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Summary:Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals; Wer hilft unseren Kriegsgefangenen? [] Ein Notruf geht durch Deutschland: [] Helft unseren Kriegsgefangen! [] Pausenlos hören wir es gleich den anderen Notrufen Hunger und Kälte. [] Zwei Jahre sind seit dem Zusammenbruch vergangen, und noch immer warten fast fünf Millionen ehemalige deutsche Soldaten auf ihre Heimkehr. [] Niemand kann sich vor diesem Notruf die Ohren zuhalten [!] Wir hören ihn in Gesprächen und Versammlungen, wir lesen ihn aus Briefen und Zeitungen, er rüttelt an uns durch Proteste und Resolutionen [!] Jede Partei wird gezwungen, diesem Mahnruf ihr Interesse zuzuwenden so daß es heute nur eine Antwort in Deutschland darauf geben kann: [] Laßt unsere Kriegsgefangenen frei! [] Im Namen der Menschlichkeit gibt es kein Recht, weiterhin Gefangenenlager in Rußland, in Jugoslawien, in Polen, in der Tschechoslowakei, in Frankreich und in England mit Deutschen zu führen. [] Vor allem die Parteien sind berufen, die Tatkräftigsten und Aktivsten bei der Hilfe für die Gefangenen zu sein. [] Was hat die Sozialdemokratische Partei Deutschlands für die Freilassung der Kriegsgefangenen getan? [] Sind Ihre Bemühungen um die Erleichterung des Kriegsgefangenenloses über Proteste hinausgegangen? [] Prüfen wir die Tatsachen. [] 1. Bereits seit dem Frühjahr 1946 sind durch die Büros und Funktionäre der Sozialdemokratischen Partei durch ihre Vermittlung Kriegsgefangene mit ihren Angehörigen wieder in briefliche Verbindung gebracht worden. [] 2. Die Auslandsbüros der SPD in London und Paris haben den Kriegsgefangenen, vor allem in England, laufend Zeitungen und Broschüren übermittelt. [] 3. Emigrierte Sozialdemokraten waren es, die sich zu Vorträgen in Kriegsgefangenenlagern in England und Ägypten zur Verfügung stellten, Anregungen zur Einrichtung von Lagerbüchereien gaben, an Lagerschulen, die der politischen und beruflichen Weiterbildung dienten, mitwirkten und ebenso der Wilton-Pack-Schule in England, eine Internatsschule zur Förderung der geistig Regsamsten, ihre Unterstützung gaben ohne politisches Dogma und Unduldsamkeit wurde die Schulungs- und Betreuungsarbeit für alle Kriegsgefangenen geleistet, ohne "Gleichschaltung für eine Partei." [] 4. Die sofortige Entlassung der für den Neubau in der Heimat benötigten antifaschistischen Kriegsgefangenen beantragten die Auslandsbüros der SPD in London und Paris. Zum Teil wurden solche Entlassungen bereits erwirkt. [] Dem Bestreben der SPD ist es vor allem zu danken, daß in Verbindung mit Freunden der Labour-Party in England in erster Linie die Männer der Strafdivision "999" fast ausnahmslos ihre berechtigte Entlassung fanden, ganz gleich, welcher politischen Richtung sie angehörten. [] 5. Dabei wurde immer wieder von seiten der SPD auf die Notwendigkeit einer allgemeinen Entlassung der Kriegsgefangenen hingewiesen. Aus England kehren jetzt monatlich rund 20000 Mann heim. Durch noch aktivere Beeinflussung der Öffentlichkeit wollen die Sozialdemokraten erreichen, daß diese Quote erhöht wird, so daß in absehbarer Zeit allen Kriegsgefangenen aus Ägypten und England die Aussicht auf Rückführung in die Heimat sicher sein kann. [] Die unter Führung des Sozialisten Ramadier amtierende Regierung in Frankreich hat sich in Verhandlungen mit Amerika bereiterklärt, monatlich 20000 Kriegsgefangene heimzusenden. In Bergwerken arbeitende deutsche Kriegsgefangene erhalten ab 1. April 1947 den gleichen Lohn und die gleiche Verpflegung wie für französische Zivilarbeiter. [] 6. Den während der nächsten Monate in England wartenden Kriegsgefangenen soll durch die Fürsprache der Sozialdemokratischen Partei das Los erleichtert werden durch Wegfallen der Stacheldrahtumzäunung. Beseitigung der Kriegsgefangenen-Abzeichen, bessere Bezahlung, Unterstützung der Familienangehörigen mit Hilfe der erhöhten Verdienstsätze und durch eine großzügige Ausgangserlaubnis. Bereits zu Weihnachten hatten verschiedentlich Kriegsgefangene diese letztere Vergünstigung gewährt erhalten. [] 7. Für die in Deutschland verbliebenen Dienstgruppen wird eine Umwandlung in ein privates Arbeitsverhältnis erstrebt. Auch für diese Kriegsgefangenen verlangt die Sozialdemokratische Partei Deutschlands die Einreihung in die allgemeine Entlassung. Die Forderung nach freier politischer Betätigung einschließlich des Rechtes, Mitglied einer Partei zu werden, ist bereits erfüllt worden. [] 8. Für die nächste Zeit werden die Auslandsbüros der SPD in London und Paris die beschleunigte Heimführung der für den Neubau Deutschlands benötigten Kräfte weiterhin erwirken [] 9. Nicht zuletzt ist diese Arbeit gestärkt worden durch den Besuch der Delegation der Sozialdemokratischen Partei unter Führung ihres Vorsitzenden Dr. Kurt Schumacher in England, welche bei dieser Gelegenheit bei allen öffentlichen Stellen auf die Not der Kriegsgefangenen hingewiesen und durch ihre Diskussionen in den Kriegsgefangenenlagern das volle Interesse der Welt auf dieses Problem gelenkt haben. [] Entscheide selbst: Wie sind die Taten? [] Offenbart sich darin nicht das zähe Ringen der Sozialdemokratischen Partei um Verständnis für Deutschland in der ganzen Welt, und in dieses Vertrauen die Kriegsgefangenen hingestellt, die begründete Hoffnung auf ihre baldige Heimkehr? [] Auf Grund amtlicher Schätzungen und der in Deutschland weilenden Angehörigen wurde bisher angenommen, daß das größte Kontingent an Kriegsgefangenen, wahrscheinlich 3,5 Millionen, noch immer in den Eiswüsten Sibiriens, in den Weiten der russischen Steppe, in den tiefen Wäldern beim Bau an Straßen und Bahnen arbeitet. Keine Liste, keine amtliche Erklärung der russischen Regierung hörten wir. Ganz überraschend gab nun die russische Nachrichtenagentur TASS Zahlen über die deutschen Kriegsgefangenen bekannt Sie erklärt, daß sich zur Zeit 890532 Deutsche in russischer Kriegsgefangenschaft befänden und daß bereits 1003974 nach Deutschland zurückgekehrt seien. [] Der Unterschied zwischen diesen Zahlen und denen auf deutscher und alliierter Seite ist so ungeheuerlich. daß man nach einer Erklärung sucht Bisher hatte Sowjetrußland die Schätzungen der westlichen Alliierten über die Höhe der Zahl der Kriegsgefangenen seines Landes, die zwischen 3-5 Millionen lag, stillschweigend hingenommen. Sollte in Rußland tatsächlich eine Million Gefangene verstorben sein? Es wäre ein fürchterliches Ergebnis, das man nur erklären könnte mit einer Gefangenenbehandlung, die im Widerspruch zu den allgemeinen Menschenrechten und allen Genfer Bestimmungen stände. [] Wenn eine Million Kriegsgefangene bereits aus Rußland entlassen wäre, dann hätten wir auch etwas in den Westzonen davon merken müssen. Das ist aber nicht der Fall. Das Entlassungslager Friedland meldet solche offiziellen Zahlen nicht. Selbst die SED hat in ihren Freudentönen über ihre Hilfe für Kriegsgefangene nur mitgeteilt, daß 1946 120000 Mann aus russischer Kriegsgefangenschaft entlassen sind und 1947 dieselbe Menge folgen soll. [] Was bedeutet aber diese Zahl im Verhältnis zu dem ungeheuren Heer der Kriegsgefangenen in Rußland, das weiterhin noch die Ungewißheit der Länge der Gefangenschaft ertragen muß und dessen briefliche Verbindung mit der Heimat so erschwert ist [] Das Kriegsgefangenenproblem ist für uns Deutsche eine zu ernste Angelegenheit, als daß wir noch weiterhin in diesen quälenden Zweifeln gelassen werden dürfen [] Warum schweigt sich die KPD = SED zu allen diesen Fragen aus? Es ist doch ungemein bezeichnend, wenn ihre Vertreter wörtlich erklären: "Es sei sicher daß die deutschen Kriegsgefangenen aus der Sowjetunion in ihre Heimat zurückkehren werden." Eine solche Selbstverständlichkeit auszusprechen brauchen wir keine KPD = SED. Viel mehr würden sich die Angehörigen der Kriegsgefangenen dafür interessieren, in welchem Maße die KPD = SED für eine Besserung des schlechten gesundheitlichen und physischen Zustandes hingewirkt hat, in dem sich die aus dem Osten heimkehrenden Kriegsgefangenen befinden. [] 20 Jahre müssen vergehen, ehe der letzte Kriegsgefangene aus Rußland heimgekehrt ist [] Nur die Schwerkranken und Arbeitsunfähigen haben das Glück der Heimkehr. Männer, auch solche, die im Nazi-Deutschland bereits im Konzentrationslager hinter Stacheldraht oder im Zuchthaus saßen, müssen noch weiter die Strapazen der russischen Kriegsgefangenschaft ertragen. Unter diesen Umständen ist es zu verstehen, wenn heute die KPD = SED ohne Protest verkündet, daß 1947 genau so viele Kriegsgefangene heimkehren werden wie 1946. [] Denn sonst müßte sie an der allgewaltigen, selbstsüchtigen Politik der Kommunistischen Partei Rußlands Kritik üben. [] Dabei hätte es doch die KPD = SED wesentlich einfacher. [] Der jetzige Vorsitzende der SED, Wilhelm Pieck, und der Vorsitzende des Kulturausschusses, Erich Weinert, waren führende Männer des "Komitees Freies Deutschland", einer Organisation unter den Kriegsgefangenen in Rußland, angeblich zur politischen Schulung und Selbständigkeit. Auf Grund ihrer Erfahrungen und Verbindungen könnten sie doch eine viel größere Freigabe von Kriegsgefangenen in Rußland erwirken. [] Wollen sie es nicht? [] In diesem Zusammenhang ist es interessant, zu erfahren, daß gerade Erich Weinert sich in Artikeln und Aufsätzen im "Komitee Freies Deutschland" dafür eingesetzt hat, Kriegsgefangene in Rußland zum längeren Wiederaufbau beschäftigt zu sehen Er sah einen Stolz darin, auch wenn die Männer lange Jahre der Heimat fernbleiben sollten. [] Dieselbe Einstellung finden wir auch bei den französischen Kommunisten, und wir können in ihrer Zeitschrift (L'Humanité, Paris, 7. Dezember 1946) lesen: [] "Die Forderungen Schumachers sind in Washington erhört worden. Herr Byrnes hat Frankreich, Belgien, Holland und Luxemburg gebeten, die 674000 deutschen Soldaten in Freiheit zu setzen, die in diesen Ländern verwendet werden und die von der amerikanischen Armee gefangengenommen waren. Mit seltener Ausdauer sind die Angelsachsen am Werk, die Wiedergeburt Deutschlands zum Schaden der Länder zu beschleunigen, die Deutschland ausgeplündert hat. Sie schicken sich mit ihren neuesten Forderungen an, unserer nationalen Produktion einen Schlag zu versetzen. Tatsächlich werden heute in unseren Bergwerken 60000 deutsche Kriegsgefangene beschäftigt. Ihre Arbeit ist unentbehrlich, wenn ihre Leistung auch kaum 50 bis 60% der Leistung des französischen Bergarbeiters erreicht." [] Das gleiche ungewisse Schicksal der Entlassung hat unsere Kriegsgefangenen in Polen und Jugoslawien getroffen. [] Beides sind Länder, in denen die Kommunistische Partei die politischen Entscheidungen trifft. [] Auch hier weiterhin für die Kriegsgefangenen Not, Entbehrungen und lange Jahre Kriegsgefangenschaft. [] Von über 100000 Kriegsgefangenen sind in den letzten Wochen nur 2000 Antifaschisten aus Jugoslawien heimgekehrt. [] Kein Wort lesen wir in den Zeitungen der KP, - keine Zeile berichtet uns davon, daß sie in Jugoslawien und Polen wegen einer stärkeren Entlassung vorstellig geworden ist. Wo bleibt ihre Hilfe für alle Leidenden? [] Darf eine Partei in ihrem Kampf gegen Ungerechtigkeit und Elend halt machen vor den machtpolitischen Bestrebungen irgendeines Landes? [] Mit Bitternis berichten die wenigen Einzelheimkehrer aus französischer Kriegsgefangenschaft, unter welchen menschenunwürdigen Zuständen sie leben mußten. [] Es wird von allen bürgerlichen Parteien Frankreichs als Tatsache hingenommen, daß diese Behandlung im Sinne der Wiedergutmachung so sein muß und die Entlassung der Kriegsgefangenen unmöglich geschehen kann. Nur die Sozialisten Frankreichs erheben ihre Stimme für die Gerechtigkeit, wenn sie in ihrer Zeitung "Le Populaire" sich für eine humanere Behandlung der 600000 deutschen Kriegsgefangenen einsetzen und fordern, daß die elementarsten Grundsätze menschlicher Anständigkeit verwirklicht werden müssen. [] Soll die christliche Nächstenliebe an den Grenzen der Völker halt machen, weil die Politik es gebietet? [] In den bürgerlichen Parteien in Deutschland haben sich alle politisch rückständigen und ewig gestrigen Menschen gefunden. Damit wurde diesen Parteien die Kraft des Verständnisses mit der Welt geschwächt. Sie finden nicht den Weg über die Grenzen, und wir werden auch in ihren Zeitungen keinen Protest finden gegen jene französische Äußerung der Katholischen Volkspartei Frankreichs in "Le Patriote Résistant" vom 1. Januar 1947: "Es ist wahr, daß die durch internationale Abmachungen und Gepflogenheiten vorgesehenen Verhältnisse in bezug auf die Kriegsgefangenen-Entlassungen heute im Falle Deutschlands noch nicht Tatsache geworden sind ... Warum heute mit internationalen Abmachungen und Gepflogenheiten argumentieren, die früher einmal entstanden sind ... ?" [] Sollen menschliche Grundsätze für unsere Kriegsgefangenen als aufgehoben gelten? [] Wenn es über die Grenzen geht, verleugnen christliche Parteien ihre Nächstenliebe. Damit wird die Bruderhilfe durch die Engstirnigkeit eines eigensüchtigen Denkens zur Tatenlosigkeit verurteilt.
Published:ca. 1947