Lieber Freund!

Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals; Innenminister Dr. Walter Menzel [] Im April 1949 [] Lieber Freund! [] Die CDU/CSU verlangt, dass in unserem westdeutschen Grundgesetz das Elternrecht verankert wird, d.h. dass ein Artikel aufgenommen werden solle, wonach die Eltern allein übe...

Full description

Bibliographic Details
Main Author: Menzel, Walter
Institution:Archiv der sozialen Demokratie (AdsD)
Format: IMAGE
Language:German
Published: 04.1949
Subjects:
Online Access:http://hdl.handle.net/11088/6B7549BE-0EF1-411D-B26D-D766A12D1E16
Description
Summary:Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals; Innenminister Dr. Walter Menzel [] Im April 1949 [] Lieber Freund! [] Die CDU/CSU verlangt, dass in unserem westdeutschen Grundgesetz das Elternrecht verankert wird, d.h. dass ein Artikel aufgenommen werden solle, wonach die Eltern allein über die Erziehung ihrer Kinder zu bestimmen haben. Zweifellos ist diese Forderung ausserordentlich bestechend, und gerade dadurch wird sie zu einer sehr gefährlichen Propagandamöglichkeit gegen diejenigen, die auf Grund eingehender Überlegungen Bedenken anzumelden haben. [] Wie liegen die Probleme im einzelnen [] In Deutschland haben bisher immer die einzelnen Länder über ihre Schulsysteme allein entschieden. Selbst die Weimarer Verfassung liess den Ländern das Recht, diejenigen Schulsysteme aufzubauen, die dem Willen ihrer Bevölkerung entsprachen. Die Weimarer Verfassung ging ihrem Artikel 146 zwar von der konfessionell oder weltanschaulich fundierten Schule aus, erklärte aber zugleich, dass die Einzelheiten durch ein Reichsschulgesetz geregelt werden müssten, und dass bis zum Erlass dieses Reichsschulgesetzes in den Ländern alles so bleiben solle wie vor 1919. Zu einem solchen Reichsschulgesetz ist es nie gekommen, sodass auch in der Hitlerzeit und bis heute die Bevölkerung der Länder allein zu entscheiden hatte, in welche Schularten sie ihre Kinder schicken wollte. Daher muss zunächst einmal auffallen, dass heutzutage gerade diejenigen Kreise, die einen betont föderalistischen Aufbau des westdeutschen Bundes fordern und die Weimarer Verfassung als zu unitarisch und zentralistisch schelten, auf dem Gebiete des Kulturellen und des Schulwesens alle föderativen Grundsätze vorlassen und auf diesem Gebiet die Länder unter das "Joch" des Bundes bringen wollen. [] Fragt man nach den Gründen, so ist offensichtlich, dass die CDU/CSU die in einzelnen Ländern seit Jahrzehnten von ihrer Bevölkerung gewünschte und durchgeführte christliche Gemeinschaftsschule diesen Ländern nehmen will und eine konfessionelle Zersplitterung der Schule durchsetzen möchte. In Bremen, in Hessen und in anderen Ländern, vor allem in Baden, besteht die Gemeinschaftsschule mit Billigung der katholischen Kirche seit ungefähr 80 Jahren und die Verfassung Südbadens vom Mai 1947 mit einer reinen CDU-Regierung hat die Gemeinschaftsschule wiederum übernommen unter ausdrücklicher Billigung des Bischofs von Freiburg i.Br. Es ist mir unverständlich, warum man den Elternwillen, der in diesen Ländern einmütig ist, missachten und die Eltern zu einem anderen Schulsystem zwingen will. [] Dabei sei mir die Randbemerkung gestattet, dass da, wo die katholische Kirche die absolute Vormacht hat, wie z.B. in Italien und Spanien, die Eltern nicht das Recht besitzen, über das Schulsystem zu bestimmen, dort vielmehr die katholische Staatsschule die allein erlaubte ist. [] Natürlich ist der CDU/CSU dieser Sachverhalt bekannt, und daher versucht sie ihre Forderung damit zu begründen, dass es sich bei dem Elternrecht nicht um eines der klassischen Grundrechte über die Freiheiten des Menschen usw., sondern um ein von Gott gegebenes Naturrecht handele, dass durch keinen Gesetzgeber der Welt und durch kein Parlament eingeengt werden dürfe und daher auch nicht Gegenstand einer Abstimmung in einem Parlament sein könne. Auch das ist bestechend, aber hält einer näheren Betrachtung nicht stand. Die Grund- und Freiheitsrechte, wie sie aus dem Kampf der religiösen Bewegungen in England gegen die Staatsallmacht und die englische Staatskirche vor Jahrhunderten entstanden, dann in die Unabhängigkeitsdeklarationen der Vereinigten Staaten von 1779 übergegangen sind, um später 1789 in der französischen Revolution, in der preuss. Verfassung von 1850/51 und in der Weimarer Verfassung von 1919 wieder aufzutauchen, sind aus der Vorstellung des Naturrechts entstanden. Daher ist es falsch, einen Gegensatz von Naturrecht und den klassischen Freiheitsrechten zu konstruieren. Im übrigen vergisst man bei der Argumentation der CDU/CSU, dass das Fundament aller dieser "Naturrechte" das Recht auf die persönliche und auf die Gewissensfreiheit eines jeden Menschen ist. Nur von diesem Grundrecht der Freiheit des Einzelnen aus kann man das Elternrecht herleiten, denn jenes Elternrecht ist nicht ohne die Garantie der persönlichen und geistigen Freiheit denkbar. [] Gerade wenn man das anerkennt, verstösst es gegen das Bestimmungsrecht der Eltern, wenn man ihren bereits in den einzelnen Ländern zum Ausdruck gekommenen Willen nicht anerkennen will. [] Würde man der Auffassung der CDU/CSU in ihrer letzten Konsequenz folgen, dass alleine die Eltern über die Erziehung des Kindes zu entscheiden haben, dann müsste man sich auch grundsätzlich gegen die allgemeine Schulpflicht wehren, weil es einem Naturrecht widersprechen würde, Eltern zu zwingen, ihre Kinder überhaupt in eine Schule zu schicken. [] Darüber hinaus glaube ich aber auch nicht, dass diese These von dem alleinigen Recht der Eltern überhaupt richtig sein kann. Das Kind wird erzogen nicht nur für die Eltern, es wird in erster Linie erzogen um seiner selbst, um seiner geistigen und moralischen Entwicklung willen. Dazu gehört - um des Kindes willen - zu erreichen, dass dieses Kind, wenn es eines Tages selbständig sein kam, hineingewachsen ist in seine allgemeine Umgebung, nicht nur in die des Elternhauses, sondern vor allem auch in das Gesamtleben der Nation und der Volksgemeinschaft. Das ist ebenso ein Anliegen der Volksgemeinschaft, wie ein Anliegen der Eltern selbst. Ist es nicht gerade immer die CDU gwesen [!] [gewesen], die es als einen besonderen Vorteil ihrer Partei hingestellt hat, dass die Menschen beider Konfessionen gemeinsam ein politisches Ziel und damit ein politisches Werk erreichen wollen ? Woher nimmt man die Rechtfertigung, dieses Gemeinsame erst mit dem Beginn des wahlfähigen Alters zu erstreben und es 20 Jahre vorher absolut zu verneinen? Die Sozialdemokratie vertritt die Gemeinschaftsschule als die gerechteste und vernünftigste Form der öffentlichen Erziehung, in der christlicher Religionsunterricht nach dem Willen des Erziehungsberechtigten und in Übereinstimmung mit den Bekenntnisgemeinschaften als ordentlicher Lehrgegenstand erteilt wird. [] Die Auffassung der CDU, dass es sich bei dem Elternrecht um ein nicht überstimmbares Naturrecht handele, führt aber bei seiner Durchführung noch zu folgenden unmöglichen Ergebnissen: [] Wenn kein Parlament durch Mehrheitsbeschlüsse die Schulform bestimmen kann, dann kann dies naturgemäss erst recht nicht geschehen durch Mehrheitsabstimmung innerhalb einer Gemeinde, wobei zugleich die Frage entsteht, wer innerhalb der Gemeinde abstimmen soll, ob nur die Eltern, deren Kinder jeweils gerade zur Schule gehen oder nicht auch diejenigen Eltern, deren Kinder vielleicht in ein oder zwei Jahren zur Schule kommen werden, denn es ist, wenn man den Charakter des unwandelbaren Naturrechts bejaht, unmöglich, dass fremde Eltern über das Schulsystem bestimmen, in das das eigene Kind später einmal gehen soll. Will man das aber vermeiden und jährlich neu abstimmen, um damit jeweilig das Schulsystem ändern zu lassen, dann würden wir niemals zu einer ruhigen schulischen und damit pädagogischen Entwicklung in den einzelnen Gemeinden kommen können. [] Wir würden ferner dazu kommen müssen, in jeder Gemeinde, und sei sie noch so klein, mindestens zwei, vielleicht zwei oder gar drei Schulsysteme mit eigenen Unterrichtsmitteln und eigenen Lehrkräften zu unterhalten, denn es ist selbstverständlich bei einem Naturrecht unmöglich, dass auch nur ein Elternpaar in der Gemeinde durch die Mehrzahl der anderen Eltern gezwungen werden kann, sein Kind in eine Schule zu schicken, die es nicht haben will. [] Die Absichten der CDU/CSU bergen für die Flüchtlinge ausserordentliche Gefahren. Die Aufteilung der Flüchtlinge auf die einzelnen Gemeinden ist zumeist nicht nach ihrer konfessionellen Einstellung erfolgt. Dadurch haben sich die Gemeinden mit konfessionellen Minderheiten vermehrt. So müsste nach dem Willen der CDU in allen Gemeinden ein Zwei- oder Drei-Schul-System entstehen. Machen die Flüchtlinge von dem ihnen gemäss den Ansichten der CDU unantastbar zustehenden Naturrecht, dem Elternrecht, Gebrauch, dann werden sie niemals mit dem Gemeindeleben richtig verschmelzen. Die für sie neu zu errichtende Schule würde in der Vorstellungswelt der Alteingesessenen immer die Flüchtlingskinderschule bleiben, und niemals würden die Flüchtlinge den Vorwurf loswerden, dass durch ihren Zuzug ein konfessionell andere aufgebautes Schulsystem mit einem Neu- oder Erweiterungsbau der Schule und mit der Einstellung neuer Lehrkräfte verbunden gewesen sei. Anstatt Wohnungen für die Flüchtlinge zu bauen und das für eine neue Lehrkraft aufzubringende Geld zur zusätzlichen sozialen Betreuung der Flüchtlingskinder zu verwenden, werden diese Gemeindemittel für zusätzliche Schulbauten und Lehrergehälter verwandt werden müssen. Das wird man den Flüchtlingen immer vorhalten, wenn sie Wohnungen haben wollen. Und weil die Flüchtlinge diese Gefahr sehen werden, werden sie auf ihr ''Naturrecht'' verzichten, obwohl doch das Elternrecht nach Auffassung der CDU nicht verzichtbar sei. [] Der Versuch, eine soziale Vormachtstellung bestimmter Gesellschaftsschichten auszunutzen, kommt auch am klarsten in der Forderung zum Ausdruck, dass das Elternrecht nur bei denjenigen Kindern zu gelten habe, die eine Volksschule besuchen, während man das Elternrecht bei den höheren Schulen nicht durchzuführen beabsichtigt. Anscheinend glaubt man, sich derjenigen sozialen Schichten gewiss zu sein, die kraft ihrer finanziellen Situation ihre Kinder auf eine höhere Schule schicken können. Darüber hinaus will man sogar ein System von Privatschulen zulassen, das wir Sozialdemokraten seit Jahrzehnten in unserem Kulturprogramm als Klassenschule bekämpft haben. [] Sie sehen also, dass überall da, wo die CDU/CSU bei einer konsequenten Durchführung ihrer Forderung auch nur etwas von ihrem Streben nach einer kirchlichen oder sozialen Vormacht aufgeben müsste, sie das von ihr so laut proklamierte Elternrecht nicht praktiziert, und es ferner dort nicht für notwendig hält, wo sie sich der Elternhäuser sowieso gewiss ist. [] Zum Schluss noch das sehr wesentliche praktische Argument, dass wir hier in Bonn keine echte Verfassung, sondern in erster Linie nur eine Organisierung des westdeutschen Raumes vornehmen wollen, und dass die Frage des Elternrechte garnicht ins Grundgesetz gehört, sondern, wie seit jeher in Deutschland, Aufgabe der Länder bleiben muss, und dass schliesslich die Sozialdemokratie unter Anerkennung der christlichen Grundlagen des Schulunterrichts für die gemeinsame Erziehung der Kinder beider Konfessionen ist, selbstverständlich mit der Massgabe, dass der Religionsunterricht getrennt wird. [] Mit bestem Gruss! [] Walter Menzel
Published:04.1949