Auszug aus dem Regierungsprogramm Willy Brandts

Bemerkungen: ; [] = Absatzmarken im Volltext des Originals Auszug aus dem Regierungsprogramm Willy Brandts [] Die Pflege der geistigen Kräfte, die Förderung der Künste und Wissenschaften gehören zu den Pflichten jeder Bundesregierung, die sich für die unvergänglichen Güter der Nation und für ihre Zu...

Full description

Bibliographic Details
Main Author: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)
Institution:Archiv der sozialen Demokratie (AdsD)
Format: IMAGE
Language:German
Published: 19.09.1965
Subjects:
Online Access:http://hdl.handle.net/11088/439022D9-A955-4483-8656-ABEA8CFDFB51
Description
Summary:Bemerkungen: ; [] = Absatzmarken im Volltext des Originals Auszug aus dem Regierungsprogramm Willy Brandts [] Die Pflege der geistigen Kräfte, die Förderung der Künste und Wissenschaften gehören zu den Pflichten jeder Bundesregierung, die sich für die unvergänglichen Güter der Nation und für ihre Zukunft verantwortlich fühlt. Kulturpolitik ist Aufgabe der Länder. Sie haben dabei auch eine bundesstaatliche Aufgabe zu erfüllen. Die Bundesregierung wird die Zuständigkeiten, die das Grundgesetz festlegt, sorgfältig beachten. Aber das Grundgesetz verbietet der Bundesregierung nicht, für das Notwendige einzutreten und den Ländern durch Bereitstellung von Mitteln dabei zu helfen, daß sie ihre Pflichten voll erfüllen können. [] Die neue Bundesregierung wird der Gefahr begegnen, daß unser Volk durch eine Vernachlässigung von Wissenschaft und Forschung, von Bildung und Ausbildung seinen Platz als führende Industrienation verliert. Sie wird darauf hinwirken, daß die Schulpflicht auf das neunte Schuljahr ausgedehnt wird, daß ein freiwilliges zehntes Schuljahr vorgesehen wird, daß das Berufsschulwesen ausgebaut und der Zweite Bildungsweg verwirklicht werden. [] Jeder junge Mensch hat unabhängig vom Einkommen seiner Eltern einen Anspruch auf volle Entfaltung seiner Fähigkeiten. Die Jugendlichen aus Stadt und Land werden die gleichen Ausbildungschancen bekommen. Unser Volk kann es sich nicht leisten, Begabungen brachliegen zu lassen. Wir können auf kein Talent verzichten. [] Die neue Regierung wird darauf hinwirken und, soweit sie kann, daran mithelfen, den Mangel an Schulräumen und Lehrkräften endlich zu beseitigen. [] Wir werden die Vorschläge des Wissenschaftsrates entschieden unterstützen und den schnellen Ausbau der Universitäten und Hochschulen fördern. Ausreichend dotierte Plätze für Wissenschaft und Lehre müssen dem Abwandern junger Kräfte Einhalt gebieten. Die wissenschaftliche Forschung bedarf der wirksamen Koordinierung durch den Bund. Geeignete Einrichtungen sind finanziell so auszustatten, daß sie Aufträge vergeben können, deren Ergebnisse allen Zweigen der Wirtschaft zur Verfügung stehen. [] Die neue Bundesregierung weiß, daß die Träger staatlicher Verantwortung der Unterstützung und des Rats der Sachverständigen bedürfen. Sie weiß auch, daß die geistigen Schichten eine besondere Verantwortung für unser Volk tragen. [] Die Schatten der Vergangenheit gebieten uns gerade in diesen Tagen und Wochen, der Welt zu zeigen, daß die Bundesrepublik ihren Weg als demokratischer Staat unabhängig, frei und sicher geht und gehen wird. Mit den Verbrechern jener Vergangenheit hat sie nichts gemein. Jene Vergangenheit hat bei uns keine Zukunft. [] Aber kein Deutscher kann an der Geschichte seiner Nation vorbeileben. Es ist das Vorrecht des freien Menschen, seine Verantwortung zu sehen. Das nazistische Unheil ist nicht zuletzt deswegen über uns gekommen, weil die führenden Schichten unseres Volkes versagt haben. Unnötige Zwistigkeiten, unerlaubte Resignation oder freiwillige Isolierung in allerlei Elfenbeintürmen haben in jenen Jahren dazu geführt, daß das Feld freigegeben wurde, auf dem Opferbereitschaft und guter Wille mißbraucht, der deutsche Name entehrt und unser Zusammengehörigkeitsgefühl bis zum heutigen Tage vergiftet worden ist. [] Unsere Jugend übernimmt ein schweres Erbe. Sie ist frei von Schuld und Verantwortung. Aber unsere Geschichte ist eine Einheit, und wir müssen alle zusammen im Einklang mit ihr leben, nicht nur mit ihren glanzvollen geistigen Höhepunkten, sondern auch mit ihren dunklen Abgründen. [] Dies meinen wir, wenn wir davon sprechen, daß unser Volk mit sich selbst versöhnt werden muß. Niemand von uns kann diese Vergangenheit von unserem Volke abwerfen. Niemand kann sich auch von ihr lossprechen. Wir haben sie zu tragen, aber wir haben dafür zu sorgen, daß wir darüber nicht die Gegenwart und die Zukunft verlieren. Ihr müssen alle Energie, aller Elan, aller Wille und alle Zähigkeit dienen. Aus der Vergangenheit sollten wir die Erfahrung mitnehmen, daß niemand abseits stehen darf, daß vor allem auch die geistigen Schichten sich nicht aussperren lassen dürfen, daß die Besten unseres Volkes, wo immer sie im einzelnen stehen, mitwirken müssen. Kein guter Deutscher kann seine Verantwortung für das, was heute ist und morgen sein wird, leugnen. Unsere Zukunft wird das Abbild dessen sein, was wir heute alle miteinander zu tun bereit sind, und niemand, der den guten Willen hat, darf ausgeschlossen werden. [] In diesem Sinne wünschen wir uns die Verantwortung. Ich glaube daran, daß es gelingen wird, unser Volk endlich gesund zu machen und gesund zu erhalten. [] Die neue Bundesregierung wird alles tun, um die fachlichen Fähigkeiten und die Verantwortungsbereitschaft des Auswärtigen Dienstes der Bundesrepublik zu mehren und wirkungsvoll zu nutzen. Wir glauben nicht, daß in dieser komplizierten Welt die Eingebung eines Mannes oder die Sachkunde einiger weniger für alle Probleme ausreicht. [] Die auswärtige Kulturpolitik der Bundesrepublik muß verbessert und wirksamer zusammengefaßt werden. Hierzu bedarf es vertrauensvoller Zusammenarbeit mit den Ländern und mit den freien Kräften der Kunst, der Wissenschaft und der Volksbildung. Die neue Bundesregierung wird einen Deutschen Rat für internationalen Kulturaustausch berufen. Dieser wird sich vor allem auch der kulturellen Entwicklungshilfe anzunehmen haben. Die deutsche Mitarbeit in der UNESCO ist zu verstärken. Über die Förderung der deutschen Sprache und Bildung hinaus muß ein lebendiger Eindruck außerhalb unserer Grenzen davon vermittelt werden, daß Deutschland wieder eine Heimstätte des Geistes ist und nicht nur ein Land des wirtschaftlichen Erfolges. In diesem Sinne werden wir auch der Kulturpropaganda des Zonenregimes positiv und überzeugend begegnen. Die künftige deutsche Außenpolitik wird, wenn wir sie bestimmen, ein Spiegelbild der neuen deutschen Innenpolitik sein, aufgeschlossen, verantwortungsbereit, loyal, verpflichtet dem Ausgleich der Interessen, der Entspannung und dem Frieden. [] Der Erfolg dieses Regierungsprogramms wird ein Sieg unserer Nation sein!
Published:19.09.1965