Kameraden der Volksarmee!

Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals; Kameraden der Volksarmee! [] Es ist noch nicht lange her, da habt Ihr Euren Tag der Volksarmee begangen. Mit öffentlichen Veranstaltungen versuchte Eure Führung, ein gutes Verhältnis zur Zivilbevölkerung in die Wege zu leiten. Allein daß solc...

Full description

Bibliographic Details
Main Author: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD), Ostbüro Bonn
Institution:Archiv der sozialen Demokratie (AdsD)
Format: IMAGE
Language:German
Published: 1956 - 1957
Subjects:
Online Access:http://hdl.handle.net/11088/60245F2D-13FA-407D-AF73-0814FB411B2B
Description
Summary:Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals; Kameraden der Volksarmee! [] Es ist noch nicht lange her, da habt Ihr Euren Tag der Volksarmee begangen. Mit öffentlichen Veranstaltungen versuchte Eure Führung, ein gutes Verhältnis zur Zivilbevölkerung in die Wege zu leiten. Allein daß solche Versuche notwendig sind, spricht Bände. Das Volk, dessen Namen Eure Armee trügt, will nichts von dieser bewaffneten Streitmacht wissen. [] Ihr, Kameraden wißt es selbst, daß es gar nicht so einfach ist, als Uniformträger der DDR Kontakt zu den "Zivilisten" zu bekommen. Eure Zeitung, "DIE VOLKSARMEE". hat wiederholt darüber berichtet. daß es zu Schlägereien kommt, wenn Uniformierte auf dem Tanzboden erscheinen, wenn sie abends durch die Gasthäuser gehen oder sonstwo auftauchen, wo andere Menschen "in Stimmung" sind. Natürlich richtet sich das in kaum einem Fall gegen den Gefreiten Müller, den Unteroffizier Lehmann oder den Oberleutnant Schulze. Aber wenn es dann soweit ist, sehen viele nur noch die Uniform, die sie mit dem SED-Staat in Verbindung bringen. Was dann bleibt, ist nur der Haß. [] Natürlich ist eine solche Reaktion falsch, und niemand kann sich zum Fürsprecher dafür machen. Im Gegenteil - gerade wir Sozialdemokraten wissen, daß es in den Reihen der Volksarmee viele anständige und saubere junge Menschen gibt, Kameraden, denen Sympathie und Achtung gehört. Mit ihnen will die Sozialdemokratie sprechen, will mit ihnen ihre Probleme erörtern und gemeinsam nach einem Weg suchen. Denn die SPD weiß, daß diese Kameraden wie jeder anständige Deutsche nur ein Ziel kennen: die Wiederherstellung der Einheit Deutschlands in Frieden und Freiheit, die jedem Deutschen, auch dem heutigen Soldaten der NVA, Wohlstand, Sicherheit und Glück bringen wird. [] Eben weil die Sozialdemokratie weiß, daß sehr viele Kameraden der Volksarmee in diesem Wollen mit ihr einig gehen, lehnt sie solche Übergriffe ab, wie sie ab und an vorkommen. Indes muß auch gesagt werden, daß in vielen Fällen solche Übergriffe auf Angehörige der NVA von der SED und vom SSD provoziert waren, um die Soldaten in - wie es in diesen Kreisen heißt - die "richtige klassenkämpferische Stimmung" zu versetzen. Auch hier ist der SED also kein Mittel zu schmutzig, um die Soldaten zu verhetzen und zu verwirren. Aber über die Rolle der sowjetdeutschen Staatspartei und ihre Ziele werden wir uns später unterhalten. [] Warum Volksarmee. [] Die SED hat viele Kameraden zum Dienst in der Armee mit mehr oder minder starken Druckmitteln und Propagandalügen gezwungen. Dazu muß einiges gesagt werden: [] die Aufrüstung Deutscher gegen Deutsche wurde von der SED mit der Aufstellung der damaligen KVP begonnen - damals gab es in Westdeutschland keinerlei militärische Streitkräfte; [] die Spaltung unseres Landes kann nur überwunden werden. wenn die Teile Deutschlands aufhören, sich in bewaffneten Blöcken gegenüberzustehen. [] Aus diesen Tatsachen ergibt sich, daß die Bewaffnung zweier deutscher Staaten gegeneinander eine der Hauptursachen dafür ist, daß die jetzige Situation so verfahren ist. Die Existenz der NVA ist somit einer der Faktoren, der die Vereinigung Deutschlands erschwert und verzögert. Eben diesen Zweck verfolgt aber die SED mit ihrer Militärpolitik. [] Ein zweiter Punkt, den Ulbricht als Aktionsprogramm der NVA aufgestellt hat, ist die Unterdrückung der Bevölkerung Mitteldeutschlands [!] [] Jeder Soldat, der aus der Arbeiterklasse oder der Bauernschaft hervorgegangen ist, weiß sehr genau, daß die Arbeiter und Bauern Mitteldeutschlands das Regime der unfähigen, korrupten und brutalen SED-Funktionäre ablehnen. Die soziale Lage der Arbeiter und Bauern war noch nie so schlimm wie sie heute nach zwölfjähriger SED-Herrschaft ist. [] Eben diese Tatsachen haben eine permanente Unruhe in der Bevölkerung geschaffen. Unzufriedenheit und Not gehen um. Die SED war und ist unfähig, die sozialen, wirtschaftlichen und politischen Probleme Mitteldeutschlands zu lösen und kann ihre Macht nur auf den Terror stützen. Als am 17. Juni 1953 der Geduldsfaden der Arbeiter und Bauern riß, mußten sich die Funktionäre der Staatspartei hinter sowjetischen Panzern verkriechen. Anstatt - wie sie es in ihren verlogenen Propagandaphrasen immer sagen - für ihre "Errungenschaften" zu kämpfen, hielten sie sich in sowjetischen Militärlagern versteckt, bis Sowjetsoldaten den Aufstand deutscher Arbeiter und Bauern niederschlugen. [] Unter den heutigen Bedingungen seid Ihr, Kameraden der Volksarmee, dazu ausersehen, Eure eigenen Brüder und Schwestern niederzuwalzen; [] unter den heutigen Bedingungen sollt Ihr - falls es notwendig werden sollte - auf streikende Arbeiter oder demonstrierende Bauern schießen; [] unter den heutigen Bedingungen seid Ihr das Hauptinstrument Ulbrichts, die Bevölkerung der DDR niederzuhalten. [] Das sind die wahren Gründe, warum die SED eine Volksarmee braucht, eine Armee gegen das Volk, nicht etwa dafür! [] Das SED-Regime mißbraucht die Soldaten [] Jene Kameraden, die nur dem Zwang gehorchend in die Armee eintraten, wissen das. Sie sehen klar, warum ULBRICHT in der DDR keine freien Wahlen zuläßt, warum es keine frei gewählten Betriebsräte gibt. [] warum die Arbeiterkomitees keine Rechte bekommen sollen [] kennen die Furcht der SED vor dem Volke. Andere Kameraden, die einem irregeleiteten Idealismus den bunten Rock anzogen, stoßen durch die Praxis auf diese Erkenntnisse. Heute steht vor jedem Soldaten Unteroffizier und Offizier der Volksarmee die Frage, ob er morgen auf Deutsche schießen wird - [] auf Deutsche im Westen unseres Landes; [] auf Mitteldeutsche, auf Arbeiter und Bauern in der DDR. [] Das Ideal jedes guten Soldaten ist es, sein Volk zu beschützen, nicht auf es zu schießen. Ulbricht aber schuf seine Armee nur, um gegen Deutsche in seinem eigenen Machtbereich und evtl. im Westen vorgehen zu können. Werdet Ihr, Kameraden, diesem Befehl zum Brudermord Folge leisten? Werdet Ihr - weil es dem Diktator Ulbricht gefällt - auf Brüder und Väter das Feuer eröffnen? [] Ihr habt ein großes Beispiel vor Augen, wie eine Armee, die von den Kommunisten zum gleichen Zweck wie die NVA geschaffen wurde, zur wirklichen Volksarmee wurde. In den Tagen der ungarischen Revolution, stand die ungarische Armee auf der Seite des Volkes gegen seine Unterdrücker, setzte sie auch dem sowjetischen Überfall auf das Land heroischen Widerstand entgegen. Die Kämpfer der ungarischen Volksarmee unterlagen, aber sie starben in dem Bewußtsein, ihrem Volk, dem sie entstammten, bis zum letzten Atemzuge die Treue gehalten zu haben. [] Deutschland ist nicht Ungarn [] Die Bevölkerung Mitteldeutschlands hat ihre Barrikaden am 17. Juni 1953 gehabt. Sie hat in wenigen Stunden bewiesen, daß sie stärker ist als das verfaulte SED-Regime, das sich nur mit Hilfe einer fremden Besatzungsmacht am Ruder halten kann. Dieses Bewußtsein der Stärke und Überlegenheit lebt in ihr fort. Unter den Bedingungen der andauernden Besatzung wird es keinen zweiten 17. Juni geben. [] Aber es gibt neue, wirkungsvollere Methoden des Kampfes mit ausschließlich politischen Mitteln, die das Regime untergraben und zum Einsturz bringen werden. [] Gegen diese "stille Revolution" helfen keine Panzer - sie ist unfaßbar und doch allgegenwärtig. Ihr, Kameraden der Volksarmee, werdet diesen oder jenen zuverlässigen Freund haben, der Euch über Sinn, Methoden und Aussichten des politischen Kampfes im Rahmen der "stillen Revolution" aufklärt, der Euch einreiht in die Front des kämpfenden Volkes. Helft mit, die nationale Einheit unseres Landes, die politische, ökonomische und soziale Neuordnung Deutschlands zu schaffen [!] [] In einem solchen Deutschland ist auch Platz für eine wirkliche Volksarmee, in der jeder, der aus wirklicher Berufung Soldat seines Volkes sein will, eine lohnende und wertvolle Aufgabe vorfindet. [] Noch ist es nicht soweit. Das von der "stillen Revolution" erschütterte SED-Regime plant neue Provokationen: [] Der SSD unter Wollweber plant, Unruhen zu entfachen, um so die Widerstandskräfte aus dem Dunkel hervorzulocken; [] Freie Wahlen! [] Ihr, Kameraden, sollt dann eingesetzt werden, um "die Ruhe wiederherzustellen", die Ruhe des Friedhofes; [] auf diese Weise will sich die SED eine Atempause verschaffen. [] Kameraden! [] Diese Gefahr, die für unser Volk schwere Folgen heraufbeschwört, muß abgewendet werden. Findet geeignete Wege, um Eurer Führung verständlich zu machen, daß Ihr Euch nicht für die Euch zugedachte Rolle hergeben werdet! Findet Wege - ohne Euch zu gefährden -, Eurer Führung klarzumachen, daß Ihr Soldaten für das Volk - nicht gegen das Volk seid! Macht der SED klar, daß eines ein für allemal ausgeschlossen ist: [] daß Deutsche auf Deutsche schießen! [] Darum, Kameraden, bitten wir Euch nicht nur als Partei, die Mitverantwortung für das Schicksal unseres gemeinsamen Vaterlandes trägt, sondern auch im Namen der Frauen, Männer und Kinder, die durch eine solche Provokation ins Unglück gestürzt würden. Wir bitten Euch aber darum auch um Eurer selbst willen - denn jeder muß sich klar sein, daß jede Tat, jedes Vorgehen und jede Entscheidung einmal verantwortet werden muß [!] [] Als Soldaten seid Ihr in der Lage, Entscheidungen zu treffen. Da Ihr gleichzeitig deutsche Arbeiter und Bauern seid, wird diese Entscheidung für Deutschland, für die deutschen Arbeiter und Bauern, deshalb gegen das SED-Regime und seine provokatorischen Pläne ausfallen. [] Freiheit [] SPD [] Herausgegeben vom Ostbüro der SPD, Bonn. Zuschriften unter Verwendung eines Decknamens und einer Kennziffer erbeten an Gerhard Muschler, Berlin-Wilmersdorf, Mansfelder Str. 16, II Trp.
Published:1956 - 1957