Liebe Wählerin, lieber Wähler!

Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals; Liebe Wählerin, lieber Wähler! [] Von den Vertrauensleuten der Sozialdemokratischen Partei des Wahlkreises Eßlingen/Nürtingen wurde ich gebeten, die Kandidatur zum Bundestag für diesen Kreis zu übernehmen. Sicher haben Sie den Wunsch, ein paa...

Full description

Bibliographic Details
Main Authors: Paul, Ernst, Druckhaus Friedrich-Ebert-Bau, Stuttgart
Institution:Archiv der sozialen Demokratie (AdsD)
Format: IMAGE
Language:German
Published: 06.09.1953
Subjects:
Online Access:http://hdl.handle.net/11088/214883F3-6B4F-4EF0-8BA6-3586CA8519ED
Description
Summary:Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals; Liebe Wählerin, lieber Wähler! [] Von den Vertrauensleuten der Sozialdemokratischen Partei des Wahlkreises Eßlingen/Nürtingen wurde ich gebeten, die Kandidatur zum Bundestag für diesen Kreis zu übernehmen. Sicher haben Sie den Wunsch, ein paar persönliche Angaben über den Mann zu bekommen, der sich um Ihre Stimme bewirbt. [] Ich wurde am 27. April 1897 in Steinsdorf (Nordböhmen) geboren. Mein Vater war Textilarbeiter und Hausler, meine Mutter leistete Heimarbeit und betreute die kleine Landwirtschaft. Es war eine Selbstverständlichkeit, daß ich schon als Kind bei allen Arbeiten im Hause wie auf dem Felde und im Walde mithelfen mußte. Ich bin daher von Jugend auf mit jeder Art Arbeit vertraut, nicht zuletzt auch mit der Landarbeit. Die engste Verbundenheit mit den Sorgen aller schaffenden Menschen ist mir durch die Erlebnisse meiner Kindheit in Fleisch und Blut übergegangen. [] Nach dem Besuch der Volksschule lernte ich den Beruf eines Schriftsetzers. Kurze Zeit nach meiner Auslehre mußte ich als Achtzehnjähriger zum Militärdienst einrücken. Während des ersten Weltkrieges leistete ich dreißig Monate Dienst an verschiedenen Fronten. [] Von früher Jugend an stand ich in der Arbeiterbewegung. Mein Vater war ein alter Sozialdemokrat und Gewerkschaftler sowie Gründer der Konsumgenossenschaft im Heimatort. [] Ich war Mitbegründer der Sozialistischen Jugendinternationale in Hamburg 1923 und gehörte durch neun Jahre deren engeren Leitung an. Später war ich auch Exekutivmitglied der Sozialistischen Arbeiter-Internationale. Durch mehrere Jahre leitete ich die Bildungsarbeit der sozialdemokratischen Partei in meinem Heimatlande, derem engeren Vorstand ich auch angehörte. Meine besondere Neigung führte mich außerdem zur politischen Publizistik. Als Chefredakteur der "AZ" in Stuttgart und als Leitartikler hatte ich die Möglichkeit, mich auch in diesem Lande nicht nur politisch, sondern auch journalistisch für die Demokratie und die Interessen der sozial Schwachen einzusetzen. [] Während der Hitlerherrschaft wurde ich politisch verfolgt und zum Verlassen meiner Heimat gezwungen. Ich verbrachte zehn Jahre in Schweden im Exil. Dort hatte ich Gelegenheit, in schwerster Zeit zugunsten des deutschen Volkes einzutreten und es gelang mir, nicht nur die Mauer des Hasses zu durchbrechen, sondern auch in den ersten Jahren nach dem Kriege verschiedene Hilfsaktionen durchzuführen. [] Im ersten Deutschen Bundestag habe ich in den wichtigsten Ausschüssen mitgearbeitet. Ich war Mitglied folgender Körperschaften: Ausschuß für Auswärtige Angelegenheiten, gesamtdeutsche Fragen, Europäische Sicherheit, Verfassungsschutz, Berlinausschuß, Presse-, Film-, Rundfunk-, Heimatvertriebene und Kultur-Ausschuß. Außerdem bin ich stellvertretender Vorsitzender der Bundeszentrale für Heimatdienst. Der Beratenden Versammlung des Europarates in Straßburg gehörte ich seit dem Jahre 1950 an und ich war auch in diesem Gremium in zwei Ausschüssen tätig. Da mich das Schicksal in verschiedene europäische Länder geführt hat, habe ich große Erfahrungen in der internationalen Politik gesammelt, die mir bei meiner Tätigkeit in den Ausschüssen des Bundestages und im Europarat zugunsten des deutschen Volkes zugute kommen. Neben auswärtigen und gesamtdeutschen Fragen gilt im Bundestag mein besonderes Interesse den Kriegsopfern und Sozialrentnern sowie den Heimatvertriebenen und der Wegbereitung einer besseren Zukunft für unsere Jugend. Ruhige und sachliche, aber auch zähe und ausdauernde Arbeit für alle sozial Schwachen in der Bundesrepublik sowie für die friedliche Wiedervereinigung Deutschlands in Freiheit betrachte ich als meine vornehmste Aufgabe. [] Ernst Paul [] Das Ergebnis der Bundestagswahl von 1949 war eine Regierung, die innenpolitisch gegen die SPD und außenpolitisch ohne die SPD regierte [] Die Folge war eine zunehmende Verschärfung der Gegensätze im Innern, außenpolitisch aber eine bedenkliche Aufspaltung deutscher Politik. [] Einige Tatsachen zur Innenpolitik: [] Die Umsatzsteuer wurde von 2% auf 4% erhöht. [] Die Folge: eine enorme Belastung des Haushaltungsgelds der breiten Verbraucherschichten. Eine gerechte Steuerpolitik schont die wirtschaftlich Schwachen und zieht die wirtschaftlich Starken mehr heran. Die Bundesregierung aber machte das Gegenteil, sie erhöhte die Verbrauchssteuern und ermäßigte die direkten Steuern. Wie die Einnahmen des Bundes gedeckt wurden, zeigt folgende Tabelle: [] 1949 zu 48 % aus Eink.-Steuern = direkte Steuern, zu 52 % aus allgem. Verbrauchssteuern [] 1951 zu 39 % aus Eink.-Steuern = direkte Steuern, zu 61 % aus allgem. Verbrauchssteuern [] Die kleinen Sparer wurden bei der Währungsreform enteignet, das Aktienkapital dagegen wurde geschont. Folgende Übersicht zeigt das klar: [] Spareinlagen des Volkes [] 1 Tag vor der Währungsreform 71 Milliarden [] 1 Tag nach der Währungsreform 3,6 Milliarden [] Aktienbesitz [] 1 Tag vor der Währungsreform 21 Milliarden [] 1 Tag nach der Währungsreform 17 Milliarden [] Trotz der Propaganda um das sogenannte deutsche Wirtschaftswunder hinken die Löhne hinter den Kapitalgewinnen drein. Wahrend die industrielle Lohnquote von 1936 auf 1951 um mehr als 100% fiel, stieg die Bruttogewinnquote im selben Zeitraum um mehr als 10% an. [] Eine vierköpfige Arbeiterfamilie muß 44%, eine zwei/dreiköpfige Rentnerfamilie sogar 50,5% ihres Einkommens allein für Lebensmittel ausgeben. Steigende Preise und Verbrauchssteuern machten jede kleine Erhöhung des Lohnes wett. Die Rentenempfänger werden durchweg mit viel zu niederen Renten abgespeist. [] 931000 Angest.-Vers.-Rentner erhalten durchschn. 70.70 DM [] 3,2 Millionen Sozialrentner erhalten durchschn. 58.50 DM [] 1,8 Millionen Fürsorgeempfänger erhalten ganze 38.- DM [] Insgesamt sind es etwa sechs Millionen Menschen, die mit ihren Angehörigen von Bezügen leben müssen, die unter dem Existenzminimum liegen. Auf der anderen Seite ermöglichte es die Steuerpolitik der Bundesregierung, daß über 10000 Personen nach Abzug ihrer Steuern [] über ein Einkommen von mehr als 65000 DM [] verfügen können, und dies nach einer Währungsreform, nach der alle mit 40.- DM in der Hand dastanden. Im sozialdemokratisch regierten Schweden geht es gerechter zu. Dort ehrt man das Alter durch eine Volkspension von 4886.- Kronen = 3909.- DM im Jahr. Wahrend bei uns an den notwendigsten Sozialausgaben gespart wird, behauptet Bundesfinanzminister Dr. Schäffer, ohne neue Steuern [] 10 Milliarden für die neue Aufrüstung [] aufbringen zu können. Gegen denselben Minister erzwang die SPD auch die Senkung der Kaffee- und Teesteuer. Immer mußte es zu Kampfabstimmungen im Bundestag kommen, bevor sich die Regierungsparteien zu kleinen Verbesserungen bereit fanden. Meist aber wurden die Vorschlage der SPD stur niedergestimmt. [] Es ist derselbe Pharisäer-Geist, [] der auch in der Außenpolitik den Gegensatz zwischen Regierung und Opposition immer schärfer hervortreten ließ. Von Anfang an betrieb die Regierungskoalition unter dauernder Ausschaltung der SPD ihre sogenannte [] Politik der Stärke. [] Man behauptet, nur dadurch könne man Rußland zum Entgegenkommen zwingen. Diese Auffassung wurde durch die jüngsten Ereignisse glatt widerlegt. Durch diese Politik kam immer wieder [] neues Elend über die Menschheit [] und die Gefahr, daß es auch diesmal so sein wird, ist viel größer, als man wahrhaben will. [] Wir warnen das Volk vor Adenauers Rüstungspolitik! [] Jede Regierung, die sich einbildet, sich nur auf Divisionen verlassen zu brauchen, hat diese Auffassung mit dem Blut ihres Volkes bezahlen müssen. [] Wollt Ihr wieder Kanonen statt Butter? [] Wer mit seinem Stimmzettel die Fortsetzung dieser CDU-Politik ermöglicht, lädt eine ungeheure Verantwortung auf sich. [] Noch ein Wort zum sogenannten "Nein-Sagen der SPD": Wir nehmen diesen Vorwurf deshalb ernst, weil er für viele Wähler etwas Bestechendes haben mag. Die Außenpolitik der Bundesregierung war keine Politik aus deutschem Willen, sondern war der Wunsch der westlichen Alliierten. Unsere Hinweise auf die Verfassungswidrigkeit dieser Politik wurden in den Wind geschlagen. Die von uns beantragte [] Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts wurde hintertrieben. [] Da diese Entscheidung immer noch aussteht, kann die SPD aus politischen und verfassungsrechtlichen Gründen dieser Politik weder ganz noch teilweise folgen. Unser Nein ist die logische Folge des Verhaltens des Bundeskanzlers und seiner Regierung, die ausländische Presse und Staatsmänner besser unterrichtete als die eigenen Landsleute. [] Dr. Kurt Schumacher sagte einmal: "Wenn einer seine Jacke beim ersten Knopf falsch zumacht, dann ist nachher der ganze Anzug nicht in Ordnung." So ist es auch mit der Außenpolitik Adenauers. [] Liebe Wählerinnen und Wähler! Sie werden in diesen Tagen viel Propagandamaterial erhalten. Für die CDU wird es von der Industrie bezahlt, denn diese Kreise haben ein lebhaftes Interesse an der Fortsetzung dieser Politik. [] Wir können Sie nur noch einmal auf die Ergebnisse der letzten vier Jahre verweisen und Sie aufrufen, daraus auch politische Schlußfolgerungen zu ziehen. Es liegt in Ihrer Hand, diesen Kurs zu ändern. Die SPD und ihre Kandidaten versprechen keine Wirtschaftswunder für die oberen Zehntausend, sondern arbeiten unermüdlich für das große Ziel: Soziale Sicherheit für alle, für Frieden in Freiheit. [] Wählen Sie den Kandidaten und die Liste der SPD [] Druckhaus Friedrich-Ebert-Bau, Stuttgart
Published:06.09.1953