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Summary:Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals; BRIEFE AN BEKANNTE "FRIEDENSBRANDSTIFTER" [] Johannes R. Becher [] [] Herrn Johannes R. Becher [] Präsident des Kulturbundes und Mitglied des Weltfriedensrates [] Berlin [] Berlin, im Oktober 1951 [] [] Herr Becher! [] Als vor einigen Monaten Ihr 60. Geburtstag "befehlsgemäß" gefeiert wurde, würdigten vor allem Presse und Rundfunk Ihre "Verdienste" um die "fortschrittliche" Kulturentwicklung in der deutschen Sowjetzone, ohne sich jedoch mit Ihrer Person näher auseinanderzusetzen. [] Auch Ihnen wird bekannt sein, daß es an sich üblich ist, an solchen Festtagen einen kritischen Blick auf den zurückgelegten Lebensweg zu werfen und eine kurze Bilanz zu ziehen. Da Sie aber kaum mehr über die notwendige Unabhängigkeit verfügen, eine solche Lebensinventur durchzuführen, wollen wir dies für Sie besorgen: [] Anläßlich Ihrer Geburt wurden Ihnen von Ihrem justizbeamteten Vater kaum revolutionäre Wiegenlieder gesungen. Niemand konnte damals ahnen, daß es der kleinbürgerliche Beamtensohn bis zum Hofpoeten Stalins bringen würde. Im Jahre 1914 traten Sie zum erstenmal mit einem im Insel-Verlag erschienenen Gedichtbändchen, das den Titel "Verfall" trug, vor die Öffentlichkeit. Es wäre zu billig, Ihnen heute vorzuwerfen, daß die damals in Ihrer Sturm- und Drangperiode entstandenen Verse kaum geeignet sind, etwa heute im Kulturbund vorgelesen zu werden. Stalins Zensoren würden ohnehin für Wendungen wie: "Ein Schlachtfeld lag in unserer Brust" - "aus dem Munde wächst ein Turm" - "aufgeilende Schreie" - "innig umzwitschert deine Hand meine Gurgel" kaum das notwendige Verständnis aufbringen, diese vielmehr als den "klassischen Ausdruck dekadenter bürgerlicher Kunst" verwerfen. Die Öffentlichkeit nahm damals von Ihren literarischen Ergüssen wenig Notiz. Dagegen interessierte es sie, als ein gewisser Johannes Becher sehr realistisch mit eigenen Händen an die Gurgel seiner Geliebten fuhr und diese zwar nicht "umzwitscherte", sondern schlicht und einfach ermordete. Bei der nachfolgenden Gerichtsverhandlung gelang es Ihrem Vater dank seiner Verbindungen, seinen ungeratenen Dichtersohn als unzurechnungsfähig erklären zu lassen und auf Grund des § 51 StGB einen Freispruch zu erwirken. [] Dieser bekanntlich sehr dehnbare Paragraph erfreute sich bei Ihnen übrigens auch später einer gewissen Beliebtheit. Denn als Sie 1921 wegen literarischen Hochverrates angeklagt waren, bekannten Sie sich nicht zu Ihrer revolutionären Tat und benützten die Verhandlung auch nicht, wie dies Lenin empfahl, zur flammenden Anklage gegen die kapitalistische Gesellschaftsordnung, sondern Ihr von der Roten Hilfe gestellter Verteidiger Dr. Apfel plädierte mit Erfolg, Ihnen abermals den Schutz des § 51 zuzubilligen. [] Man könnte Ihnen vielleicht den einmal im jugendlichen Ungestüm begangenen Mord entschuldigen, doch niemals ist Ihnen die stillschweigende Mitwisserschaft an den vielen Morden zu verzeihen, die die Sowjets während Ihres Aufenthaltes in der Sowjetunion begingen. Statt sich aufzulehnen oder zumindest zu schweigen, priesen Sie begeistert Stalins Worte: [] "Er spricht ganz nah, die Worte tönen wieder, [] welch eine Kraft er uns, uns allen gab, [] Welch eine Kraft es gab, als Stalin sprach." [] Jawohl! Stalin gab Ihnen die Kraft, sich von den Verhaftungen und Liquidationen Ihrer deutschen Gesinnungsgenossen in der UdSSR nicht im geringsten beeindrucken zu lassen. Zu den Opfern der stalinistischen Inquisition zählten damals u. a. folgende ehemals führende deutsche Kommunisten: Heinz Neumann, Hugo Eberlein, Willi Loew, August Creutzburg, Willi Koska, Max Hölz, Hermann Remmele, Hans Kippenberger, Litten und die kommunistische Reichstagsabgeordnete Kropper, sowie Dutzende andere, Ihnen persönlich bekannte deutsche Kommunisten, die vor dem Naziregime "im Vaterland aller Werktätigen" Asyl suchten und bis zum Tage ihrer vollkommen ungerechtfertigten Verhaftung auch glaubten, gefunden zu haben. [] Gewiß - es ist nicht jedermanns Sache, sich zu den Verfolgten zu bekennen, wenn man die Hoffnung hegt, durch wohlwollende Neutralität gegenüber dem Stärkeren sich den Hexenprozessen unseres Jahrhunderts entziehen zu können! Doch Ihr Verbrechen, Herr Becher, bestand nicht darin, daß Sie etwa schwiegen und den Versuch unternahmen, sich dem stalinistischen Fegefeuer zu entziehen, sondern es bestand darin, daß Sie die Henker Ihrer Genossen in der widerwärtigsten Weise verherrlichten. [] Sie glauben, all jene, die den schweren dornenvollen Weg des Suchens nach einer Lösung zwischen stalinistischer Diktatur und der primitiven Politik einer kapitalistischen Restauration gehen, die - um mit Theodor Plievier zu sprechen - es vorziehen, "zwischen zwei Stühlen zu sitzen, als einen bequemen Platz einzunehmen, der nur unter Preisgabe selbständigen und unabhängigen Denkens und Schaffens zu erhalten wäre", beschimpfen und beflegeln zu müssen. Sie glauben es Ihrer Funktion als Präsident des sogenannten Kulturbundes schuldig zu sein, einen Schriftsteller wie Ignazio Silone als "Gangster" bezeichnen zu müssen. Wie sagt doch der von Ihnen Beschimpfte: "Wer Ohren hat zu hören ..." Hören Sie also, Herr Becher: [] "Wenn ihr überhaupt noch Ohren habt, so ist es eure heilige Pflicht, zu hören! Wie kann man taub oder auch nur gleichgültig bleiben gegenüber den Zeugenaussagen einer ständig wachsenden Zahl von Flüchtlingen aus sibirischen Zwangsarbeitslagern - gegenüber den Zeugenaussagen von Menschen, deren geistige Qualitäten, deren Vertrauenswürdigkeit und Aufrichtigkeit über jeden Zweifel erhaben sind? [] Diese unwiderlegten und unwiderlegbaren Zeugen berichten von Dingen und Geschehnissen, die allein schon durch die unübersehbaren Massen der von diesem Terror Betroffenen alles bisher in der Geschichte Dagewesene an Ungeheuerlichkeit übertreffen. Wie schwach, wie farblos, banal und unzulänglich klingen selbst tiefernste Worte angesichts einer so unerhörten, monströsen, ja teuflischen Wirklichkeit! Obwohl unser Wortschatz bei der Schilderung der dem Menschenwesen von Willkür und Terror auferlegten Leiden mit der Erfindung immer neuer und immer schamloserer Folter- und Vernichtungsmethoden in den letzten Jahrzehnten Schritt gehalten und sich in ungeahntem Maße erweitert hat, so versagt er doch vor dem Martyrium der zwölf bis fünfzehn Millionen Zwangsarbeiter in Sibirien, ja schon vor der einfachen Tatsache, daß dieses endlose Martyrium zu den normalen gesetzlichen Einrichtungen eines neuen wirtschaftlichen und politischen Systems gehört. Bei ernsthaftem Nachdenken über die Lage der Menschen in jenen riesigen neuen sibirischen Sklavenstädten, die bei ihrer Bevölkerungsdichte ganzen Staaten gleichkommen, tauchen unversehens alte trostlose Urbilder menschlichen Duldens aus den Tiefen der Seele empor." [] Ist nicht jeder dieser Sätze eine wie ein Fanal wirkende Anklage gegen das von Ihnen besungene System? Gehören nicht diese Worte Silones in die Anklageschrift, die gegen Sie, Herr Becher, einmal verfaßt werden wird? [] Es gibt eine furchtbare Erklärung für Ihr erbärmliches Verhalten: die Furcht! Die ewig Sie verfolgende Furcht, Ihre Auftraggeber könnten eines Tages Ihrer überdrüssig werden und sich Ihrer als unbequemen Mitwissers entledigen, Henker sind nicht nur die Männer der Stricke, viel schlimmer sind deren geistige Wegbereiter. [] Herr Becher, Sie wissen sehr wohl, daß es eine Kaderabteilung der SED gibt. Wurde dort Ihr aus England kommender Sohn, der Sie einige Tage besuchen wollte, nicht auch nach dem eigenen Vater ausgefragt? Herr Becher, Sie wissen sehr wohl, daß es dort Karteikarten gibt, auf denen mancherlei vermerkt ist. Wurden nicht in der letzten Zeit die Karteiblätter von Johannes R. Becher, Hans Leonhard, Wolfgang Harich, Susanne Kerkhoff, Alexander Abusch, Friedrich Wolff, Jürgen Kuczynski, Alfred Kantorowicz und mehreren anderen nach sehr unliterarischen Gesichtspunkten sortiert? [] Herr Becher, sollte es ein Zufall sein, daß das Erscheinen der von Kantorowicz geleiteten Zeitschrift "Ost und West" eingestellt wurde? Ist es ein Zufall, daß der oberste Linienrichter auf kulturellem Gebiet, Rudolf Herrnstadt, Sie als "verkalkt" bezeichnet und Friedrich Wolff mit dem Prädikat "impotent" belegt? Sollte es ein Zufall sein, daß der letztere seine Funktion als Botschafter der Sowjetzone in Warschau plötzlich "freiwillig" niederlegte? Sie, Herr Becher, wissen, wie wenig Zufälle es in Diktaturen gibt. Noch besser aber wissen Sie, daß Ihre Parteiweste einige dunkle Flecke aufweist, die trotz aller Stalin verherrlichenden Gedichte und Oden nie ganz sauber wird. [] Sie hatten in Ihrem bisherigen Leben zweimal das Glück, wegen angeblicher Unzurechnungsfähigkeit freigesprochen zu werden. Doch die Henkergerichte des von Ihnen gefeierten Systems werden, wenn sie "Schuldige" brauchen - und diese werden von Diktatoren des öfteren benötigt -, keinesfalls den Paragraphen 51 berücksichtigen. Daran können auch Ihre Titel und der Ihnen zweimal von Piecks Gnaden verliehene "National"preis nichts ändern. [] Und gerade deshalb, weil Sie nur zu gut wissen, daß Ihre sämtlichen Ehrenämter und Auszeichnungen Sie bei den periodisch stattfindenden Säuberungen nicht schützen werden, versuchen Sie, Ihre Parteistellung durch die widerlichsten Stalin- und SED-Choräle zu festigen. [] Vielleicht werden Sie eines Tages, denn man weiß nie, "wem die Stunde schlägt", zu einem längeren Erholungsurlaub in die Sowjetunion eingeladen werden, um dort unter den Klängen Ihres dem 3. Parteitag der SED gewidmeten Gedichts "Partei, Du bist Frieden auf Erden" in einem Keller des MWD zu verschwinden oder das Schicksal Georgi Dimitroffs zu erleiden. [] "Der Augenzeuge"
Published:1951