plan formuliert haben ohne Kenntnis dessen, was sie auf dem Gebiet des Besatzungsrechts getan haben. Schuman-Plan und Besatzungsrecht sind Bestandteile einer einheitlichen Politik zur Niederhaltung der deutschen Konkurrenzkraft. Die Verbundwirtschaft wird [] einseitig für Deutschland durch den Schuman-Plan beschränkt, während in keinem zivilisierten Land der Welt jemand daran denken würde, sich die Verbundwirtschaft beschränken zu lassen. [] Wir haben vor kurzer Zeit in unserem Institut ein Gutachten angefertigt, das ziemlich viel Beachtung gefunden hat und in dem wir die Grundtatsachen der Verbundwirtschaft in den anderen Ländern festgestellt haben. Ich will Sie hier nicht mit Einzelheiten langweilen. Die grundlegende Tatsache besteht darin, daß in den Vereinigten Staaten selbstverständlich jeder Stahlgesellschaft, die überhaupt als eine komplette Stahlgesellschaft betrachtet werden kann, die Kohle gehört, aus der sie den Stahl machen will. In Amerika gehören den Stahlgesellschaften nicht nur die Kohlenfelder und die Kokereien, es gehören ihnen auch zum größten Teil die Erzgruben und die Transportmittel für das Erz. Und kein Mensch würde auf die Idee kommen, den amerikanischen Stahlkonzernen diese Verbundwirtschaft zu beschneiden, weil jeder Mensch wissen würde, daß dies eine künstliche Maßnahme zur Verschlechterung ihrer internationalen Konkurrenzfähigkeit und ein Instrument zur künstlichen Erhöhung ihrer Produktionskosten sein würde. [] Und, meine Damen und Herren, wenn der "Economist", die Wirtschaftszeitschrift eines Landes, das nicht in den Schuman-Plan hineingehen wollte, den Amerikanern empfiehlt, uns die Getreidezufuhren zu sperren, damit wir den Schuman-Plan unterschreiben - ja, kann man darin irgend etwas anderes sehen als den Konkurrenzgesichtspunkt der Engländer, die sich darüber freuen, daß in Deutschland durch den Schuman-Plan und durch die Verkrüppelung der Verbundwirtschaft die Produktionskosten für Stahl im Vergleich zu England, das freie Verbundwirtschaft hat, hochgehalten werden sollen? Das gleiche, meine Damen und Herren, liegt in Frankreich vor. Die französischen Erzgruben haben es nicht nötig, sich die Kohle so zu sichern, wie die Amerikaner es getan haben. In Frankreich gibt es eine vollkommen in Händen des Staates liegende sozialisierte Kohlenwirtschaft, und selbstverständlich handhabt die französische Regierung ihre Kohlenwirtschaft und ihre Kohlenpolitik so, daß, soweit überhaupt der Kohlenbedarf der französischen Stahlwirtschaft aus französischer Kohle gedeckt werden kann, den französischen Stahlgruben die französische Kohle in vollem Umfange zur Verfügung steht. [] 2. Nach dem "Economist" sollen wir weiter aufgeben: "eine Form der industriellen Organisation, deren Wirksamkeit erprobt ist". [] Ich glaube den "Economist" richtig zu interpretieren, wenn ich darunter verstehe, daß uns durch den Schuman-Plan die Form der Konzentration der Stahlindustrie in großen Konzernen, die in Deutschland historisch gewachsen ist, beschnitten werden soll. Auch hier, verehrter Herr Staatssekretär, ist es wiederum nicht der Schuman-Plan direkt, der uns das beschneidet. Im Schuman-Plan steht nichts drin, daß wir diskriminiert behandelt werden sollen bezüglich der Bildung von neuen Konzentrationen in der Industrie. Wir werden formal wunderbar gleichmäßig behandelt. Aber es ist nun einmal eine simple Tatsache, daß man die deutsche Entwicklung zu leistungsfähigen Großbetrieben und Gesellschaften in den fünf langen Jahren der heißen Demontagen systematisch kalt demontiert hat. Da man in den anderen Schuman-Plan-Ländern, insbesondere in Frankreich, noch kurz vor Inkrafttreten des Schuman-Plans die Maßnahmen der Konzentration, die noch offen geblieben waren, durchgeführt hat, konnten die Franzosen gut in den Schuman-Plan die Klausel hineinschreiben, die so schön nach Parität aussieht, daß alle Konzentrationen, die vor März 1951 erfolgt sind, nicht der Kontrolle der Hohen Behörde unterliegen, aber diejenigen Konzentrationen, welche nun etwa ein Teilnehmerland nach dem März 1951 versuchen würde, der Genehmigung durch die Hohe Schuman-Plan-Behörde unterliegen. Daß das eine Maßnahme ist, die nur nach außen paritätisch aussieht und sich in ihren Wirkungen einseitig gegen Deutschland richtet, [] daran kann es gar keinen Zweifel geben. [] 3. Drittens sollen wir nach den Ausführungen des "Economist" eine monopolistische Verkaufsorganisation aufgeben, von der wir wiederum überzeugt sind, daß sie sich bewährt hat. Es handelt sich hier um den zentralen Kohlenverkauf, den wir aufgeben sollen, und zwar mit demselben Trick aufgeben sollen, daß uns das nicht im Schuman-Plan auferlegt wird, sondern, daß uns das vorsorglich schon von der Besatzungsmacht verboten worden war und daß der Schuman-Plan dieses Verbot nun auf fünfzig Jahre verewigen, respektive seine Lockerung von der Zustimmung der Hohen Behörde abhängig machen soll. Dieser zentrale Kohlenverkauf ist nicht eine Erfindung der letzten fünf Jahre, er ist auch nicht eine Erfindung des Nationalsozialismus. Er ist auf privatwirtschaftlicher Grundlage am Anfang dieses Jahrhunderts in Gestalt des Rheinisch-Westfälischen Kohlensyndikats geschaffen worden und wurde dann im Jahre 1919 in eine gemeinwirtschaftliche Form gebracht durch das deutsche Kohlenwirtschaftsgesetz. Ich bin heute noch überzeugt, daß das Kohlenwirtschaftsgesetz der Weimarer Republik von 1919 besser ist als das meiste, was an ähnlichen Organisationen in den letzten Jahrzehnten irgendwo in der Welt errichtet worden ist. Es ist deshalb so sinnvoll, weil hier die Marktregelung für Kohle aus der Sphäre des privaten Kartells, des privaten Syndikats vollständig hinübergewachsen ist in die Sphäre des öffentlich-rechtlich geregelten Marktes, und weil man es verstanden hat, Instrumente der sozialen [] Demokratie zu schaffen, die eigentlich für die Welt vorbildlich sein sollten. Wir hatten im Reichskohlenrat eine Mitwirkung der Arbeiter, eine Mitwirkung der Verbraucher bei der Gestaltung des Marktes und bei der Gestaltung der Preise, die für die Zeit, in der sie geschaffen wurde, 1919, eine ungeheure Leistung gewesen ist und die sich auch heute in der Zeit der weltweiten Diskussion über das Mitbestimmungsrecht noch außerordentlich gut sehen lassen kann. Dieser zentrale Kohlenverkauf ist ein lebenswichtiger Bestandteil der Rentabilität der deutschen Kohlenwirtschaft. Und zentraler Kohlenverkauf, meine Damen und Herren, ist in jedem europäischen Lande eine praktische Selbstverständlichkeit seit Jahrzehnten. Verehrter Herr Staatssekretär, nehmen Sie es mir nicht übel, wenn ich sage: Was in dem Schuman-Plan über Marktwirtschaft steht, ist reines Geschwätz. Es gibt in Kohle und Stahl in keinem zivilisierten europäischen Lande eine Marktwirtschaft. Es gibt in Kohle und Stahl seit dreißig bis vierzig Jahren nur politisch regulierte Preise. Es gibt in manchen Ländern politisch schlecht regulierte Preise auf Grund privater Monopole. Es gibt in anderen Ländern politisch gut regulierte Preise auf Grund eines vernünftig konstituierten öffentlich-rechtlichen Organismus, und Deutschland gehört in allen Perioden seiner neueren Geschichte zu den Ländern mit einer vernünftig regulierten politischen Kohlenmarkt- und -preispolitik. Das zu zerschlagen, ist kein Fortschritt, sondern es wirft [] uns hinter 1919 zurück. Und es wirft einseitig uns zurück, während Frankreich selbstverständlich den monopolisierten Kohlenmarkt für sich selber in Anspruch nimmt auf Grund der Tatsache, daß der Kohlenbergbau in Frankreich nationalisiert ist. [] Das sind drei Vorleistungen, die uns hier abverlangt werden. Es gibt noch einige andere. Die Ausgleichskasse hatten Sie erwähnt, Herr Staatssekretär. Ich möchte die Zahlungen, die wir hier für den unrentablen Teil der europäischen Kohlenwirtschaft leisten sollen, auch nicht überschätzen. Sechsundsechzig Millionen DM im ersten Jahr als Plafond ist keine ungeheure große Summe. Aber ganz sollten wir die Tatsache doch nicht vergessen, daß es in Europa reiche, weniger reiche und ausgesprochen arme Länder gibt. Wenn ein Land in anderen Dingen so arm ist wie Deutschland und nur in dem einen Punkt, dem geologischen Charakter seiner Kohlenvorkommnisse, reicher ist, und wenn daneben ein anderes Land so reich ist wie Belgien, und Belgien ist eines der reichsten europäischen Länder, wie es sich insbesondere in seinem Status in der Europäischen Zahlungsunion ausdrückt, so sehe ich nicht viel Sinn darin, daß die Kosten der Stillegung unrentabler belgischer Kohlengruben von dem ärmsten Partner, nämlich von Deutschland, bezahlt werden sollen. [] Wir bezahlen ja auf dem Wege über den Schuman-Plan auch sonst etwas. Das, was der Schuman-Plan einheitlichen Markt nennt, hat mit dem, was der "Economist" einen Markt nennt, überhaupt nichts zu tun. Es ist ein politischer Markt. Dieser politische Markt soll nun durch den Schuman-Plan in der Weise vereinheitlicht werden, daß die Deutschen auf eine Ewigkeit gezwungen werden, den Franzosen die Kohle zu dem Preise zu liefern, zu dem wir sie der deutschen Industrie liefern. Wir müssen der deutschen Industrie die Kohle zu einem billigen Preis liefern, weil wir sonst in eine Schraube ohne Ende mit unserem Kosten-, Preis- und Lohnniveau hineinkämen. Wir hätten eigentlich die Pflicht, alles zu tun, einen der wenigen Rohstoffe, über die wir verfügen, jedem anderen fremden Lande, einschließlich den Franzosen zu dem besten Preis zu verkaufen, den wir bekommen können. Seit der Koreakrise sind die sämtlichen "Terms of Trade" zu unseren Ungunsten verschoben. Wir müssen alle Rohstoffe wesentlich teurer bezahlen als vorher, und wir bekommen für unsere Industrieprodukte nicht eine entsprechende Preiserhöhung. Es gibt einen einzigen Rohstoff, den wir exportieren, das ist die Kohle, und dieser Rohstoff ist heute ein Knappheitsprodukt. Wenn uns nun der Schuman-Plan in Fortsetzung der Regelung, die bisher die Ruhrbehörde, die Besatzungspolitik und ursprünglich der Moskauer Kohlenverteilungsschlüssel uns aufgezwungen haben, zwingt, unsere Kohlenexporte für ungefähr hundert Millionen Dollar [] jährlich billiger zu verkaufen, als heute ihr wirtschaftlicher Wert sein würde, so sind diese fehlenden hundert Millionen Dollar ein Teil des Grundes, weshalb wir bei der Europäischen Zahlungsunion so hoch verschuldet sind. [] Die größten Bedenken gegen den Schuman-Plan habe ich auf dem Gebiet der Investitionen. Wenn Sie die europäische Eisen- und Stahlwirtschaft als Ganzes sehen, und da folge ich vollkommen dem Kollegen Predöhl, dann haben wir heute eine ungeheure Fehlplanung in der europäischen Stahlwirtschaft. Diese Fehlplanung besteht darin, daß in den von Natur aus standortmäßig weniger günstigen Teilen der europäischen Eisen- und Stahlwirtschaft in den Jahren seit 1945 aus politischen Gründen besonders stark rationalisiert und überinvestiert worden ist. Ich erinnere nur an die Tatsache, daß man zweihundert Millionen Dollar amerikanischer Hilfsgelder in Italien für die Schaffung von Stahlwerken investierte, und dies an einer Stelle, wo es weder Kohle noch Eisenerze gibt. Dem gegenüber ist in dem standortmäßig günstigsten Teil der europäischen Stahlwirtschaft, dem Ruhrgebiet, fünf Jahre lang nicht investiert, sondern erst heiß und dann kalt demontiert worden. Diese kalten Demontagen erfolgten teils in Gestalt von Dekartellisierungen, teils in Gestalt eines künstlich aufrechterhaltenen rechtlosen Zustandes unserer Stahlunternehmungen, die jede vernünftige Investitionspolitik in dieser Periode verhindert haben. Wenn die europäische Stahlwirtschaft von dieser Fehlspekulation gesunden soll, so muß fünf Jahre lang, vor allem in Deutschland, investiert werden. Die Investitionen sind im Schuman-Plan, wenn ich es richtig sehe, in zwei Kategorien geteilt, in diejenigen Investitionen, die die Werke aus [] Eigenfinanzierung aufbringen können - die dürfen sie auch weiter selber entscheiden - und diejenigen Investitionen, die mit Krediten aufgebracht werden, und das sind die wesentlichen Investitionen. Über diese Investitionen entscheidet die Hohe Behörde. Ich könnte einem Schuman-Plan nur Vertrauen schenken, wenn ich zu seiner Hohen Behörde das Vertrauen haben könnte, daß sie die Investitionen, die in den nächsten Jahren in der europäischen Kohlen- und Stahlwirtschaft gemacht werden müssen, an die Standorte lenkt, wo sie im gemeinsamen europäischen Interesse den höchsten Nutzeffekt haben. Wenn Sie mich als Wirtschaftswissenschaftler fragen, wo diese Standorte liegen, so muß ich Ihnen wahrheitsgemäß antworten: in Deutschland, praktisch sogar ausschließlich in Deutschland. In den anderen westeuropäischen Ländern, in der französischen, der belgischen, der italienischen, der österreichischen und norwegischen Stahlindustrie ist in den letzten fünf Jahren so ausschließlich und einseitig, zum Teil sogar übertrieben investiert worden, daß der Ausgleich nur dadurch geschaffen werden könnte, daß jetzt einmal, zunächst, und sogar eine Zeitlang ausschließlich in Deutschland investiert wird, wo bisher devestiert und devastiert wurde. Das wäre nicht prodeutsche, sondern proeuropäische Investitionspolitik, denn nur dadurch könnte das erreicht werden, was das oberste Ziel einer echt europäischen Stahl- und Kohlenunion sein muß: möglichst reichlich billige Kohle und möglichst reichlich [] billiger Stahl für alle Europäer. [] Daß die Hohe Behörde in der heute beabsichtigten Zusammensetzung diese europäische Investitionspolitik verwirklichen wird, dieses Vertrauen kann ich nicht zu ihr fassen. [] Damit, meine Damen und Herren, komme ich zum letzten Punkt. Dieser Schuman-Plan ist nicht das Gebilde, das auf Grund von freier Vereinbarung logischerweise hätte entstehen müssen. Wenn Völker aufgefordert werden - freiwillig, und nicht mit der Drohung, ihnen kein Getreide zu liefern -, ihre Kohlen- und Stahlwirtschaft zusammenzuwerfen, dann treten sie zusammen und haben über das, was dann entsteht, zu sagen nach Maßgabe dessen, was sie einbringen. Das ist überall in der Wirtschaft so. Es gibt keinen nationalen oder internationalen Zusammenschluß, bei dem das Prinzip der Gleichberechtigung auf einer anderen Basis gewahrt werden kann als nach der Formel: "Du bekommst so viel Rechte wie du Werte einbringst!" Deutschland bringt in den Kohlenpool des Schuman-Plan-Raumes mehr als die Hälfte der heutigen Kohlenproduktion ein. Wenn der Schuman-Plan seine Pflicht auf diesem Gebiet erfüllt, so wird eine europäische Kohlenwirtschaft entstehen, in der die Kohlenproduktion dort ausgedehnt wird, wo sie standortmäßig am günstigsten ist - das ist in Deutschland -, und dort eingeschränkt, wo sie standortmäßig weniger günstig ist. Wenn der Schuman-Plan auf dem Gebiet der Kohle in diesem Sinne seine Pflicht tut, so wird ein europäischer Wirtschaftsraum entstehen, in dem 60 Prozent der Kohle, die verbraucht wird, in Deutschland produziert werden. [] Deutschland bringt auf dem Stahlgebiet in den Schuman-Plan eine Stahlproduktion ein, die heute 30 oder 31 Prozent der Stahlproduktion dieses Gebietes beträgt. Aber das ist eine verkrüppelte Produktion. Das Gebiet der Deutschen Bundesrepublik hatte im Jahre 1938 - das ist allerdings ein extremes Jahr - zusammen mit dem nach meiner Überzeugung fest und für alle Zukunft zu Deutschland gehörenden Saargebiet einen Anteil von 62 Prozent der Stahlproduktion des Gebietes, auf das jetzt der Schuman-Plan angewendet werden soll (ohne Oberschlesien - nur das Gebiet der heutigen Bundesrepublik plus Saargebiet). Es war nicht immer so kraß, daß es 62 Prozent waren. Bevor die Rüstung in Deutschland anlief, waren es 46 Prozent im Jahre 1928 - bei reiner Friedenswirtschaft -, 48 Prozent im Jahre 1929 und 51 Prozent im Jahre 1937. [] Das ist die Vergangenheit. Die Zukunft muß uns in ähnliche Proportionen bringen, wie diese Vorkriegsproportionen waren, wenn Deutschland lebensfähig werden soll. Deutschland steht heute noch unter dem Diktat, daß seine Stahlproduktion nicht über 11,1 Mill. t hinausgehen darf, mit dem Zusatz, daß das, was rüstungswirtschaftlich anerkannt wird, zusätzlich produziert werden darf. Ich hoffe, wir werden jetzt den Brief bekommen, durch den diese Schranke beseitigt wird. Deutschland braucht aber nach den Feststellungen der wirtschaftswissenschaftlichen Institute, die sich hier in Kiel zu der Studie "Lebensfähigkeit und Vollbeschäftigung" vereinigt hatten, für den Zustand seiner Lebensfähigkeit eine Stahlmenge in der Größenordnung von 15 bis 17 Millionen Tonnen. Nach dem, was wir jetzt im letzten Jahr an Engpässen erlebt haben, bin ich überzeugt, daß unsere Schätzung dabei noch sehr bescheiden gewesen ist. Ein Deutschland, das in der heutigen Zeit der Koreakrise gegenüber der westlichen Welt seine volle Pflicht erfüllen möchte, nämlich zu produzieren, was es produzieren kann, ein solches Deutschland würde höchstwahrscheinlich mit 17 Millionen t Stahl noch knapp auskommen. [] Wenn die Stahlproduktion systematisch dorthin verlagert wird, wo sie standortmäßig am günstigsten liegt, das heißt, wenn der Schuman-Plan in diesem Sinne seine Pflicht tut, dann wird Deutschland plus Saargebiet in absehbarer Zeit 50 Prozent, 55 Prozent, vielleicht mehr als 55 Prozent der Stahlproduktion des Schuman-Plan-Gebietes haben. In den Organen des Schuman-Planes aber werden wir in der entscheidenden Hohen Behörde von neun Stimmen nur zwei Stimmen haben. Ich kann nicht sehen, wie diese beiden deutschen Vertreter imstande sein sollen, von innen heraus all die hinter Phrasen versteckten Herrschaftsabsichten zu Fall zu bringen, die zu Fall gebracht werden müssen, wenn wir der Zukunft Deutschlands unter dem Schuman-Plan ohne Sorge entgegensehen sollen. [] Herr Staatssekretär: die Männer, die den Schuman-Plan ratifiziert und unterschrieben haben, haben gegenüber dem deutschen Volk eine ungeheuer schwere geschichtliche Verantwortung übernommen. Ich wünsche ihnen von Herzen, und ich meine das ehrlich, daß der Bundestag mit der Ablehnung der für Deutschland unerträglichen Klauseln des Schuman-Planes, die ich hier aufgezählt habe, sie aus dieser schweren Verantwortung befreit. [] Sollten sie dieses Glück nicht haben, so wünsche ich ihnen und allen denen, die nach ihnen die ungeheuer schwere Aufgabe haben werden, in einer Minderheit von zwei zu sieben die Lebensinteressen des deutschen Volkes zu verteidigen, die Zähigkeit von Stahl und die Härte von Eisen, die dazu gehört.
Published:05.05.1951