Kanzler der Satten

Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals; KANZLER DER SATTEN [] [] "Ich fürchte, es wird eine erschütternde Bilanz sein", sagte Bundeskanzler Dr. Adenauer am 4. Januar 1950, als er den Beschluß der Bundesregierung bekanntgab, eine Bilanz der Kriegsschäden, ein vollständige...

Full description

Bibliographic Details
Main Authors: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD), Bundesvorstand, Buchdruckwerkstätten Hannover GmbH
Institution:Archiv der sozialen Demokratie (AdsD)
Format: IMAGE
Language:German
Published: 1950
Subjects:
Online Access:http://hdl.handle.net/11088/DC6C30FE-D75A-440C-990B-E251E15437F6
Description
Summary:Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals; KANZLER DER SATTEN [] [] "Ich fürchte, es wird eine erschütternde Bilanz sein", sagte Bundeskanzler Dr. Adenauer am 4. Januar 1950, als er den Beschluß der Bundesregierung bekanntgab, eine Bilanz der Kriegsschäden, ein vollständiges Bild über die Verwüstung des Krieges und die Kriegsfolgelasten dem deutschen Volke vorzulegen. [] [] Er fügte hinzu: "Wenn Sie mich fragen, wie die Zukunft aussieht, so kann ich nur sagen: allzu rosig keinesfalls". [] [] Als Dr. Adenauer diese Bilanz ankündigte, hat er jedoch von den selbstverständlichen Konsequenzen dieser Bilanz, nämlich von dem Bilanzausgleich, in diesem Falle vom Lastenausgleich nicht gesprochen, auch nicht, als er von den "großen Aufgaben für das Jahr 1950" sprach -. Und dieses Verschweigen dessen, was die Vertriebenen, die Bomben- und Kriegsgeschädigten von der Bundesregierung zu hören erwarteten, spricht eine allzu deutliche Sprache. [] [] Das ist dieselbe Sprache, die der Bundesflüchtlingsminister Dr. Lukaschek redete, als er den Vertriebenen empfahl, sich dessen bewußt zu sein, "daß es in erster Linie auf ihr eigenes Können und ihre eigene Einsatzbereitschaft ankommen wird". Das ist, mit Verlaub gesagt, eine Binsenwahrheit, denn wer von den Flüchtlingen sich bisher anders verhalten hatte, ist längst unter die Räder gekommen und keiner der Vertriebenen, sofern er noch arbeitsfähig ist, hat jemals gedacht, ein "verhältnismäßig sorgloses Rentnerdasein" zu leben, vor dem der Herr Bundesflüchtlingsminister warnen zu müssen glaubt. So mancher der Vertriebenen hat allerdings gehofft, sich mit Hilfe des Lastenausgleichs eine neue bescheidene Existenz aufbauen zu können. Nach den Aeußerungen des Bundeskanzlers und nach den Ansichten der Bundesregierung wird er solche Hoffnungen zurückschrauben müssen. [] [] Das sei der Sinn der Worte Dr. Adenauers, meint die Basler "Nationalzeitung", der man gewiß nicht Sympathien mit der sozialdemokratischen Opposition nachsagen kann, daß Dr. Adenauer versuche, mit der angekündigten "Schreckensbilanz" über seine Verpflichtung hinwegzugleiten, etwas Durchgreifendes für die brennenden sozialen Fragen zu tun. Deutlicher hätte es auch eine deutsche Zeitung nicht sagen können. [] [] Vor kurzem hat in München der Hohe Kommissar McCloy in einer dezenten Form die Bundesregierung darauf aufmerksam gemacht, daß die Flüchtlingsfrage immer noch einer Lösung harrt. Nun, es häufen sich die Anzeichen dafür, daß vielen Flüchtlingen ein Licht darüber aufgegangen ist, daß sie am 14. August eine schlechte Wahl getroffen haben. [] [] "Die Opposition hat Sie unlängst den Bundeskanzler der Alliierten genannt", so apostrophiert eine große Flüchtlingszeitung Dr. Adenauer und fährt fort: "Wir gehören nicht zu Ihren politischen Gegnern, Millionen unter uns haben Ihnen ihre Stimme gegeben. Vielleicht ist es darum für Sie von größerer Bedeutung als jener Vorwurf, wenn wir uns heute fragen, ob Sie etwa der Bundeskanzler der Satten seien?" [] [] Das ist ein bitteres Wort, aber es kann mit Tatsachen belegt werden. [] [] So sieht die Flüchtlingspolitik der Regierung Adenauer aus: [] [] Als auf der ersten Arbeitstagung des Bundesrates vom Vertreter Niedersachsens ein Entwurf zum teilweisen Flüchtlingsausgleich vorgelegt wurde, weigerte sich der Bundesflüchtlingsminister, von seinen Befugnissen Gebrauch zu machen. Er sträubte sich gegen eine Rechtsverordnung, die dann doch erzwungen wurde und wenigstens 300000 Vertriebene in bessere Verhältnisse bringen wird. [] [] Er sei Föderalist, sagte der Bundesflüchtlingsminister. Dabei wußte er nur zu gut, daß mit Hilfe eines falsch angewandten Föderalismus vier Jahre lang verhindert wurde, aus dem schleswig-holsteinischen, niedersächsischen und bayerischen Flüchtlingsproblem ein gemeinsames deutsches Anliegen werden zu lassen und so den Flüchtlingen helfen zu können. [] [] Den Flüchtlingsmarsch Uelzen-Bonn wollte der Bundesflüchtlingsminister polizeilich abstoppen. Er vertritt überhaupt den Standpunkt, daß man auch noch von Westdeutschland aus den eisernen Vorhang herunterlassen müsse, um sich der Flüchtlinge aus der Ostzone zu erwehren, von denen etwa 60 v. H. Vertriebene aus Ostdeutschland sind, die unter den schwierigen Lebensverhältnissen in der Ostzone noch keinen Fuß fassen konnten. [] [] Als im Bundestag von der sozialdemokratischen Opposition beantragt wurde, daß die Hausratshilfe noch vor Weihnachten geleistet werden sollte, versuchten die Regierungsparteien durch Ausschußüberweisung diese Bemühungen zunichte zu machen. Hätten die Sozialdemokraten nicht auf namentliche Abstimmung bestanden und damit zwar nicht das soziale Gewissen, aber doch die Angst der Regierungsparteien geweckt, müßten die Vertriebenen heute noch auf diese kleine Hilfe warten. [] [] Als die Frage des Lastenausgleichs wieder einmal diskutiert wurde, fragte der Bundesfinanzminister, ob ein solcher überhaupt ohne Bürgerkrieg möglich sei. Der zuständige Bundestagsausschuß mußte erklären, daß er von der Regierung noch keinerlei konkrete Vorschläge erhalten habe, um durch einen gerechten Lastenausgleich den Vertriebenen, Ausgebombten und Kriegsgeschädigten Hilfe und Unterstützung zu geben. [] [] Um die Ansprüche der ostvertriebenen Beamten festzustellen, bedient sich die Regierung eines zeitraubenden Ermittlungsverfahrens. Das ist zwar notwendig, aber man hätte gleichlaufend mit einer Zwischenlösung die größte Not heute schon mildern können. [] [] Mehr und mehr häufen sich die Stimmen derer, die aus falsch verstandenen Motiven die Regierungsparteien gewählt haben, jetzt aber feststellen müssen, daß sie einer Selbsttäuschung zum Opfer gefallen sind. Immer lauter wird der Ruf nach einer Revolutionierung unserer Gesetzgebung. Nur so ist es möglich, das von dem Bundesfinanzminister leichtsinnig gesprochene Wort vom Bürgerkrieg nicht Wirklichkeit werden zu lassen. [] [] Es ist höchste Zeit, den Vertriebenen, Ausgebombten und Kriegsgeschädigten ernsthaft zu helfen. [] [] Herausgeber: Vorstand der SPD [] Druck: Buchdruckwerkstätten Hannover GmbH.
Published:1950