An die Wähler des 1. Braunschweigerischen Wahlkreises

Bemerkungen: Fraktur; [] = Absatzmarken im Volltext des Originals An die Wähler [] des 1. Braunschweigischen Wahlkreises. [] Wähler! [] Der Tag der Reichstagswahl rückt heran. Nie ist die Entscheidung für den Wähler so leicht gewesen wie gegenwärtig, denn Heute steht die Frage so: [] Soll der Wille...

Full description

Bibliographic Details
Main Authors: Blos, Wilhelm, A. Vogel u. Co. in Braunschweig / K. Ruhnel in Braunschweig
Institution:Archiv der sozialen Demokratie (AdsD)
Format: IMAGE
Language:German
Published: 21.02.1887
Subjects:
Online Access:http://hdl.handle.net/11088/89C8489C-33C0-47AD-B4E3-A89776F7AE16
Description
Summary:Bemerkungen: Fraktur; [] = Absatzmarken im Volltext des Originals An die Wähler [] des 1. Braunschweigischen Wahlkreises. [] Wähler! [] Der Tag der Reichstagswahl rückt heran. Nie ist die Entscheidung für den Wähler so leicht gewesen wie gegenwärtig, denn Heute steht die Frage so: [] Soll der Wille des Volkes und seiner Vertreter noch irgend welche Geltung haben oder soll dasselbe vollständig auf jede Selbstbestimmung Verzicht leisten und unbedingt und widerspruchslos sich dem Gebot seiner Herrscher unterwerfen? [] Willfähriger kann sich die absoluteste Regierung nicht einen Reichstag wünschen, als bisher die Majorität des deutschen Reichstags gewesen. Schritt vor Schritt ist sie vor dem Willen des Reichskanzlers zurückgewichen, ein Volksrecht nach dem anderen hat sie preisgegeben, sie hat den Reichstag in der Weise erniedrigt, daß er in der Volksachtung so sank, daß man tausendfach die Bemerkung hören konnte: Es hilft doch alles nichts; Bismarck setzt doch alles durch was er will. Je nachgiebiger sich die Mehrheit des Reichstags zeigte, je mehr wurde von ihm verlangt. Gerade diese Gefügigkeit der Mehrheit ist die Folge gewesen, daß jeder Widerstand gegen die Regierung dem Reichstage schon als Verbrechen angerechnet wird. [] Der Reichstag ist aufgelöst worden und eine neue Wahl steht bevor! Warum erfolgte die Auslösung? Die Regierung verlangt eine Vermehrung der Friedensstärke des Heeres um 41 (XX) Mann und die Bewilligung für die Dauer von sieben Jahren. Die Mehrheit des Reichstages, das Zentrum und die Deutsch-Freisinnigen, gab der Regierung so weit nach, daß sie ihr jeden Mann und jeden Groschen, aber zunächst nur auf drei Jahre bewilligte. Die Parteien gaben hiermit schon ein höchst wichtiges Völkerecht, das alljährliche Bewilligungsrecht des Reichstags, preis. Aber diese Nachgiebigkeit selbst genügte nicht der Regierung, und so löste sie denn den Reichstag auf und berief das Volk zu neuen Wahlen. [] Eine wüste Agitation geht nunmehr durch das Reich; in allen konservativen und nationalliberalen Blättern wird ein Kriegs Geschrei erhoben, das vor allen Dingen sich gegen Frankreich wendet, als standen dessen Heere vor den Thoren Deutschlands. Alle Schrecken des Krieges werden ausgemalt, dem "guten Bürger" und dem Landmann wird die Franzosenfurcht eingejagt, und jeder, der nicht der Regierung in der Militärfrage die unbedingteste und uneingeschränkteste Unterwürfigkeit zusagt, wird gleichsam als Vaterlandsverräther hingestellt, der das Reich wehrlos und zum Spielball feindlicher Horden machen wolle. [] Wohl ist eine Kriegsgefahr vorhanden, aber diese beruht in dem Herrschenden Militarismus, von dem Moltke selbst eingestehen muß, daß er durch die immer gesteigerten Rüstungen der Nationen zur Entscheidung dränge. Eine Kriegsgefahr ist vorhanden, dieselbe beruht aber in einer Politik, die nicht in erster Linie eine volksthümliche, die Interessen der Völker umfassende, sondern ein diplomatisches, mit größerer oder geringerer Virtuosität getriebenes Spiel ist. Solche Kriegsgefahr aber beherrscht und wird unsere politischen Verhältnisse beherrschen, so lange nicht die politische und diplomatische Regierungsweise einer volksthümlichen weicht. [] Was nun aber die besondere Kriegsgefahr betrifft, die man in allen Wahlaufrufen der Konservativen und Nationalliberalen hervorhebt, so ist sie thatsächlich nicht vorhanden. Der Kaiser, Fürst Bismarck, der Kriegsminister, sie haben alle hervorgehoben, daß eine unmittelbare Kriegsgefahr nicht vorhanden. Existiere aber wirklich eine solche, dann würde die Regierung doch gewiß keinen Augenblick zögern, das Zugeständniß des Zentrums und der Freisinnigen anzunehmen, welche zunächst alle ihre Forderungen auf drei Jahre bewilligen. Wäre eine wirkliche Kriegsgefahr vorhanden, wie müßen dann erst alle jene konservativen und nationalliberalen Organe, Wahlflugblätter und Wahlredner gebrandmarkt werden, die den Wahlkampf in einer Weise betreiben, als predigten sie den Bürgerkrieg. Das deutsche Reich wird von allen Seiten als bedroht hingestellt und dann wird noch die große Mehrheit des Volkes als reichsfeindlich und vaterlandsverrätherisch denunzirt. Drohte uns wirtlich ein äußerer Feind, dann wäre dieses<NZ>Treiben Jener, die sich mit dem nationalen Namen schmücken, als geradezu niederträchtig zu bezeichnen, denn es müßte jeden Feind geradezu zum Angriff anlocken. [] Nicht um die Wehrhaftigkeit des Reiches handelt es sich in diesem Wahlkampf und zum wenigsten war es nicht diese Frage allein, welche die Auflösung des Reichstages herbeiführte. Dieses empfanden wohl auch die Deutsch-Freisinnigen, aber in ihrer Verzagtheit bebten sie davor zurück, daß die falsche Beschuldigung, sie wollten das Reich wehrlos machen, in den Köpfen eben so verzagter Bürger Glauben finden könnte und kamen der Regierung bis aufs äußerste entgegen. Das hat ihnen wenig geholfen. Die sozialdemokratische Partei, die wohl mehr wie jede andere das Vaterland liebt, aber das Vaterland im Volke verkörpert sieht, und das Wohl des Vaterlandes in der Gesammtwohlfahrt des Volkes erblickt, kümmert sich nicht um trügerischen Schein; sie weiß, daß die Wahrheit sich schließlich durchbricht. Sie konnte der Negierung nach der ganzen von dieser getriebenen Politik kein Vertrauen entgegenbringen, sie sah auch in der Stärkung des Militarismus kein Schutzmittel für den Frieden oder eine erhöhte Wehrhaftigkeit des Volkes. Wir würden solche erblicken in der Bildung eines Volksheeres, das alle Wehrhaften umfaßt, das nicht blos einzelnen Kreisen das Privilegium einer kurzen Dienstpflicht gewährt, das auch die kastenmäßige Gliederung der Stände nicht kennt. So aber konnten die Sozialdemokraten der Regierung keinen Pfennig und keinen Mann bewilligen. Wir wollen die Wahrhaftigkeit des Reiches zur Sicherung des Friedens kräftigen, aber nicht geschieht das durch den Militarismus, mit seinem "bewaffneten Frieden", der den Wohlstand der Völker aufzehrt und den Anreiz zu immer neuen Kriegen bildet. [] Anders denken die Vertreter des Militarismus. Obenan steht Moltke der sich in einem Briefe zu folgender Aeußerung verstieg: [] Der ewige Friede ist ein Traum und zwar nicht einmal ein schöner Traum, der Krieg ist ein Element der von Gott eingesetzten Ordnung. Ohne den Krieg würde die Welt in Faulniß gerathen und sich im Materialismus verlieren. [] Nun, das Volk hat eine andere Meinung vom Kriege. Für Diejenigen, welche sich auf Lotterbetten wiegen, für verweichlichte Muttersöhnchen, für die Herren des Sports, des Roulette's. der Champagnergelage und Balleteusen, da mag die Strapaze des Krieges eine erfrischende Emotion sein, die sie aus der Fäulniß emporreißt. Das Volk, das arbeitende Volk braucht den Krieg nicht, um es vor Fäulniß zu wahren. Die Arbeit, der Kampf um das Dasein, die Sorge für Weib und Kind, das ernste Streben des Schaffens und Werkes, die Förderung der Freiheit, der Wohlfahrt, der Bildung des Menschengeschlechts, sie lassen keine Fäulniß aufkommen; ihnen gegenüber treten alle diejenigen zurück, welche nich an der allgemeinen Volksarbeit Theil nehmen. Wen fördert der Krieg? [] Wie frivol ist nun erst die Erhebung des Kriegsgeschreis zu Wahlzwecken. Wie sehr unter diesem ganz und gar unmotivirten und künstlichen Kriegslarm die Geschäfte, groß und klein, leiden müssen, sehen die konservativ nationalliberalen Reaktionäre nicht ein; sie lassen sich von ihrem Partei, und Klassen-Egoismus fortreißen. [] Bei der Auflösung des Reichstages hat es sich nicht um das Septennat, um die Militärfrage allein gehandelt. Das Bestreben der Regierung geht offenbar dahin, sich eine ihr´ganz ergebene Majorität im Reichstage zu verschaffen, die alle bewilligt, was die Regierung nur wünscht.<NZ>Wir sind auch der Meinung, daß das allgemeine Wahlrecht, dieses kostbarste politische Recht des deutschen Volkes nicht unangetastet bleiben wird, wenn eine konservativ-nationalliberale Majorität in den Reichstag kommt. Haben doch die Herren Junker schon eine neue "Idee" ausgebrütet, die an Stelle des gegenwärtigen demokratischen und volksthümlichen Wahlsystems eine ganz Mittelalterliche "Stände-Vertretung" sehen will. [] Die gesteigerten Forderungen für den Militarismus, die im neuen Reichstage gestellt werden, setzen auch wiederum neue Steuern, Volksklassen lastet. Die Großgrundbesitzer und die Großindustriellen haben es verstanden, sich in der Mehrbelastung des Volkes schadlos zu halten durch die ihnen vor Allem zu Gute kommenden Schußzölle. [] Mehr wie je thut es noth, Männer zu wählen die sich den<NZ>voraus. Wir glauben, daß das Volk mehr als genug belastet ist, zumal die Steuerlast vorzugsweise auf der großen Masse der ärmeren Drohungen und dem Lärm der Reaktionäre nicht beugen und die sich durch keine andere Rücksicht, als die der allgemeinen Volkswohlfahrt leiten lassen. [] Wir empfehlen Euch deshalb, den bisherigen Vertreter dieses Wahlkreises [] Wilhelm Blos [] wieder zu wählen. [] Bei der vorigen Wahl hatten die Konservativ-Nationalliberalen und die Freisinnigen besondere Kandidaten gegen denselben aufgestellt. Sie befehdeten sich unter einander auf das Schärfste. Jetzt haben sich beide Gegenparteien in diesem Wahlkreise vereinigt, oder vielmehr die Freisinnigen haben sich den von ihnen so heftig bekämpften Nationalliberal-Konservativen vollständig unterworfen. Sie haben ein sogenanntes Kompromiß geschlossen, welches aber nur darin besteht, daß der von den Freisinnigen vorgeschlagene Kandidat keine offene Erklärung abzugeben hat. Die Nationalliberal-Konservativen haben diese Kandidatur angenommen, da ihnen die Zusicherung des Kandidaten gegeben ist, daß er in ihrem Sinne stimmen wird. Zu solcher Kandidatur hat sich Herr Stadtrath Retemeyer hergegeben. [] Die Unterzeichner des Aufrufs für Herrn Retemeyer erklären, daß demselben bindende Verpflichtungen betreffs der Militärfrage nicht auferlegt seien, sondern daß es ihm überlassen sei, seine Abstimmung seinem Gewissen gemäß einzurichten. Ziemt ein solches Versteckspiel einem Manne, der in schwerer Zeit das Volksinteresse zu vertreten hat? [] Welches sind die Verdienste des Herrn Stadtrath Retemeyer? Welche Stellung nimmt er zu den zeitbewegenden Fragen? Die Vertreter seiner Wahl hüllen sich in züchtiges Schweigen. [] Wir kennen Herrn Retemeyer nur aus seiner Stellung im Magistrat, innerhalb derer ihm die Behandlung der gewerblichen Angelegenheiten anvertraut ist. Es ist dieses eine Stellung, innerhalb derer sich ein Mann, gleichviel welcher politischen Richtung er angehöre, Achtung und Vertrauen selbst unter politischen Gegnern erwerben kann. Trotz seiner Anlehnung an die zünftlerischen Bestrebungen hat Herr Retemeyer sich weder besondere Achtung unter den Fabrikanten und Meistern, noch auch Vertrauen unter den Gesellen und Arbeitern zu verschaffen gewußt. Die Schwäche und das Sich-Gehen-Lassen ist der Grundzug seines Charakters, und dieses auch die Ursache zu sein, die ihn zum Kompromißkandidaten geeignet erscheinen ließ. Innerhalb seiner Pfähle, in seinem [?]ub und unter seinen Freunden mag Herr Retemeyer ja ein ganz netter Mensch sein, im öffentlichen Leben aber erwarten wir von ihm alles andere eher als Mannesmuth. Einen wirklich konservativen Mann würden wir immer noch einem Kandidaten vorziehen, dessen Haupttugend in der Gefügigkeit und Schmiegsamkeit unter die Macht besteht. [] Wir können uns der Vereinigung unserer Gegner freuen; der letzte Rest des Scheins der Freisinnigkeit ist von ihnen abgestreift, und der Wähler hat heute nur zu entscheidn, ob er einen mannhaften Vertreter des Volksrechts, oder einen geschmeidigen Diener der Macht wählen will. [] Wir sind überzeugt, daß die Wähler heute dem mannhaften Vertreter des Volksrechts den Vorzug geben werden. [] Wer da will, daß nicht alle Volkerechte Preisgegeben werden, daß das Volk mitbestimmend seine Geschicke zu leiten habe, daß der Reichstag, die Volksvertretung, etwas mehr sei als eine bloße Geldbewilligungsmaschine, der gebe am Wahltage seine Stimme für [] Wilhelm Blos [] Wer da will, daß die Einheit und die Kraft des Reiches gefördert werde in der Unterordnung der Einzelinteressen unter das Gesammtinteresse, wer die Zerrissenheit des Volkes, welche auf der Bevorzugung einzelner Stände und Klassen beruht, beseitigen will, der wähle [] Wilhelm Blos. [] Die Wehrhaftigkeit eines Reiches beruht auf dem inneren Frieden, der nur unter allgemeinem gleichen Reckt für Alle gedeihen kann. Alle Ausnahmegesetze für einzelne Kreise des Volkes sind eine Art Bürgerkrieg. Wer durch Beteiligung aller Ausnahmegesetze das gleiche Recht sür Alle anstrebt, der wähle [] Wilhelm Blos. [] Wie zur Erfüllung der Militärpflicht nur der Kräftigste eingezogen wird, so hat sich auch die Steuerbelastung nach der Steuerkraft des Bürgers zu richten. Dieses ist nur möglich durch die Ersetzung der die armen Volksklassen vorzugsweise belastenden indirekten Steuer durch eine direkte Einkommensteuer, welche die Steuerzahler im Verhältniß zu ihrer Leistungsfähigkeit besteuert. Wer für solche Steuerreform strebt, der wähle []Wilhelm Blos [] Wer da will, daß die gesammte Gesetzgebung nur dem Zwecke diene, die Gesammtwohlfahrt Aller zu fördern, die Gesammtheit des Volkes auf der Bahn der Freiheit, der Bildung, des Wohlstandes zu heben, wer alle dieser Entwicklung entgegenstehenden. Hemmnisse beseitigt wissen will, der wähle [] Wilhelm Blos [] Wer da aber will, daß nicht einmal der Versuch gemacht wird die das Volk drückenden Uebelstände zu beseitigen, wer die Unterdrückung des Volkes durch eine kleine Anzahl durch Stand, Rang und Besitz Bevorzugter verewigt wissen will, wer ein Volk als eine Heerde Schafe ansieht, die dazu da sind, von Wenigen geschoren zu werden, wer sich selbst zum Lakaien und Liebediener geschaffen fühlt, in dessen Herz und Geist nicht Mannessinn noch Mannesmuth lebt, der wähle immerhin reaktionär! [] Wähler! Ihr werdet am Wahltage Euch zu entscheiden wissen; Ihr werdet zeigen, daß Ihr Männer seid, die nur einem Manne die Stimme geben können; Euer Kandidat, der Mann Eures Vertrauens ist []Wilhelm Blos, Schriftsteller in Stuttgart [] Verlag von G. Kuhnel in Braunschweig - Druck von A. Vogel u. Co. in Braunschweig.
Published:21.02.1887