Summary: | Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals; Briefumschlag, in dem das Rundschreiben offensichtlich verschickt oder verteilt wurde, liegt bei<NZ>Lochung
BUNDESKANZLER K. ADENAUER [] Bonn, den 1. September 1953 [] [] Meine lieben deutschen Landsleute! [] [] Warum wende ich mich in diesem Augenblick selbst an Sie, die in den vergangenen Jahren gearbeitet und geschafft und gespart haben, um "wieder in Ordnung zu kommen", wie Sie wohl gesagt haben? Nun, ich schreibe Ihnen zunächst, um Ihnen zu danken. Denn das, was Sie alle an Arbeit und Fleiß, an Rechnen und Überlegen aufgewandt haben, um selbst "wieder in Ordnung zu kommen", das haben Sie ja zugleich für uns alle getan. Dafür bin ich, als Bundeskanzler, dem unser aller Wohl am Herzen liegt, besonders dankbar. [] Und haben Sie sich etwa vergeblich angestrengt? Das werden Sie doch sicher nicht sagen können, auch wenn noch viele Wünsche unerfüllt geblieben sind. Sicher haben Sie sich in den vergangenen Jahren in Ihren Wohnverhältnissen verbessert. Wenn Sie vielleicht auch keine Neubauwohnung bekommen haben, weil die anderthalb Millionen Wohnungen, die mit Hilfe der Bundesregierung gebaut worden sind, zunächst für die dringendsten Fälle bestimmt waren, so haben Sie doch sicher in Ihrer alten Wohnung mehr Platz bekommen oder sie herrichten können. Das eine oder andere Möbelstück ist auch wohl neu dazugekommen. Sehen Sie sich einmal in der Wohnung um oder blicken Sie In Ihren Kleiderschrank oder in die Speisekammer; wissen Sie noch, wie das war, als man kein Glas bekam, als die Fenster mit Brettern vernagelt waren, als man kaum noch Wäsche, nur ein Kleid, einen Anzug hatte, als man nur ganz wenig Nahrungsmittel, zum Beispiel ein einzigen Ei im Vierteljahr, zugeteilt bekam? Selbst die Menschen mit den kleinsten Einkommen, die Sozialrentner, für die wir noch manches tun werden, können sich heute mehr als früher leisten. [] Daß es nun in Ihrer Wohnung anders aussieht als vor vier Jahren, das haben Sie leisten können, weil eine gute Regierungspolitik Ihnen die Grundlagen hierfür gegeben hat. Vater, Mutter und vielleicht sogar die Kinder haben zusammen gewirkt, und hier und dort haben auch die alten Eltern noch einmal angefangen zu arbeiten und haben geholfen, mit aufzubauen. Vielleicht ist der Traum vom Motorrad oder von einer schönen Urlaubsreise, der bei vielen schon Wirklichkeit geworden ist, für Sie noch nicht in ]Erfüllung gegangen - aber in mancher Beziehung sind auch Sie weitergekommen. Vielleicht ist einer von Ihnen arbeitslos geblieben. Wir haben an sich wenig Arbeitslose in Deutschland. Vergessen Sie nicht, daß wir zusätzlich zwei Millionen Flüchtlingen aus dem Osten Arbeitsplätze verschafft haben. Im Durchschnitt haben wir alle wieder einen besseren Standard erreicht. Wir sind wirklich wieder einigermaßen in Ordnung gekommen, das ist, bei den Trümmern, die uns dieser Krieg hinterlassen hat, schon sehr viel. Ich meine deshalb auch, daß es wenig Sinn hat, sich gegenseitig zu beneiden um das, was der eine vielleicht dem anderen voraus hat. Wohl aber wollen wir alles daran setzen, diejenigen, denen es noch schlecht geht, möglichst bald voranzubringen. Das wird gelingen, wenn wir weiter so arbeiten wie bisher. [] Aber: alle diese Anstrengungen, die Sie, meine lieben deutschen Landeleute, und wie Sie viele andere auf sich genommen haben, hätten allein den Erfolg nicht bringen können. Es mußte eine wohlüberlegte Regierungspolitik hinzukommen. Es mußte eine Regierung und eine Regierungsmehrheit da sein, die dafür sorgte, daß das große Ganze in Ordnung kam, daß im Inneren keine kostspieligen Experimente gemacht wurden und daß unser Ansehen nach außen hin wuchs. Genau das hat die Regierung versucht zu erreichen. Natürlich ist uns nicht alles gelungen, was wir uns vorgenommen hatten: das geht im großen Volk nicht anders als in der kleinen Familie. Aber vieles ist uns doch gelungen, gerade so wie Ihnen. [] Sie wissen alle, welch wichtiges Problem jetzt vor uns liegt: die Wiedervereinigung der beiden heute noch getrennten deutschen Landesteile in Ost und West. Dazu brauchen wir Freunde im Ausland, die uns stützen. Niemand von uns will einen Krieg. Deshalb ist unsere ganze Politik darauf abgestellt, durch friedliche Verhandlungen die uns berührenden Fragen zu lösen. Alle unsere Pläne und Handlungen versprechen aber nur dann Erfolg, wenn eine Regierung da ist, die eine gradlinige Politik verfolgt. Sie brauchen sich ja nur einmal umzublicken, um zu sehen, wie sehr ein Land geschwächt wird, wenn es keine dauernde, feste Regierung hat. Wenn ich oftmals mit meinen Verhandlungen Erfolg hatte, so war dies zum großen Teil auch der Tatsache zu verdanken, daß zu Hause ein gesundes, friedfertiges Volk seiner Arbeit nachgeht, das mir die innere Sicherheit gab. [] Wenn Sie sich in Ihrer eigenen Familie oder in der Ihrer Fremde umsehen, erkennen Sie es ja auch: nirgendwo gedeiht eine Gruppe besser, sei sie klein oder groß, als dort, wo sie eng zusammenhält. Meinungsverschiedenheiten gibt es überall. Aber wir dürfen uns durch sie nicht auseinandertreiben lassen, nicht als Familie und nicht als Volk. Wir wollen stetig und friedlich weiterarbeiten wie bisher. Wir vertrauen uns selbst, und die anderen vertrauen uns. [] Wollen Sie das einmal ruhig bedenken, meine lieben Landeleute? Sie, die Eltern, die nur in ihrem kleinen Kreis die Verantwortung haben, und Sie, die erwachsenen Kinder, die Sie vorläufig nur für Ihre Arbeit oder Ihre Ausbildung verantwortlich sind, und Sie, die Alten, die Sie schon ein Leben voller Verantwortung hinter sich haben: an diesem 6. September, dem Wahltag, der jetzt bevorsteht, haben Sie die Verantwortung für das große Ganze und für unsere Zukunft. Lassen Sie uns ruhig und folgerichtig weiterarbeiten wie bisher, gefestigt nach innen und aussen. Geben Sie deshalb Ihre Stimme den Männern und Frauen, die im Bundestag und in der Bundesregierung die Erfolge der letzten vier Jahre erarbeitet haben. [] Ihr (Adenauer)
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