Arbeit und Freiheit informiert dich . Hintergründiges Wahlgeflüster

Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals Arbeit und Freiheit informiert dich [] Hintergründiges Wahlgeflüster [] Gegen die Regeln eines fair geführten Wahlkampfes verstößt es keineswegs, wenn die um die politische Führung sich bewerbenden Parteien den Wählern darzulegen versuchen, wa...

Full description

Bibliographic Details
Main Authors: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD), Bundesvorstand, Bonn-Druck, Bonn
Institution:Archiv der sozialen Demokratie (AdsD)
Format: IMAGE
Language:German
Published: 15.09.1957
Subjects:
Online Access:http://hdl.handle.net/11088/F9811961-F836-4CC9-A611-850E22D5BA4F
Description
Summary:Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals Arbeit und Freiheit informiert dich [] Hintergründiges Wahlgeflüster [] Gegen die Regeln eines fair geführten Wahlkampfes verstößt es keineswegs, wenn die um die politische Führung sich bewerbenden Parteien den Wählern darzulegen versuchen, was nach ihrer Meinung eine andere Partei falsch gemacht hat oder falsch zu machen gedenkt. Oft wird jedoch ein Wahlkampf mit Behauptungen geführt, die nur dem Scheine nach Argumente sind. So liest man heute offen oder zwischen den Zeilen, man hört es laut oder geflüstert sagen, ein Wahlerfolg der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands mit einer sozialdemokratisch geführten Regierung als Ergebnis werde ausländische Gläubiger veranlassen, ihr Kapital aus der Bundesrepublik abzuziehen; werde die deutschen Unternehmer veranlassen, weniger oder gar nichts mehr zu investieren, so daß Massenarbeitslosigkeit entstünde; werde die deutschen Eigentümer von Kapital veranlassen, ihr Kapital ins Ausland zu bringen und nur dort gewinnbringend anzulegen. [] Solche Behauptungen haben nicht nur keinen Grund in der Wirklichkeit - deshalb wagt man auch nicht den Versuch, sie offen zu belegen. Sie sind viel schlimmer als eine bloße Lüge, denn sie stellen eine Brunnenvergiftung übelster Art dar. Sie sprechen in vagen Vermutungen einer Gruppe oder auch mehreren Gruppen von Staatsbürgern die Fähigkeit ab, sich gegenüber der öffentlichen Sache, gegenüber dem demokratischen Staatswesen loyal verhalten zu können. Was heißt es, einem Staatsbürger - nur weil er Unternehmer oder Kapitalgeber ist - nachzusagen, er werde sich nicht an die demokratischen Spielregeln halten, sobald eine bestimmte Partei zum Regieren komme? Das zu unterstellen, müßte logischerweise dazu führen, den zu solchen Gruppen gehörenden Individuen das Wahlrecht zu entziehen, denn nach dieser Argumentation wären sie durch die Natur ihres ökonomischen und gesellschaftlichen Status nicht in der Lage, sich demokratischen Spielregeln zu unterwerfen. Wer so argumentiert, entlarvt sich selber: er ist ein Verächter der Demokratie. [] Die rund 20,5 Milliarden DM an Gold und Devisen, über die Anfang Juli 1957 die Bank deutscher Länder verfügte, sind nicht dahin gekommen, weil die Christlich-Demokratische Union zusammen mit der Christlich-Sozialen Union alleinbestimmend in den beiden Regierungen Adenauer war. Sie sind auch nicht an uns gekommen, weil der Bundeswirtschaftsminister, Professor Dr. Erhard, seine vielen und so oft belächelten Reden gehalten hat. Sie sind der Gegenwert unserer seit Jahren steigenden Ausfuhrüberschüsse. Die kräftig sich ausdehnenden Volkswirtschaften anderer Länder haben gewisse Güter, die von uns hergestellt werden, gebraucht und deshalb von uns gekauft. Wenn diese Länder diesen Bedarf auch zukünftig haben, dann werden sie von uns weiter kaufen, und es wird sie dabei nicht im geringsten interessieren, welche Partei in der Bundesrepublik die Regierungsgeschäfte führt. Es ist sogar diese Außenhandelspolitik der Regierung Adenauer, die Politik der großen Einfuhrunterschüsse, die von internationalen Organisationen und zwischenstaatlichen Institutionen sowie von vielen einzelnen Ländern scharf getadelt wird. Man ist der berechtigten Meinung, die Bundesrepublik könne weit mehr als bisher einführen und damit die ungleichen Zahlungsbilanzen ins Gleichgewicht bringen. Damit würde außerdem die Preisentwicklung in der Bundesrepublik, die eine fatale Kurve nach oben macht, wohltuend beeinflußt. [] Es handelt sich demnach nicht darum, ob unsere Gold- und Devisenreserven durch das Ausland abgezogen werden könnten. Sie zeigen vielmehr, daß wir beträchtliche Teile unserer Gütererzeugung ohne reale Gegenleistung weggeben, solange wir keine Güter dafür einführen. Unsere Ausfuhr besteht zum großen Teil aus Kapitalgütern, mit denen Güter und Dienstleistungen in den empfangenden Ländern, erzeugt werden. Dennoch handelt es sich dabei nicht um die sogenannte Kapitalausfuhr. Zwar wird auch Kapital letztlich nur, in Gestalt von Gütern und nicht in Form von Geld ausgeführt. Kapitalausfuhr ist jedoch erst dann gegeben, wenn die ausgeführten Güter vom Ausland nicht direkt und sofort bezahlt werden, sondern der Lieferant selber mit ihnen Produktionsstätten errichtet oder sich mit den gelieferten Kapitalgütern an der Erzeugung anderer Güter und Dienstleistungen beteiligt, wobei er mit dieser Kapitalanlage Gewinne macht oder dafür Zinsen bekommt. Um auf diese Weise im Ausland "investieren" zu können, bedürfen deutsche Unternehmer und Kapitalgeber der behördlichen Genehmigung, die über das Wirtschaftsministerium des zuständigen Bundeslandes vom Bundeswirtschaftsministerium erlangt werden kann. Es ist auch der sogenannte Bartransfer möglich, wozu es keiner Genehmigung, aber der Vermittlung der Devisenbewirtschaftungsstelle bedarf. [] Im Monatsbericht der Bank deutscher Länder für Juni 1957 wurde eine Aufstellung aller deutschen Investitionen im Ausland gegeben, die zwischen 1952 und 1956 erfolgt sind: [] [...Tabelle...] [] Die Behauptung, ausländische Kreditgeber würden ihre Kapitalien aus der Bundesrepublik zurücknehmen, falls es hier zu einer sozialdemokratisch geführten Regierung käme, ist nichts anderes als die gleichermaßen motivierte angeblich eintretende Kapitalflucht der deutschen Unternehmer und Kapitaleigentümer. Man hat übrigens noch nichts davon gehört, daß ausländische Kapitalien ausgerechnet diejenigen Bundesländer scheuen, in denen Sozialdemokraten regieren oder mitregieren. [] Es zeigt sich also, daß die deutschen Unternehmer und Kapitalgeber recht wenig im Ausland investiert haben. Der mögliche Einwand, sie hätten ihre Mittel der Regierung Adenauer zuliebe in der Bundesrepublik belassen, unterstellt geschäftlichen Operationen gefühlsmäßige oder politische Motive, die nicht vorhanden sind. Die von den sozialdemokratisch geführten skandinavischen Ländern seit Jahren und Jahrzehnten betriebene Politik der Vollbeschäftigung ist zu keiner Zeit von der Unlust der Unternehmer, zu investieren, bedroht worden, sondern man mußte zeitweise oder auch teilweise die Überinvestition steuerlich bekämpfen. Die Unternehmer sind dort jedoch nicht durchweg zu Sozialdemokraten geworden, sie sind aber Demokraten geblieben. [] Kapitalflucht ist die Überführung flüssiger Geldmittel, die aus dem Verkauf von Kapitalanlagen stammen, aus der einen Währung in eine andere. Zunächst setzt sie ja Käufer für die Kapitalanlagen voraus. Sie setzt weiter die "volle Konvertibilität der Währungen", den ungehinderten Austausch von Währungen voraus, der kaum noch vorhanden ist. Kapitalflucht kann auch erfolgen, indem Ausfuhrerlöse im Ausland belassen werden, was jedoch erstens gar nicht so leicht geschehen kann und zweitens keine echte Kapitalausfuhr ist. Aus solchermaßen "flüchtigem Kapital" wird in der Regel das überall gefürchtete "hot money" ("heißes Geld"), gegen das sich die Regierungen der von ihm heimgesuchten Länder zu schützen versuchen. "Heißes Geld" geht mehr auf Gewinne aus den Unterschieden der Wechselkurse, des Austauschverhältnisses der Währungen untereinander, aus, als nach der Höhe der Zinssätze oder gar der Anlageerträgnisse, da es die kommerzielle und industrielle Anlage in seiner beständigen Furcht vor Unsicherheiten aller Art meidet. Um sich vor dem stets drohenden plötzlichen Abzug solcher Gelder zu schützen, verweigern ihnen die Banken oft die Verzinsung oder erheben noch Gebühren. Aus alledem zeigt sich auch, daß der echte Unternehmer schon psychisch gar nicht ohne weiteres der Kapitalflucht fähig ist. Er wurzelt zu sehr im Mutterboden der heimischen Volkswirtschaft und weiß, daß seine unternehmerischen Fähigkeiten nur schwer neuen Mutterboden in fremden Ländern finden können. [] Die Bezahlung der alten deutschen Verbindlichkeiten im Ausland - die Auslandsschulden - ist durch langfristige zwischenstaatliche Verträge (das "Londoner Abkommen") geregelt. Ihre Bezahlung kann nicht plötzlich gefordert werden; unsere Fülle an Gold und Devisen hat im Gegenteil zu der Erwägung geführt, sie vorzeitig abzutragen. Es ist nicht bekannt, ob ausländisches Kapital erneut in solchem Umfange bei uns angelegt worden ist, daß sein prophezeiter plötzlicher Abzug gefährlich werden könnte. Unter den heute, gegebenen Umständen ist es gar nicht so leicht und einfach, Kapital aus- oder einzuführen. Seit August 1950 ist das Verbot ausländischer Investitionen in der Bundesrepublik zwar aufgehoben, und ausländische Beteiligungen sind ohne Einschränkung zulässig. Im Ausland ist dasselbe für deutsches Kapital und deutsche Firmen nicht in gleicher Weise möglich. So verbietet ein Gesetz in den Vereinigten Staaten eine mehr als 25prozentige ausländische Beteiligung an Firmen, die mit der Rüstungswirtschaft verbunden sind: Deutsche dürfen sich an solchen Unternehmen überhaupt nicht beteiligen. [] Im übrigen hat man sich in unseren Tagen längst an sozialdemokratisch geführte Regierungen gewöhnt. Diejenigen, die aus der natürlichen Unkenntnis der Wähler in diesen Dingen politische Münze schlagen wollen, vergessen im Eifer zu leicht oder haben selbst noch nicht bemerkt, daß wir in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts und nach dem zweiten Weltkrieg leben, nicht aber im 19. Jahrhundert und auch nicht mehr im Jahre 1930. [] Rudolf A. Pass [] (Aus "Geist und Tat") [] Herausgeber: Vorstand der SPD, Bonn - Druck: Bonn-Druck, Bonn
Published:15.09.1957