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Summary:Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals; An alle Haushaltungen in Recklinghausen [] Freie Demokratische Partei [] Kreisverband Recklinghausen [] 17. Juni 1950 [] Offener Brief an die CDU in Recklinghausen! [] Meine Herren Vorstandsmitglieder der CDU! [] Ihre Partei hat - ähnlich wie bei früheren Wahlkämpfen - der Bevölkerung in Recklinghausen das im Interesse des Ansehens der Demokratie bedauerliche Schauspiel geboten, ihren Wahlkampf in Ermangelung sachlicher Argumente mit häßlichen Entgleisungen und persönlichen Verunglimpfungen der Kandidaten der anderen Parteien zu führen. [] Zu solchen Mitteln greift man nur, wenn die Felle wegzuschwimmen drohen. Ein schlechtes Zeichen für Sie, - ein gutes Zeichen für uns; denn Sie scheinen, da Sie Ihren Aufwand an Kosten, Lungenkraft, Druckerschwärze und Lautsprecherstärke fast ausschließlich auf den Kampf gegen uns konzentrieren, uns doch wohl sehr zu fürchten. [] Solche Methoden des Stimmenfangs berühren uns nicht. Wir können uns nicht vorstellen, daß Sie in sachlich denkenden Kreisen für solch unsaubere Art der Wahlpropaganda ein Echo finden. [] Die Entgleisungen Ihres Herrn Bitter in der CDU-Versammlung vorn 14. Juni sind im höchsten Maße abgeschmackt; sie richten sich als Wahlmethode selbst. Es liegt uns nicht und würde unserer Auffassung von Demokratie und Toleranz widersprechen, wenn wir mit gleichen schmutzigen Mitteln antworten würden. [] Wenn Herr Bitter sich zu der Geschmacklosigkeit verstieg, unseren Kandidaten Dr. Schimpf einen "dummen Jungen" zu nennen, dem "der Hosenboden stramm gezogen" werden müsse, so ist das eine Infamie und Ungehörigkeit gegenüber einem Familienvater und 70%igen Kriegsbeschädigten, der 6 Jahre als Soldat draußen gestanden hat. Und wenn der gleiche Herr Bitter unserem Dr. Schimpf vorwirft, daß er als Schüler der HJ. angehört hat und damit ebenso wie der Sohn des CDU-Kandidaten Dr. Hellermann und ungezählte andere jungen einem politischen Irrtum erlegen ist, so zieht dieser Vorwurf einem damaligen Schüler gegenüber nicht, wenn man weiß, daß der damalige Schulrat Dr. Hellermann dem gleichen Irrtum erlag, sich 1933 begeistert der NSDAP anschloß und in vielen Schreiben und Ansprachen sich zu dieser Partei bekannte. Man soll uns nicht mißverstehen: Wir machen Herrn Dr. Hellermann aus diesem politischen Irrtum gar keinen Vorwurf; aber wir vermögen nicht einzusehen, warum ein Irren eines Schülers anders und sogar schärfer beurteilt werden soll, als dasjenige seines Schulrats. [] Im übrigen darf nicht vergessen werden, daß vor 1933 gerade Politiker von der Art des selbst in der CDU-Anhängerschaft bekanntlich allenthalben fallen gelassenen und als Kandidat nicht wieder aufgestellten Herrn Bitter es gewesen sind, die die Oppositionsbewegung entstehen ließen. [] Wir haben, als Herr Bitter bei der letzten Wahl für den Landtag kandidierte und durchfiel, im Interesse der Sauberkeit des Wahlkampfes bewußt darauf verzichtet, auf die immerhin sonderbaren Manipulationen des Herrn Bitter beim Erwerb der Recklinghauser Volkszeitung, auf die persönliche und geldliche Verquickung mit Männern wie Postminister Höfle und Lange-Hegermann zu verweisen, mit dessen Namen sich eine der übelsten Korruptionserscheinungen der damaligen Zeit verband. Wir haben darüber geschwiegen, daß Ihr Herr Bitter kraft seines kommunal-politischen Einflusses sich wenige Tage vor der Währungsreform noch einen 3 to-Lastwagen für seine Firma zuteilen ließ, der bereits einer anderen Firma zugesprochen war. Wir haben es auch vermieden, Ihrem Kandidaten Landrat Hoppe, der in diesem Wahlkampf so laut den Ruf nach Sparsamkeit erschallen läßt, die vielseitigen "ehrenamtlichen" Einnahmen vorzurechnen, die er neben seinem Berufseinkommen als Kirchenkassen-Pendant alle nebeneinander bezieht, nämlich als Bundestagsabgeordneter, als Landtagsabgeordneter, als Landrat, als Vorsitzender des Polizeiausschusses, Einnahmen, die sich monatlich auf etwa DM 2500-3000,- belaufen und dabei alle steuerfrei sind, ihn also in Ansehung seines Netto-Einkommens zu dem Inhaber eines der höchsten Einkommen weit und breit machen! [] Und das in einer Zeit, wo Millionen des deutschen Volkes an der Grenze des Hungers und der Verzweiflung ein Elendsdasein führen müssen und nicht einmal die Gelder vorhanden sind, um den unglücklichen Kriegsbeschädigten auch nur das Existenzminimum zu sichern! [] Wenn unser Kandidat, Herr Dr. Schimpf, angesichts dieser Not des Volkes bei einer Diskussion beanstandete, daß bei der von Herrn Dr. Hellermann geleiteten Stadtverwaltung ein Personenwagen zum Kaufpreis von ca. 10000,- DM neu beschafft wurde, so war dies ein sachliches Argument und ein Hinweis auf die Möglichkeit von Einsparungen, den sich derjenige, der sich dem politischen Kampf stellt, gefallen lassen muß, auch wenn dieser Hinweis ihm noch so unbequem sein mag. [] Es liegt uns und auch Dr. Schimpf fern, eine menschlich makellose Persönlichkeit wie Herrn Dr. Hellermann, dem Beispiel der CDU folgend, persönlich anzugreifen. Das verbieten uns Toleranz und Achtung vor der Ueberzeugung des politischen Gegners. Wir empfinden es jedoch nicht gerade als ein Zeichen jener Toleranz, die das Wesen wahren Christentums ausmacht, wenn Herr Dr. Hellermann in seinem Wahlbrief von den "von Gott abgewandten Eltern" schreibt, die für eine christliche Gemeinschaftsschule seien. Ob jemand ein guter oder schlechter Christ ist, darüber sollten wir Menschen uns kein eigenes Urteil anmaßen, sondern diese Entscheidung demütig und getrost dem ewigen Richter überlassen, der allein hierüber ein gültiges Urteil fallen kann. [] Seit über 100 Jahren existiert in Baden und Hessen allenthalben die christliche Gemeinschaftsschule zur vollen und vielfach bestätigten Zufriedenheit sowohl der katholischen Bischöfe wie der evangelischen Geistlichkeit. Wir rufen hierfür den Erzbischof Dr. Gröber in Freiburg zum Zeugen an, der im katholischen Kirchenblatt für die Erzdiözese Freiburg vom 8. 11. 1946 die christliche Gemeinschaftsschule als das erklärt hat, was uns in der Gegenwart von Vernunft und Gewissen nahegelegt wird. Erzbischof Dr. Gröber erklärte weiter, daß er für seine Stellungnahme Verständnis auf der Bischofskonferenz in Fulda gefunden und auch vom Heiligen Vater keine Antwort erhalten habe, die seine Stellungnahme ändern müßte. Der Heilige Vater habe ja selbst das Konkordat unterzeichnet, in dem die christliche Gemeinschaftsschule als eine der beiden christlichen Schulformen festgelegt sei. In gleichem Sinne haben sich höchste evangelische Geistliche für die christliche Gemeinschaftsschule erklärt. [] Wenn die Redner der CDU sich heute zu der nicht gerade sehr christlichen und im übrigen recht anmaßenden Behauptung versteigen, daß die FDP von einem Christen nicht gewählt werden könne, so wird die Haltlosigkeit dieser Behauptung durch nichts deutlicher widerlegt als durch die Tatsache, daß die CDU in 12 Wahlkreisen, wo sie keine Mandatsaussichten hat, auf die Aufstellung eigener Kandidaten verzichtet hat und dort durch große Plakatanschläge ihre Anhänger zur Wahl der FDP auffordert. [] Die FDP erkennt es besonders an, daß Dr. Schimpf mit der Energie und Tatkraft seiner 35 Jahre sich für die politische Arbeit zur Verfügung gestellt hat. Er hat sowohl in der eigenen FDP-Versammlung als auch bei anderen Gelegenheiten seine menschliche Hochachtung vor dem Alter und der persönlichen Unantastbarkeit des Herrn Dr. Hellermann zum Ausdruck gebracht. Um so bedauerlicher muß es erscheinen, wenn Herr Dr. Hellermann in seinem durch Lautsprecherwagen bekanntgegebenen Schreiben darauf hinweist, daß Dr. Schimpf noch in Windeln gelegen habe, als er selbst mit seiner Arbeit begonnen habe. Wir sind der Auffassung, daß die politische Reife nicht erst mit dem Alter erreicht wird, in dem der Beamte als nicht mehr voll arbeitsfähig in den Ruhestand tritt. Die CDU appelliert dauernd an die "Junge Generation". Im vorliegenden Falle beanstandet sie, daß ein im Berufsleben stehender Kriegsbeschädigter sich im 4. Lebensjahrzent politisch betätigt. Wie reimt sich das zusammen? [] Das Herausstellen der Schulfrage durch Beschlüsse einer von CDU und Zentrum gebildeten Mehrheit entsprach nicht einer wirklichen sachlichen Notwendigkeit, sondern dem höchst undemokratischen Wunsch, eine aller Voraussicht nach nie wieder kehrende Mehrheit dieser beiden Parteien noch in der Sterbestunde des alten Landtags dazu auszunutzen, dem aus den Neuwahlen kommenden Parlament gesetzliche Entscheidungen vorwegzunehmen. Außerdem ist die Verquickung von Landtagswahl und Volksentscheid ein offensichtlicher Wahlkampftrick, mit dem diese beiden Parteien, die für die Beherrschung der Verwaltung und für die tonangebende Beeinflussung der Gesetzgebung - siehe Entnazifizierung usw. - durch die Sozialdemokratie im besonderen durch den Minister Menzel die volle Verantwortung tragen, die Diskussion von diesem Ihnen so peinlichen Thema auf die seit Jahrzehnten oft mißbrauchte Parole der "Verteidigung des Christentums" verschieben wollen. Sie verschweigen, daß Sie mit der Forderung, aus von Ihnen behaupteten religiösen Gründen müsse zum Volksentscheid "ja" gesagt werden, einen unsittlichen Zwang auf die Befolger dieser Parole ausüben, die im Verfassungstext enthaltene politische Richteranklage - also die grundsätzliche Beseitigung der richterlichen Unabhängigkeit und Unabsetzbarkeit - und die Forderung nach Sozialisierung gleichzeitig mitzuschlucken! Sie verschweigen, daß auch die andere von der FDP verlangte Regelung an keiner Stelle die bestehende konfessionellgetrennte christliche [] Schule beseitigt hätte, wenn die Eltern diese weiterhin wünschen, sondern das sie lediglich die Aufspaltung der Schulen nach Konfessionen bis in die kleinsten Einheiten hinein verhindert hätte, indem sie die christliche Gemeinschaftsschule dort im Normalfall bestimmte, wo die konfessionelle Trennung statt vollklassiger Schulsysteme kleine, womögliche einklassige Zwergschulen bringt, deren Bildungsleistung unvermeidlich hinter mehrklassigen Schulen zurückstehen müssen! CDU und Zentrum verschweigen, daß sie im Gegensatz zur FDP und der mit dieser verbündeten Nationalen Rechten, die beide die weltliche Schule als eine Pflanzstätte des religionsfeindlichen Marxismus grundsätzlich und ohne jede Einschränkung ablehnen, diese Schule auf Staatskosten in der Verfassung verankert haben, - offenkundig, um sich die Möglichkeit zur Fortsetzung der schwarz-roten Koalition, zu der sich gerade jetzt der CDU-Landtagspräsident Gockeln ausdrücklich öffentlich bekannt hat, offenzuhalten. [] Diese überspitzte und ausschließlich von parteitaktischen Momenten geleitete Politik sollte von niemanden, dem der Begriff "Christentum" und "christlich" ernsthaft etwas Hohes und Heiliges bedeutet, ausgerechnet als eine "christliche" bezeichnet werden. Das sollte jeder Wähler bedenken! [] Die von Herrn Bitter aufgestellte Behauptung, Stimmen für unseren Kandidaten Dr. Schimpf würden, wenn sie nicht zu seiner Wahl führen, "in ein hohles Faß" fallen, stellt die Wirklichkeit genau auf den Kopf. Wenn Herr Bitter, was uns nach seinen Ausführungen nicht der Fall zu sein scheint, den Inhalt des Wahlgesetzes kennen würde, so müßte er wissen, daß jede für den FDP-Kandidaten abgegebene Stimme, wenn dieser nicht gewählt werden sollte, auf der Landesliste zur Wahl eines anderen Kandidaten der FDP oder der Nationalen Rechten führt, die an der Landesliste der FDP beteiligt ist und von der z. B. an absolut sicherer Stelle Bürgermeister a.D. Lothar Steuer aus Recklinghausen aufgestellt ist. In jedem Falle wirkt also eine für die FDP abgegebene Stimme gegen die SPD. Ganz anders liegt es bei der CDU. Für sie als die zahlenmäßig stärkste Partei bringt das ihr im übrigen so günstige Wahlgesetz den Nachteil, daß sie auf der Landesreserveliste (ebenso wie bei der letzten Landtagswahl!) auch nicht ein einziges Mandat bekommen kann, weil die Zahl ihrer Wahlkreismandate die ihr zustehende Gesamtmandatszahl bereits übersteigt. [] Da bei der gegebenen Lage eine ernsthafte Aussicht des CDU-Kandidaten in Recklinghausen offenkundig nicht besteht, werden also die für die CDU abgegebenen Stimmen leider wirklich in Bitters "hohles Faß" fallen, wie übrigens die der rechten Splitterparteien DP und Deutsche Rechtspartei auch, während jede für die FDP abgegebene Stimme so oder so zum Mandatserfolg führt. [] In unserer vorstehenden Stellungnahme ist zugleich die Stellungnahme unseres Kandidaten Dr. Schimpf zu allen gegen ihn erhobenen Anwürfen enthalten. [] gez. Ollesch, Ing. [] 1. Vorsitzender. [] Druck: Wilh. Stölting, Recklinghausen
Published:17.06.1950 - 18.06.1950