Summary: | Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals; vgl. Signatur 6/FLBL003358 Abdruck des 1. Schreibens von Pieck an Heuß
An den Präsidenten der Bundesrepublik [] Herrn Prof. Dr. Heuß [] Bonn [] [] Sehr geehrter Herr Präsident! [] Mit Bedauern habe ich aus Ihrem Schreiben vom 7. November 1951 entnommen, daß Sie meinem Vorschlage auf eine Zusammenkunft mit mir nicht zustimmen. Bei meinem Vorschlag habe ich mich von der Sorge um die friedliche Zukunft unseres Volkes leiten lassen. Die Verantwortung gegenüber dem deutschen Volke gebietet mir, nichts unversucht zu lassen, die Verständigung zwischen Ost und West unseres Vaterlandes durch eine gesamtdeutsche Beratung zu fördern. [] Sie sind mit meiner ablehnenden Beurteilung der Politik der Adenauer-Regierung nicht einverstanden, obwohl diese Politik die Spaltung Deutschlands weiter vertieft und durch die beabsichtigte Eingliederung der Bundesrepublik in den aggressiven Atlantikpakt und durch die Wiederaufrüstung die Gefahr heraufbeschwört, daß Deutschland zum Schauplatz eines verheerenden Krieges gemacht und das ganze deutsche Volk sein Opfer sein wird. Sie erklären, daß mit dieser meiner Beurteilung das von mir "angeregte Gespräch von Anbeginn fragwürdig" gemacht würde. In der Beurteilung der Politik der Adenauer-Regierung gibt es jedoch Meinungsverschiedenheiten nicht nur zwischen Ost- und Westdeutschland, sondern sogar innerhalb des Bundestages und selbst innerhalb der Adenauer-Regierung. Zudem ergibt eine einfache, nüchterne Ueberlegung: Gäbe es keine Meinungsverschiedenheiten, so gäbe es auch keine Notwendigkeit, den Weg der Verständigung zu suchen. Wenn das ehrliche Streben nach einem einheitlichen, demokratischen, friedliebenden Deutschland und die aufrichtige Bereitschaft vorhanden sind, die Interessen der Einheit unseres Vaterlandes und die Wiedergewinnung seiner vollen Souveränität höher zu stellen als enge Partei- oder Gruppeninteressen oder als die Wünsche gewisser ausländischer Kräfte, so gibt es kein Hindernis für eine Verständigung. [] Ich bin fest davon überzeugt, daß auf einer gesamtdeutschen Beratung eine Verständigung über die zwei entscheidenden Fragen erzielt werden kann: [] a) über die Durchführung freier Wahlen zur Nationalversammlung mit dem Ziel der Bildung eines einheitlichen, demokratischen, friedliebenden Deutschland und über das dafür erforderliche Wahlgesetz, [] b) über die Forderung nach einer Beschleunigung des Abschlusses eines Friedensvertrages mit Deutschland. [] Diesen beiden Grundfragen der Existenz und der friedlichen Zukunft unseres Volkes müssen alle Sonderinteressen untergeordnet werden. Darum gebietet den Präsidenten beider Teile Deutschlands ihre hohe Verantwortung, eine Verständigung über diese Lebensfragen der Nation auf das wirksamste zu fördern. [] Sie wollen in dem Beschluß der Adenauer-Regierung und der Mehrheit des Bundestages, sich wegen einer Ueberprüfung der Voraussetzungen für freie Wahlen an die UN zu wenden, einen "positiven und konstruktiven Vorschlag" sehen. Indem sich die Adenauer-Regierung mit einem solchen Ersuchen an die UN wendet, stellt sie das deutsche Volk auf die Stufe eines Kolonialvolkes, wogegen es sich entschieden verwahren wird. Es ist das selbstverständliche Recht der Deutschen, sich selbst über die Durchführung freier Wahlen zu verständigen und die Voraussetzungen dafür in allen Teilen Deutschlands zu prüfen. Außerdem ist es eine Tatsache, daß alle rechtsgültigen internationalen Abkommen, die seit Beendigung des Hitlerkrieges geschlossen wurden, eine Einmischung der UN in die inneren deutschen Verhältnisses ausschließen. [] Meinen Vorschlag, daß eine Ueberprüfung der Voraussetzungen für die Durchführung freier Wahlen in ganz Deutschland am besten von den Deutschen selbst durchgeführt werden kann, und zwar durch eine aus Vertretern Ost- und Westdeutschlands zusammengesetzte Kommission unter der Viermächtekontrolle, bezeichnen Sie als einen Rückschritt. Ich bin jedoch der Meinung, daß eine Verständigung der vier Großmächte über eine friedliche Lösung des deutschen Problems ein bedeutender Fortschritt wäre. [] Herr Präsident! Ich habe Ihnen zur Sache geantwortet, ohne auf die Verunglimpfungen und Verdächtigungen gegen die Deutsche Demokratische Republik und mich einzugehen. Ich verzichte auf eine Auseinandersetzung mit solchen Vorwänden, deren Ursprung und Zweck offenkundig ist. Um unseres Volkes und des Friedens willen ist mir die Verständigung das wichtigste. [] Berlin-Niederschönhausen, den 20. November 1951. [] Mit vorzüglicher Hochachtung! [] W. Pieck
|