Kritik und öffentliche Meinung!

Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals; Veröffentlicht in Nr. 7 der "Lübecker Freien Presse" vom 25. Januar 1947. [] Kritik und öffentliche Meinung! [] Zum Thema: Unparteiliche Presse - Wieder Absturz in politische Unvernunft? [] Von Karl Albrecht [] LÜBECK, 25. JANUAR 19...

Full description

Bibliographic Details
Main Author: Albrecht, Karl
Institution:Archiv der sozialen Demokratie (AdsD)
Format: IMAGE
Language:German
Published: 01.1947
Subjects:
Online Access:http://hdl.handle.net/11088/EEAFB968-AD51-4BAF-95FC-5AAADE3C078E
Description
Summary:Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals; Veröffentlicht in Nr. 7 der "Lübecker Freien Presse" vom 25. Januar 1947. [] Kritik und öffentliche Meinung! [] Zum Thema: Unparteiliche Presse - Wieder Absturz in politische Unvernunft? [] Von Karl Albrecht [] LÜBECK, 25. JANUAR 1947. [] Mit heftiger Gestikulation versuchen in letzter Zeit einige sogenannte un- oder überparteiliche Zeitungen, die Oeffentlichkeit von den leuchtenden Vorzügen ihrer Existenz zu überzeugen. Es geht hierbei, klar ausgedrückt, noch immer um die nicht abgeschlossene Frage, wie soll die deutsche Presse in unserer demokratischen Neuordnung beschaffen sein. Ist das Uebergewicht den Zeitungen mit markanten politischen Profilen zu gewähren oder ist das Allheilmittel, die Deutschen zu einer politisch geschulten Nation zu machen, in der Schaffung und Stärkung von überparteilichen Zeitungen zu suchen? [] Wunderbare Einmütigkeit besteht nun allseits in der Feststellung, daß man eine Wiederkehr der Presseverhältnisse von vor 1933 nicht wünscht. Wir tun also gut, die Presse jener Zeit einer kritischen Beleuchtung zu unterziehen, denn uns will scheinen, daß an der Auslieferung des Reiches damals an den Verbrecher Hitler eine gewisse Presse lebhaften Anteil hatte. [] Und nun stimmt die Feststellung sehr nachdenklich, daß schon damals - vor 1933 - der weitaus größte Teil der deutschen Leserschaft nicht die Parteipresse aller Schattierungen las, sondern einer un- und überparteilichen Presse unterworfen war. Diese Presse, die sich in jener Zeit vielfach Generalanzeiger nannte, ging natürlich beim Umbruch 1933 gleich zum glorreichen Sieger über. Das wollen wir noch gar nicht einmal so stark ankreiden. Aber die Rolle dieser Zeitungen vor 1933 interessiert uns. [] Und diese Presse, die ohne Rückgrat war, und dennoch so eminent viel Einfluß auf das deutsche Gemüt hatte, war es damals, die es wesentlich mitverschuldete, daß Hitler verhältnismäßig ein leichtes Spiel mit dem deutschen Volk hatte. An dem Absturz der politischen Vernunft, an der Verwässerung aller eben gewonnenen Erkenntnisse, aber auch an der Vereitelung von Volk und Staat erhaltenden Notwendigkeiten trug diese unparteiliche Presse viel Schuld. [] Und heute? Verlangt der deutsche Mensch nicht mehr denn je nach einer richtungweisenden Kraft, nach einer klaren Zielsetzung? Ist nicht alles so sehr aus den Fugen geraten und die politische Unkenntnis so groß, daß der deutschen Presse von heute geradezu die Pflicht erwächst, den Suchenden aus dem verworrenen Labyrinth herauszuhelfen, indem sie die Fackel klarer politischer Erleuchtung und Zielsetzung anzündet? Der Leser will mehr als journalistisches Geschwafel oder hemmungslose Kritisiererei (meistens aus Unkenntnis noch an die verkehrte Adresse gerichtet!). [] Können wir uns den Luxus noch erlauben, dem Leser bei den geringen Publikationsmöglichkeiten lediglich magazinartige Anhäufung von Lesestoff in die Hand zu geben? Sollten wir nicht alle Chancen ergreifen, um die Lethargie der Massen durch die zündenden Funken politischer Erkenntnis in ein aktives Mitgehen zu verwandeln? [] In Wahrheit ist heute jede Sache des Lebens - und damit auch die Zeitung - gleichzeitig eine politische. Und Politik ist immer Stellungnahme, mag sich einer noch so unparteilich gebärden. Keiner kommt darum herum, sich für einen Standpunkt zu entscheiden. Die geschickte Umgehung oder Verbrämung kann den Leser nur verwirren oder Irreführen. Je klarer und eindeutiger diese Stellungnahme den Leser anspricht, um so mehr weiß er damit etwas anzufangen - für oder wider. [] Was soll aus unserer unendlich schweren politischen Aufklärungsarbeit werden, wenn beispielsweise die politische, an bestimmte Erkenntnisse und Forderungen gebundene Presse in Deutschland verschwindet? Es wäre erneuter Absturz in politische Unvernunft und Richtunglosigkeit. Die Demokratie besäße in gleicher Stunde keine unbedingt verläßlichen Fürsprecher mehr. Und aus dem Wust der Meinungen, die alle im Namen des Volkes zu sprechen vorgäben, schälte sich überhaupt keine Linie mehr heraus. Noch ist der Nebel aus der Hitlerzeit nicht aus allen Gehirnen beseitigt. Es bestünde, bei einer rein überparteilichen Presse, auch keine Aussicht mehr, daß er überhaupt je beseitigt würde. [] Wir reden darum keineswegs der parteidoktrinären Zeitung das Wort. Lebendigkeit, Vielfalt der Stimmen, Gegenmeinungen, Ausgeglichenheit des Inhalts dürfen nie verloren gehen. Schablone und Engstirnigkeit sind die Erzfeinde jeder Zeitung. Parteiamtsblätter sind unerwünscht, denn sie sind langweilig und wenden sich nur an einen kleinen Kreis. Genau so muß eine Zeitung frei bleiben in ihrer Kritik. Maulkörbe seitens der Obrigkeit kann es nicht wieder geben. Aber eine Zeitung muß mit diesem kritischen Mandat sehr verantwortungsbewußt umgehen. Der Sturm der Kritik findet heute leicht begeisterte Mitläufer. [] Wenn beispielsweise eine Stadt heute Uebelstände aufweist, so stimmt dies leider mit den Verhältnissen aller deutschen Städte überein, die alle zum gleichen traurigen Los verurteilt sind. Es liegt nun absolut nicht in der Macht einer einzelnen Stadtführung, für sich eine besondere Besserstellung zu erwirken. Hieraus der Stadtführung einen Vorwurf zu machen, wäre eine bösartige Verhetzung, denn die Beseitigung solcher Notzustände sind eine gesamtdeutsche, ja, eine europäische Aufgabe. Es wäre frevelhaft, wenn hier die gereizte Stimmung der Bevölkerung in falsche Bahnen gelenkt würde. Wir wissen, wie ohnmächtig selbst noch die Landesregierungen sind. Darum Kritik an die richtige Adresse! [] Sowohl in den Landes- und Stadtparlamenten wie auch in den politisch geleiteten Zeitungen wurden während der letzten Katastrophenwochen freimütig der Besatzungsmacht mit Recht die heftigsten Vorwürfe gemacht, denn sie bedient die Hebelstellen und zeichnet für Geschehenes und Nichtgeschehenes verantwortlich. Wenn eine solche Kritik etwa seitens der sozialdemokratisch redigierten Presse geschieht, so verbindet sie Haltung, politische Unbeirrbarkeit und Konsequenz mit der Autorität einer großen politischen Kraft. Wir möchten wissen, was die Einzelgänger einer unparteilichen Presse dem an die Seite zu setzen haben. Auch die sozialdemokratischen Zeitungen sind von Einzelpersönlichkeiten redigiert, die frei in ihren Entscheidungen sind. Aber sie fühlen sich kraft ihrer gereiften Ueberzeugung dazu berufen, außer einem objektiven Informationsdienst dem Leser auch Halt, Beistand und ein politisches Fundament zu bieten.
Published:01.1947