Die SPD zum Lastenausgleich

Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals; Die SPD zum Lastenausgleich [] Rede des Stellv. Vorsitzenden der SPD, Erich Ollenhauer MdB in der 3. Lesung zum Lastenausgleich vom 14. Mai 1952 [] Noch nach sieben Jahren ohne ein Minimum von sozialer Sicherheit [] "Wir stehen vor der e...

Full description

Bibliographic Details
Main Authors: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD), Bundesvorstand, Druckhaus Mittelrheinische Köln-Deutz
Institution:Archiv der sozialen Demokratie (AdsD)
Format: IMAGE
Language:German
Published: 14.05.1952
Subjects:
Online Access:http://hdl.handle.net/11088/41884B5E-9AA3-4120-A3B0-69052518DEB6
Description
Summary:Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals; Die SPD zum Lastenausgleich [] Rede des Stellv. Vorsitzenden der SPD, Erich Ollenhauer MdB in der 3. Lesung zum Lastenausgleich vom 14. Mai 1952 [] Noch nach sieben Jahren ohne ein Minimum von sozialer Sicherheit [] "Wir stehen vor der entscheidenden und abschließenden dritten Lesung des Gesetzes über einen Allgemeinen Lastenausgleich. Die Sozialdemokratische Bundestagsfraktion will daher noch einmal ihren Standpunkt zu der Frage des Lastenausgleichs und zu dem jetzt hier zur Beratung stehenden Gesetzentwurf kurz darstellen. [] Die Regelung des Lastenausgleichs ist die Bewährungsprobe der neuen deutschen Demokratie. Vor sieben Jahren standen wir vor der größten nationalen Katastrophe unseres Volkes seit Jahrhunderten. Der Wahnwitz des totalen Krieges der nationalsozialistischen Gewalthaber führte zu einem totalen Zusammenbruch. Die bedingungslose Kapitulation raubte dem deutschen Volke alle Möglichkeiten der Entscheidung über sein inneres und äußeres Schicksal. [] Eine der schwerwiegendsten Folgen dieser Ereignisse war die völlige Umwälzung unserer inneren sozialen Ordnung. Sie brachte über viele Millionen Deutsche unsagbares Elend. Als Vertriebene, Ausgebombte, Kriegssachgeschädigte, Evakuierte, Kriegsopfer, Kriegshinterbliebene und Kriegsgefangene fiel auf sie durch den Verlust ihrer Existenz, ihrer Gesundheit, ihrer Wohnung, ihrer Arbeitsmöglichkeiten die volle Last einer Not, die die Geschichte dem ganzen deutschen Volk als Gesamtschicksal auferlegt hat. [] Seit den Maitagen des Jahres 1945 mußte jedem verantwortungsbewußten Deutschen klar sein, daß die Neugestaltung unseres nationalen und staatlichen Lebens ohne eine umfassende, sozial gerechte Verteilung der Lasten des verlorenen Krieges auf alle Teile des deutschen Volkes auf die Dauer scheitern muß. Das um so mehr, als jede demokratische Ordnung in unserer Zeit damit steht und fällt, daß sie ihren Bürgern nicht nur die Rechte der persönlichen und politischen Freiheit sichert, sondern ihnen auch ein Minimum von sozialer Sicherheit garantiert. [] Wir waren in den ersten Jahren der Besatzung in der Gestaltung unserer inneren Angelegenheiten nicht frei. Das Besatzungsregime hat in dieser entscheidenden Zeit die ihm zugemuteten politisch-pödagogischen Aufgaben in der Richtung einer demokrakratischen [!][demokratischen] und sozialen Erneuerung in keiner Weise erfüllt. [] Regierungskoalition: Alles für die Reichen [] Aber seit 1947, seit der Bildung des Vereinigten Wirtschaftsgebiets, beginnt unsere klare, eigene Verantwortung. Wir sind ihr nicht gerecht geworden. Im Gegenteil, in dieser Zeit begann die Politik der sogenannten "sozialen Marktwirtschaft", die in Wirklichkeit die Politik der Besitzerhaltung und der Besitzvermehrung des deutschen Großbesitzes ist. Was im Frankfurter Wirtschaftsrat zunächst zögernd und schrittweise begonnen wurde, das ist in der Bundesrepublik seit 1949 von der Mehrheit dieses Hauses konsequent und rücksichtslos fortgesetzt und vollendet worden. Seit 1949 hat sich in der Bundesrepublik ein umgekehrter Lastenausgleich vollzogen. Es ist nichts Entscheidendes geschehen, um den sozialen Erdrutsch des Jahres 1945, der Millionen von deutschen Menschen zu erdrücken droht, zu beseitigen, aber auf der anderen Seite wurden Besitz und Vermögen einer kleinen Minderheit unseres Volkes in empörender Weise und ohne jedes soziale Empfinden gestützt und gestärkt. Das alles geschah planmäßig und bewußt. Das ganze System der Wirtschafts-, Finanz- und Steuerpolitik der Regierungsmehrheit diente diesem Zweck. Das Resultat dieser Politik ist, daß es heute in keinem der früheren kriegführenden Länder in Westeuropa einen so aufreizenden Gegensatz zwischen größtem Luxus und erbarmungswürdiger Armut gibt wie hier in der Bundesrepublik. [] Nichts für die sozialen Notwendigkeiten ... [] ... alles für den Großbesitz [] Das jetzt zur Entscheidung stehende Gesetz ist nur dem Namen nach ein Lastenausgleichsgesetz. Es ist in Wirklichkeit die Krönung dieser Politik der Bevorzugung des großen Privatbesitzes. Da, wo eine nationale Aufgabe von lebenswichtiger Bedeutung zu lösen war, hat man Interessen entscheiden lassen. Und zwar die Interessen derjenigen, die im Falle eines echten und effektiven Lastenausgleichs Opfer aus der Substanz hätten bringen müssen. Es ist eine bemerkenswerte Tatsache, selbst in diesem Bundestag, daß die Mehrheit dieses Hauses in der Vertretung der Besitzinteressen noch über den ursprünglichen Gesetzentwurf ihrer eigenen Regierung hinausgegangen ist. Die Mehrheit dieses Hauses hat den Schutz des großen Besitzes nicht nur bei der Aufbringung der Mittel betrieben, sie hat darüber hinaus noch durchgesetzt, daß auch die Leistungen aus dem Lastenausgleich unter Vernachlässigung der sozialen Notwendigkeiten bestimmt werden sollen nach dem früheren Vermögensstand über 150000 DM hinaus. [] Wir Sozialdemokraten sind dafür, daß nach Erfüllung der unerläßlichen sozialen Leistungen bei der endgültigen Regelung der Ansprüche aus diesem Gesetz auch frühere Vermögensverhältnisse berücksichtigt werden sollen. Aber wenn wir nicht von vornherein den sozialen Lastenausgleich für die große Masse derjenigen, für die die Wiederherstellung eines menschenwürdigen Daseins von einem solchen sozialen Lastenausgleich abhängt, unmöglich machen wollen, dann muß bei der Anrechnung des früheren Vermögens eine Grenze gesetzt werden. Man kann nicht für 50000 Flüchtlinge eine Milliarde Mark reservieren, die dann für die sozialen Leistungen für die erdrückende Mehrheit der Flüchtlinge fehlen. [] Der Geschädigte wird zahlen müssen [] Eine weitere Illustration der reinen Besitzinteressenpolitik der Mehrheit dieses Hauses ist die von ihr so hartnäckig geforderte und durchgesetzte Heranziehung des Vermögens der öffentlichen Hand. Hier offenbart sich von neuem der prinzipielle Unterschied zwischen der Sozialdemokratie und der Regierungsmehrheit in dieser Frage. Für uns ist der Lastenausgleich eine Regelung, die einen gerechten Ausgleich zwischen den Vermögens- und Lebensverhältnissen aller Bürger der Bundesrepublik anstrebt. Die Regierungsmehrheit weigert sich, einen solchen echten Ausgleich, der natürlich nicht ohne Eingriffe in die Substanz möglich ist, zu vollziehen. Da sie aber den Schein einer Politik der sozialen Gerechtigkeit gegenüber den Geschädigten wahren möchte, läßt sie die Geschädigten durch die Belastung der öffentlichen Hand ihren Lastenausgleich mitbezahlen. Wir können Sie in diesem Hause nicht hindern, einen solchen Lastenausgleich durchzusetzen, aber Sie können uns nicht hindern, den Geist, der Sie dabei bestimmt, vor dem ganzen deutschen Volk anzuprangern. [] Es hilft Ihnen auch nichts, wenn Sie den Flüchtlingsvertretern in Ihren Reihen das Recht zugestehen, hier im Plenum von Ihrer Haltung abweichende Anträge zu vertreten, die Sie dann bei der Abstimmung niederstimmen. Hier kommt es nicht auf die Musik an, hier entscheiden die Handlungen. [] Ihr Verhalten in der zweiten Lesung war nicht nur für die Vertriebenen und Geschädigten, sondern für das ganze deutsche Volk ein sehr eindrucksvoller Anschauungsunterricht. Wir werden Ihnen in der dritten Lesung Gelegenheit geben, entweder dieses Versagen gegenüber einem der großen sozialen Anliegen unseres Volkes zu korrigieren oder es noch einmal zu unterstreichen. [] Dieser 'Lastenausgleich' bedeutet ein nationales Unglück für die deutsche Demokratie [] Das Lastenausgleichsgesetz hat neben den großen außenpolitischen Entscheidungen, vor denen wir demnächst stehen werden, eine zentrale Bedeutung für Geist und Inhalt unserer Demokratie. Es gehört zu den Grundgesetzen unseres neuen staatlicher Daseins. Das Grundgesetz, unsere Verfassung, ist zustande gekommen unter Bedingungen, unter denen seine demokratischen Bekenntnisse und Grundsätze nicht von vornherein als Ausdruck unseres eigenen Willens und unserer staatlichen Wirklichkeit empfunden werden konnten. Es war eine der entscheidenden Aufgaben dieses ersten Bundestages, diese Schwäche unserer Demokratie zu überwinden. Es hätte geschehen müssen durch einen gesetzgeberischen Akt, der, allein aus unserem freien Willen geboren, den Menschen in Deutschland und in der Welt die Überzeugung gegeben hätte, daß hier ein neuer Beginn in der Geschichte eines Volkes ist, das durch Irrungen und Wirrungen, durch Fehler und Schuld das eigene Volk und andere Völker in große Not gestürzt hat. Dieser gesetzgeberische Akt mußte sein die Bereinigung der Erbschaft des Hitlerregimes und des zweiten Weltkrieges in unserem eigenen Haus. Hier hätte sich der neue Geist offenbaren müssen aus menschlichen und politischen Gründen. [] In diesem Sinne ist das Lastenausgleichsgesetz ein zweites Grundgesetz. Viele Millionen Deutsche werden nach seinem Inhalt Wert und Ernsthaftigkeit der Grundgedanken unserer Verfassung einschätzen. In dem vorliegenden Entwurf ist nicht ein Hauch von dem Begreifen dieser besonderen Bedeutng [!][Bedeutung] des Gesetzes zu spüren. Es geht hier nicht um ein soziales Gesetz wie in hundert anderen Fällen, in denen Leistungen und Verpflichtungen peinlich genau gegeneinander abgewogen werden. Es ist das Gesetz der Liquidierung unserer inneren Kriegsschuld gegenüber von Millionen unserer eigenen Volksgenossen. Diese Liquidierung erfolgt praktisch nicht. Sie wird im Grunde verweigert. Das ist ein nationales Unglück der deutschen Demokratie. [] Meine Damen und Herren von der Mehrheit dieses Hauses, täuschen Sie sich nicht. Sie können die menschliche und soziale Liquidierung der Katastrophe des Jahres 1945 vertagen. Sie können ihr ausweichen wie mit diesem Gesetz, aber Sie entgehen ihr nicht. Verweigern wir uns heute, dann kommt morgen oder übermorgen das Problem erneut auf uns zu. Dann aber erscheint es nicht mehr als die Erbschaft des Vergangenen, dann erscheint es als Anklage gegen uns, gegen das demokratische Dasein unseres Volkes, dessen Existenz heute die Frage von Leben und Tod für das deutsche Volk ist. [] Man spricht soviel heute von der Notwendigkeit der Verteidigung der Demokratie. Wir werden die eigentliche Wehrdebatte später und gründlicher haben. In diesem Zusammenhang ist nur die Feststellung wichtig, daß die erste Voraussetzung für die erfolgreiche Verteidigung einer Demokratie der Verteidigungswille eines Volkes ist. Dieser Verteidigungswille wird nicht entwickelt durch Ansprachen und Beschwörungen, sondern durch die Realitäten des Alltags. Die Menschen müssen aus ihrer täglichen und persönlichen Erfahrung wissen, daß es einen Sinn hat, die Demokratie als eine gerechtere und menschlichere Form des Zusammenlebens in einem Gemeinwesen zu verteidigen, Und das Entscheidende in unserer heutigen Situation ist - denken Sie an Korea und China -, daß es die Ärmsten und die durch den Krieg Geschlagenen wissen müssen. [] In keinem Land in Westeuropa gilt das mehr als in der Bundesrepublik Deutschland. Für unser Volk ist der Aufbau einer gerechten sozialen Ordnung die erste Voraussetzung für die Erhaltung und Sicherung der Demokratie. Am Beginn der Debatte über dieses Gesetz hätte gerade in diesem Augenblick die Erklärung des Bundeskanzlers stehen müssen., daß die notwendigen Leistungen für einen sozialen Lastenausgleich in der Bundesrepublik in den Verhandlungen über die Verteidigung von Freiheit und Demokratie in Europa im deutschen und europäischen Interesse als Verteidigungsbeitrag voll anerkannt wurden. Wir haben diese Erklärung des Bundeskanzlers nicht gehört - wir haben ihn nicht einmal hier gesehen. Auch das ist ein Symptom. Ein bezeichnendes und schmerzliches Symptom zugleich. Man kämpft nicht um den sozialen Inhalt der deutschen Demokratie. [] Wir Sozialdemokraten bleiben an der Seite der Vertriebenen [] Die Mehrheit dieses Hauses hat es jetzt noch in der Hand, ihr Verantwortungsbewußtsein gegenüber dem Ganzen unter Beweis zu stellen. Wenn Sie, meine Damen und Herren, auch in der dritten Lesung alle unsere Anträge ablehnen, wenn Sie den Gesetzentwurf in der jetzt vorliegenden Fassung annehmen, dann haben Sie gegenüber der gegebenen geschichtlichen Situation versagt. Versagt vor allem gegenüber dem einfachen und indiskutablen Grundsatz der nationalen Solidarität in Zeiten gemeinsamer nationaler Not. [] Sie können uns hier überstimmen. Aber wir bleiben an der Seite der Vertriebenen und der anderen Opfer des Krieges. Wir werden immer für ihre Sache kämpfen, weil es ein Gebot der Menschlichkeit und der sozialen Gerechtigkeit ist. Wir werden aber auch für sie kämpfen, weil noch unserer Überzeugung die großen demokratischen Ideen unseres Grundgesetzes nur denn Blut und Inhalt bekommen werden, wenn wir durch die Tat beweisen, daß es in der neuen deutschen Demokratie eine neue, echte Solidarität des ganzen deutschen Volkes gibt." [] Auch beim Lastenausgleich hat die Bundesregierung versagt! [] Helft uns eine bessere Bundesregierung schaffen! [] Wir versprechen keine Wunder ... [] ... aber wir halten unser Wort [] SPD [] Herausgeber: Vorstand der SPD, Bonn [] Druckhaus Mittelrheinische Köln-Deutz
Published:14.05.1952