Wirf mich weg

Bemerkungen: Fraktur; [] = Absatzmarken im Volltext des Originals Wirf mich weg [] wenn du mich gelesen und dich geprüft und kein Ton in deinem Innern erklungen ist. Wenn dein Menschentum schon derart verschüttet und vernichtet, daß ob deinen täglichen Erniedrigungen, Rücksetzungen, Sorgen und Nöten...

Full description

Bibliographic Details
Main Authors: N.N., Unionsdruckerei Zürich
Institution:Archiv der sozialen Demokratie (AdsD)
Format: IMAGE
Language:German
Published: ca. 1925
Subjects:
Online Access:http://hdl.handle.net/11088/9E5F38BD-5288-4FE7-8CE3-2F9CBBF7973E
Description
Summary:Bemerkungen: Fraktur; [] = Absatzmarken im Volltext des Originals Wirf mich weg [] wenn du mich gelesen und dich geprüft und kein Ton in deinem Innern erklungen ist. Wenn dein Menschentum schon derart verschüttet und vernichtet, daß ob deinen täglichen Erniedrigungen, Rücksetzungen, Sorgen und Nöten, bei all den Ungerechtigkeiten, die du und deine Mitmenschen zu erdulden haben, dich nicht Zorn oder Scham oder Mitleid und Helfenseifer erfassen, dann freilich müssen wir auf dich verzichten und andere werden an deiner Befreiung arbeiten müssen. Lebt aber noch ein Funken Ehre in dir, ein wenig Selbstbewußtsein, das sich sträubt entgegenzunehmen, was andere erkämpft und erstritten, dann nimm mich mit und prüfe, was du dir und deinen Mitmenschen schuldest. [] Bist du selbst ein Mensch [] und nicht nur ein Arbeitstier, das Tag um Tag und Jahr um Jahr nichts anderes kennt als die Sorge, ob der kärgliche Lohn seiner Arbeit auch ausreiche für die Bedürfnisse seines Lebens und seiner Familie, das heute in der ständigen Angst lebt, seine Arbeits- und seine Verdienstmöglichkeit zu verlieren, oder wenn sie schon verloren, wo eine Gelegenheit und Möglichkeit sich zeige, um der vermehrten Not zu entgehen? Wie manches Zerwürfnis und mancher Streit ist nicht durch die Tagessorgen in die Familie getragen worden und hat das seelische Verhältnis zu Frau und Kind vergiftet. [] Oder lebst du im Bewußtsein eines gesicherten Daseins und fandest damit die Zeit und innere Ruhe, um im Familienkreise die Geistesentwicklung deiner Kinder zu fördern und sich an ihr zu freuen, um im Zusammensein mit deinen Freunden oder deiner Gefährtin die Förderung deiner eigenen Entwicklung zu erfahren, als Mensch dich von einer kleinlichen eigensüchtigen Gesinnung zu befreien, um als Glied der Gemeinschaft dem Interesse der Gemeinschaft zu dienen und unter dem Schütze dieser Gemeinschaft deine künstlerischen und geselligen Neigungen zu entwickeln? Wohl kaum. [] Die heutige Wirtschaftsordnung hat dein Menschentum Vernichtet. [] Die Planlosigkeit in der Herstellung der notwendigen Erzeugnisse durch die wirtschaftliche Selbständigkeit des Einzelnen, die gegenseitige Unsicherheit in der Existenz durch die Konkurrenz aller mit allen, die Höherstellung des Besitzes über die Arbeit haben jene fieberhafte Geschäftigkeit und rücksichtslose gegenseitige Ausbeutung geschaffen, die das Menschentum im Besitzenden und Besitzlosen vernichtet. In der besitzenden Klasse ein rastloses Streben nach Reichtum und Besitzvermehrung ohne innere Ruhe, mit der Zerstörung jedes Zusammengehörigkeitsgefühls. Was immer einer zu verkaufen oder zu vermieten hat, er sucht Gewinn herauszuschlagen und den Abnehmer zu übervorteilen: der Bauer den Konsumenten, der Unternehmer den Arbeiter, der Hausbesitzer den Mieter, die Bank den Bauer, den Hausbesitzer, den Unternehmer, die Stadt ihre Gaskonsumenten. Wo immer etwas zu gewinnen ist, wird's probiert und jeder sucht die Last auf den andern abzuwälzen, bis sie zuletzt auf dem Arbeiter liegt, als dem Besitzlosen, dem wirtschaftlich Schwächsten, der sie keinem andern mehr aufbürden kann. Nicht Rücksichtnahme auf die Leistungsfähigkeit der einzelnen Klassen kennt die heutige Gesellschaft; rücksichtslose selbstsüchtige Interessenwahrung ist Trumpf. Oder sucht etwa heute die besitzende Klasse der Lohnarbeiterschaft ihr Los zu erleichtern, wo sie unter der allgemeinen Arbeitslosenkrise leidet? Mit Nichten. Unternehmertum und Bauerntum haben durch Einfuhrbeschränkungen und Zollschranken verstanden, das Sinken der Preise der Lebensmittel und bestimmter Erzeugnisse zu verhindern, um ihre Gewinne nicht zu kürzen, die Arbeitslosigkeit aber soll gleichzeitig dazu benützt werden, dem Arbeiter den Lohn herabzudrücken und die Arbeitszeit zu verlängern. [] Die heutige Rechtsordnung ist die Ordnung einer [] Räuberbande. [] Wer Waffen, das heißt Geld und Reichtum besitzt, der kann die andern ausnützen und ausbeuten, aufs Hemd ausziehen, bis ein anderer Bruder, überlegen an Geld, ihm mit den andern das gleiche tut. Nein, nicht nur bis aufs Hemd wird der Besitzlose ausgezogen, der Besitzende stiehlt dir noch dein Menschentum. Dein letztes, dein Stolz, Mensch zu sein, eine Persönlichkeit mit bestimmter Gesinnung und eigenem Charakter, auch das wird dir noch geraubt. Hast du sie noch nie gesehen, jene ekelhaften Kreaturen, die, um einen ökonomischen Vorteil zu ergattern, sich selbst verleugnen und aufgeben. Im Bureau, in der Bude kriechen sie vor jedem Vorgesetzten auf dem Bauch, um etwas besser angeschrieben zu sein und eher befördert zu werden. Als Politiker winden sie sich nach allen Seiten, um nirgends zu verstoßen und doch über die andern wegklettern zu können. Sie lecken Speichel und Stiefel und anderes, hinten und vorn, reden heute dem, morgen einem andern nach dem Sinn, verkaufen ihre Gesinnung und sich selbst, wenn's nur etwas einbringt. Standest nicht auch schon du, standen nicht wir alle schon in Gefahr und Versuchung, aus Furcht vor Verschlechterung unserer Lage unsere Gesinnung zu verraten, charakterlose Lumpenhunde zu werden wie andere? Bist du sicher, ob nicht vom glänzenden Schein verlockt, deine Tochter auch ihren Leib verkauft? Mit dem Ekel ob solcher charakterlosen Kreaturen erfaßt uns zugleich die Empörung ob unserer wirtschaftlichen Verhältnisse, die sie züchten und erziehen. [] Kampf der heutigen Wirtschaftsordnung zur Rettung des Menschentums [] ist unser Ruf. Der Besitz an Grund und Boden, an Fabriken, Werkstätten und Maschinen soll dem einzelnen genommen und der Gemeinschaft gegeben werden. Nicht -das Geld, die Arbeit soll als die schöpferische Kraft geadelt und geehrt werden. Auf der Arbeitspflicht aller Gesunden und Arbeitsfähigen wird sich die Genossenschaft freier Menschen gründen, die mit ihrer Arbeit auch das Recht auf freie Persönlichkeit, eigene Gesinnung und eigenes Wesen erwerben. Die augenscheinliche Erkenntnis, daß in der Förderung der Gemeinschaft die erhöhte Sicherung des einzelnen enthalten, wird die selbstsüchtigen Neigungen absterben und den Gemeinschaftssinn erstarken lassen. [] Doch nur in schwerem Kampf wird sich diese Umwandlung vollziehen können. Gerade in der heutigen Macht des Geldes, das auf dem Umweg über die Ausbeutung [] des Arbeiters sich stets selbst vermehrt, sieht der Besitzende sein Menschentum gesichert. Befreit von der Arbeitspflicht hat er Zeit, feinen Sinnen, seinen Lüsten, seinen Liebhabereien und Trieben zu leben und zu frönen, gejagt, nervös, entseelt, voll Eigennutz und Selbstsucht. Darum fetzt sich der Besitzende gegen jede Aenderung der heutigen Ordnung zur Wehre mit seiner wirtschaftlichen Macht und all den Mitteln, die er sich im heutigen Staat geschaffen. Oder sahst du schon, daß der Besitzende in freiem Entgegenkommen dein Los erleichterte? Was er während der Kriegszeit in Angst vor der kommenden Revolution an erhöhten Löhnen und verkürzter Arbeitszeit zugestand, das sucht er heute wieder rückgängig zu machen und dich zum Arbeitstier zu erniedrigen. Mit der Gewalt des Hungers, mit Hülfe der herabgefetzten Arbeitslosenunterstützung sucht er dich gefügig zu machen und feinen Gewinn zu mehren. Mit der Gewalt des heutigen Rechts, der Polizei und des Militärs wird er deinen wirtschaftlichen Kampf niederschlagen. Nur durch die Gewalt deiner vereinigten Klasse wirst du die Gewalt der besitzenden und herrschenden Klasse brechen können. [] Der Wirtschaftliche Kampf ist der entscheidende. [] Deine Arbeit schafft, was wir alle brauchen, deine Arbeit schafft dem Besitzenden Gewinn und Reichtum, deine Arbeit kann er nicht entbehren. Wenn du deine Arbeit zu deiner Waffe machst, wenn du dich mit deinen Leidensgefährten verbindest, wenn du als Gewerkschafter im Verein mit deinen Kameraden in den Kampf trittst gegen deinen Ausbeuter und Klassenfeind, dann wird die Enteignung der Besitzenden sich vollziehen und ihre wirtschaftliche Macht gebrochen werden. Im Kampf wirft dir das Bürgertum mit seiner wirtschaftlichen Macht auch seine politische Macht entgegen. Wozu hätte es sonst wohl sein Recht mit der Heiligsprechung des Privateigentums, seine Polizei zum Schütze der bürgerlichen Ausbeuter, sein Militär zur Unterdrückung deiner Befreiungsversuche? Und wo das Volk sich eine weitgehende Mitsprache gesichert, hat die besitzende Klasse es wiederum verstanden, durch ihre wirtschaftliche Überlegenheit sich Presse und öffentliche Meinung zu kaufen, um mit dem Mittel der Volksvertretung in Bund, Kanton und Gemeinde die Interessen der Besitzenden zu wahren und zu sichern. Gegen ihre Bestrebungen, den Besitz zu schonen und den Gewinn voranzustellen, erklären wir, [] der Mensch kommt vor dem Geld. [] Alle jene Bestrebungen des Bürgertums, die Arbeitsbedingungen der Lohnarbeiter zu verschlechtern, bei den Gemeindeangestellten den Lohn zu kürzen und die Arbeitszeit zu verlängern, müssen auch bei den kommenden Wahlen auf das entschiedenste bekämpft werden. Unser Kampf gilt auch dem Bemühen, bei wucherhafter Ansetzung der indirekten Steuern, wie sie aus den städtischen Werken gezogen werden, und bei Erhöhung der Gebühren unter gleichzeitiger Niedrighaltung der direkten Steuern die Besitzlosen zu belasten und den Besitz zu schonen. Was zur Ertüchtigung des Volkes beiträgt, was es gesundheitlich und sittlich hebt, soll angeregt und verfochten werden ohne die ständige Rücksichtnahme auf den Besitz und auf die Frage, ob's rentiert. Gegenüber dem bürgerlichen Verlangen der Achtung vor dem Geld verlangen wir die Achtung vor dem Menschen. Die Erziehung und Bildung des Volkes soll vertieft werden, es gilt, die Einsparungen von der Schule abzuwehren. Mit Entschiedenheit und ohne Rücksicht auf den Klassengegner setzt sich die Kommunistische Partei in diesem Sinne ein. [] Sie, die dir in deiner Tageszeitung als die verabscheuungswürdige Partei der blutigen Gewalt, der rücksichtslosen Zerstörung, der Vernichtung und Verneinung dargestellt wird, sie bekennt aus den schmerzlichen Erfahrungen der Arbeiterklasse heraus. [] daß nur durch die Gewalt der Werktätigen die Gewalt der Ausbeuterklasse gebrochen werden kann, daß nur durch Zerstörung und Vernichtung der Herrschaft des Bürgertums und seiner Staats- und Rechtsordnung dem steigenden Eigennutz und der Entsittlichung des Menschen gewehrt werden kann, daß erst auf der Grundlage der Gemeinwirtschaft, des Kommunismus, der Mensch zum Menschen sich entwickeln kann. Für dieses Ziel kann die Kommunistische Partei mit Erfolg sich nur einsetzen, wenn auch du sie unterstützest. [] Aus dir selbst kommt deine Befreiung, [] aus sich selbst muß das Volk die Kraft der Auflehnung und Ueberwindung der heutigen Wirtschafte und Gesellschaftsordnung finden. Von seinen Klassengegnern hat es nichts zu erwarten, aber auch nicht von jenen, die als Sozialdemokraten von einer mählichen Ausgleichung der Klassengegensätze das Heil des Proletariates erhoffen, die mit entschiedenen Worten vor dich hintreten, aber nur zu häufig in der entscheidenden Stunde oder im anvertrauten Amt deine Interessen verleugnen. Wo es gilt für dein und deiner Klassengenossen Menschentum zu kämpfen, muß sich zeigen, wie weit du noch Mensch bist, wie weit in dir der Gemeinschaftssinn und die Mitverantwortlichkeit für deine Mitmenschen noch nicht durch die Eigensucht der herrschenden Gesellschaftsmoral verdrängt und verkümmert worden ist. Es muß sich zeigen, ob du für ein großes, schönes Ziel noch Begeisterungsfähigkeit aufbringst, ob dein Bewußtsein der Mitverantwortung an den Ungerechtigkeiten der heutigen Ordnung dich nicht länger untätig läßt und ob du im Glauben an die schönere Zukunft, im Vertrauen auf die Kraft deiner Genossen auch den Mut der Auflehnung gegen das Heutige, die Kraft zur werbenden Mitarbeit für das Neue findest. [] Wenn von alledem noch etwas in dir lebendig ist, dann wirst du dich mit uns, den Kommunisten, zusammenschließen; gehörst du aber zu jenen auch innerlich schon ausgeraubten, entmenschten Geschöpfen, dann verzeih, daß wir hinter deinem Menschenantlitz Brudersinn gesucht. [] Lies und prüf!
Published:ca. 1925