Besinnliche Wort zum Jahreswechsel

Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals; Besinnliche Worte, zum Jahreswechsel [] Frankfurt am Main, Dezember 1953 [] [] Liebe Mitbürgerin, lieber Mitbürger! [] Das Jahr geht zu Ende. Da ist es gut, einen kurzen Rückblick zu tun. [] Das für uns alle entscheidendste Ereignis war die...

Full description

Bibliographic Details
Main Author: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD), Unterbezirk Frankfurt am Main
Institution:Archiv der sozialen Demokratie (AdsD)
Format: IMAGE
Language:German
Published: 09.1953 - 12.1953
Subjects:
Online Access:http://hdl.handle.net/11088/35CBB00A-B7EC-49FD-97F9-6A6BE8560295
Description
Summary:Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals; Besinnliche Worte, zum Jahreswechsel [] Frankfurt am Main, Dezember 1953 [] [] Liebe Mitbürgerin, lieber Mitbürger! [] Das Jahr geht zu Ende. Da ist es gut, einen kurzen Rückblick zu tun. [] Das für uns alle entscheidendste Ereignis war die Bundestagswahl vom 6. September. [] In seiner Regierungserklärung vom 21. Oktober hat der Bundeskanzler eine Verbesserung der wirtschaftlichen Lage der Rentner, Witwen und Waisen, überhaupt all derjenigen Bevölkerungsschichten versprochen, "die bisher noch nicht gleichmäßig am wirtschaftlichen Aufbau teilgenommen haben". [] [] Wie sieht es in Wirklichkeit damit aus? [] Für ein noch vorn ersten Bundestag angenommenes Heimkehrerentschädigungsgesetz weigert sich der Bundesfinanzminister, die Mittel bereitzustellen. Statt der erforderlichen 300 Millionen DM jährlich bot sein Staatssekretär großzügig 5 Millionen an. [] Eine von den Sozialdemokraten beantragte einmalige Weihnachtsbeihilfe für Erwerbslose und Rentner, ebenso eine Weihnachtsgratifikation für Arbeiter, Angestellte und Beamte des öffentlichen Dienstes, wurde glatt abgelehnt. [] Im ersten Falle leistete sich der Frankfurter Bundestagsabgeordnete Peter Horn (CDU) die zynische Bemerkung, die Unterstützungszahlungen dürften nicht ein Ausmaß erreichen, das den Anreiz zur Arbeit unterbinde. [] Als im zweiten Falle beantragt wurde, dann wenigstens den Bediensteten, die weniger als 300,- DM im Monat verdienen, eine kleine Weihnachtsgratifikation zukommen zu lassen, ereignete sich ein tolles Stück: [] Der Antrag wurde zwar mit einer Mehrheit von 12 Stimmen angenommen; aber ein CDU-Sprecher protestierte gegen diese Abstimmung mit der Begründung, es seien irrtümlich 10 Abgeordnete durch die Ja- statt durch die Nein-Tür gegangen. Vizepräsident Dr. Jäger (CSU) ordnete darauf eine Wiederholung der Abstimmung an, die jetzt wunschgemäß mit der Ablehnung des Antrages endete. [] Für eine Verstärkung des Bundesgrenzschutzes und für künftige militärische Zwecke im Rahmen der europäischen Verteidigungsgemeinschaft - die noch gar nicht unter Dach und Fach ist - bringt Bundesfinanzminister Schäffer Milliardenbeträge auf. Verbesserungen der sozialen Lage der Notleidenden wurden durchweg mit der Behauptung, es seien keine Mittel dafür vorhanden, abgelehnt. [] [] Andere Pläne gehen in die gleiche Richtung: [] Wohnungsbauminister Dr. Preusker (FDP) kündigte eine zehnprozentige Erhöhung der Altbaumieten an, wobei er hinzufügte, daß das kein Grund für Lohnforderungen der Arbeitnehmerschaft sei. [] Daraus, daß Herr Preusker den derzeitigen Durchschnittsanteil der Miete am Einkommen auf 9,2 % bezifferte und einen Anteil von 15 % als Ziel bezeichnete, ergibt sich, daß er im Endeffekt sogar eine Mieterhöhung um 60 % anstrebt. [] Noch rabiater gebärdet sich der Kölner Bankier und Bundestagsabgeordnete Dr. Pferdmenges, der vor dem Wirtschaftsbeirat der CDU/CSU in München offen den Wegfall der steuerlichen Vergünstigungen für Lebensversicherungsprämien, für Beiträge zum Wohnungsbau, eine Kostenmiete von 2,02 DM je qm im sozialen Wohnungsbau (bisher 1,10 DM), [] dafür aber eine steuerliche Begünstigung der Aktionäre forderte! [] "Der Erwerb von Industrieobligationen und Aktien ist gegenwärtig volkswirtschaftlich wichtiger, als wenn jemand in Hintertupfing über einen Bausparvertrag ein Eigenheim erwirbt", sagte dieser wirtschafts- und finanzpolitische Berater des Bundeskanzlers. [] Hand in Hand mit diesen Bemühungen, das Rad des sozialen Fortschritts zurückzudrehen, gehen die Versuche, den Staatsbürger politisch zu gängeln und seine Meinungsfreiheit zu beschneiden. [] Erinnert sei an das zunächst abgewehrte Informationsministerium und an den Versuch, ein Zensurgesetz herauszubringen. [] Nach wie vor aber beharrt die Bundesregierung auf einer Grundgesetzänderung für die - noch gar nicht in Kraft getretenen - Verträge von Paris und Bonn. [] In einem Zusatzartikel zum Grundgesetz soll erklärt werden, daß beide Verträge samt ihren Zusatz- und Nebenabkommen verfassungsmäßig seien, obwohl das Bundesverfassungsgericht hat erkennen lassen, daß das Gegenteil der Fall ist. [] Nicht nur die Wehrpflicht soll durch einfaches Gesetz eingeführt werden, sondern auf die gleiche Art sollen für Angehörige der Streitkräfte auch die Grundrechte - Freiheit der Person, des Glaubens, Gewissens, der Meinungsäußerung, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit usw. - eingeschränkt werden können. [] Nach vielen trüben Erfahrungen ist es unerläßlich, mindestens folgende Fragen zu stellen: [] 1. Wie gedenkt man dafür zu sorgen, daß die Menschen auf dem Kasernenhof wie überhaupt während der Ableistung des Wehrdienstes ihre Menschenrechte wahren können? Insbesondere: Welche Rechte hat die gewählte Volksvertretung bei der Überwachung der tatsächlichen Verhältnisse? [] 2. Welchen Schutz gewährleistet man vor willkürlicher Verpflichtung zur Arbeitsleistung (Dienstverpflichtung)? [] [] "Das habe ich nicht gewollt" [] sagen bereits viele, die am 6. September Adenauer wählten. Heute müssen sie einsehen, daß die Politik in Bonn nicht von ein paar christlichen Gewerkschaftern in der CDU, sondern von der Großindustrie und der Großfinanz, Leuten vom Schlage des Herrn Pferdmenges, bestimmt wird. [] Es gilt, aus dieser Abschlußbilanz für das kommende Jahr die Lehre zu ziehen: Nicht mehr auf die oberflächlichen Redensarten der Regierungskoalition Adenauer hereinfallen! [] Nicht mehr, auch nicht unbewußt, die Interessen einer kleinen, hauchdünnen Schicht von Groß- und Größtverdienern fördern helfen! [] Stattdessen mit denen zusammengehen und zusammenarbeiten, die seit eh und je für das Wohl des kleinen Mannes eintreten, mit den Sozialdemokraten! [] Soll die fleißige Aufbauarbeit deutscher Menschen ihrem eigenen besseren Dasein oder den anonymen, aus dem Dunkel gelenkten Aktienpaketen der Pferdmenges und Konsorten zugute kommen? [] Helfen Sie mit, für sich selbst und für Ihre Mitbürger eine bessere und gesicherte Zukunft zu schaffen! [] In diesem Sinne, mit allen guten Wünschen für das kommende Jahr [] [] Sozialdemokratische Partei Deutschlands [] Unterbezirk Frankfurt am Main [] Bockenheimer Anlage 3
Published:09.1953 - 12.1953