E. Ollenhauer spricht zu den deutschen Frauen

Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals; E. Ollenhauer spricht zu den deutschen Frauen [] [] Am 25. und 26. Juni 1947 fand in Fürth die erste Reichsfrauenkonferenz der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands statt. [] Die sozialdemokratischen Frauen kämpfen für die politische, wir...

Full description

Bibliographic Details
Main Author: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)
Institution:Archiv der sozialen Demokratie (AdsD)
Format: IMAGE
Language:German
Published: 25.04.1947
Subjects:
Online Access:http://hdl.handle.net/11088/F8318FC6-96EB-4F1B-91C8-67BFD8835C7F
Description
Summary:Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals; E. Ollenhauer spricht zu den deutschen Frauen [] [] Am 25. und 26. Juni 1947 fand in Fürth die erste Reichsfrauenkonferenz der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands statt. [] Die sozialdemokratischen Frauen kämpfen für die politische, wirtschaftliche und soziale Gleichberechtigung der Frauen, aber sie wissen, daß dieser Kampf nur ein Teil des großen Kampfes aller fortschrittlich gesinnten Männer und Frauen für eine sozial gerechte Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung ist. Aus diesem Grunde sind die sozialdemokratischen Frauen stolz darauf, Seite an Seite mit den Männern für ein demokratisches und sozialistisches Deutschland zu kämpfen. [] Um klar und deutlich vor der Welt zu demonstrieren, daß sie die veralterte Nur-Frauenrechtlerei überwunden haben, war einer der Hauptreferenten bei ihrer ersten zentralen Tagung ein Mann: der stellvertretende Vorsitzende der Sozialdemokratischen Partei, Erich Ollenhauer. [] Das folgende Referat Erich Ollenhauers (stellvertretender Vorsitzender der SPD) zeigt, daß auch die führenden Männer der Sozialdemokratischen Partei klar erkannt haben, daß ohne eine tätige Anteilnahme der Frauen die Erringung des Sozialismus eine Unmöglichkeit ist. Keine Frau darf heute abseits stehen und denken, die politischen Kämpfe der Gegenwart gingen sie nichts an. [] Um der Zukunft Deutschlands willen, für ihre eigene Zukunft und für die Zukunft ihrer Kinder, ihrer Familie muß jede Frau heute sich einreihen in die große politische Kampfgemeinschaft, die für Freiheit und Frieden, für soziale Gerechtigkeit, für ein freies, demokratisches und sozialistisches Deutschland kämpft die [] Sozialdemokratische Partei Deutschlands SPD [] [] Genossinnen und Genossen! [] [] Ich möchte zunächst der ersten Frauenkonferenz der Sozialdemokratischen Partei seit ihrem Wiedererstehen vor zwei Jahren die herzlichsten Grüße des Parteivorstandes überbringen. [] Die Konferenz bedeutet für die Partei sehr viel, weil die Frauengruppen der Partei heute einer Fülle von Arbeit und Aufgaben gegenüberstehen, die in ihrer Bedeutung für die organisatorische und politische Aktivität der Partei nicht hoch genug eingeschätzt werden kann. Wir wünschen, daß diese erste Konferenz unsere aktiven Genossinnen zusammenführt zu gemeinsamen Vorstellungen über die politischen Aufgaben, und daß sie dazu beitragen möge, unsere Frauenarbeit noch mehr als bisher in die Arbeit der gesamten Partei einzugliedern, damit mehr und mehr alle Mitglieder der Partei Frauen- und Parteiarbeit als ein untrennbares und unlösbares Ganzes empfinden. [] Sie haben auf Ihrer Konferenz über eine ganze Reihe von praktischen, politischen und organisatorischen Fragen zu sprechen. Ich möchte in den wenigen Bemerkungen, die ich hier zu Beginn der Konferenz machen soll, nicht auf diese Einzelheiten eingehen. Es ist besser, wenn Sie aus Ihrer praktischen Erfahrung die Richtlinien erarbeiten, die dann die Grundlage unserer Parteiarbeit auf diesem Gebiet sein sollen. Aber ich glaube, daß wir auf dieser ersten Konferenz auch von der Gesamtpartei her einige allgemeine Gesichtspunkte mit zur Diskussion stellen sollen. Das heißt nicht, daß das, was ich sage, etwas Neues ist oder nicht etwas ist, was Sie selbst wissen oder was Sie selbst schon ausgesprochen haben. Ich möchte nur, daß die Arbeit dieser Konferenz in den großen Zusammenhang des Geschehens gebracht wird, in dem wir heute in Deutschland leben. [] Zwischen dieser ersten Reichskonferenz nach dem Zusammenbruch der Hitlerdiktatur und der letzten Reichskonferenz vor der Hitlerdiktatur liegen genau zwanzig Jahre. Das ist im Leben eines Menschen eine lange Spanne Zeit, auch wenn sich dieses Leben in normalen Zeiten abspielt. Für uns bedeuten diese zwanzig Jahre zwischen 1927 und 1947 unendlich viel mehr. Zwischen Kiel und Fürth liegt für die Bewegung und für jeden einzelnen von uns eine ganze Welt von tief eingreifenden Ereignissen und erschütternden Erlebnissen. Wir haben in Deutschland zwölf Jahre der totalen Unterdrückung erlebt und von diesen zwölf Jahren waren nicht weniger als fünf Jahre eines der mörderischsten Kriege, die die Menschheit bisher erlebt hat. Welche Unsumme von menschlichem Leid, von menschlicher Sorge und von menschlicher Erschütterung diese Zeitspanne mit sich gebracht hat, das brauche ich Ihnen nicht, zu sagen. Sie haben es alle mit erlebt. [] Aber es ist nicht nur die Fülle des Leides, die Fülle der Opfer, die heute auf unserer Erinnerung lastet. Diese zwölf Jahre Nazidiktatur bedeuten auch alles in allem gesehen eine tiefgreifende soziale und politische Umwälzung. Eine soziale und politische Umwälzung, die mit der Tatsache des Sturzes der Hitlerdiktatur nicht aus der Welt geschafft wird. Viele Faktoren wirken fort, und wir müssen als Menschen, die die Gegenwart formen wollen, immer von neuem den Versuch machen, unsere Aufgaben und die Methoden unserer Arbeit auszurichten nach den Bedingungen, die sich in diesem Zeitabschnitt in Deutschland und in Europa entwickelt haben. [] Es kommt etwas anderes hinzu. Die Hitlerdiktatur hat einen totalen Krieg geführt gegen das eigene Volk und gegen die Völker Europas. Dieses Verbrechen hat geendet, wie es enden mußte, wenn die Entwicklung der Menschheit einen Sinn behalten soll. Es hat geendet mit der totalen Katastrophe. In diese totale Katastrophe sind nicht nur die Schuldigen einbezogen worden, sondern es sind auch die Millionen von Menschen in Deutschland und Europa hineingerissen worden, die entweder aktiv Gegner des Systems oder als Leidende Opfer dieses Regimes gewesen sind. Wir hier in Deutschland leben heute in einem Zustand, der beispiellos in der Geschichte eines modernen Volkes ist. Die Hitlerdiktatur hat die totale, die bedingungslose Kapitulation unterschrieben. Deutschland ist heute ein geographischer Begriff. Deutschland ist heute nicht mehr ein Staat und nicht mehr ein Volk mit einer eigenen Souveränität. [] Wir stehen vor der Tatsache, daß mit dem Zusammenbruch der Hitlerdiktatur in diesem Land, in dem fast 70 Millionen Menschen leben, ein wirtschaftliches, ein politisches und geistiges Vakuum, ein leerer Raum, entstanden ist, der in seinen Auswirkungen außerordentlich tiefgreifende Konsequenzen für die zukünftige Entwicklung in Deutschland und Europa haben kann und haben wird. Wir stehen jeden Tag seit dem Mai 1945 zwischen den beiden Möglichkeiten, daß entweder eines Tages dieses Vakuum mit den letzten Resten einer geordneten Verwaltung zur Ordnung des täglichen Lebens der Dinge zusammenbricht und in ein völliges Chaos führt oder aber, daß in Deutschland selbst und bei den Mächten, die heute das Schicksal Deutschlands in der Hand halten, sich die Vorstellungen für den Aufbau einer neuen und sozialen Ordnung durchsetzen, so daß wir schließlich doch auf den Trümmern dieses Elends eine gerechtere und menschlichere Ordnung aufbauen können. Wir haben das große Risiko des völligen Zusammenbruchs und wir haben auch zum großen Teil in unserer eigenen Hand die große Chance eines wirklich neuen demokratischen, freiheitlichen, sozialistischen Deutschlands. [] In dieses Vakuum sind die Sozialdemokraten als politische Kraft 1945 zuerst getreten. Es ist wichtig, diese Tatsache immer im Bewußtsein zu behalten, denn das war kein Zufall. Es war kein Zufall, daß in dem Augenblick, in dem das Regime zusammenbrach, die Männer und Frauen der Sozialdemokratie an den Versuch gingen, hier in Deutschland eine neue politische Ordnung aufzubauen. Was war die Ursache dieser Entwicklung? Die letzte Ursache war nicht irgendeine fixe Idee oder irgendeine starke Initiative von einzelnen. Die letzte Ursache war die Tatsache, daß trotz allem Bösen und Schlimmen, was die Hitlerdiktatur über das deutsche Volk und über die Menschheit gebracht hat, sie trotz allem ein dauerndes Gutes geschaffen hat, Sie hat unter dem härtesten Druck eines totalen Terrors die Unsterblichkeit der Ideen bewiesen, für die wir Sozialdemokraten kämpfen, so lange es eine Sozialdemokratische Partei gibt. Es gibt heute in Deutschland Millionen von Menschen, die aus Leichtsinn und Verantwortungslosigkeit in den Jahren bis 1933 freiwillig durch ihre Stimmabgabe die Partei der Diktatur zur Macht erhoben haben, und die erst in den zwölf Jahren unter den bittersten Erfahrungen erkannt haben, daß die Freiheit höher steht als alle materiellen Werte. [] Mit dem Nationalsozialismus kam ein Materialismus, ein Gewaltsystem an die Macht, die die Freiheit und die Würde des Menschen täglich und stündlich mit Füßen getreten haben. Erst dann haben viele Menschen begriffen, was es für eine wirkliche und vernünftige Ordnung in Staat und Gesellschaft bedeutet, daß ein staatliches Gemeinwesen nicht das Instrument einer Willkür, sondern das Instrument zum Schutze der Persönlichen Freiheit und Sicherheit des letzten seiner Bürger ist. Ich glaube, es gibt heute in Deutschland viele Menschen, die begriffen haben, daß eine Gemeinschaft nicht leben kann, wenn an ihrer Spitze Männer stehen, die den Gedanken der Menschlichkeit und der Humanität nicht nur in ihrer Propaganda verächtlich machen, sondern die die Menschlichkeit mit Füßen treten. Die Parole der Nazis "Wir werden den Marxismus mit Stumpf und Stiel ausrotten" war ein vom Nationalsozialismus konsequent verfolgtes Ziel. [] Was uns am Tage des Zusammenbruchs dieses "Tausendjährigen Reiches" die innere Kraft gegeben hat, auf den Trümmern Deutschlands wieder Hand anzulegen, ist die große Genugtuung für uns, daß wir stärker sind als alle Gewalt und aller Terror. Auf diesem, sicheren Grund arbeitet heute die deutsche Sozialdemokratie. Dieses Bewußtsein ist der innere Motor, der uns die Kraft gibt, auch in einer Welt von Not und Elend ohnegleichen unsere Ideen zu vertreten und für ihre Verwirklichung zu arbeiten. Wir müssen sie durch mühselige praktische Arbeit Stück für Stück in die Realität des Tagesüberführen. Dazu ist notwendig, daß wir aus dem Vergleich zwischen Ziel und Realität die richtige Form unserer Arbeit finden. [] Zu den Gebieten unserer Parteiarbeit, auf dem eine gründliche Durchackerung der neuen Probleme notwendig ist, gehört mit in erster Linie das Gebiet der Frauenarbeit in der SPD. Nehmen wir zuerst die offenkundlichsten Tatsachen: Die Bevölkerungsstruktur in Deutschland hat sich unter Nazismus und Krieg entscheidend verändert, nicht nur im Altersaufbau - auch darauf werden sich noch ernste Probleme für die gesamte Parteiarbeit in den nächsten Jahren ergeben -, sondern auch in der Zusammensetzung der Bevölkerung nach den Geschlechtern. Wir haben heute in Deutschland in der Mehrheit wahlberechtigte Frauen. In Ihrer Hand liegt, theoretisch gesehen, die volle Entscheidung über das politische, geistige und wirtschaftliche Gesicht des neuen Deutschland. Allein diese Ueberlegung muß jede politische Partei zwingen, sich mit der Frage auseinanderzusetzen, wie es möglich ist, diesen wichtigen, entscheidenden Teil des deutschen Gesamtvolkes in das politische Leben einzuschalten und positiv einzusetzen. [] Das ist selbstverständlich auch unsere Aufgabe als Sozialdemokratische Partei. [] Wir müssen Mittel und Wege finden, uni diesen entscheidenden Teil der Wählerschaft im sozialdemokratischen Sinne zu aktivieren. Das ist auch wiederum nicht pur ein organisatorisches und agitatorisches Problem. Es genügt durchaus nicht, daß wir in der Partei uns die organisatorischen Hilfsmittel schaffen, um möglichst viele Frauen politisch zu aktivieren. Wenn wir im Technischen und Aeußerlichen bleiben, dann werden wir das Problem, das hinter dieser Neuschichtung der Bevölkerung steht, nicht lösen. [] Wir müssen uns darüber klar sein, daß für uns als Sozialdemokraten die Forderung nach der Gleichberechtigung der Frau auf jedem Gebiet des gesellschaftlichen Lebens keine Agitationsangelegenheit ist, sondern daß sie aus den tieferen Quellen unserer sozialistischen Ueberzeugung kommt. Was ist die tiefste Begründung der alten sozialdemokratischen Forderung nach der Gleichberechtigung der Frau? Sie liegt da, wo wir alle unsere Kraft für die politische Arbeit herleiten: In der Vorstellung, daß der demokratische Sozialismus nicht nur eine vernünftigere und gerechtere wirtschaftliche und soziale Ordnung der Dinge anstrebt als Selbstzweck, sondern daß wir diese gerechte wirtschaftliche und politische Ordnung haben wollen aus einem einzigen undiskutierbarem Grunde, um die Befreiung des Menschen willen. Unser Ziel ist nicht irgendeine neue tote Ordnung der Dinge, unser Ziel ist der Mensch, der aus den Fesseln wirtschaftlicher, sozialer und politischer Abhängigkeit gelöst wird, damit die geistigen und seelischen Kräfte in jedem Menschen zu ihrer vollen Entfaltung kommen können. Aus diesem letzten Ziel des demokratischen Sozialismus leitet sich konsequent und logisch und ohne Umwege unsere Forderung ab, daß es bei der Beurteilung des Menschen nicht nur keine Differenzen geben kann zwischen den verschiedenen Klassen und gesellschaftlichen Schichten oder zwischen Nationen und Rassen, sondern auch keinen Unterschied in der Bewertung zwischen Mann und Frau. [] Deshalb sind wir für die politische Gleichberechtigung, deshalb sind wir für die berufliche Gleichberechtigung, für die Forderung: Gleicher Lohn für gleiche Arbeit. Deshalb sind wir dafür, daß den Mädchen und Frauen wie dem Mann die völlige freie persönliche Entscheidung in der Gestaltung ihres Lebensinhalts und ihres Lebensziels gegeben wird und daß ihnen die materiellen Möglichkeiten geschaffen werden, Lebensmöglichkeiten und Lebensziel nach ihren eigenen Wünschen zu entwickeln. [] Das war immer unser Ziel und das muß unser Ziel in der praktischen Arbeit bleiben. Nur wenn wir aus dieser grundsätzlichen Einstellung das, was wir an besonderer Frauenarbeit heute leisten müssen, herleiten, nur dann behalten wir die Arbeit in dem richtigen Verhältnis zur Gesamtbewegung und dann allein finden wir die Wege, um die große Masse der Frauen zu gewinnen für eine aktive Teilnahme am öffentlichen Leben. Für die Durchführung dieser grundsätzlichen Einstellung bleibt noch viel zu tun, auch in unserem eigenen Haus. Im Prinzip muß sich die aktive Anteilnahme der weiblichen Mitgliedschaft unserer Partei an der Arbeit der Partei ohne weiteres und ohne Abstreichungen einfach ergeben aus der einfachen Tatsache der Mitarbeit der Frau in der Partei. So lange wir in der Partei noch zu dem Hilfsmittel greifen müssen, daß wir den Anteil der Frau in den verschiedenen Körperschaften der Partei nach der Prozentzahl der Gesamtmitgliedschaft bestimmen, ist in unserem eigenen Hause noch etwas faul. Ich will dabei die Schuldfrage nicht aufwerfen. Sie ist nicht so einseitig, wie vielleicht hier bei einer Abstimmung festgestellt werden würde. Es kommt auch gar nicht darauf an, wer Recht hat, sondern darauf, daß wir das Problem sehen und daran arbeiten müssen, daß wir aus diesem Zustand herauskommen. Die SPD wird die Partei aller Männer und Frauen sein, wenn sie durch ihre Arbeit und ihre Leistungen die Notwendigkeit einer selbständigen Frauenarbeit überflüssig macht. Daß es heute noch nicht so ist, ist nicht allein Schuld der Partei, es ist auch nicht die Schuld des einen oder andern. Das Problem liegt leider viel viel tiefer, und es ist nach 1945 noch ernster geworden, als es vor 1933 war. [] Wie ist die Situation, wenn wir einmal die Beziehungen zwischen Frau und öffentlichem Leben, Frau und Politik heute betrachten? Wir müssen uns ohne Selbsttäuschung darüber klar sein, daß in Deutschland nach der Nazidiktatur das Verhältnis zwischen Frau und Politik wieder in einem viel höheren Maße problematisch geworden ist, als es vor 1933 war. Der Nationalsozialismus als aktive politische Bewegung ist tot. Aber wir täuschen uns doch darüber nicht, daß bestimmte Elemente seines Geistes auch heute noch in weiten Teilen des deutschen Volkes lebendig sind, ohne daß sich ihre Träger dessen immer voll bewußt sind. Eine der bedenklichen weiterwirkenden Folgen des Dritten Reiches ist, daß in Deutschland die Gleichberechtigung von Mann und Frau erneut ernsthaft in Zweifel gezogen worden ist. Das zeigt sich nicht nur, im Verhalten der Männer gegenüber den Frauen. Es wirkt sich auch aus auf der weiblichen Seite des deutschen Volkes. Wir finden heute vor allem viele junge deutsche Frauen, die keine praktische Erfahrung haben aus der demokratischen Periode Deutschlands, und die aus einem starken Minderwertigkeitsgefühl sich von allen öffentlichen Dingen fernhalten und in allen Fragen des öffentlichen Lebens unsicher sind. Das ist eine Unsicherheit, die in Krisenzeiten verhängnisvolle politische Konsequenzen haben kann. Eine wirkliche, lebendige Demokratie in Deutschland kann nicht aufgebaut werden, wenn bei der großen Mehrheit der deutschen Mädchen und Frauen das Bewußtsein der Notwendigkeit des öffentlichen Wirkens, und des Anspruchs auf Teilnahme an diesem öffentlichen Wirken nicht vorhanden ist. Was wir für die volle aktive Rolle der Frauen im öffentlichen Leben in Deutschland brauchen, ist, daß sich die deutschen Mädchen und Frauen wieder voll ihres eigenen Wertes bewußt werden, und daß sie in sich selbst ein gesundes und starkes Selbstbewußtsein entwickeln und in ihrem politischen Verhalten auch zur Geltung bringen. Nur denn können de besonderen Kräfte und Fähigkeiten der Frau in das ganze vielgestaltige Leben der Gesellschaft eingesetzt werden. [] In diesem Fall fasse ich den Begriff der politischen Aktivierung und der Erziehung zum demokratischen Bewußtsein nicht so eng, daß ich nur an die engeren parteipolitischen Aufgaben denke, die uns in der Sozialdemokratie gestellt sind. Wenn wir diese Aktivität erreichen wollen, dann müssen wir auch wieder von einer langerarbeiteten Erfahrung in der Partei ausgehen. Einmal, daß nicht alle Menschen von Haus aus und durch Veranlagung politisch aktive Menschen sind und daß der Teil der Frauen, die diesen Aktivismus durch Veranlagung nicht mitbringen, der weitaus größere Teil der Frauen ist. [] Das Problem ist, daß wir auch diesen größeren Teil in ein engeres Verhältnis zur Demokratie und zur Partei bringen müssen. Wir müssen versuchen, in unserer Frauenarbeit auch die geistigen und kulturellen Interessen dieses Teils der Frauen zu berücksichtigen und zu befriedigen. Die Sozialdemokratie ist keine Kirche, und der Sozialismus ist kein weltanschauliches Dogma. Aber wir wollen das Leben der Gesellschaft und des Einzelnen nach bestimmten menschlichen und sozialen Grundsätzen ausrichten und weit über die engere parteipolitische Arbeit hinaus in einer möglichst breiten Schicht von Frauen lebendig machen. Ich denke an die großen Werte und Eigenschaften, die in einer Diktatur und im Kriege immer vor die Hunde gehen: Kameradschaft, Menschlichkeit und soziale Verantwortung, Sie müssen wieder so stark werden, daß wir uns ihrer nicht nur in den Feierstunden erinnern, sondern daß sie auch im Alltagsleben wirksam sind und zum sozialen Handeln führen. Mit der Erreichung dieses Ziels steht und fällt jede aktive Demokratie. [] Dieses Problem ist für das deutsche Volk noch aus anderen Gründen brennend. Wir Gehen vor der Tatsache, daß in Deutschland Millionen junge Mädchenleben, die nie in die Lage kommen werden, eine Familie zu gründen. Wenn wir nicht die Voraussetzungen schaffen, daß diese Menschen, sei es in ihrem Beruf oder sei es im sozialen Wirken in der Oeffentlichkeit, einen höheren Lebensinhalt finden, dann werden wir erleben, daß aus Verbitterung und Verzweiflung sich Kräfte entwickeln, die im Politischen und Geistigen nicht anders wirken können als reaktionär und rückschrittlich. Wir müssen der Frau in der Praxis unseres öffentlichen Lebens das Bewußtsein der vollen Gleichberechtigung; und, was noch wichtiger ist, der Gleichwertung geben. [] Ich glaube, wir werden heute in der Sozialdemokratie nicht mehr darüber streiten, daß die Familie heute und auch in Zukunft ein entscheidender gesellschaftlicher Bildungsfaktor ist und bleiben wird. In der Familie liegen große Möglichkeiten. Sie kann eine reaktionäre Tradition in einem Volke viel länger am Leben erhalten, als den wirtschaftlichen und politischen Bedingungen eines Landes entspricht. Aber sie kann ebenso ein sehr wertvolles Mittel für den Aufbau unserer neuen Gemeinschaft sein. Ich will Ihnen ein Beispiel sagen, was mich in den hinter uns liegenden zwei Jahren in dieser Beziehung am stärksten beeindruckt hat. Wie stark eine Familie im sozialistischen Geist, d. h. im Geist eines echten, kameradschaftlichen Verhältnisses zwischen Mann und Frau, zwischen Eltern und Kindern ein vorwärtsweisender Faktor sein kann, dafür gibt uns die verflossene Hitlerzeit einen sehr positiven Beweis. Wenn ich heute unsere Helfer und Helferinnen bei den Falken sehe, - das sind Jungen und Mädchen, die vor 1933 die ersten schwachen Eindrücke sozialdemokratischen Lebens in der Falkenbewegung und in der SAJ bekommen haben, dann bin ich tief beeindruckt von dem sozialistischen Geist, der in ihnen lebt. Sie haben ihn sich in einer Welt der Diktatur, der Feindschaft, des Terrors erhalten, weil in der Familie die Tradition der sozialistischen Gemeinschaft lebendig geblieben ist. Diese Kraft jetzt, wo wir wieder freier wirken können, bewußt und positiv einzusetzen, ist eine große und schöne Aufgabe. [] Die Zukunft Deutschlands hängt in erster Linie davon ab, ob wir wirtschaftlich und politisch am Leben bleiben können, Aber die Frage, ob dieses neue Deutschland eine lebendige, demokratische und sozialistische Republik wird, hängt in gleich hohem Maße davon ab, daß wir bei den Trägern dieser Republik, vor allem bei der Generation von morgen, einen aktiven, demokratischen, sozialistischen Geist heranbilden. Dazu gehört Wissen und Schulung. Ein demokratischer Sozialist muß die Zusammenhänge in der Welt kennen und seine Position in der Gesellschaft finden, um arbeiten und kämpfen zu können. Darüber hinaus aber gilt es, die Grundeigenschaften eines jeden Sozialisten: Kameradschaft, Menschlichkeit, Achtung vor jedem Menschenleben von Kind auf zu entwickeln und sie zum selbstverständlichen Grundsatz des Handelns zu machen. [] Gelingt uns das, dann wird diese Demokratie eine wirklich freie Demokratie sein, dann wird in diesem Volk eine Generation heranwachsen, die es unmöglich macht, einen Krieg mit der ganzen Welt vom Zaume zu brechen. Wir sind ja nicht gegen den Krieg aus irgendwelchen taktischen oder irgendwelchen opportunistischen Gründen, sondern weil wir diesen Verrat an der Menschlichkeit nicht mitmachen wollen. Der Friedenswille, der nur aus der Angst vor der Atombombe zum Ausdruck gebracht wird, wird nicht stark genug sein, um zu verhindern, daß die Welt in eine neue Katastrophe gejagt wird. Unser Friedenswille muß basieren auf der Menschlichkeit und der Achtung vor jedem Menschenleben. Es ist unsere Stärke, das wir angesichts der neuen Aufgaben in unseren Vorstellungen vom demokratischen Sozialismus eine Antwort darauf finden, die die Möglichkeit einer praktischen Lösung in sich trägt. [] Sie gehen wieder zurück in einen sehr düsteren Alltag. Wir alle wissen, daß wir in den Monaten, die vor uns liegen, einen harten, kräftezermürbenden, nervenaufreibenden Kampf um das nackte Leben zu führen haben werden. Wir müssen den Versuch machen, den Menschen über Hunger und Kälte, über den nächsten Winter hinwegzuhelfen. Das ist die Aufgabe, die uns alle bedrückt. Wir haben auf der andern Seite die große Chance, auf den Trümmern einer alten Ordnung eine neue, bessere, aufzubauen. Ich weiß, es gibt Hindernisse und Schwierigkeiten, aber es gibt auch ermutigende Zeichen. Wenn einmal in späteren Jahren objektive Menschen eine Geschichte über das Leiden und die Kämpfe der Deutschen von 1945 bis 1947 schreiben werden, dann werden sie ein Kapitel nicht vergessen, das ist das Kapitel der deutschen Frau und der deutschen Mutter, die in diesem letzten Winter unter Aufbietung ihrer letzten Kraft immer nur das Ziel im Auge gehabt hat, ihre Kinder als anständige und saubere Menschen durch diese Krise hindurchzubringen. Das ist der Boden, auf dem wir weiter bauen können in der Richtung unserer sozialistischen Vorstellungen. Wenn wir mit der Sozialdemokratie und durch die Sozialdemokratie gemeinsam arbeiten und kämpfen. werden wir unser Ziel erreichen: [] [] Aufbau einer neuen Ordnung, die gegründet ist auf [] Freiheit, Frieden und Sozialismus
Published:25.04.1947