Augenblick, bitte!

Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals; Augenblick, bitte! Sie kommen soeben von einer Versammlung der FDP. Es ist gut so, daß Sie politische Versammlungen besuchen, um sich ein Urteil zu bilden, bevor Sie Ihre Stimme am 5. Dezember abgeben. Aber: "Eines Mannes Wort ist keines...

Full description

Bibliographic Details
Main Authors: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD), Graphische Gesellschaft Grunewald GmbH, Berlin
Institution:Archiv der sozialen Demokratie (AdsD)
Format: IMAGE
Language:German
Published: 05.12.1954
Subjects:
Online Access:http://hdl.handle.net/11088/9C121775-C446-4DC0-BFB6-C7C42DC200C2
Description
Summary:Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals; Augenblick, bitte! Sie kommen soeben von einer Versammlung der FDP. Es ist gut so, daß Sie politische Versammlungen besuchen, um sich ein Urteil zu bilden, bevor Sie Ihre Stimme am 5. Dezember abgeben. Aber: "Eines Mannes Wort ist keines Mannes Wort!" Man sollte daher auch die Meinung anderer Parteien hören. Sie werden soeben gehört haben, daß nun endlich die VAB zerschlagen wurde. Aber ist Ihnen bekannt, daß viele Tausende, die auf Grund der Propaganda der FDP aus der VAB austraten und zu privaten Krankenkassen gingen, diesen Schritt bedauern? Die KVAB ist trotz der außerordentlichen Belastung? durch die ungünstige Altersgliederung der Berliner Bevölkerung immer noch, die leistungsfähigste Krankenkasse! Endlich, so verkündet die FDP stolz, hat das Berufsbeamtentum auch in Berlin seinen Einzug gehalten. Gewiß, aber haben Sie schon einmal gehört, daß die Verwaltung seitdem billiger arbeitet? Sicherlich wird man Ihnen auch erzählt haben, daß der Rückgang der Arbeitslosigkeit im letzten Jahr ein Erfolg der FDP sei. Es muß um eine Partei schlecht bestellt sein, die sich mit fremden Federn schmückt. Die ganze Welt weiß, daß es Ernst Reuter und die fleißigen Berliner waren, die nach dem furchtbaren Zusammenbruch die Fundamente zur Gesundung Berlins gelegt haben. Es ist, gelinde gesagt, unfair, sich mit den Leistungen eines Verstorbenen, der sich selbst nicht mehr äußern kann, zu brüsten. Nichts werden Sie in der Versammlung davon gehört haben, daß die FDP für die Verteuerung des Brotes eintritt und für die Erhöhung der Mieten. Lediglich aus Angst vor den Wahlen und auf Druck der SPD hat die FDP bisher davon Abstand genommen, Brotpreis und Mieten zu erhöhen. Kürzlich behauptete ein FDP?Mann, die seiner Partei angehörenden Senatoren seien die besten, die Berlin bisher gehabt habe. Schauen wir sie uns einmal an: Professor Eich Dr. Mahler Dr. Conrad Da ist zunächst Professor Eich, Senator für [] Wirtschaft. Wie, Sie kennen ihn nicht? Nun, trösten Sie sich, es kennt ihn niemand in Berlin. Obwohl ihm seit 1950 die Wirtschaft Berlins anvertraut wurde, ist er bisher nirgends in Erscheinung getreten. Wahrscheinlich ist Herr Professor Eich ein guter Hochschulprofessor, aber vom praktischen Gang der Wirtschaft versteht er nicht allzuviel. Das weiß er. Darum überließ er die Wirtschaft dem Sozialdemokraten Dr. Paul Hertz, dem engsten Mitarbeiter Ernst Reuters. Dr. Hertz ist es, dem als Bevollmächtigten für das Kreditwesen der entscheidende Anteil an der weiteren Gesundung Berlins im letzten Jahre gebührt. Dann ist da Senator Dr. Mahler, kein ausgesprochener Fachmann auf dem Gebiete des Bauwesens, aber ein Mann mit gesundem Verstand. Daher hat er sehr bald erkannt, welch hervorragenden Mitarbeiterstab ihm sein Vorgänger, der jetzige Bezirksstadtrat für Bau? und Wohnungswesen im Bezirk Wedding, Walter Nicklitz, hinterlassen hat. So läßt Dr. Mahler seinen Senatsdirektor Schwedler und dessen Mitarbeiter ungestört arbeiten und die von ihnen ausgearbeiteten Pläne zur Ausführung bringen. Wir erkennen gern an, daß Professor Elch und Dr. Mahler zwei untadelige Männer sind, die wir bei aller Gegensätzlichkeit der politischen Auffassungen achten. Aber Berlins Wirtschaft und Wohnungsbau erleiden keinen Schaden, wenn beide als Senatoren nicht wiederkommen. Ganz anders sieht es mit den nun folgenden Senatoren der FDP aus. Da haben wir zunächst Herrn Dr. Conrad. Zum Glück für Berlin Senator a. D., denn unsere Abgeordneten haben ihm mit 75 Stimmen der SPD und CDU bei Stimmenthaltung seiner eigenen Partei das Mißtrauen ausgesprochen und ihn "in die Wüste geschickt". Sicherlich haben Sie in Ihrer Zeitung gelesen, wie unmöglich sich Herr Dr. Conrad im Falle des Apothekers Brandt verhalten hat. Zynisch hat er sich über die Pflicht zur Wiedergutmachung an einem verdienten Berliner Mitbürger hinweggesetzt und dem Ansehen Berlins außerordentlichen Schaden zugefügt. Als wir ihm schließlich auf seine Schliche kamen, versuchte er sich mit Lügen herauszuwinden ? ein feiner Vertreter der FDP als zweithöchster Beamter Berlins! Senator Fischer Senator Ullmann [] Dann ist da Herr Fischer, Senator für Inneres, also der Hüter unserer Verfassung. Das ist so ein Typ für sich. Dieser Tage kam im Berliner Abgeordnetenhaus folgender Vorgang zur Sprache: Ein Mitarbeiter des Verfassungsschutzamtes namens Faust, der also Herrn Fischer unterstellt ist, nannte unseren Bundespräsidenten "einen alten Trottel", den Bundeskanzler "einen Chefagenten der Amis", Jakob Kaiser den "dümmsten Minister Deutschlands", und beim Tode Ernst Reuters meinte er: "die Politiker seien ihm, besonders Ernst Reuter, am sympathischsten im Sarge". Herr Fischer fand kein Wort des Tadels über diesen Herrn Faust. Auf die berechtigte Entrüstung der Abgeordneten reagierte er mit Bemerkungen, die ihm unter Billigung der Mehrheit der Abgeordneten einen Ordnungsruf einbrachten. Herr Fischer hat auch, eine Verwaltungsreform ausgearbeitet. Das sollte der Wahlschlager der FDP werden. Nun, dieser Entwurf war eine solche Mißgeburt, daß er schon bei den ersten Beratungen erstklassig beerdigt werden mußte. Von reinen eigenen Parteifreunden, die Bezirksbürgermeister in verschiedenen Berliner Bezirken sind, mußte sich Herr Fischer bescheinigen lassen, daß seine Verwaltungspläne unbrauchbar sind. Fürwahr, üein Innensenator, wie ihn Berlin noch nicht gehabt hat. Und schließlich ist da noch Herr Ullmann, Senator für Verkehr und Betriebe. Er ist ein begeisterter Verfechter der sogenannten freien Wirtschaft. Das hinderte ihn nicht daran, sich nach dem Zusammenbruch von den Besatzungsmächten zum Treuhänder der gewerkschaftseigenen Wohnungsbaugesellschaft "Gehag" machen zu lassen, die sich die Nazis 1933 mit Gewalt unter den Nagel gerissen hatten. Bis 1952 ergab sich daraus für Herrn Ullmann ein einträgliches Geschäft. Von September 1945 bis 1952 hat er etwa 1,1 Millionen Mark bezogen, teils in Reichsmark und Ostmark, seit der Währungsumstellung aber in guter Westmark. Nicht wahr, das ist ein beachtliches Einkommen und das zu einer Zeit, als die meisten von uns, um sich überhaupt am Leben erhalten zu können, die letzten Reste einstigen Wohlstandes auf Hamsterfahrten oder auf dem Schwarzen Markt umsetzen mußten. Als endlich 1952 die "Gehag" wieder ihren rechtmäßigen Besitzern übergeben wurde, forderten diese mit Recht eine klare und saubere Abrechnung, insbesondere über einen ungeklärten Posten von rund 65 000 Mark. Das verweigerte Herr Ullmann unter Berufung auf alliierte Bestimmungen. Meinen Sie nicht auch, daß jemand, der ein Treuhänder im wahrsten Sinne des Wortes ist, jederzeit bereit sein müßte, dem rechtmäßigen Besitzer, der "Gehag", Aufschluß zu geben? Das Gericht war übrigens am 4. November der gleichen Meinung wie wir: Herr Ullmann muß Farbe bekennen. Wird er klarkommen? Übrigens haben wir nachgerechnet, daß ein Rentner bei einer durchschnittlichen Rente mit 65 000,? DM rund 60 Jahre auskommen muß. Das ist sehr unwahrscheinlich, denn bei einer Rente von 80,? DM monatlich dürfte wohl kaum jemand 125 Jahre alt werden. Ja, und ausgerechnet dieser Mann, der also so gar kein öffentliches Bewußtsein hat, wurde von der FDP zum Chef der Berlineröffentlichen Betriebe, unserer BVG, der Bewag, der Gasag und der Wasserwerke gemacht! Ausgerechnet dieser Treuhänder! Das alles, lieber Leser, müssen Sie wissen, bevor Sie am 5. Dezember zur Wahlurne schreiten. Natürlich wissen wir, wie auch Sie, ganz genau, daß es in den politischen Parteien nicht nur tüchtige Menschen gibt. Das war schon immer so und wird auch immer,so bleiben. Aber von, einer politischen Partei kann man erwarten, daß sie ihre tüchtigsten Männer in den Senat schickt. Wenn das die tüchtigsten Männer der FDP sind, nun, dann kann mit der Partei wirklich nicht allzuviel los sein. Bevor Sie am 5. Dezember Ihre Stimme abgeben, ist es gut, auch einmal einen Blick zurückzuwerfen. Als wir Sozialdemokraten 1945/46 unter Führung Kurt Schumachers und Franz Neumanns den Kampf gegen, die Kommunisten aufnahmen, geschah. dies in der Erkenntnis, daß der Kommunismus der Todfeind der Freiheit und damit gerade auch der arbeitenden Menschen ist. Wir Sozialdemokraten wußten aber auch, daß Freiheit und Demokratie nur von dauerndem Bestand sind, wo soziale Gerechtigkeit herrscht. Dazu gehört in erster Linie, daß die arbeitenden Menschen, also die Arbeiter, Angestellten unid Beamten, ihren gerechten Lohn erhalten und daß auch den Rentnern und Sozialunterstützten sowie den Erwerbslosen eine erträglidie Existenz gesichert wird. Das ist auch die Voraussetzung für, einen gesunden Mittelstand, denn nur eine genügend große Kaufkraft gibt dem Handel und Gewerbe eine sichere Existenz. Die Verbraucherschichten und der Mittelstand bilden eine große Interessengemeinschaft. Das sollten Sie nicht unberücksichtigt lassen. Wir meinen, daß es Ihnen dann nicht schwerfallen kann, der Partei Kurt Schumachers und Ernst Reuters, der SPD am 5. Dezember Ihre Stimme zu geben! Druck: Graphische Gesellschaft Grunewald G. m. b. H., Berlin?Grunewald, Bismarckplatz.
Published:05.12.1954