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SPD Schnelldienst [] Landtagswahl 1970 [] Die sichere Hand für unser Land [] Nr. 7, 22. Mai 1970 [] Liebe Mitglieder und Freunde der Sozialdemokratischen Partei! [] Liebe Genossen! Wann je wäre diese Anrede eher am Platze als in diesen Stunden. Denn mehr als jede Anrede unter freundschaftlich Verbundenen verbindet uns das "Genosse", das ja aus unserem deutschen Sprachgut weit aus dem Mittelalter her auf uns überkommen ist: die "genoten", die in gemeinsamer Not, gemeinsamem Kampf, gemeinschaftlichem Ziel miteinander Verbundenen. [] Die Stunde des gemeinsamen Kampfes verbindet uns 220000 Sozialdemokraten am Beginn der Endphase des Wahlkampfes zum 14. Juni. Es ist keine Stunde gemeinsamer Not, eher umgekehrt, denn die Wahlvoraussagen sind für uns so günstig, daß viele nicht an Not, sondern an sicheren Sieg denken - und angenehm träumend die Hände in den Schoß legen. Jede Siegessicherheit ist Gefahr, den Sieg zu verlieren! [] Ich muß in dieser Stunde keinem Sozialdemokraten mehr sagen, worum es am 14. Juni geht: es geht nicht nur um eine neue Regierung Heinz Kühn in Düsseldorf, es geht - und dies ist bedeutungsvoller - um den Fortbestand der Regierung Willy Brandt in Bonn. [] Unser Land ist ein Schicksalsland besonderer Bedeutung: die hier fallenden Entscheidungen wirken weit über unser Land auf die ganze Bundesrepublik. Hier haben wir die NPD daran gehindert, in den Bundestag zu kommen. Hier haben wir bewirkt, daß Gustav Heinemann der erste sozialdemokratische Bundespräsident wurde. Hier haben wir durch unseren sozialdemokratischen Sieg bei der Bundestagswahl Willy Brandt zum Bundeskanzler gemacht. [] Hier wird auch das Schicksal der Bundesrepublik von morgen entschieden. Das bedeutet für uns Selbstbewußtsein und Verpflichtung zugleich. Am 14. Juni wählen 3 Bundesländer, aber am Abend wird die ganze Bundesrepublik und das ganze Ausland den Ergebnissen Nordrhein-Westfalens entgegenfiebern. [] Ich bitte jeden Sozialdemokraten, jeden Mann und jede Frau, in den vor uns liegenden wichtigen Wochen um jeden noch Schwankenden in seinem Freundes- und Bekanntenkreis zu werben und zu ringen: am Arbeitsplatz in Fabrik und Büro, am Ladentisch und auf dem Sportplatz, an der Wirtshaustheke und im Schrebergarten. Nach den Leistungen, die wir in diesem Lande aufweisen können, ist nicht die CDU unser Gegner, sondern die Wahlmüdigkeit und Selbstsicherheit unserer eigenen Anhänger. Es gibt für unseren Wahlsieg eine einfache Sicherheit: wenn jeder, der uns 1966 gewählt hat, 1970 wieder für uns an die Wahlurne geht, haben wir die absolute Mehrheit. Denn unter den jungen Wählern werden uns mehr ihr Vertrauen bekunden als den anderen Parteien. [] Darum aber gilt es zu ringen. Kein Erfolg kommt von allein, er muß hart errungen werden. Um diese nimmermüde Bereitschaft bitte ich Euch alle. [] Am Abend des 14. Juni werden wir stolz und zufrieden sagen können: [] Wir haben es geschafft! [] Euer Heinz Kühn [] Landesvorsitzender der SPD und Ministerpräsident [] Zur Mitbestimmung der Eltern [] In einem Rechenschaftsbericht über ihre Tätigkeit als Opposition in den vergangenen dreieinhalb Jahren, der auch als Argumentationshilfe für die Kandidaten im Wahlkampf dienen soll, rühmt sich die CDU-Fraktion im nordrhein-westfälischen Landtag unter anderem, sie habe "als einzige Partei in einer Zeit, in der der Ruf nach Mitbestimmung und Mitverantwortung immer lauter wird, auch daran gedacht, einen Gesetzentwurf zur Erweiterung der Elternmitbestimmung vorzulegen, um die verfassungsrechtliehe Sicherung des Mitbestimmungsrechtes der Erziehungsberechtigten neu zu regeln". [] Da damit zu rechnen ist, daß dieses Thema bei Wahlveranstaltungen angeschnitten wird, zitieren wir aus der letzten Plenarsitzung des Landtags am 22. April, was der Vorsitzende der SPD-Fraktion, Johannes Rau, zum Gesetzentwurf der CDU-Fraktion kritisch anzumerken hatte: [] "Sie dürfen ganz sicher sein, daß wir als Sozialdemokraten alles das stützen, was auf eine breite Mitbestimmung und Mitverantwortung aller Beteiligten im Öffentlichen Dienst, in der Wirtschaft und in Mischsystemen angelegt ist. Also, der Weg links ist frei, Herr Kollege Lenz. Nur, wir erwarten, daß Sie dann auch mit dem Wagen ankommen." [] Zwischenruf Dr. Lenz (CDU) : "Wie bei der Elternmitbestimmung! Da müssen wir zuerst mal darüber reden!" [] - "Über Elternmitbestimmung können wir gern reden, sobald wir auch über Nebenparlamente reden; das ist doch das Thema bei der Elternmitbestimmung. [] Es geht bei der Elternmitbestimmung und Ihrem Antrag in gar keiner Weise darum, daß die Kooperation von Eltern, Lehrern und Schülern in der Schule gefördert wird, sondern es geht um ein Mitbestimmungsmodell, das jedenfalls nach unserer Meinung den Verdacht aufkommen läßt, daß neben die kommunale und die landespolitische Verantwortung für die Schule durch aus Urwahlen hervorgegangene Vertreter in Räten und Parlamenten ein Nebenstrang gesetzt wird, der mit Schulpflegschaft und Kreisschulpflegschaft und Landeselternpflegschaft usw. eine Art institutionalisierter Lobby ist, und da haben wir Bedenken ... [] Ein bemerkenswertes Doppelmandat [] Wenn wir schon ein bißchen verbreitert diskutieren, dann will ich Ihnen zu diesem Thema noch eines sagen. Es gibt ja immer das Problem der Doppelmandate, auch in meiner Fraktion, und auch bei mir, wie Sie wissen. Ein ganz interessantes Doppelmandat besteht zwischen dem Vorsitzenden der katholischen Elternschaft in Nordrhein-Westfalen, dem Chefredakteur der Katholischen Nachrichtenagentur und dem Landrat des Kreises Bergisch-Gladbach. [] Der Mann ist identisch. [] Als ich bei einem Gespräch mit Journalisten über eine Entkonfessionalisierung auch der Grundschule sprach, da hat die Katholische Nachrichtenagentur in Vereinbarung mit der katholischen Elternschaft daraus eine Fülle von Polemiken gemacht. Wenige Wochen später hat sich dann der vierte Kandidat, Herr Köppler, ebenfalls in Richtung auf die Entkonfessionalisierung der Grundschule geäußert. Das ist merkwürdigerweise der katholischen Elternschaft entgangen; dazu hat sie nicht Stellung genommen, obwohl ich ihr das dann zugeschickt und geschrieben habe: Dieses hat Herr Köppler gesagt. Verbreitet es unter euren Lesern, macht es der Kirchenpresse bekannt! Das hat sie nicht getan. [] Hier ist ganz deutlich, meine Damen und Herren, daß es ein Unterschied ist, ob ich die Räte und die Parlamente so zusammensetze, daß in ihnen alle Bevölkerungsgruppen angemessen beteiligt sind, oder ob ich den Räten und den Parlamenten mitbestimmende Organe flankiere, die keiner parlamentarischen Kontrolle unterliegen, die aber auf dem Weg über ihre Publikationsmöglichkeiten zu einer Beeinflussung der öffentlichen Meinung gelangen können, die dann so aussieht, als komme sie von offizieller oder offiziöser Stelle ... [] Mir geht es nur darum: Mitbestimmung ja! Mitbestimmung in allen Bereichen der Gesellschaft, aber eine Mitbestimmung, die nicht an den gewählten Organen des Staates und der Gemeinden vorbeigeht, sondern zur Kooperation mit ihnen gezwungen ist. Das ist das Thema." [] Im folgenden setzen wir die Kurzfassung von Reden, gehalten beim Parteitag, fort: [] Schallmauer durchbrochen [] Professor Dr. Ulrich LOHMAR führte u. a. aus: "Der Graben, der zwischen den demokratischen politischen Parteien unseres Landes und einem wesentlichen Teil der jungen Generation sich aufgetan hat, zu uns hin sehr viel weniger tief als zur CDU, ist die Quittung dafür, daß sich unser Staat beinah zwanzig Jahre eine konservative Führung geleistet hat, die mehr oder minder der Meinung aller Konservativen war, das Gras wachse schon da, wo man es brauche. Daß dies nicht so ist, dafür haben die Schüler und Studenten in den vergangenen Jahren demonstriert, auch wenn sie in der Wahl ihrer Methoden gelegentlich über das in einem Rechtsstaat Angemessene hinausgegangen sind. Man muß eines klar sagen: Ohne die Rebellion der Studenten wären wir in der Bildungs- und Wissenschaftspolitik nicht einmal so weit wie wir heute sind. Und man darf ein Zweites nicht vergessen: länger als ein Jahrzehnt haben die Studentenverbände eine gut durchdachte Denkschrift zur Hochschulreform nach der anderen vorgelegt. Sie haben es damit nicht geschafft, die Schallmauer der politischen Routine zu durchbrechen, bis, ja bis sie auf die Straße gegangen sind. [] Man kann 1970 nicht über Bildung und Wissenschaft reden, erst recht nicht auf einem sozialdemokratischen Parteitag, ohne den Schülern, Studenten und Assistenten, aber auch vielen Professoren, alles in allem, den Dank dafür sagen zu müssen, daß sie uns wachgerüttelt und gezwungen haben, uns der gesellschaftspolitischen Bedeutung einer Reform in Bildung und Wissenschaft klar bewußt zu werden. Ich will hier und jetzt nicht von den beiden aktuellen und bedrückenden Engpässen reden, dem Lehrermangel und dem Numerus clausus. Die Bundestagsfraktion der SPD hat die Regierung aufgefordert, zur Behebung beider Notstände je eine Projektgruppe aus Vertretern des Bundes, der Länder, der Wissenschaft und der Wirtscaft [!] zu bilden, damit wir endlich hier - ohne Kompetenzstreit - rasch vom Fleck kommen. [] Diese Projektgruppen benötigten eine klare Kompetenz für Planung und Entscheidung, sie sollen den Durchbruch von einem kooperativen zu einem koordinierten Föderalismus bewirken ... [] Der jungen Generation konkrete Partnerschaft anbieten [] Reform muß auch bedeuten, der jungen Generation eine konkrete Partnerschaft in der Politik anzubieten, die Nebelwand, die sich gelegentlich zwischen unsere Ideale und die Praxis des Alltags schiebt, wegzuwischen und sich einzulassen auf das, was die jungen Leute inhaltlich wollen, ihnen den Weg freizumachen für eine Ausfüllung des freiheitlichen politischen Rahmens, den wir uns in den beiden letzten Jahrzehnten in der Bundesrepublik geschaffen haben. Jahrelang haben wir uns darüber beklagt, daß die jungen Leute sich für Politik nicht genügend interessierten, daß sie lediglich ihrer Karriere oder ihren Hobbys nachhingen. Dies ist jetzt anders geworden, und wir sollten das auch dann begrüßen, wenn die jungen Leute in manchen Fragen der Politik etwas anderes wollen als wir es bisher für richtig oder möglich hielten. Das wird der Sozialdemokratischen Partei um so leichter fallen, wenn die Studenten, Oberschüler und Assistenten nicht nur ihre eigenen Probleme sehen. Man kann nicht über die Reform der Wissenschaft ernsthaft reden, wenn man z. B. die Professoren pauschal zu Reaktionären stempelt und sie Gesinnungstests ausliefert, und man kann nicht Bildungsreform als Gesellschaftspolitik betreiben wollen, ohne die große Mehrheit der Berufsschüler und Lehrlinge zu sehen und für sie ein Gleiches zu tun wie für diejenigen, die das Recht in Anspruch nehmen wollen und auch sollen, länger und mehr zu lernen als die meisten anderen." [] Herausgegeben vom SPD-Landesvorstand Nordrhein-Westfalen, 4 Düsseldorf, Elisabethstraße 3
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