Die neue Tabakfabrikatsteuer

Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals Die neue Tabakfabrikatsteuer [] Ein Gesetz zur Vernichtung der Zigarren - Industrie!!! [] Etwa 40000 Tabakarbeiter brotlos [] Tabakarbeiter Deutschlands! [] Erwacht! [] Auf zum Kampf für Euere bedrohte Existenz! [] Nachdem die deutsche Reichsr...

Full description

Bibliographic Details
Main Authors: Die Zentralkommission der Tabakarbeiter Deutschlands, Müller, Max, Leipziger Buchdruckerei Aktiengesellschaft / Max Müller, Berlin
Institution:Archiv der sozialen Demokratie (AdsD)
Format: IMAGE
Language:German
Published: 1907
Subjects:
Online Access:http://hdl.handle.net/11088/7708AD2B-5946-4134-9A21-8178B91D136D
Description
Summary:Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals Die neue Tabakfabrikatsteuer [] Ein Gesetz zur Vernichtung der Zigarren - Industrie!!! [] Etwa 40000 Tabakarbeiter brotlos [] Tabakarbeiter Deutschlands! [] Erwacht! [] Auf zum Kampf für Euere bedrohte Existenz! [] Nachdem die deutsche Reichsregierung monatelang die Tabakindustrie auf die Folter gespannt hatte, ist sie endlich - bei Eröffnung des Reichstages - mit ihrem Gesetzentwurf herausgerückt. [] Im Vergleich zu den Steuerplänen des früheren Reichsschatzsekretärs kann der neue Minister mit seinem Tabak-Verbrauchssteuer-Entwurf den Tabakarbeitern zurufen: [] "Mein Vater hat Euch mit Peitschen geschlagen, ich aber Will Euch mit Skorpionen züchtigen!" [] Der bis heute nicht aufgegebene Lieblingsplan der deutschen Reichsregierung ist das Monopol. [] Weshalb kommt sie nicht heraus mit ihrem Plan? Die Norddeutsche Allgemeine Zeitung, das Kanzlerorgan, sagt's mit dürren Worten! [] Unter den gegebenen Verhältnissen [] kann diese Besteuerungsart nicht in Erwägung gezogen werden! Würde die Regierung heute das Monopol vorschlagen, müsste sie die existenzlos werdenden Fabrikanten, Händler und Arbeiter entschädigen; bei deren Zahl würde das enorme Mittel erfordern! [] Deshalb heute kein Monopol - aber ein Gesetz, welches durch vorherige rückhaltlose Vernichtung zahlloser Existenzen den Weg freimacht - zum Monopol! [] Das Zigarettensteuergesetz besteht erst zwei Jahre - aber schon jetzt würden die kleineren und mittleren Fabrikanten gegenüber einer weiteren höheren Besteuerung der Zigaretten dem Monopol den Vorzug geben. [] Die Großfabrikanten haben in ihren Fabriken große teuere Maschinen eingeführt, bei denen die Herstellungskosten pro Mille Zigaretten höchstens 75 Pfg. betragen, wogegen sie früher für Handarbeit einen Minimallohn von 3.75 Mk. zahlen mußten. [] Die Handarbeit verlegte man zu einem großen Teil von den Städtern aufs Land und zahlt den dortigen Arbeitern eine Mark bis zwei Mark für das Mille Zigaretten weniger an Lohn. Durch diese Manipulationen waren die leistungsfähigen Fabrikanten imstande, ihre Waren ohne erheblichen Preisabschlag weiter liefern zu können, während die kleineren Fabrikanten dazu nicht imstande waren. [] Die Kosten der Zigarettenftener haben, wie 1879 die Zigarrenarbeiter die Zollerhöhung, zum größten Teil die Zigarettenarbeiter tragen müssen. [] Es ist auch nicht wahr, daß durch die Zigarettensteuer keine Arbeiter brotlos geworden sind; [] nach den Feststellungen der Berliner Ortskrankenkasse betrug die Zahl der Zigarettenarbeiter in Berlin vor Einführung der Banderolensteuer 1900, heute dagegen nur noch 1600. [] Ein Konsumrückgang ist durch die Zigarettensteuer nicht eingetreten. [!] - sagt die Regierung - deshalb wird eine Absatzverminderung auch durch eine Zigarren-Banderolensteuer nicht eintreten! [] Diese Schlußfolgerung kann nur jemand ziehen, der vom grünen Tisch aus urteilt - wer als Fachmann mitten drin steht im praktischen Leben, weiß, daß die Wirkungen auf die Zigarrenindustrie ganz andere sein müssen, weil in derselben ganz andere Verhältnisse obwalten. [] Bei der Herstellung von Zigarren ist der Uebergang von der Hand- zur Maschinenarbeit unmöglich, weil es brauchbare Maschinen nicht gibt. Und wenn sie erfunden würden, könnte es freilich für die Zigarrenarbeiter gleichgültig sein, ob ihre Existenz durch einen Konsumrückgang oder durch Einführung von Maschinen vernichtet wird. [] So lange aber Maschinen nicht eingeführt sind, sind drei Entwicklungsmöglichkeiten denkbar - entweder der Fabrikant zieht den Arbeitern die Steuer vom Lohn ab, oder er erhöht den Preis der Ware, oder er verschlechtert das Fabrikat. [] Was wird geschehen? [] Ist es möglich, die Löhne noch weiter herabzusehen? Nach den Feststellungen sämtlicher gewerblichen Berufsgenossenschaften betrug der Durchschnittsverdienst eines Vollarbeiters im Jahre 1906 1027.59 Mk. Dagegen erreichte in demselben Jahre der Durchschnittsverdienst eines Vollarbeiters in der Tabak- und Zigarrenindustrie nur die Höhe von 574.75 Mk., d. h, die Tabakarbeiter sind um 44 Prozent ungünstiger gestellt, als die übrigen Arbeiter in Deutschland. Von dem Segen der letzten Hochkonjunktur haben die Tabakarbeiter wenig zu kosten bekommen - für das Jahr 1900 betrug nämlich der Durchschnittsverdienst eines Vollarbeiters im allgemeinen 896.59 Mk., eines Tabakarbeiters 541.08 Mk. [] Während sich in der Periode der Hochkonjunktur der Industrie der Durchschnittsverdienst im allgemeinen um 131 Mk. pro Arbeiter steigerte, stieg er bei den Tabakarbeitern nur um 33.67 Mk. [] Weiter bergab, sollte man meinen, kann's nicht gehen - aber, wer das glaubt, kennt unsere Fabrikanten und ihre Praktiken nicht. Können sie keine Maschinen einführen, gibt's doch immer noch Gegenden in Deutschland, wo die Tabakarbeiter so schlecht organisiert sind, daß sie einem Lohndruck wehrlos gegenüberstehen. [] Die Tabakfabrikatsteuer enthält mit ihrer Staffelung ja geradezu einen Anreiz zur Lohnreduktion; ist der Fabrikant imstande, durch Lohnreduktionen ein bis zwei Mark pro Mille sparen zu können, kann er seine Zigarren, ihrer geringeren Herstellungskosten wegen, zu einem niedrigeren Detailpreis ansetzen und spart dadurch gleichzeitig die Mehrsteuer für die höhere Steuerklasse. [] Nach der Regierungsvorlage soll die Höhe der Tabakverbrauchssteuer betragen: [] für Zigarren im Kleinverlaufspreise für 100 Stück: [] 1. bis zu 4 Pfg. das Stück 4 Mk. [] 2. von über 4 bis 7 Pfg. das Stück 6 [] 3. von über 7 bis 13 Pfg. das Stück 16 [] 4. von über 13 bis 25 Pfg. das Stück 32 [] 5. von über 25 bis 50 Pfg. das Stück 64 [] 6. von über 50 Pfg. das Stuck 96 [] Würde der Fabrikant nun z. B. bei der 4-Pfennig-Zigarre die ganzen 4 Mark Steuer auf den Preis der Ware schlagen wollen, so würde die 4-Pfennig-Zigarre für den Händler zu teuer werden; die 4-Pfenmg-Zigarre würde mit 5 Pfg. verkauft und dann dafür 8 Mk. Steuern bezahlt werden müssen. [] Wird die Vorlage Gesetz, so werden die Fabrikanten in Süddeutschland, in Schlesien und in Sachsen aber unter allen Umständen versuchen, die 4-Pfg.-Zigarre zu halten. Das ist aber nur durch Lohnreduktion möglich! [] Lohnreduktionen allein tun's aber nicht - das Fabrikat muß auch verschlechtert werden. [] Trotz Lohnreduktionen werden in Zukunft die Raucher eine bisherige gute 5-Pfennig-Zigarre nur zu 7 Pfg. das Stück bekommen! [] Fabrikant und Händler wollen sich ihren alten Profit erhalten! [] Das ist nur möglich: durch Lohnreduktionen, durch Verschlecherung des Fabrikats und durch Erhöhung der Preise! [] Was wird unter solchen Umständen die Wirkung des Gesetzes sein? [] Tabakarbeiter Deutschlands! [] Wenn einige unter Euch etwa glauben sollten, auf den Absatz von Zigarren würde das keinen Eindruck machen, so bedauern wir solche Sorglosigkeit. [] Blickt hin auf Russland! [] Rußland hat die Banderolensteuer! Rußland hat mehr als zweimal soviel Einwohner als Deutschland! Trotzdem sind dort bei des Herstellung von Zigarren noch keine 3000 Personen beschäftigt, in Deutschland mehr als 150000 Personen. [] Dagegen werden in Rußland zweimal so viel Zigaretten geraucht und wird mehr als zweimal so viel Pfeifen-, Kau- und Schnupftabak verbraucht, als in Deutschland. [] In Deutschland sind zirka 200 000 Personen in der Tabak- und Zigarrenindustrie beschäftigt, in Rußland nur 35 000. [] Aber Deutschland ist nicht Rußland, werden einige sagen; bei uns in Deutschland sind die Erwerbsverhältnisse doch besser als in Rußland. [] Gewiß - aber es gibt ein Land, in welchem die Lohn- und Arbeitsverhältnisse der großen Masse viel, viel besser sind als in Deutschland und in welchem bei dem Fabrikatsteuersystem die Zigarrenindustrie trotzdem sich nicht so günstig entwickelt hat, als in Deutschland. Das sind die Vereinigten Staaten von Amerika! [] Prozentual ist dort die Banderolensteuer geringer als in Deutschland. Nach dem der Regierungsvorlage beigefügten statistischen Material über Amerika wurden dort im Jahre 1905 in Zigarrenfabriken 135 418 Personen beschäftigt. Amerika hat 83,3 Millionen Einwohner, Deutschland 61 Millionen. [] Mithin würden unter gleichen Verhältnissen in Deutschland nur 99186 Personen in Zigarrenfabriken beschäftigt werden können. Die Verhältnisse sind aber schlechter in Deutschland! Deshalb ist es keine Uebertreibung, wenn wir annehmen: durch die Einführung der Banderolensteuer werden in Deutschland mindestens 40000 Tabakarbeiter brotlos werden. [] Tabakarbeiter Deutschlands! [] Weil in den letzten Jahren eine Steuererhöhung immer abgelehnt worden ist, wiegen sich viele von Euch in Sicherheit. Sie schlafen weiter! [] Kollegen! Wir warnen Euch! [] Die politische Situation ist diesmal eine andere, als sie früher gewesen ist. 500 Millionen neue Steuern sollen aufgebracht werden! [] Und da gibt es viele Reichstagsabgeordnete, die da meinen, etwas könne die Tabakindustrie zu den neuen Steuern doch auch wohl beitragen. [] Kollegen! Wenn Ihr weiter schlaft, wird die Banderolensteuer angenommen werden! Rüstet zum Kampf - ehe es zu spät ist. Keiner von Euch darf zu Hause bleiben, wenn eine Protest-Versammlung stattfindet. [] In allen Gemeinden, in welchen eine größere Zahl von Tabakarbeitern wohnt, müßt Ihr die tüchtigsten Kollegen dazu bestimmen, mit dem Gemeindevorstand und der Gemeindeverwaltung Rücksprache zu nehmen. Viele Gemeinden werden völlig verarmen, wenn die Steuer angenommen wird. [] Ihr müsst Euren Gemeindevorstand zu bestimmen suchen, an den Reichstagsabgeordneten des Kreises, an die Regierung heranzutreten, damit das Unheil von Euch abgewendet werde! [] Rüstet zum Tabakarbeiter-Kongress! [] Derselbe muß diesmal so zahlreich beschickt werden, wie nie zuvor! Kein Ort, in welchem eine Anzahl Tabakarbeiter sind, darf unvertreten sein! [] Kollegen und Kolleginnen! [] Schließlich noch eine ernste Mahnung in ernster Stunde! [] Wie viele gibt's noch unter Euch, die nicht organisiert sind; würdet Ihr alle Mitglied in den Tabakarbeiter-Organisationen sein, welch ein Gewicht würden deren Beschlüsse und Maßnahmen in der gegenwärtigen Situation haben. Die Organisation ist unsere einzige Waffe im Kampfe um unsere Existenz. [] Euch ist kein anderes Mittel gegeben, Euch Eurer Haut zu wehren gegen die Regierung mit ihren fortgesetzten Plänen, den Tabak und damit in Wirklichkeit die Tabakarbeiter bluten zu lassen, als die Organisation. [] Ihr habt keine andere Waffe gegen die Lohnherabsetzungen der Fabrikanten als die Organisation. [] Wollt ihr denn ewig Hungerleider bleiben? [] Andere Arbeiter haben durch ihre größere Kampfbereitschaft der Lebensmittelverteuerung durch Zölle und Fabrikantenringe entgegenwirken können. Ihr zahlt die hohen Preise für alle Bedarfsartikel ohne zu mucksen - [] und trotz Eurer Langmut, trotz Eurer Unterwürfigkeit wagt es die deutsche Reichsregierung, Euch diese Vorlage zu bieten. Habt Ihr denn keinen Funken von Energie mehr, daß Ihr schweigend duldet und immer weiter duldet, je mehr Ihr getreten werdet? [] Tabakarbeiter Deutschlands! [] Aufgewacht! Tretet ein in die anerkannten Organisationen der Tabakarbeiter - in den Tabakarbeiter- und in den Zigarrensortierer-Verband. [] Beide Verbände zahlen außer den Unterstützungen in wirtschaftlichen Kämpfen - bei Streiks, Aussperrungen und Maßregelungen - Reise-, Kranken- und Arbeitslosenunterstützung. Beide Verbände bieten Euch Schutz in allen Notlagen des Lebens. Was zaudert Ihr, Brüder und Schwestern? Kommt, helft uns, schließt unsere Reihen, damit wir den kommenden Stürmen ruhiger entgegensehen können. [] Weder religiöse noch politische Fragen dürfen uns trennen! Wir sind alle Tabakarbeiter, haben alle ein gemeinsames Interesse, uns gegen das Blutabzapfen der Reichsregierung und der Kapitalisten zu wehren. [] Auf! Laßt uns zusammenstehen - in Not und Gefahr! Laßt uns kämpfen, damit das Attentat der Reichsregierung auf unsere Existenz vereitelt werde. [] Die Zentralkommission der Tabakarbeiter Deutschlands [] I. A: Max Müller. [] Verlag von Max Müller, Berlin. - Rotationsdruck der Leipziger Buchdruckerei Aktiengesellschaft.
Published:1907